An den Ermittlungen im Fall Amri sind zudem Bundesbehörden und Behörden anderer Bundesländer beteiligt. Hier mit einem Untersuchungsausschuss vorzupreschen, könnte die Ermittlungen in der Praxis behindern. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir die behördlichen Ermittlungen alle gemeinsam im Rahmen der parlamentarisch-demokratischen Gepflogenheiten kritisch begleiten.
Falls Anhaltspunkte für nicht zufriedenstellende Untersuchungsabschnitte bestehen, dann können wir gerne – aber eben erst, wenn es so weit ist – über geeignete Maßnahmen für parlamentarische Kontrollmöglichkeiten sprechen. Die behördlichen Ermittlungsarbeiten durch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses von vornherein unter Generalverdacht zu stellen, halte ich für keine gute Idee. Das wäre der Sache letztlich auch nicht dienlich.
Insofern – ich komme zum Schluss – ist es wichtig, dass insbesondere in schweren Zeiten alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen und an der Sache orientiert diskutieren und die Aufklärung gemeinsam voranbringen. An einer vollständigen Aufklärung der Hintergründe sind wir alle gleichermaßen interessiert. Schnellschüsse und Aktionismus haben jedoch noch nie zu politisch wünschenswerten Ergebnissen geführt. Deshalb möchte ich davor warnen, nun voreilig Reaktionen und Handlungen einzufordern. Vielmehr ist es meines Erachtens unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Ermittlungen mit Hilfe der gegebenen Kontrollinstrumente kritisch zu begleiten. – Herzlichen Dank!
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Raed Saleh (SPD), Frank Zimmermann (SPD) und Dr. Susanne Kitschun (SPD)]
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kollege Czaja! Es fällt mir ein Stück weit schwer, hier nicht die Emotionen mitspielen zu lassen, weil es schlicht und einfach ein sehr stark emotionalisierendes Thema ist, wenn wir uns noch mal vergewissern, dass wir am 19. Dezember 2016 im Herzen der Stadt vom islamistischen Terror getroffen wurden. Mitten im Zentrum unseres Landes starben zwölf Menschen, über 60 Menschen wurden verletzt, viele zum Teil schwer.
Unter diesem Aspekt schaue ich auch auf den Täter: ein Verbrecher, der bereits in Italien in Haft war, ein Verbrecher, der 14 unterschiedliche Identitäten hatte, ein Verbrecher, der in salafistischen Kreisen radikaler Islamisten verkehrte und von den Behörden als sogenannter Gefährder eingestuft wurde, weiterhin aufgefallen durch Gewalt und BtM-Delikte und offensichtlich in Verbindung zu V-Leuten stehend. Sie stellen sich genau wie wir vollkommen zu Recht die Frage: Wie ist es möglich, dass eine solche Person nahezu ungestört agieren, schalten und walten und schließlich einen barbarischen Terroranschlag im Herzen der Stadt verüben konnte?
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes gegenüberstellen: Ein falsches Like bzw. ein regierungskritischer Facebookpost führt mittlerweile dazu, dass man im Blickfeld der Behörden ist.
Nicht gezahlte GEZ-Gebühren können einen ins Gefängnis bringen, Verbrecher wie Anis Amri laufen trotz unzähliger Taten frei herum.
In einem Fall wie diesem sollte nicht die Frage im Raum stehen, ob wir einen Untersuchungsausschuss einrichten wollen, sondern lediglich, wie schnell wir einen solchen Ausschuss konstituieren können. Wenn wir Opfer einer solchen Tat wurden, muss es eine absolute Selbstverständlichkeit sein, dass wir eine lücken- und schonungslose Aufklärung aller Umstände erreichen. Das sind wir allein schon den hinterbliebenen Angehörigen schuldig.
Ziel muss es doch sein, aus den Erkenntnissen heraus schließlich Folgerungen zu treffen, die zukünftige Taten verhindern lassen. Innensenator Geisel nannte die Herausnahme Amris aus der Liste der islamistischen Gefährder eine Fehleinschätzung. Fehleinschätzung! Von einer Fehleinschätzung rede ich, wenn mein Nachbar, den ich als Vegetarier einschätze, bei einem gemeinsamen Grillfest ein Steak genießt.
Wir müssen uns noch einmal bewusst machen: Diese Fehleinschätzung kostete zwölf Menschen das Leben. Bundesjustizminister Maaß räumte Fehler der Behörden ein. Ja, welche Fehler welcher Behörden? Wer hat veranlasst, dass Anis Amri aufgrund von Drogen-, Zigaretten- und Alkoholkonsum von der Gefährderliste gestrichen wurde? Wer trug in diesem Fall die Verantwortung? Auch die Vernetzung der Behörden aller Bundesländer bei der Erfassung, Überwachung und eventuellen Einstufung als islamistischer Gefährder muss Thema eines Untersuchungsausschusses sein. Des Weiteren ist im Rahmen eines Untersuchungsausschusses festzustellen, inwieweit gesetzliche Vorgaben die ermittelnden und überwachenden Behörden bei ihrer Arbeit eingeschränkt, beispielsweise behindert haben. Auch aufzudecken ist, wie die Überwachung von verdächtigen Moscheen gewährleistet ist. Polizeipräsident Kandt merkte an, dass niemals genügend Personal vorhanden sei, um alle islamistischen Gefährder zu überwachen. Dies alles sind Ergebnisse der verfehlten Politik der letzten Jahre. Ich merke an dieser Stelle an: In Berlin gibt es über 70 islamistische Gefährder. Bundesweit sind es fast 600. Drei davon sind verschwunden, und keiner weiß wohin.
Eins möchte ich in diesem Zusammenhang auch ganz deutlich zum Ausdruck bringen: Ich bin davon überzeugt, dass die Ermittlungsbehörden eine sehr gute Arbeit leisten. Diesen Eindruck konnte ich in den vergangenen Sitzungen des Innenausschusses als auch bei der Senatsinnenverwaltung gewinnen. Für diese Arbeit an dieser Stelle auch von meiner Seite meinen herzlichen Dank!
Ich bin überzeugt, dass die Versäumnisse nicht im Schwerpunkt bei den ermittelnden Beamten liegen. Nein, die politische Führung hat aus meiner Sicht versagt, und hier muss der Hebel angesetzt werden.
Wenn ich sehe, welche parlamentarischen Tricksereien und Gedankenspiele seitens der SPD überlegt und angestellt werden, der AfD einen ihr zustehenden Ausschussvorsitz zu verwehren, ist auch das ein Zeichen dafür, wie Sie denken. Ihnen geht es offensichtlich nicht um die Aufklärung. Ihnen geht es darum, politisch nicht weiter beschädigt zu werden. Sie versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das werden wir nicht zulassen. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Priorität für die grüne Fraktion, aber auch für die Koalition insgesamt hat die gegenwärtige Sicherheitslage Berlins. Wie sicher ist unsere Bevölkerung vor islamistischen Anschlägen? Hier geht es in erster Linie darum, den Sicherheitsbehörden beim Bund und bei den Ländern den Rücken zu stärken und die weitere Aufklärung im Fall Amri – einer der fürchterlichsten Terroranschläge der jüngsten Zeit in Deutschland – zu betreiben. Hier geht es um ganz konkrete, handfeste und in die Zukunft gewandte Fragen: Gibt es ein Umfeld dieses Attentäters, oder war er alleine unterwegs? Gibt es weitere islamistische Gefährder, die Trittbrett fahren oder sich mit dieser Tat solidarisieren? Gab es vielleicht eine Zelle mitten in Berlin? Gibt es noch Leute, die in radikalisierten, dem IS nahestehenden Moscheen unterwegs sind? Wie ist die Neubewertung dieser Gefährdungslage, die abstrakt immer noch eine hohe Bedrohung aufweist? Das sind die zentralen Fragen, bei denen die Politik die Sicherheitsbehörden stärken muss.
Wir müssen uns in Berlin auch fragen, wie es mit den hier anstehenden Großlagen aussieht, all die Veranstaltungen, für die wir unsere Stadt so lieben – Karneval der Kulturen, Christopher Street Day, manche Fanmeilen, den 1. Mai in seiner Form, wie er so stattfindet. Hier geht es auch darum zu schauen, wie wir vor diesen Sicherheitslagen geschützt sind. Ich finde, dass Rot-Rot-Grün hier handelt. Im Koalitionsvertrag haben wir mehr Polizei und eine bessere Ausstattung festgelegt. Wir wollen die Grundausstattung wieder intakt bringen, die Schießstände und der Digitalfunk wurden bereits genannt. Wir haben auch beim Katastrophenschutz geschaut, wie es hier um die objektive Sicherheit bestellt ist. Das sind doch die prioritären Fragen, die nach einem solchen Anschlag auch die Bevölkerung interessieren.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll vor allen Dingen aufklären, welche Versäumnisse es behördlicherseits, seitens der Regierung gab. Wenn man sich anschaut, wie viele Sicherheitsbehörden im Fall Amri beteiligt waren, wie viele im Bereich der islamistischen Bedrohung beschäftigt sind, ist es doch richtig, dass sich als erstes der Bund, der Deutsche Bundestag fragt: Haben unsere bundesweiten Behörden, die eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion innehaben, im Falle Amri versagt, so das gemeinsame Terrorabwehrzentrum oder das Bundesamt für Verfassungsschutz, das auch gerade massiv gefragt werden muss, welche Erkenntnisse und Maßnahmen sie im Fall Amri erlassen haben? Wie sah die Koordinierung zwischen den beteiligten Bundesländern und dem Bund aus? Sind alle Informationen geflossen? – Das sind die zentralen Fragen, und die richtige Ebene dafür ist der Deutsche Bundestag.
Alles aber zur rechten Zeit. Auch wir in Berlin sollten uns, nachdem wir von diesem fürchterlichen Anschlag heimgesucht worden sind, fragen, was wir wussten, was unsere Behörden wussten, was wir hier besser machen können. Da fehlt es mir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, noch an Substanz in Ihrem Antrag. Man hat es an dem Grundantrag gesehen; dazu hat Kollege Schneider von der SPD völlig zu Recht gesagt, dass er überhaupt nicht einlassungsfähig gewesen ist. Dort waren keine konkreten Fragen adressiert. Im Grundantrag, wenn Sie dazu noch einmal referieren wollen, Herr Kollege Czaja, stand im Prinzip drin: Versäumnisse müssen aufgeklärt werden.
Ihr Änderungsantrag ist schon etwas detaillierter. Aber auch da fehlen konkrete Bezugnahmen, insbesondere auf Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen. Sie vermischen das mit politischen Fragen in die Zukunft hinein. Das ist okay, aber nicht ganz sauber. Was mich aber ärgert, ist, dass Sie auf die Aufklärung, die fast von allen Fraktionen gelobt worden ist, die die Berliner Sicher
heitsbehörden von sich heraus auch schon betreiben, gar nicht Bezug nehmen im Sinne einer Würdigung bzw. im Sinne eines kritischen Nachfragens anhand der Sachverhalte, die uns bereits bekannt geworden sind. Sie fragen beispielsweise nicht konkret nach den Observationsmaßnahmen an der Fussilet-33-Moschee, weshalb bestimmte Informationen über islamistische Gefährder dort nicht bekannt geworden sind. Sie fragen nicht nach bestimmten Vorgängen rund um das GTAZ, über Eintragungen Foreign Fighter, die durch NRW vorgenommen worden sind, durch Berlin aber nicht nachvollzogen wurden. Sie fragen nicht nach dem gestern im Rechtsausschuss von Justizsenator Behrendt von sich aus aufs Tableau gehobenen Sachverhalt, ob das Berliner LKA sich überhaupt mit der Staatsanwaltschaft über den Gefährdungssachverhalt und das Wiederauftauchen des Gefährders Amri unterhalten hat.
All diese Fragen, die sich konkret durch bekannt gewordene und in den Ausschüssen erörterte Sachfragen ableiten lassen, lassen Sie vermissen. Das ist nun immer ein parlamentarisches Pingpong, aber auch Ihren Kollegen war es heute in anderen Debatten wichtig, dass die Koalitionsfraktionen Sie bei so wichtigen Fragen wie der Gedenkpolitik mitnehmen. Hier lassen Sie einen seriösen Umgang damit, welche Fakten uns bislang bekannt geworden sind, und mit der gemeinsamen Frage dahinter – müssen wir noch weitere Aufklärung mit den Mitteln eines Untersuchungsausschusses betreiben? – vollkommen vermissen. Sie haben völlig recht: Der Anlass, dieser Terroranschlag, legt es sehr nahe, dass wir auch in Berlin die Aufklärung parlamentarisch betreiben.
Zur Art und Weise, zu den konkreten Fragen bitte ich Sie aber, noch in gemeinsame Erörterungen zu treten. Dann schauen wir mal, ganz im Geiste eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, dass am Ende die besten Fragen bestellt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank! – War das eine Meldung für eine Kurzintervention? – Dann haben Sie das Wort, Herr Czaja – bitte schön!
Genau, Herr Zillich! Ich will mich an das halten, was ich zu Beginn der Debatte gesagt habe, und es sachlich machen. – Ich will das Augenmerk des Kollegen Lux auf den geänderten Antrag richten. In den entsprechenden Blöcken haben wir die Fragen sehr dezidiert und auch etwas weitergehender gestellt, so wie es für einen Untersuchungsausschuss angemessen ist, wie es auch angemessen ist, sich diesen komplexen Fragen zu nähern.
Sie haben die Leistungen der Sicherheitskräfte und Behörden angesprochen. Dazu können wir nicht oft genug Danke sagen, auch für das, was dort in den ersten Schritten geleistet wurde.
Dennoch geht es uns darum, auch die Sicherheitsbehörden und die handelnden Akteure nicht zu beschimpfen oder zu sagen: Ihr habt hier Folgendes falsch gemacht. – Uns geht es darum, einen Erkenntnisgewinn zu erzielen, aus dem wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in Ihrem Redebeitrag aus dem Innenausschuss berichtet haben, in welcher Intensität Sie sich mit diesem Thema im Innenausschuss beschäftigen. Das wirft doch aber am Ende des Tages die Frage auf: Wie viel Zeit ist eigentlich im Innenausschuss noch da, um sich mit den alltäglichen Dingen in dieser Stadt zu beschäftigen?
Wenn Sie das nicht als notwendig ansehen, dann macht es vielleicht auch Sinn, weiterhin genau das Thema im Innenausschuss zu beraten. Wir sind aber, glaube ich, einer Meinung und haben da auch eine gemeinsame Auffassung, dass beide Themen von Relevanz für die Stadt sind. Deshalb muss der Innenausschuss die Arbeit machen, für die er da ist, nämlich das Tagesgeschäft, und der Untersuchungsausschuss muss sich mit einem besonderen Sachverhalt auseinandersetzen, und der ist klar beschrieben. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Lieber Sebastian Czaja! Wir sind uns in der Tat einig, erstens, dass wir die Diskussion weiter sachlich führen, und zweitens, dass Sie von fast allen Koalitionsfraktionen ein limitiertes Ja – so habe ich das verstanden – zu dem Anliegen, einen Untersuchungsausschuss zu gründen, im Grunde haben, aber diese Limitierungen sind auch ernst gemeint. Die gelten auch. Das heißt, dass man sich 38 Tage nach einem Anschlag nicht zu Schnellschüssen hinreißen lassen soll. So
finden Sie in Ihrem Grundantrag allein die Frage abstrakt: Welche Zusammenarbeit hat es gegeben? Warum konnte so ein terroristischer Anschlag funktionieren? – Das ist viel zu wenig.