Die Geschichte der SED-Diktatur ist nicht die Regionalgeschichte des Ostens, genauso wenig, wie die Geschichte der deutschen Teilung nicht einfach nur die Regionalgeschichte Berlins ist. Gerade wir Berlinerinnen und Berliner tragen Verantwortung dafür, unsere gemeinsame Geschichte im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Es geht dabei nicht um eine rückwärtsgewandte Debatte, sondern um die Frage, was das für das Hier und Jetzt bedeutet.
Seit einigen Jahren ist ein Deutungskampf über die Folgen der deutschen Einheit für Ostdeutschland neu entbrannt. Rechtspopulisten nutzen dies gnadenlos aus und schüren das Gefühl vieler, benachteiligt worden zu sein. Diese neue Rechte biedert sich den Opfern als Anwalt an und missbraucht die Losung der friedlichen Revolution für den politischen Kampf gegen unsere gemeinsame Demokratie.
Dass dieser Samen auf fruchtbaren Boden fällt, hat auch damit zu tun, dass wir es bislang nicht geschafft haben, uns überall, auch über Generationen hinweg, darüber zu verständigen, was der Geist der friedlichen Revolution für ein vereintes Deutschland und für ein vereintes Berlin bedeutet. Ich kann immer wieder nur dafür werben, dass wir alle diese Debatte aktiv, offen und ohne Denkverbote führen. Ich für meinen Teil habe gerade gemeinsam mit einigen SPD-Mitgliedern einen entsprechenden Aufruf veröffentlicht, mit dem Ziel, diese Debatte nach innen und nach außen zu führen. Ich bin übrigens auch dankbar, dass Tom Sello heute viele dieser Punkte zur Sprache gebracht hat.
Lassen Sie uns reden über die Leistung der DDR-Bürger, die sich mit der friedlichen Revolution gewaltlos von der kommunistischen Herrschaft befreit haben, über Respekt vor der Lebensleistung der Ostdeutschen! Lassen Sie uns reden über die ökonomischen Weichenstellungen der Neunzigerjahre, über die Machenschaften der Treuhand, über den heutigen und den vergangenen Umgang mit dem Alltag der DDR! Wir dürfen uns vor diesen Fragen nicht drücken. Wir dürfen auch und gerade in diesem Jubiläumsjahr bei aller Freude nicht so tun, als könnte man das wegfeiern.
Am diesjährigen Bericht des Beauftragten kann man sehr gut festmachen, wo konkret noch Handlungsbedarf besteht. Und jedem und jeder, der vielleicht darüber nachdenkt, dass es so etwas wie diese Behörde oder den Beauftragten nach 30 Jahren nicht mehr braucht, ist es gut geraten, sich diesen Bericht genau durchzulesen. Dort finden Sie nämlich die vielfältigen Gründe dafür, warum sich Opfer oder deren Angehörige beispielsweise erst heute melden und noch keinen Antrag gestellt haben.
Was die Schließung von Gesetzeslücken betrifft, wenn es um die Opfer geht, können wir durchaus mit einigem Stolz auf die letzten Jahre zurückblicken, was wir hier in Berlin geleistet haben. Da geht es zum Beispiel darum, die teilweise traumatisierten Opfer nicht noch durch bürokratische Mühlen zu schicken. Diese und weitere Vorschläge zur Novellierung der Rehabilitierungsgesetze für die Opfer der SED-Diktatur wurden auf Grundlage eines Beschlusses dieses Parlamentes im Bundesrat auf den Weg gebracht und warten darauf, dass der Bundestag sie hoffentlich bald bestätigt. Gleiches gilt übrigens auch für die Befristung der Gesetze: Diese muss dringend gestrichen werden.
Auch ein aus meiner Sicht sehr drängendes Thema ist es, den Übergang von denjenigen, die die Diktatur und die deutsche Teilung noch selbst erlebt haben, zu den Nachgeborenen zu organisieren und auch zu denjenigen, die
von außen zu uns gekommen sind. Gerade in Berlin hat es in den letzten 30 Jahren einen massiven Bevölkerungsaustausch gegeben. Die Stadtgesellschaft hat sich verändert und verändert sich weiter.
Hier wird vom Beauftragten richtig darauf hingewiesen, dass all dies in der politischen Bildung noch kaum auf dem Schirm ist. Mittlerweile betrifft das ja an den Schulen nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Eltern und Lehrer: Wer jetzt aus dem Referendariat kommt und mit dem Unterrichten beginnt, hat die DDR oder die Mauer nicht mehr selbst erlebt. Es droht ein Verlust an Expertise und ein Abreißen der Diskussion und des Austauschs. Aber es gibt auch Chancen, die sich daraus ergeben, dass die Jüngeren heute unbefangener miteinander umgehen.
Berlin ist und bleibt ein Schmelztiegel. Wie nirgendwo sonst kann man in unserer Stadt erleben, wie sich die altbundesrepublikanische Gesellschaft seit der Wiedervereinigung verändert hat und weiter verändert, z. B. durch das Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis der ostdeutschen Frauen in Bezug auf den § 218, bei der Arbeit oder bei der Kinderbetreuung. Es geht um uns und um unsere Kinder. Wir sind Berlinerinnen und Berliner in der Tradition von Ernst Reuter und Willy Brandt. Wir leben in einer wunderbaren und weltoffenen Stadt. Keine alte und keine neue Rechte darf, kann und wird uns daran hindern, dafür zu sorgen, dass endgültig und endlich das zusammenwächst, was immer zusammengehört hat. – Danke schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Sello! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich finde den Tätigkeitsbericht zur Aufarbeitung der SEDDiktatur als Grundlage, einmal Danke zu sagen, ganz wichtig, um für Freiheit, Frieden und Demokratie in Berlin, aber auch in ganz Deutschland, in Europa und in der Welt Danke zu sagen und für das, was dort geleistet wurde und wird.
Ich gehöre ja einer Generation an – ich war sechs Jahre alt beim Mauerfall –, die nicht mehr so aktiv all dieses Unrecht am eigenen Leibe erfahren musste. Aber ich habe durch die Tätigkeit als Abgeordneter in Lichtenberg regelmäßig mit Menschen zu tun, die sich auch heute noch als Opfer empfinden – wobei ich bei dieser Begrifflichkeit auch schnell bei der Begrifflichkeit des Helden
bin, nämlich den Menschen, die Verantwortung übernommen haben, die Mut hatten, die auch Nein gesagt haben und dafür persönliche Repressionen erfahren haben. Diese Menschen dürfen wir nicht alleine lassen, und wir lassen diese Menschen auch nicht allein.
Wer sich den Bericht genauer anschaut: Das sind 37 Seiten voller guter, klarer, detaillierter Arbeit zur Unterstützung von Menschen, die betroffen waren, von Menschen, deren Biographien zerstört wurden, aber auch politische Bildungsarbeit und ganz vieler Projekte, die auch uns hier im Parlament schon bewegt haben, die wir mitbewegen durften und die wir weiter unterstützen wollen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Danke, Herr Freymark! Wie bewerten Sie, dass der Regierende Bürgermeister bei so einem wesentlichen Tagesordnungspunkt nicht im Plenarsaal ist?
Vielen Dank für die Frage! Ich hätte mir tatsächlich gewünscht, dass er da ist. Ich gebe aber zu: Auch die Reihen der Abgeordneten sind nicht in allen Bereichen überragend gefüllt. Ich glaube, so ein Thema wäre es gerade nach 30 Jahren wert, dass möglichst viele dabei sind, insbesondere der Regierende Bürgermeister und die Senatoren.
Aber gut! Wir reden mit denen, die da sind, und wir reden über die, denen wir Unterstützung zukommen lassen wollen. – Deswegen, Herr Sello, Ihnen und Ihren Mitarbeitern ein ausdrückliches Dankeschön im Namen der CDU-Fraktion – aber auch mit Sicherheit vieler anderer Kollegen – für Ihre geleistete Arbeit in den letzten anderthalb, zwei Jahren, insbesondere 2017!
Ich will zwei, drei Punkte herausgreifen – Sie haben es selbst erwähnt: Der Campus für Demokratie ist eine wunderbare Initiative, die fraktionsübergreifend hier eine bedeutende Geburtsstunde hatte und ganz wesentlich
unterstützt wird. Ihr Vorschlag, mit der U5 eventuell eine Linie der Freiheit zu entwickeln, ist, glaube ich, etwas, was in diesem Hohen Hause große Unterstützung finden wird. Bei uns haben Sie die innerhalb sehr kurzer Zeit bereits erhalten, und da werden wir gerne etwas auf den Weg bringen.
Aber auch andere Themen wie die Robert-HavemannGesellschaft, die ASTAK, der Verein der ehemaligen Heimkinder – das sind alles Institutionen, die Sie monetär und mit Beratung unterstützen. Das Bürgerbüro nimmt selber Beratungen vor, nämlich bei Menschen, die oftmals gar nicht genau wissen: Wie bin ich kategorisiert – als Opfer oder nicht? Hätte ich dafür politisch in Haft sein müssen? Oder reicht es vielleicht, in einem Jugendwerkhof gelandet zu sein und dort nicht mehr meinem Leben, meiner schulischen Ausbildung nachgehen zu können, weil sich in meinem Lebensweg irgendetwas anders entwickelt hat, als es der Staat für mich vorgesehen hatte? – All das sind ja Erscheinungen von Diktaturen, über Sie aufklären und an denen Sie arbeiten.
Ich war Ihnen sehr dankbar, als Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit deutlich gemacht haben, dass wir die Keibelstraße nicht weiter verfallen lassen dürfen. Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung, das ehemalige Polizeigefängnis im Herzen dieser Stadt am Alexanderplatz endlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. – Herr Sello! Danke für Ihre klaren Worte! Unsere Unterstützung haben Sie.
Abschließend möchte ich sagen: Neben der Unterstützung, die wir Ihnen gerne zukommen lassen wollen, lassen wir uns auch gern daran messen: Im 30. Jahr laufen die Fristen für die Rehabilitierungsanträge aus, und auch diese Debatte soll dazu dienen, all denen, die darauf Anspruch haben, sich zu melden, aber auch all denjenigen, die erst im nächsten oder übernächsten Jahr kommen, Unterstützung zukommen zu lassen. Das darf nicht an Fristen scheitern. Deswegen wird die CDU-Fraktion Ihr Ansinnen, das Sie auf den 37 Seiten dokumentiert haben, unterstützen. Wir wollen die Entfristung dieser Rehabilitierungszeiten. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behandeln den Jahresbericht 2017. Das ist sozusagen ein Übergangszeitraum gewesen – in den Berichtszeitraum
fiel der Übergang von Martin Gutzeit zu Tom Sello als Beauftragter. Wir haben die Verdienste von Martin Gutzeit hier gewürdigt. Dennoch an dieser Stelle noch einmal Dank an Martin Gutzeit persönlich für seine langjährige, überragende Arbeit!
Namens meiner Fraktion auch Dank an Tom Sello und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ich denke, man kann schon jetzt sagen, dass es ihm gelungen ist, seine Behörde auf neue Herausforderungen einzustellen, eigene und andere Punkte zu setzen.
Eine Frage muss der neue Beauftragte aber dem Gesetzgeber nicht mehr stellen, denn diese Frage hat dieses Haus beantwortet, nämlich die Frage, ob es fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch einer solchen Behörde bedarf. Ich will aus Sicht meiner Fraktion die Gründe betonen, weshalb wir die Einrichtung dieser Behörde und die Arbeit des Beauftragten für richtig und notwendig halten, und dabei auch auf Punkte des Berichts eingehen – erstens: Erlebte Restriktionen und ihre Folgen sind nach wie vor präsent. Menschen leiden immer noch darunter, und der daraus erwachsende Bedarf an Beratung und Unterstützung wird im Jahresbericht abermals deutlich. Der Respekt vor diesen Menschen verbietet einen Schlussstrich. Deshalb ist es auch dringend notwendig, die Regeln zur Rehabilitation und zur Entschädigung zu entfristen. Abgeordnetenhaus und Berliner Senat haben sich entsprechend positioniert. Es muss endlich ein positives Aufgreifen dieser Initiative auf Bundesebene geben. – Wenn Sie da innerhalb Ihrer Fraktion tätig werden können, Kollege Freymark, dann werden wir da hoffentlich erfolgreich sein. Ich denke, dass das tatsächlich notwendig ist, sehe aber auch die Chancen.
Aber es geht darüber hinaus auch darum, die Regeln daraufhin zu überprüfen, inwieweit bürokratische Hürden und lebensfremde Voraussetzungen Rehabilitation und Entschädigung verhindern. Ich empfehle tatsächlich die Lektüre dieses Berichts, weil hier im Einzelnen deutlich wird, um welche Fälle, um welche Einzelschicksale es dabei geht, die auch die Arbeit des Beauftragten prägen.
Zweitens: Geschichte und Erinnerung sind ein umkämpftes Feld. Der Kampf um Sichtweisen und Deutungen ist erheblich geprägt von Absichten und politischen Auseinandersetzungen im Hier und Jetzt. Instrumentalisierung findet statt. Gerade deshalb ist es aber so wichtig, dass diejenigen, die unter Repressionen und deren Folgen gelitten haben und leiden, einen verlässlichen Anlaufpunkt, einen Fürsprecher haben. Das ist die Aufgabe des Beauftragten, und das macht auch die Arbeit vieler geförderter Projekte aus.
Drittens: Gerade angesichts der politischen Überformung der Betrachtung der DDR, ihrer Geschichte und ihres Endes ist es wichtig, authentische Zeugnisse des Agierens
der Opposition in der DDR aufzuarbeiten und für die Bildungsarbeit zugänglich zu machen. Hier liegt ein erheblicher Schwerpunkt der Bildungsarbeit.
Viertens: Gerade – es ist von vielen angesprochen worden – angesichts der Tatsache, dass sich die Diktatur und ihr Zusammenbrechen zeitlich immer weiter entfernen, muss Aufarbeitung und Bildungsarbeit die damit verbundene Erfahrung auch für diejenigen anbieten, die sie nicht selbst gemacht haben oder machen konnten. Gerade hier gibt es neue Herausforderungen, neue Tätigkeitsfelder. Natürlich ist auch die Aufklärungsarbeit über das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit im engeren Sinne weiterhin notwendig – Aufklärung über die Besonderheiten der Arbeit dieses Geheimdienstes in Hinblick auf den Grad der Durchdringung und Überwachung der Gesellschaft, in Hinblick auf die Verflechtungen mit dem Sicherheitsapparat und dem Machtapparat insgesamt, in Hinblick auf die faktische Abwesenheit von politischem, öffentlichem und rechtlichen Gegengewicht, und daher auch in Hinblick auf die möglichen und tatsächlichen Folgen der Tätigkeit des MfS für die Menschen.