Um in die Gegenwart zurückzukommen, stelle ich der Opposition mal die Frage: Was wird sich heute tatsächlich überhaupt daran ändern? Die Verhältnismäßigkeit dieses Mittels gehört nach wie vor – übrigens auch in den anderen Bundesländern – auf den Prüfstand. Jedoch interessiert dies die Opposition kein bisschen. Die CDUFraktion ergeht sich genau wie beim Thema Videoüberwachung in ebenso langweiligen wie veralteten Versuchen, grundrechtskürzende Maßnahmen zu rechtfertigen. Damit muss endlich Schluss sein, zumal das Landesverfassungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 21. Oktober 1999 die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung festgestellt hat. Der Zurechnungszusammenhang zwischen Verhalten und Maßnahme fehle, und überdies müssten Eingriffsschwellen konkret festgelegt werden. Vielleicht können einige das noch mal genauer studieren.
Die Abschaffung der Schleierfahndung verkörpert einen Mentalitätswechsel von einer intoleranten hin zu einer freiheitlich-demokratischen Politik im Bereich der inneren Sicherheit. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Bevölkerung grundsätzlich nicht kriminell ist. Die verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung gilt für uns nicht nur vor Gericht, sondern auch im Alltag. Eine Wiedereinführung der Schleierfahndung würde Berlin, wie schon am Anfang gesagt, 18 Jahre zurück in die Vergangenheit schleudern. Das darf in Berlin nicht noch mal geschehen!
Lange Rede, kurzer Sinn: Das Ziel, die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen, hat die Schleierfahndung nicht erreicht. Es gibt keinen einzigen Grund, dieses unverhältnismäßige Instrument wieder von den Toten auferstehen zu lassen. Der § 18 Abs. 2 ASOG ist gestrichen und muss auch gestrichen bleiben. Die sogenannte Schleierfahndung, die den Staat dazu ermächtigt, Bürgerinnen und Bürger unabhängig davon, wie sie sich verhalten, zu kontrollieren, ist rechtsstaatlich falsch und sicherheitstechnisch kontraproduktiv. Wir müssen unsere Energie darauf verwenden, unsere zulässigen Ressourcen weiter auszubauen, um den Menschen tatsächlich mehr Sicherheit bieten zu können. Dies ist und bleibt die oberste Priorität unserer Sicherheitspolitik. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben bisher recht viele Argumente gegen diesen Antrag gehört und nur sehr wenige – inklusive die des Antragstellers – dafür. Ich kann mich beim besten Willen auch nicht bereitfinden, gute Argumente für diesen Antrag der CDU-Fraktion zu finden.
Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass diese Maßnahme, die generelle, anlasslose Überprüfung der Bürger im öffentlichen Raum – im Übrigen auch ohne gerichtliche Kontrolle, sondern schlichtweg durch Anordnung einer Einzelperson –, ein derart massiver Grundrechtseingriff ist, dass er überhaupt nichts mit der Präzision zu tun hat, die meines Erachtens sehr dringend in der gesamten Innen- und Sicherheitspolitik erforderlich ist.
Wir haben schon jetzt eine Vielzahl von Maßnahmen, bei denen Daten gesammelt und erhoben werden. Letztlich, auch wenn keine Daten gespeichert werden, handelt es sich hier um nichts anderes. Wir sammeln noch mehr Informationen, ohne in der Lage zu sein, diese zu filtern und Schlüsse daraus zu ziehen. Das ist schlichtweg eine in manchen Kreisen populäre und populistische Maßnahme, aber sie führt bei der Sicherheit in dieser Stadt in keinem Punkt weiter.
Der Kollege Taş hat darauf hingewiesen, dass das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die vorgeschlagene Regelung für unzulässig erachtet hat. Das ist im Wesentlichen richtig. Auch richtig ist allerdings, dass der Europäische Gerichtshof sich im Jahr 2010 mit der Schleierfahndung beschäftigt und ebenfalls deutlich gemacht hat, dass eine Regelung, die Willkür Tür und Tor öffnet, weil sie völlig unpräzise ist was Ort, Zeit und Begrenzung angeht, nicht mit Europarecht zu vereinbaren ist, lieber Kollege Dregger. Genau das nimmt Ihr Antrag vor: die vorbeugende Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität an faktisch jeder Stelle dieser Stadt bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit.
Grundrechtseingriffe in das Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit dieser Art, die dazu führen, dass ein jeder im öffentlichen Raum bei jeder Gelegenheit angehalten und aufgefordert werden kann, seine Tasche zu öffnen und zu zeigen, was er mit sich trägt, gehören nicht in ein Berlin, das wir Freie Demokraten wollen.
[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Gut, dass es sie gibt!]
Im Übrigen ist mir auch nicht ersichtlich, inwieweit die Unschuldsvermutung bei Ihrer Position plötzlich nicht mehr gelten soll. Die Regelung, die Sie vorschlagen, ist im Wesentlichen die des § 163b Strafprozessordnung, richtet sich da aber nur gegen konkret Tatverdächtige. Sie machen mit diesem Entwurf jeden Bürger zum Tatverdächtigen. Das machen wir nicht mit. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle kann ich nur sagen: Ich bin froh, dass es aufrechte und freie Demokraten in diesem Abgeordnetenhaus gibt,
die nicht den Schnack der Opposition mitmachen und – wie in der letzten Plenarsitzung auch – den Sicherheitsbehörden ein anlassloses Überwachungsinstrument zuschustern wollen, weil die Zeiten unsicherer geworden sind. Das finde ich gut, und möchte hier ausdrücklich loben, dass Sie nicht mit den Wölfen heulen.
Ich glaube, es entspricht auch dem Menschenbild der allermeisten Berlinerinnen und Berliner, dass es richtig ist, dass die Sicherheitsbehörden einen Anlass benötigen, wenn sie Personen kontrollieren. Wir Grünen nennen es häufiger das Verursacherprinzip, das wir auch in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik sehen wollen. Es ist doch ein richtiger Gedanke, dass man als Bürger in dieser Stadt nur von der Polizei, vom Staat behelligt werden kann, wenn man auch etwas getan hat. Wir haben in seltenen Ausnahmefällen die Pflicht von sogenannten Nichtstörern, von unbeteiligten Dritten oder auch Zeugen in Strafverfahren, wenn es um wirklich gravierende Vorgänge, wenn es um Straftaten geht, dass sie auf Befragungen vom Staat gefasst sein müssen und sie auch überwacht werden können. Aber hier – das ist hier bereits mehrmals von der SPD-Fraktion, der Linksfraktion, aber auch der FDP-Fraktion angesprochen worden – handelt es sich um eine Ermächtigung, die es der Polizei ermöglichen würde, jede Person, die sie im öffentlichen Straßenland antrifft, zu kontrollieren, wohlgemerkt: jede Person, die sie im öffentlichen Straßenland antrifft. Wir sagen dazu ganz klar: Das geht zu weit.
Herr Dregger! Ich finde es unverschämt, wenn Sie hier einen Zusammenhang mit dem Terrorismus herstellen. Die Schleierfahndung würde im Bereich des Terrorismus nichts Zusätzliches bringen. Sie haben in § 21 ASOG die Möglichkeit zur Einrichtung von Kontrollstellen zur Bekämpfung des Terrorismus, nach der Sie in bestimmten Einzelfällen, wenn es große Terrorlagen gibt, auch anlassunabhängig Personen kontrollieren können. Diese Regelungen in § 21 Abs. 2 Nr. 4 ASOG muss doch ausreichen. Sie können doch nicht so tun, als würden wir die Gefahren des Terrorismus unterschätzen, nur weil wir ihre Rechtsgrundlage zur Schleierfahndung, dass es eben keinen Anlass gibt, nicht mittragen. Das ist wirklich eine sehr unterstellende Art und Weise des Vortrags. Ehrlich gesagt bin ich ganz schön enttäuscht von Ihnen.
Die meisten Leute nicht, deshalb gibt es auch keinen Applaus. Aber vielleicht nehmen Sie es sich trotzdem zu Herzen, dass man mit einer seriösen Innenpolitik durchaus mehr erreichen könnte. Dann würden Sie auch auf die bereits bestehenden Möglichkeiten zur Kontrolle eingehen. Sie können nach der Straßenverkehrsordnung jede Person, die in Berlin ein Auto führt, kontrollieren – anlasslos. Sie müssen noch nicht einmal schmutzige Scheinwerfer feststellen oder einen merkwürdigen Fahrstil, Sie können anlasslos jede Autofahrerin und jeden Autofahrer in dieser Stadt kontrollieren. Sie können an kriminalitätsbelasteten Orten, dort, wo es häufiger zu Straftaten gleich welcher Art kommt, anlasslos verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Hinzu kommen die Kontrollstellen zur Abwehr von terroristischen Gefahren, das alles nur aufgrund der Annahme, da könnte irgendwie einmal etwas passieren.
Herr Dregger, das muss Ihnen doch als gestandener Sicherheitspolitiker reichen. Ich kann Ihnen nur zurückgeben: Sie misstrauen der Polizei, indem Sie so tun, als hätten Polizei und Strafverfolgungsbehörden kein bestimmtes Instrumentarium zum Abarbeiten und Verfolgen von Straftaten und zum Vorbeugen und Abwehren von Gefahren. Sie tun so, indem Sie die Sache hier dermaßen überhöhen und den Eindruck erwecken, als sei die Bevölkerung nicht sicher, und Sie würden eine Antwort darauf geben. Ich glaube aber, nach der heutigen Debatte – dafür vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen – hat jeder verstanden, dass Ihr Vorschlag zur Schleierfahndung für die Sicherheit nichts bringt und gleichzeitig die Gefahr birgt, dass jede Berlinerin und jeder Berliner ohne Verdacht einfach so kontrolliert werden könnte. Deshalb ist Ihr Antrag zu Recht abzulehnen. – Vielen Dank!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, Digitale Verwaltung, Datenschutz, Informationsfreiheit und zur Umsetzung von Artikel 13 Abs. 6 GG sowie § 25 Abs. 10 ASOG empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.
Funktionierende Stadt: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
Ich eröffne die erste Lesung. – In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP. Herr Kollege Schlömer, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liberale Demokratien leben von bürgerschaftlichem Engagement, zivilgesellschaftlicher Verantwortung und couragierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf Basis gemeinsamer demokratischer Werte unseres Verfassungsbogens im Sinne von Selbstbestimmung, Bürgerrechten und Freiheit einsetzen. Das finden wir sehr gut.
Insofern sind plebiszitäre Elemente in demokratischen Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen auch ein unverzichtbares Element für eine lebendige, demokratische Teilhabe und Partizipation. Die Fraktion der Freien Demokraten hat deshalb einen Antrag in das Abgeordnetenhaus eingebracht, der Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern bei Volksbegehren und Volksentscheiden stärken möchte. Wir beanspruchen für den Inhalt nicht die unmittelbare Urheberschaft, aber dort, wo sinnvolle und vernünftige Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt angestrebt werden, gehen wir gern ein kleines Stück gemeinsam in die gleiche Richtung. Das Ziel unseres Antrags ist der verbindliche und verlässliche Ablauf von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden.
Mit dem ersten Punkt beantragen wir, dass die Nachbesserung eines Volksbegehrens zulässig ist, solange der Kern des Anliegens erhalten bleibt. Es hat sich in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart gezeigt, dass Chancen auf einen Kompromiss aus formalen Gründen unnötig verwehrt bleiben. Das wollen wir ändern, denn
Wir beantragen zudem, § 15 des Abstimmungsgesetzes mit einer zeitlichen Frist zu ergänzen, in der die amtliche Kostenschätzung durch den Senat vorgelegt werden muss. Diese Ergänzung ist angebracht, da es bei den letzten Initiativen hier zu starken zeitlichen Verzögerungen kam, die die zeitliche Planung sehr erschwerten.
Ein weiterer und wichtiger Punkt – die bisherige KannRegelung zur Fristverlängerung: Bisher ist es so, dass diese Frist von vier auf acht Monate verlängert werden kann, wenn in diesem Zeitraum Wahlen oder andere Volksentscheide zur Abstimmung anstehen. Das soll in Zukunft die Regel sein. Diese Änderung hilft Initiativen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, der Bedeutung der Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Abstimmungen gerecht zu werden. Sie ist auch im Hinblick auf einen effizienten Einsatz der Steuermittel geboten. So können durch diese Verfahren erhebliche Kosten eingespart werden.
Volksentscheide sind für eine lebendige Demokratie ein wichtiges Element der Bürgerbeteiligung. Sie sind ein Weg, um uns Politikerinnen und Politikern aufzuzeigen: Engagement in demokratischen Strukturen lohnt sich und kann etwas bewegen. Bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftlicher Einsatz sind für eine demokratische Gesellschaft auch auf direktem Wege möglich. Volksentscheide helfen der repräsentativen Demokratie. Sie helfen uns Parlamentariern, wichtige Themen zu adressieren, deren Relevanz durch entsprechende Unterstützung in der Bevölkerung aufgezeigt wird.
Gerade in dieser Zeit, in der sich immer weniger Menschen durch die Politik vertreten fühlen, sollten wir jede Möglichkeit nutzen, die demokratische Einflussnahme zu stärken und aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Nicht ministerielle, bürokratische Prüfschleifen und staatliches Handeln sollen ein Verfahren dominieren, sondern das Anliegen selbst soll im Mittelpunkt stehen.
Wer feststellt, dass sein Anliegen im Rahmen von Volksinitiativen ernst genommen wird, dessen Verständnis und Vertrauen in die demokratischen Institutionen steigt. Gerade dieses praktische Erleben stärkt den Parlamentarismus und die Demokratie, und es entlarvt rechte Trittbrettfahrer. Diese Chance sollten wir nutzen und deshalb dazu beitragen, dass es zu einem konstruktiven Miteinander zwischen repräsentativer und direkter Demokratie kommen kann. – Ich bitte um Unterstützung bei unserem Antrag!
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Koalition hat mit ihrer Vereinbarung vom 16. November des vergangenen Jahres ein deutliches Zeichen gesetzt und ein klares Bekenntnis abgegeben hin zu mehr direkter Demokratie, diese zu stärken, sowohl funktional als auch inhaltlich. Es ist ein gutes Zeichen für Berlin als freie und selbstbewusste Stadt, wenn wir diese Stadt damit noch moderner, noch mitbestimmter und noch bürgernäher machen, als sie ohnehin schon ist.
Die repräsentative Demokratie mit ihren Kernelementen des Parlamentarismus und des parlamentarischen Systems insgesamt ist die Basis für die politische Entscheidungsfindung hier, im Bund, im Land und auch in den Kommunen. Das hat sich über viele Jahrzehnte in dieser Form außerordentlich bewährt. Sie ist inzwischen bereichert durch die plebiszitären Elemente, das steht insgesamt vollkommen außer Frage, und wir wollen diese weiter fördern und stärken.