Protokoll der Sitzung vom 16.01.2020

Auf der einen Seite haben wir die humanitäre Verpflichtung, auch vor der deutschen Geschichte, Menschen in Not zu helfen. Das tun wir. Aber auf der anderen Seite wissen wir auch ganz genau, dass neben der Herausforderung des Klimawandels, vor der wir stehen, die größte Herausforderung der demografische Wandel in unserer Gesellschaft ist. Dieser demografische Wandel wird unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch verändern. Wenn wir die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und den wirtschaftlichen Erfolg Berlins erhalten wollen, dann brauchen wir Fachkräfteeinwanderung. Wenn Sie mit den Unternehmensverbänden der Stadt reden, dann erzählen diese Ihnen etwas über den Fachkräftemangel.

Wir haben diese Situation übrigens auch im Bauwesen in unserer Stadt: Wir müssen Wohnungen und Schulen bauen. Im Moment haben wir die Situation, dass der Finanzsenator am Dienstag das achte Mal in Folge verkünden konnte, dass wir einen positiven Jahresabschluss in Milliardenhöhe haben und deshalb über Mittel verfügen, um zu investieren. Aber wir können nur investieren, wenn auf der anderen Seite auch Baukapazitäten – das heißt Bauarbeiter – vorhanden sind, die diese Mittel umsetzen. An dieser Stelle haben wir ganz offensichtlich Defizite.

Neben mir sitzt Frau Kalayci, die Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung,

[Sebastian Czaja (FDP): Jetzt wissen wir endlich mal, wer das ist!]

die Ihnen das beispielsweise über den Pflegemarkt berichten kann, nämlich wie schwierig es ist, Pflegekräfte zu finden. Oder wenn Sie in den letzten Monaten oder Jahren einmal versucht haben, einen Handwerker zu finden, dann kennen Sie auch diese Situation. Wenn wir die wirtschaftliche Stärke Berlins erhalten wollen, dann brauchen wir Fachkräfteeinwanderung. Die Aufgabe des Landesamtes für Einwanderung ist es, diesen Prozess zu organisieren.

Es gibt den Vorwurf, das Ganze sei nur ein Symbol. Dazu sage ich Ihnen: Ja, es ist ein Symbol. – Aber in Fortsetzung der Rede, die ich gerade zur Aktuellen Stunde gehalten habe, sage ich Ihnen auch: Wenn wir Berlin als weltoffene, tolerante und bunte Metropole in Europa erhalten wollen,

[Kurt Wansner (CDU): Können Sie Ihre Sonntagsrede mal auf dem SPD-Parteitag halten! Ist ja furchtbar!]

gerade vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt, zunehmendem Antisemitismus, zunehmendem Populismus in der Gesellschaft, dann bedarf es auch eines Signals,

(Senator Andreas Geisel)

dass wir ein buntes, weltoffenes und tolerantes Berlin bleiben wollen und dass Berlin, das seit Jahrhunderten eine Einwanderungsstadt ist, das auch in Zukunft fortsetzen und sein wird.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Kurt Wansner (CDU): Herr Senator! Die Linksfraktion klatscht jetzt!]

Es ist aber auch mehr als ein Symbol, und ich rate allen Kritikern, sich mit den Unternehmensverbänden, mit den Kammern, der IHK und der Handwerkskammer, zu unterhalten und sich über den Erfolg des Business Immigration Service zu informieren, den wir gemeinsam mit der Wirtschaftsverwaltung bei der IHK in der Fasanenstraße im Ludwig-Erhard-Haus organisieren. Dort hat man mal mit 300 Unternehmen angefangen, die ausländische Fachkräfte gewinnen wollten. Der Business Immigration Service läuft so gut, dass wir inzwischen bei 1 300 Unternehmen sind, die auf diese Art und Weise dringend benötigte Fachkräfte generieren. Diesen Business Immigration Service werden wir im neuen Landesamt für Einwanderung duplizieren, diese Erfolgsgeschichte werden wir fortschreiben.

Wir haben gestern das bundesweit erste Landesamt für Einwanderung eröffnet. Ich bin sicher, dass in den nächsten Jahren weitere Landesämter für Einwanderung in den anderen Bundesländern folgen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Frau Radziwill! Sie wollen eine Nachfrage stellen? – Dann erhalten Sie das Wort – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vielen Dank, Herr Senator Geisel für die Antwort! Ich sehe, Sie setzen in der Tat Maßstäbe.

[Ah! von der CDU]

Gibt es konkrete Bestrebungen, mit unserem Nachbarland Brandenburg noch stärker zusammenzuarbeiten? – Ich habe vernommen, dass Sie das auch auf Bundesebene empfehlen. Das finde ich sehr gut, da sollten wir dranbleiben.

Zu der Frage – Herr Senator Geisel!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Abgeordnete Radziwill! Grundlage für das Landesamt für Einwanderung war der Beschluss des Deutschen Bundestages, dass ab März dieses Jahres das Fachkräfteeinwanderungsgesetz gilt. Auch das setzt Maßstäbe. Man kann das effektiver organisieren, und ich bin übrigens ganz optimistisch, dass es noch eine Fortschreibung der Gesetzgebung im Deutschen Bundestag geben wird, weil die vor uns stehende demografische Herausforderung ganz einfach mit der Einwanderung von Fachkräften beantwortet werden muss.

Natürlich stehen wir im Gespräch mit dem benachbarten Bundesland Brandenburg. Das hat auch damit zu tun, dass sich auch die Unternehmensverbände bundeslandübergreifend organisieren. Da gibt es den Austausch für die gesamte Region, denn es ist ja klar, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen nicht nur vor Berlin, sondern vor der gesamten Region Berlin-Brandenburg wie auch vor allen anderen Bundesländern stehen. Insofern wird es dort weiterhin Gespräche geben.

Ich fand es ein gutes Zeichen, dass gestern Leonie Gebers, die Staatsekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, als Bundesvertreterin bei der Gründung unseres Landesamtes vor Ort war und deutlich gesagt hat, dass es ein Pilotprojekt ist, das wir dort starten, dass es ein Vorbild für andere Bundesländer ist.

[Zuruf von Dr. Hans-Joachim Berg (AfD)]

Darauf können wir in Berlin zu Recht stolz sein.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die zweite Nachfrage hat Herr Bachmann von der AfD-Fraktion das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vor dem Hintergrund, dass aus der jetzt umgetauften Ausländerbehörde sowohl 2017 als auch 2019 jeweils Tausende Blankodokumente von Aufenthaltstiteln geklaut worden sind – das zweite Mal deshalb, weil Sie nach dem ersten Mal keine verstärkten Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben –, frage ich Sie, ob Sie gestern neben dem Türschild auch endlich das Türschloss ausgetauscht haben.

[Heiterkeit bei der AfD – Zuruf von den GRÜNEN: Ha, ha!]

Herr Senator!

(Senator Andreas Geisel)

Herr Bachmann! Selbstverständlich laufen die Aufträge für Baumaßnahmen auch für das Gebäude am FriedrichKrause-Ufer, keine Frage.

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Aber auch dort steht die BIM, die damit beauftragt ist, vor der Situation, dass es schwer ist, Arbeitskräfte zu finden, weil auf dem Arbeitsmarkt zu wenige Fachkräfte vorhanden sind. Insofern ist es gut, dass wir gestern das Landesamt für Einwanderung gründen konnten, um diese Fachkräfte zu organisieren, damit auch solche Bauaufträge schnell und zuverlässig ausgeführt werden können.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Ich sage aber auch: So bedauerlich der Diebstahl dieser Blankodokumente gewesen ist – die Nummern der Dokumente sind allesamt bundesweit gesperrt.

Jetzt ist die CDU an der Reihe. – Herr Gräff, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich frage den Senat: Wann hat der Senat nach den Äußerungen des Finanzsenators festgestellt, dass der Kauf von Wohnungen an der KarlMarx-Allee überteuert und für das Land Berlin unwirtschaftlich gewesen ist? Zu welchem Datum ist das der Fall gewesen? – Vielen Dank!

Herr Finanzsenator Kollatz – bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich habe mich, meine ich, in diversen Ausschussberatungen dieses Hohen Hauses schon im Herbst letzten Jahres zu diesem Thema geäußert und Folgendes dargestellt: Ich habe aus meiner Kritik an dem sogenannten gestreckten Erwerb, den einige als Vorbild für die Zukunft empfohlen haben, keinen Hehl gemacht. Ich habe gesagt, wir bemühen uns seitens der Finanzverwaltung, auch im Interesse des Berliner Steuerzahlers eine andere Lösung zu finden.

Wir haben dazu Rechtsverfahren angestrengt. Bei den Rechtsverfahren, die nicht unkompliziert waren, haben die Gerichte festgestellt, dass es sich bei den geplanten Verkäufen in der Karl-Marx-Allee tatsächlich um Manöver handelte, bei denen Mieter ihre Rechte nicht wir

kungsvoll ausüben konnten. Sie haben auf der anderen Seite aber auch festgestellt, dass wir als Land nicht bevollmächtigt sind, diese Rechte anstelle der Mieter wahrzunehmen. Immerhin hat das aber dazu geführt, dass den Verkäufern und Käufern klar geworden ist, dass das so nicht umsetzbar ist. Deswegen ist es sodann durch Verhandlungen möglich gewesen, dass wir diese Wohnungen durchaus nennenswert günstiger, als es bei dem Thema gestreckter Erwerb der Fall gewesen wäre, erwerben konnten. Sie werden in Kürze bei zwei städtischen Gesellschaften ankommen – bei der WBM und der GEWOBAG.

In den Ausschussberatungen habe ich immer vorgetragen, dass es sich selbst bei diesen Maßnahmen, die ungefähr zur Halbierung der Kosten pro Wohneinheit führen und vom Haushalt getragen werden müssen, um Modelle handelt, die nicht skalierbar sind. Es ist aber das Ziel des Senats, in einem skalierbaren, das heißt wiederholbaren Umfang – auch zu Tausenden – Wohnungen zu erwerben. Deswegen haben wir von der Senatsverwaltung für Finanzen ein Modell entwickelt, bei dem es ohne Zuschüsse aus dem Haushalt möglich ist, Wohnungen zu erwerben. Wir haben das – darauf bin ich auch ein bisschen stolz – im zweiten Halbjahr 2019 bereits im Umfang von mehreren Tausenden umgesetzt. Das ist hier im Haus zwar von dem einen oder anderen kritisiert worden, ich bin mir aber sicher, dass die Mieter das ausgesprochen positiv sehen, gesehen haben und auch in Zukunft sehen werden. Deswegen werden wir das auch fortsetzen.

Von den 7 000 Wohnungen, bei denen der Erwerb im letzten Jahr gelungen ist, sind einige Tausend schon übergegangen. 2 000 Wohnungen werden in diesem Jahr übergehen. Ich hoffe, dass wir so in eine Situation gelangen, dass wir jedes Jahr Wohnungen in einer Dimension von 5 000 Einheiten kaufen können. Es ist völlig klar, dass es sich bei den Summen, die an anderer Stelle eingesetzt worden sind, nicht um etwas Skalierbares handelt. Und im Übrigen ist es so: Niemand sollte den Senat und die Senatoren daran hindern, klüger zu werden!

Für eine Nachfrage hat noch einmal der Kollege Gräff das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vielen Dank Herr Senator! Meine weitere Frage wäre – erstens: Welche rechtlichen Folgen hat das für diejenigen, die da gehandelt haben? Zweitens: Welche finanziellen und wirtschaftlichen Folgen hat es für das Land Berlin und die Wohnungsbaugesellschaften, die jetzt an den – in Anführungszeichen – Ergebnissen beteiligt sind?

Bitte schön, Herr Senator!

In dem Umfang, in dem bei dem Erwerben Zahlungen aus dem Haushalt erforderlich sind, stehen diese Haushaltsmittel nicht für andere Sachen zur Verfügung.

Zweitens: Für die Wohnungsbaugesellschaften ist das, wenn Sie so wollen, ein in gewisser Art und Weise neutraler Vorgang, denn die Wohnungsbaugesellschaften werden von uns so gestellt, und das ist auch richtig so, dass das, was sich durch den Ertragswert der Wohnungen, also die erwarteten Mietzahlungen, die sie über den Lebenszyklus erreichen, was sich über den Ertragswert der Wohnungen abbildet, aus ihrer Sicht den Kaufpreis macht, und den wenden sie in dem einen oder anderen Fall auf. Insofern sind das die Auswirkungen, und auch das, sehr geehrter Herr Gräff, habe ich bereits mehrfach in den Ausschüssen des Hauses dargestellt.

Als Nächste wäre Frau Kollegin Schmidberger dran. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Ich würde gerne wissen, weil Herr Gräff das Thema Steuerzahler erwähnt hat, inwiefern der Senat meiner Einschätzung folgt, dass es durchaus im Interesse des Berliner Steuerzahlers ist, weiterhin strategisch gezielte Ankäufe für die Stadt zu tätigen, um die Verdrängung der Berlinerinnen und Berliner zu verhindern und sie davor zu bewahren, in die Obdachlosigkeit entlassen zu werden.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Oliver Friederici (CDU): Oh! – Danny Freymark (CDU): Mehr Sozialwohnungen! – Burkard Dregger (CDU): Eine Chimäre!]