Protokoll der Sitzung vom 16.01.2020

Ob es sinnvoll ist, nun einen erneuten und weitergehenden Antrag zu stellen, bevor über den ersten Antrag zu

diesem Thema endgültig entschieden wurde, da habe ich meine Zweifel. Unabhängig davon kann es auf keinen Fall schaden, die unhaltbaren und frauenverachtenden Zustände der Straßenprostitution immer wieder anzusprechen und öffentlich zu machen. Genau das werden wir mit den Beratungen zu diesem Antrag im zuständigen Fachausschuss fortführen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Frau Abgeordnete Schmidt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Es war schlimm, was wir gerade gehört haben! – Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Liebe Gäste! Herr Hansel! Wenn es stimmen würde, was gerade eben gesagt wurde, müsste Frau Vogel jeden Tag auf der Polizeidienststelle eine Anzeige erstatten, vor allem wegen der ganzen Minderjährigen. Ich hab von Ihnen dort noch keine Anzeige gesehen.

[Heiko Melzer (CDU): Sie sind ja auch nicht die Polizei!]

Aber jetzt kommen wir einmal zum Text. – Am 1. Januar 2002 trat das Prostitutionsgesetz in Deutschland in Kraft. Außer der CDU stimmten alle zu. Also bereits vor 17 Jahren wurde die Sexarbeit von der Sittenwidrigkeit befreit und als Arbeit anerkannt. Somit können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ihren Lohn vor Gericht einklagen, und sie sind endlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

[Marc Vallendar (AfD): Das hat doch nichts mit diesem Antrag zu tun!]

Du bist doch nachher auch dran. Zieh eine Nummer, Junge!

[Beifall bei der LINKEN]

Sexarbeitende zahlen in diesem Land Krankenkassen-, Arbeitslosen- und Rentenbeiträge. Sie zahlen Steuern. Die Ausübung der Prostitution wurde sogar 2009 vom Bundesverfassungsgericht gesetzlich durch den Grundgesetzartikel 12, die freie Berufsauswahl, abgesichert.

[Gunnar Lindemann (AfD): Das stammt noch aus der DDR!]

Ich sage hier noch einmal deutlich, Menschen, die sich für Sexarbeiter und ihre Rechte einsetzen, sind nicht im gleichen Atemzug für Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es gibt bereits bestehende Gesetze gegen alle diese Vergehen. Man kann alle bei der Polizei anzeigen. Wir sind natürlich dafür, dass jeder Zwang, jede Gewalt, jede Verschleppung, jede Vergewaltigung, jeder Lohnraub angezeigt und bestraft wird.

(Katrin Vogel)

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Ich teile jedoch nicht die Auffassung, dass zum Beispiel ein Sexkaufverbot, also das nordische Modell, dazu führen wird, dass es weniger oder gar keine Prostitution mehr gibt.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Leider nicht!]

Ich lehne auch Sperrgebiete wie Sperrzeiten in Berlin grundsätzlich ab,

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

denn dadurch würde die Prostitution nur eines, sie würde in der Illegalität verschwinden, weiter nichts. Im Kiez, wo sie jetzt arbeiten, gibt es den Frauentreff Olga – und Hydra –, welcher von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr geöffnet ist. Das Polizeirevier 41 ist ebenfalls informiert und involviert. Dadurch ist die Gewaltanwendung aus unserer Sicht eingeschränkt, weil die Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum, im Kiez sichtbar sind. In Gewerbegebieten oder in Sperrgebieten, wie im Antrag verlangt, lebt niemand. Wo es keine öffentliche Infrastruktur gibt, leben Sexarbeitende gefährlich. Die Öffentlichkeit, die belebten Kieze, dienen auch als Schutz. Dort, wo kein Bus fährt, dort wo die Zuhälter oder Freier Sexarbeitende fahren müssen, können Schläge nicht gesehen, Vergewaltigung nicht verhindert und Lohnraub nicht ausgeschlossen werden. Wir als die Linke können und wollen nicht zulassen, dass die Aufwertung von Kiezen und Straßenzügen, siehe Kurfürstenstraße, jegliche soziale Durchmischung verbietet und verdrängt.

Sind wir doch einmal ehrlich hier unter uns: Hier gibt es einen uralten Strich seit 60 Jahren. Die Wohnungen, die man kaufen konnte, waren preiswert. Jetzt wollen die gleichen Leute, die den Quadratmeter günstig gekauft haben, dass die Sexarbeiterinnen verschwinden? Wollen wir den Quadratmeter dort aufwerten? –

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Wird ja schon!]

Aber nicht mit uns! Allerdings wäre es aus meiner Sicht noch erfolgversprechender, wenn sich die Bürgerinitiative Lebenswerter Kurfürstenkiez e. V. für den Schutz aller, unter anderem auch der Sexarbeiterinnen, einsetzt, wie in zwei Terminen miteinander vereinbart wurde. Wir haben uns nämlich mit den Sexarbeiterinnen und den Betroffenen zusammengesetzt. Ziel unserer Treffen mit der Bürgerinitiative war unter anderem, nach erfolgreichen Lösungsstrategien für eine lebenswerte Nachbarschaft zu suchen. Es ist übrigens sehr ergebnisorientiert und eine richtig gute Runde gewesen. Wir haben uns auch richtig tolle Ziele gesetzt. Daher lehnen wir diesen Antrag ab, denn solange Sexarbeitende in diesem Land ihren Beruf frei wählen können und Steuern zahlen, solange haben Sie nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Jasper-Winter. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und Ihnen erklären, warum der Antrag der AfD schon aus rechtlichen Gründen nicht zulässig ist. Das Land Berlin hat nämlich schlicht keine Kompetenz für den Erlass einer Rechtsverordnung, für ein Komplettverbot der öffentlichen Prostitution, denn, wie wir gehört haben, mit dem Prostituiertenschutzgesetzes auf Bundesebene wurde die Ausübung der Prostitution legalisiert. Und Artikel 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch setzt den Bundesländern ganz enge Grenzen für ein Verbot. Bei Städten über 50 000 Einwohner ist das nur ganz umgrenzt, lokal für diejenigen Straßen zulässig, wo dann auch konkret der Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes gefährdet ist. Ich weiß ja nicht, wo Sie leben, liebe AfD! Ich weiß nicht, ob in ganz Berlin, in allen Kiezen auf den Straßen die Jugend und der öffentliche Anstand gefährdet sind. Das kann ich hier nicht erkennen.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Insofern hat die Rechtsprechung recht, wenn sie in anderen Städten das Komplettverbot als rechtlich nicht zulässig betrachtet. Schon aus Rechtsgründen ist das Ganze abzulehnen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Aber auch inhaltlich ist es falsch. Sie möchten hier – das sagt Ihre Überschrift – u. a. die Frauen schützen, indem Sie öffentliche Prostitution verbieten möchten. Wer meint, dass ein Prostitutionsverbot im öffentlichen Raum Frauen schützt, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Das Gegenteil ist der Fall.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir wissen vom Straßenstrich in der Kurfürstenstraße – darum geht es ja –, dass selbst die Polizei sagt, dass die Probleme mit einem Verbot nur noch größer würden. Durch ein Verbot ist die Prostitution ja nicht weg, sie wird verdrängt, und zwar ins Dunkle. Jetzt kann die Polizei das Viertel um die Kurfürstenstraße noch recht gut überblicken, ein Verbot hätte aber die Folge, dass Straftaten wie Menschenhandel, Zwang zur Prostitution usw. nicht mehr greifbar wären, sondern noch mehr im Verborgenen stattfinden würden. Damit würde sich die Situation für die Frauen erheblich verschlechtern, denn das Grundübel der Prostitution liegt ja im Menschenhandel

(Ines Schmidt)

und in der ungenügenden Ermittlung und Ahndung von strafbaren Sachverhalten. Und beides verschlimmert der Antrag.

Frau Vogel! Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Die Zustände vor Ort für die Nachbarn in der Kurfürstenstraße sind untragbar. Ich kann Ihnen in der Situationsbeschreibung – ich war auch vor Ort – nur folgen. Hier sollte eigentlich der Senat handeln. Der Runde Tisch Sexarbeit sollte geeignete Maßnahmen entwickeln, um die Situation zu verbessern. Bislang ist eigentlich kaum etwas passiert. Da müssen wir doch ansetzen. Im Übrigen müssen die Polizei und die Ordnungsämter tatsächlich die bestehenden rechtlichen Grundlagen nutzen, um hier durchzugreifen und zu handeln, aber man streitet sich noch um Kompetenzen zwischen Bezirk und Senat, wie mein Kollege Luthe herausgefunden hat. Hier liegt das Problem im Argen.

Also der Antrag der AfD hilft überhaupt nicht, er verschlimmert die Situation, und deswegen werden wir Freien Demokraten ihn ablehnen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Kofbinger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt bin ich so ein bisschen sauer, Frau Jasper-Winter hat meine Rede gehalten, aber ich werde sie nicht noch mal halten. Ich schmeiße sie jetzt einfach weg, ist auch okay. Im Prinzip haben Sie alle wesentlichen Punkte gesagt. Da muss man doch einfach mal sachlich bleiben und nicht mit Schaum vorm Mund diskutieren. Es ist genau so, wie Sie gerade dargelegt haben. Was hier teilweise erzählt wird, schockiert mich schon.

Wenn uns Frau Vogel erzählt, dass sie mit Herrn Dregger da war – ich weiß das, Sie haben die Zeitung mitgenommen, wir sind ja da Gott sei Dank immer sehr gut informiert –, und Sie sehen dort – das ist ja wohl Ihre Aussage, wenn ich das richtig verstanden habe –, wie eine minderjährige Person, wahrscheinlich eine Frau, zur Prostitution gezwungen wird, Herr Dregger war bei Ihnen, er ist ja auch noch Jurist, und Sie beide oder vielleicht Herr Dregger rufen nicht die Polizei, dann muss ich sagen, ist das eine sehr merkwürdige Auffassung von Schutz und Sicherheit von Frauen und Jugendlichen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

So geht es natürlich nicht. Ich bin auch häufig vor Ort, weil ich da immer langfahren muss, und gucke mir das

an, weil ich oft bei Olga zu Gast bin und mit denen rede, genau wie das die Kollegin Schmidt gesagt hat, wir sind sehr wohl im Gespräch. Und sobald der Verdacht besteht, hier könnten Minderjährige gefährdet sein oder hier wird Gewalt gegen Prostituierte durch ihre Zuhälter ausgeübt, die in den Cafés sitzen, wird sofort gehandelt. Dazu wird Olga auch aufgefordert. Die 71 000 Euro bekommen sie nicht dafür, dass sie abwaschbare Farbe auf den Weg malen und sagen, hier darf keine Prostitution stattfinden, sondern das ist natürlich eine Stelle, und ein bisschen Kreide wird da auch zur Verfügung gestellt. Ich würde sagen, das ist ein Sachmittelposten von ungefähr 300 Euro, und da müssen wir uns jetzt auch nicht riesig aufregen, dass diese 300 Euro da mal irgendwie mit bewilligt wurden.

Worum geht es hier? – Frau Jasper-Winter hat es ja leider schon gesagt: Es geht um etwas, was nicht geht. Es ist auch nur ein Satz. Ich möchte auf die Begründung gar nicht eingehen; die ist schon ziemlich verworren. Da kommt unter anderem auch das Schülerticket vor. Darauf muss man erst mal kommen. Aber sehr schön ist natürlich, wenn als Zitate dann Artikel aus dem „Berliner Kurier“ vorkommen. Das ist ja an Seriosität praktisch nicht mehr zu überbieten.

[Heiterkeit bei den GRÜNEN – Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Deshalb möchte ich auf die Begründung nicht eingehen. Wir haben ja noch zweimal im Innenausschuss und im Gesundheits- und Gleichstellungsausschuss die Möglichkeit, etwas intensiver darüber zu reden. Heute ist ja nur die Einbringung. Meinetwegen hätten wir den auch gleich ausbringen können, aber wir reden darüber. Warum denn auch nicht?

Frau Çağlar und Frau Schmidt haben es dankenswerterweise schon dargelegt: Wir sind jetzt so weit. Ende November wurde vorgestellt, was jetzt endlich vom Runden Tisch aus geschehen soll. Die Gelder sind im Dezember eingestellt worden. Jetzt geht es los. Ja, leider sehr spät, ich hätte mir das auch alles ein, zwei Jahre früher vorstellen können. Warum das nicht geschehen ist, weiß ich jetzt auch nicht en détail. Fragen Sie mal die Senatorin! Da hätten wir sicherlich schneller handeln können und müssen, aber wir handeln jetzt, und das ist das Entscheidende.

Worüber dieser Antrag reden will, ist etwas anderes. Das hat einen sehr interessanten historischen Kontext, denn heute vor genau 100 Jahren, am 16. Januar 1920, trat in den USA der zuvor ratifizierte 18. Zusatzartikel zur Verfassung in Kraft, der Herstellung, Verkauf und Transport von berauschenden Mitteln verbot. Das war die sogenannte Prohibition. Viele von Ihnen werden davon gehört haben. Im Prinzip ist das, was in diesem einen Satz steht, so etwas Ähnliches. Großartig, genau 100 Jahre nach einem der größten Flops, die es in der amerikanischen Geschichte gab, kommt dann auch noch passgenau dieser Antrag von der AfD. Wir wissen, was mit der Prohibition

(Dr. Maren Jasper-Winter)

passiert ist. Wir wissen, wie sich die Mafia dadurch aufbauen konnte, wie sie gestärkt wurde, wie Korruption dieses Land fast vernichtet hätte. Es war so schlimm, sie mussten die zehn Jahre später wieder abschaffen.