Protokoll der Sitzung vom 13.12.2018

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Ja, da kann man auch mal klatschen! – Nun ist es im Moment noch so: In § 2 des Landeswahlgesetzes steht – die Kollegin hat es schon ausgeführt –, dass vom Wahlrecht erstens ausgeschlossen ist, wer durch einen richterlichen Beschluss das Wahlrecht nicht besitzt, zweitens, wer unter sogenannter Vollbetreuung steht, und drittens Personen, die eine Straftat begangen haben, aber von einem Gericht für schuldunfähig erklärt wurden, und für die in Folge eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik des Maßregelvollzugs angeordnet wurde.

Jetzt ist es aber so, dass die Vollbetreuung – das heißt, die Anordnung einer Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten – nur unter ganz bestimmten Voraussetzung möglich und in den seltensten Fällen notwendig ist. Die Betreuung wird für bestimmte Bereiche bestellt. Für alle Bereiche, die die Betroffenen noch selbst erledigen können, darf gar keine Betreuung erlassen werden. Das heißt gleichzeitig, dass die Bestellung eines Betreuers nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nur ausnahmsweise zu einem Wahlrechtsausschluss führt. Wenn jedoch eine solche Vollbetreuung angeordnet wurde, dann greift tatsächlich § 2, Abs. 2.

Jetzt mögen die Befürworter des Wahlrechtsausschlusses argumentieren, dass so jemand über eine mangelnde Einsichtsfähigkeit verfügt oder gar nicht versteht, was es heißt zu wählen.

[Beifall bei der SPD]

Aber genau diese Auffassung ist mit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention komplett überholt,

nicht zuletzt deshalb, weil bei einem – in Anführungsstrichen – gesunden Menschen, beispielsweise mir – keine Ahnung, ob ich komplett gesund bin, wer weiß das? –, auch niemand die besagte Einsichtsfähigkeit prüft. Niemand tut das. Allein die Unterscheidung zwischen der Fähigkeit oder Unfähigkeit ist im Zweifel diskriminierend.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Entscheidend ist hier allein, dass für jeden Menschen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, dem Wahlrecht nachgehen zu können.

Jetzt mögen Kritiker des inklusiven Wahlrechts sagen: Man kann ja vielleicht mal den Einzelfall prüfen! – Eine solche Prüfung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention für unzulässig erklärt, für einfach unzulässig. Bei mir hat ja auch niemand meine Wahlfähigkeit geprüft,

(Maik Penn)

und es gibt hier im Haus ganz bestimmt einige Menschen, die meine letzte Wahlentscheidung für nicht glücklich halten, ganz bestimmt – andersherum gilt das übrigens auch.

Zu meinem Wahlrecht gehört es auch, dass ich nicht nur wählen kann, was ich will, sondern ich kann genauso gut auch nicht wählen oder ungültig wählen. Ich kann eine in den Augen anderer total unvernünftige Entscheidung treffen. Dieses Recht hat jeder von uns, und das ist auch gut so.

Ein weiteres Argument der Befürworter des Wahlrechtsausschlusses ist: Dann können der Betreuer oder die Betreuerin die Entscheidung der betroffenen Person abnehmen. Das passiert aber schon längst hunderttausendfach in unseren Pflegeheimen. Stört das irgendjemanden? Im Gegenteil! Im Wahlkampf werden gern Pflegeheime besucht und häufig und am besten noch von jungen gutaussehenden Männern. Das kommt immer gut an bei den älteren Damen.

Nun geht es in dem Antrag auch um Menschen, die schuldunfähig eine Straftat begangen haben und infolgedessen in der forensischen Psychiatrie untergebracht werden. – Nein, keine Zwischenfragen! Ich habe nur so wenig Zeit. – Geht man davon aus, dass jemand von Rechts wegen schuldunfähig ist, schließt man daraus, dass es den Betroffenen auch an der besagten Einsichtsfähigkeit mangelt. Folglich spricht man ihnen auch die Fähigkeit ab zu wählen. Im Strafprozess allerdings entscheiden die Richter jedoch über die Schuldunfähigkeit nur rückblickend. Es wird nicht, wie man fälschlicherweise meinen könnte, darüber entschieden, ob die Betroffenen zu einer entsprechenden Einsicht hinsichtlich ihres politischen Willens fähig sind. Die ist nämlich unabhängig davon, ob weitere Straftaten zu erwarten sind.

Andersherum: Menschen, die dieselbe Behinderung haben, aber nicht straffällig geworden sind, verlieren ihr Wahlrecht nicht. Man sieht, es gibt keinen sachlichen Grund, dass eine Straftat in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches dazu führen sollte, einem Betroffenen die Fähigkeit zur politischen Willensbildung abzusprechen.

Damit komme ich zum Schluss: Über die Hälfte aller Bundesländer haben solche Ausschlussvorschriften aus ihren Wahlgesetzen bereits gestrichen. Lassen Sie uns heute für Berlin genau dasselbe auf den Weg bringen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die AfD hat jetzt der Kollege Vallendar das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute besprechen wir den Gesetzentwurf „Betreutes Wählen“. Um es vorwegzunehmen: Dieser weitreichende Gesetzesantrag ist dürftig ausgearbeitet und aus unserer Sicht verfassungswidrig. Die einzelnen in Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze, denen allen das gleiche verfassungsrechtliche Gewicht zukommt, entfalten ihre Sicherungsfunktion auf unterschiedliche, sich zum Teil ergänzende Weise.

Die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahlen dienen vornehmlich dazu, die im Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger zur Geltung zu bringen. Mit der Wahlfreiheit, die wiederum unabdingbare Voraussetzung für die demokratische Legitimation der Gewählten ist, steht in engem Zusammenhang die Forderung nach unmittelbarer Wahl. Sie lässt nach dem deutschen verfassungsrechtlichen Verständnis den Wählerwillen am sinnvollsten zum Ausdruck kommen, weil das Ergebnis der Stimmabgabe allein von der im Wahlakt bekundeten Willensentscheidung des Wählers abhängt.

Dem Akt des Wählens liegt als unausgesprochene, aber essenzielle Voraussetzung zu Grunde, dass der Wähler zu verantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln in der Lage ist. Die Teilnahme an der Wahl bei einer festgestellten oder vermuteten Entscheidungsunfähigkeit ist daher mit den zentralen Funktionen des Wahlaktes unvereinbar.

[Stefanie Fuchs (LINKE): Das sprechen Sie den Menschen ab?]

In Fällen, in denen feststeht, dass eine eigenverantwortliche Entscheidung unter keinen Umständen getroffen werden kann, würde eine gleichwohl erfolgende Stimmabgabe die vom Demokratieprinzip bezweckte Selbstbestimmung zur Fremdbestimmung denaturieren lassen und zwar sowohl für den Betroffenen selbst als auch für alle anderen Stimmbürger.

Aus der hier vorgelegten Begründung des Gesetzentwurfs wird auch nicht deutlich, wer beim Wegfall der Bestimmungen in § 2 Nrn. 2 und 3 des Landeswahlgesetzes den Wahlakt nun eigentlich vollziehen soll, der bestellte Betreuer oder der Betroffene selbst? Sie lassen dies bewusst aus und erwähnen die Möglichkeit, sogenannte Hilfspersonen hinzuzuziehen. Diese Hilfspersonen sollen laut Antrag durch eine gezielte Aus- und Fortbildung so geschult werden, dass sie dem Behinderten gewissermaßen die Hand führen, damit er sein Kreuz an der richtigen Stelle macht. Das läuft auf eine Übertragung der Wahlentscheidung auf einen Personenkreis hinaus, der als Stellvertreter für den Wahlberechtigten tätig wird. Dem Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet.

(Lars Düsterhöft)

Die wahlrechtliche Erfolgschancengleichheit – one man, one vote – hat das Bundesverfassungsgericht aber als demokratische Grundregel bezeichnet. Vor diesem Hintergrund besteht Einigkeit im deutschen Wahl- und Verfassungsrecht, dass jede Form des Pluralwahlrechts unzulässig ist. Stellvertretermodelle wie ein Eltern- und Kindwahlrecht, aber auch die Stimmabgabe eines Betreuers für einen Betreuten sind damit mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit als unvereinbar zu betrachten.

Unterstellen wir also einmal, dass Sie das Wahlrecht hier die Betroffenen höchstpersönlich ausüben lassen wollen. Die für das Gelingen parlamentarischer Demokratie essenzielle Rückkopplung zwischen Staatsorganen und Volk erschöpft sich nicht allein im Wahlakt. Anderenfalls bliebe das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung unvollständig. Vielmehr äußert sich das Recht hier auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung. Das setzt die Fähigkeit einer Person voraus, sich über politische Vorgänge zu informieren und eine eigene Meinung bilden zu können. Eine Person mit Demenz oder auch eine Person, die schizophren ist und nicht mehr weiß, welche Person sie eigentlich ist, kann sich ein solches Bild nicht mehr bilden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon dargelegt, dass es durchaus nicht dem Benachteiligungsverbot widerspricht, wenn behinderungsbedingte Besonderheiten, etwa das Fehlen einer erforderlichen Einsichts- und Handlungsfähigkeit, bei einem Ausschluss von einem Recht zugrunde gelegt werden.

Zuletzt gehe ich noch auf den Verweis auf die UN-BRK und ihre Rechtsverbindlichkeit auf das nationale Recht ein. Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, dass sich das Grundgesetz nicht vollständig völkerrechtlichen Bindungen geöffnet hat. Es sei darauf hingewiesen, dass auch unter Berufung auf das Völkerrecht der Gesetzgeber keine Regelungen schaffen kann oder muss, die mit dem demokratischen System des Grundgesetzes unvereinbar sind. Das aber wäre bei einer Teilnahme von Entscheidungsunfähigen an der Wahl der Fall. Damit ist diesem Gesetzentwurf eine deutliche Absage zu erteilen. Sollte er in diesem Hohen Haus dennoch beschlossen werden, kündigen wir schon einmal an, dass wir ihn verfassungsgerichtlich überprüfen lassen. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Die Linke jetzt Frau Fuchs!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Sachen vorneweg: Erstens üben wir vielleicht noch einmal das verstehende Lesen. Das hilft in einer solchen Situation. Zweitens hoffe ich sehr, dass

viele der Vertreter der Betroffenen Ihre Rede gehört haben, mit der Sie sich hier wirklich unfassbar demaskiert haben. Es ist unglaublich, welches Menschenbild Sie haben.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Aber kommen wir einmal wieder zum Fakt zurück. Als behindertenpolitische Sprecherin freue ich mich heute sehr, dass wir über unseren Antrag „Inklusives Wahlrecht in Berlin“ sprechen können. In Berlin sind bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Jahr 2016 689 Menschen vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen worden. Seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention für Deutschland rechtsverbindlich. Auch das Abgeordnetenhaus hat die Verbindlichkeit der UN Behindertenrechtskonvention am 10. Juni 2011 bekräftigt.

Der Art. 29 der UN-Behindertenrechtskonvention garantiert Menschen mit Behinderung die Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben gleichberechtigt mit allen anderen – der Kollege Düsterhöft sagte es schon. In Berlin ist es das Landeswahlgesetz, das das aktive und passive Wahlrecht entgegen den derzeit geltenden menschenrechtlichen Standards aushebelt. Ein Wahlrechtsausschluss wie im Berliner Landeswahlrecht gibt es nur in acht weiteren Bundesländern. In zwei Bundesländern hat der Landesgesetzgeber bereits gehandelt. Die Landtage in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben jeweils Anfang Juni 2016 die in ihren Landes- und Kommunalwahlgesetzen entsprechend unserer Nr. 2 lautenden Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung beseitigt.

Seit Jahren fordern Behindertenvereine und -verbände, diesen Wahlrechtsausschluss endlich zu beseitigen. Als ein Beispiel aus dem letzten Jahr sei eine Veranstaltung der Lebenshilfe und der damaligen Bundesbehindertenbeauftragten genannt. Auch Rot-Rot-Grün hat sich in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur inklusiven Gesellschaft bekannt. Dort findet sich folgende Aussage:

Ein wichtiges Ziel ist das inklusive Wahlrecht, sodass Menschen mit Behinderungen an Wahlen teilnehmen können.

Dazu gehört die Änderung des Landeswahlgesetzes.

Bisher werden u. a. – ich wiederhole es einfach noch mal, damit es auch auf der rechten Seite ankommt – Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, denen zur Besorgung aller Angelegenheiten dauerhaft ein Betreuer bestellt ist.

[Gunnar Lindemann (AfD): Das hat ja einen Grund!]

Dem Wahlrechtsausschluss liegt die pauschale Unterstellung zugrunde, dass die genannte Person nicht in der Lage ist, eine relevante Wahlentscheidung zu treffen

[Gunnar Lindemann (AfD): Das kann sie gar nicht!]

(Marc Vallendar)

Ach, ja! –, während diese Fähigkeiten bei allen anderen Menschen, insbesondere auch bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen oder Menschen mit Behinderung, die nicht unter dauerhafter Vollbetreuung stehen, schlicht vorausgesetzt wird. Es gibt aber keine Rechtspflicht, überhaupt zu wählen oder vernünftig zu wählen. Ganz im Gegenteil:

[Gunnar Lindemann (AfD): Aber Wahlbetrug ist schärfer!]

Das Wahlrecht umfasst gerade auch die Freiheit, der Wahl fernzubleiben, ungültig zu wählen oder Wahlentscheidungen aus irrationalen Gründen zu treffen.

Weiterhin gibt es auch keinen sachlichen Grund für den Wahlrechtausschluss gemäß § 2 Nr. 3 des Landeswahlgesetzes. In der forensischen Psychiatrie untergebrachte Menschen mit psychosozialen Behinderungen unterscheiden sich nicht von Personen mit vergleichbaren Krankheitsbildern, die in regulären psychiatrischen Einrichtungen untergebracht sind. Diese Menschen können unproblematisch über ihr Wahlrecht verfügen. Im Strafprozess wird gerade keine Prüfung der Fähigkeit der Teilnahme an demokratischen Wahlen vorgenommen. Hier prüft das Strafgericht ausschließlich vergangenheitsbezogen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine Schuldfähigkeit vorlag. Im Hinblick auf § 63 Strafgesetzbuch bezieht sich die Prognoseentscheidung nur auf die Gefahr weiterer Straftaten in der Zukunft. Es wird also zu keinem Zeitpunkt gerichtlich untersucht, ob die betroffene Person tatsächlich in der Lage ist, sich eine qualifizierte politische Meinung zu bilden und an Wahlen teilzuhaben. Die wahlrelevante Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit wird somit nicht richterlich begründet, sondern wird vom Gesetzgeber schlicht unterstellt. Das Wahlrecht wird so faktisch zu einem unzulässigen Nebenstrafrecht. Ich finde, es ist an der Zeit, dass Berlin nun auch im Wahlrecht die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umsetzt und die diskriminierenden Wahlrechtsausschlüsse beseitigt. – Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Seerig das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um mit dem Schluss zu beginnen: Die FDP wird diesen Antrag unterstützen.