Protokoll der Sitzung vom 16.01.2020

Beim letzten Silvester wurde mit Schreckschusswaffen auch auf Rettungskräfte geschossen, die dabei waren, hilfsbedürftige Menschen zu versorgen. Im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung habe ich dazu gesagt, dass Angriffe auf Einsatzkräfte Angriffe auf unser Gemeinwesen sind und damit auf uns alle. – Berlin ist damit leider nicht allein. Es gibt deutschlandweit zunehmend Übergriffe, beispielsweise auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Auch Mitglieder dieses Hauses werden bedroht –

[Zuruf von der AfD: Ja!]

von Rechtsextremisten, von Linksextremisten, von respektlosen Gewalttätern.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Der Rechtsstaat muss darauf mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren.

[Gunnar Lindemann (AfD): Warum machen Sie es dann nicht?]

Herr Woldeit! Sie haben mich eben in Ihrer Rede gefragt, was ich zu Schreckschusswaffen oder zur Bewaffnung sage. – Ich will Ihnen antworten: Ich halte es für das falsche Signal, wenn sich Menschen außerhalb des

(Senator Andreas Geisel)

staatlichen Gewaltmonopols mit Schreckschusspistolen bewaffnen. Das ist das falsche Signal.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Marcel Luthe (FDP): Aber Messer sind okay!]

Wir können nicht von Gewaltfreiheit reden, wenn wir in der Tasche eine Waffe tragen.

[Georg Pazderski (AfD): Fragen Sie doch mal, warum!]

Ich verfolge da einen anderen Kurs. Unsere in Teilen enthemmte Gesellschaft ist auch Folge eines enthemmten öffentlichen Diskurses. Öffentliches Diffamieren von Repräsentanten und Institutionen unseres Staates, Verächtlichmachung, Beleidigung, Verleumdung von Amtsträgern,

[Zuruf von Ronald Gläser (AfD)]

all das schafft ein Klima, aus dem Respektlosigkeit, Intoleranz und am Ende auch Gewalt entstehen. Nach dem Wort kommt die Tat. Der Weg zwischen Wort und Tat wird immer kürzer.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es im November 2018 vor dem Kongress der Gewerkschaft der Polizei so ausgedrückt – ich zitiere:

Wenn in einer Gesellschaft der Sinn für Respekt erodiert, dann muss uns das alarmieren! Das geht an die Grundfesten und darf uns nicht kaltlassen!

Recht hat er!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Franz Kerker (AfD)]

Das heißt für uns, entschlossenes, repressives Handeln ist notwendig.

[Paul Fresdorf (FDP): Auf geht’s! – Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Aber im Kern reicht das nicht, denn wir können die Aufgabe des Schutzes unserer Gesellschaft und unserer Demokratie nicht einfach an Sicherheitsbehörden delegieren. Wenn wir die Situation und die Atmosphäre in unserem Land analysieren und sehen, dass die Demokratie und die Regeln des Rechtsstaats immer stärker unter Druck stehen und der Rechtsstaat durch diese Angriffe ausgehöhlt wird, dann ist die Antwort, die ich Ihnen darauf gebe: Die Extremisten an den Rändern unserer Gesellschaft besorgen mich eigentlich gar nicht so sehr. Ich glaube, unser Staat ist in der Lage, diese Situation in den Griff zu bekommen. Ja, die Zahl der Rechtsextremisten und der rechtsextremistischen Straftaten steigt. Und ja, wir haben gewaltbereite Linksextremisten in dieser Stadt, und auch das setzt den Rechtsstaat gewaltig unter Druck. Aber die Extremisten besorgen mich nicht so sehr. Was mich besorgt, ist die Gleichgültigkeit der Mitte der Gesellschaft, der Glaube, dass Demokratie und Rechtsstaat

Selbstverständlichkeiten seien und irgendwie so funktionierten.

Da sage ich Ihnen: Gerade vor dem Hintergrund des Beispiels der Weimarer Republik: Geschichte wiederholt sich zum Glück nicht, aber Fehler können sich wiederholen. Ein zentraler Fehler in der Weimarer Republik war, dass zu wenig Demokraten für die Demokratie eingestanden sind, dass sie es für selbstverständlich gehalten haben. Die Lehren aus dieser Geschichte müssen wir auch ziehen. Wenn unsere Demokratie unter Druck ist, wenn der Rechtsstaat unter Druck ist, dann sind wir alle gefordert. Dann können wir diese Aufgabe, Orientierung für die Werte unserer Gesellschaft zu geben, nicht an Sicherheitskräfte delegieren, sondern die Antwort auf die Frage in der Aktuellen Stunde lautet: Wir alle tragen diese Verantwortung.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir alle müssen für den Schutz der Repräsentanten dieses Staates sorgen. Wir brauchen einen respektvolleren Umgang miteinander. Und wir brauchen einen respektvolleren Umgang mit den Repräsentantinnen und Repräsentanten unseres Gemeinwesens, mit den Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften.

Am Ende der Rede möchte ich noch einmal all denjenigen danken, die jeden Tag den Kopf für uns alle hinhalten. – Herr Luthe hat darüber gesprochen, dass wir den Polizisten Ferrid Brahmi im Stich lassen. – Ich würde das gern an dieser Stelle korrigieren und ganz deutlich sagen: Ferrid Brahmi hat die volle Unterstützung der Behörde.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Aha!]

Kurz nach seiner Verletzung hat er sofort Besuch von der Polizeipräsidentin und dem Vizepolizeipräsidenten bekommen.

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Die Behörde steht für ihn ein. Ich werde Ferrid Brahmi am Freitag dieser Woche mit dem Ehrenzeichen der Berliner Polizei auszeichnen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Er ist ein Beispiel für all diejenigen, die da sind, wenn Menschen Hilfe brauchen. Deswegen ist das Signal, dass wir zu diesem Polizisten stehen, dass wir zu den Polizisten stehen, die Außergewöhnliches in ihrem Alltag vollbringen, so unheimlich wichtig.

Die Polizei und Feuerwehr steht übrigens ein,

[Georg Pazderski (AfD): Stehen – Plural!]

wenn Menschen Hilfe brauchen, und zwar für alle Menschen in unserer Stadt, ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe, politischer oder religiöser Einstellung. Die Polizei und die Feuerwehr werden in ihrem Engagement nicht

(Senator Andreas Geisel)

müde werden. Sie schaffen für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt ein sicheres, lebenswertes und ein hilfsbereites Berlin. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden. Die Fragen müssen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen; sie dürfen nicht in Unterfragen gegliedert sein. Ansonsten werde ich die Fragen zurückweisen.

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu, eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Für die erste Frage rufe ich ein Mitglied der Fraktion der SPD auf und bitte, an das Redepult zu treten – Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. – Frau Kollegin Radziwill! Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen, meine Herren! Gestern wurde das bundesweit erste Landesamt für Einwanderung in Berlin eröffnet. Ich frage den Senat: Welche Maßstäbe setzt das Land Berlin damit für die moderne Einwanderungsgesellschaft?

Herr Senator Geisel!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Abgeordnete Radziwill! Ja, wir haben gestern offiziell das Landesamt für Einwanderung in Berlin eröffnet. Bei dieser Gelegenheit habe ich gesagt, dass das ein historischer Moment ist. – Und es ist in der Tat ein historischer Moment, dass sich dieses Land, das seit Jahrzehn

ten ein Einwanderungsland ist, jetzt auch offiziell mit einer Behörde zu dieser Situation bekennt.