Ich weiß ja nicht, wo und wie Sie normalerweise einkaufen gehen, aber ich habe doch auch privat ein Interesse daran zu wissen, unter welchen Umständen die Produkte, die ich zum Beispiel an meinem Körper trage, oder die ich esse, hergestellt wurden. In welchem Maße wurde dafür die Umwelt geschädigt? Führte vielleicht Ausbeutung zu dem niedrigen Preis, der mir gerade angeboten wird?
Nicht nur jeder Einzelne hat doch die Pflicht, sich über die Folgen seines Konsums klarzuwerden. Der Staat hat dies doch in ganz besonderem Maße. Einerseits können wir Vorbild sein, andererseits haben wir einfach aufgrund unserer Größe als Marktakteur eine gewisse Möglichkeit.
Herr Dr. Taschner! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchholz von der AfDFraktion zulassen.
Also, der Staat kann doch nun seine Auftragsmacht zu einer Weichenstellung nutzen. Genau das wollen wir auch machen.
Darum legen wir auch einen höheren Mindestlohn fest als den von der Bundesregierung vorgegebene. Deswegen stärken wir auch die Tariftreue. Wir stellen auch klar, das wirtschaftlichste Angebot muss nicht unbedingt das preiswerteste sein, sondern wir wollen solche Dinge wie den Lebenszyklus betrachten. Er kann doch ausschlaggebend sein. Damit stärken wir die Nachhaltigkeit von
Produkten und sorgen dafür, dass wir auch wichtige Umwelt- und Klimaschutzziele erreichen können. Wir als rot-rot-grüne Landesregierung möchten hier deutlich mehr machen als die Bundesregierung. Darum brauchen wir dringend weiterhin ein eigenes Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz!
Erklärtes Ziel ist auch, die bestehende Möglichkeit von innovativen Beschaffungen besser zu nutzen. Dass dies bisher nicht geschieht, mag vielleicht auch daran liegen, dass in den über 1 000 Vergabestellen des Landes arbeitende Personen gar keine Kenntnis von dieser Möglichkeit haben oder aus Sorge, irgendetwas falsch zu machen, die bestehende Möglichkeit nicht nutzen. Dies können wir nur erreichen, wenn endlich alle Verwaltungen die nötigen Anstrengungen unternehmen, ihre Vergaben zentral zu organisieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu schulen. Ohne eine drastische Reduzierung der Vergabestellen – das prognostiziere ich – werden wir in der Evaluation in etwa einem Jahr feststellen, dass wir bei den wichtigen ökologischen und sozialen Kriterien nicht die gewünschte Anzahl von Vergaben erreicht haben. Deswegen, Herr Senator Geisel, Ihr Vorangehen ist jetzt gefragt. Als die für die Vergabeorganisation zuständige Verwaltung erwarten wir von Ihnen deutliche Anstrengungen.
Nur die Reduzierung der Stellen und damit die Zentralisierung von Vergaben wird die erfolgreiche Einhaltung der für uns so wichtigen Kriterien garantieren.
Ein weiteres Ziel verfolgen wir ebenfalls mit der Zentralisierung, und das ist die Entbürokratisierung. Unternehmen müssen doch die Chance haben, sich mit vertretbarem Aufwand auf öffentliche Aufträge bewerben zu können. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen hatten in der Vergangenheit oft Schwierigkeiten, die bürokratischen Anforderungen zu erfüllen. Neben den einheitlichen Wertgrenzen wollen wir auch durch eine Aufteilung von Teillosen den KMUs die Möglichkeit geben, sich zu bewerben. Außerdem gibt es eine verpflichtende digitale Ausschreibung ab 25 000 Euro. Natürlich wollen wir das perspektivisch für alle Ausschreibungen haben, aber man kann ja auch nicht alles von heute auf morgen schaffen.
Zum Schluss noch ein Wort zu Ihnen, Herr Dregger: Sie haben heute früh behauptet, dass man keine Schutzanzüge kaufen kann, weil das Vergabegesetz das alles zu kompliziert macht. Da kann ich Ihnen nur eines raten: Beschäftigen Sie sich doch bitte einmal ernsthaft mit der
Wie anfangs schon gesagt, es ist ein eher ungewöhnliches Verfahren, wie wir das AVG heute verabschieden. Aber in Krisenzeiten muss der Staat handlungsfähig bleiben. Deswegen werden wir als Grüne-Fraktion dieser Gesetzesänderung zustimmen, auch, weil das vorliegende Gesetz eine Evaluationsklausel enthält. Diese Klausel wollen und müssen wir ernst nehmen, denn es geht doch darum, unser klar formuliertes Ziel zu erreichen: Berlins Beschaffungen sollen endlich ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig werden. Heute machen wir uns auf den Weg dahin. – Vielen Dank!
[Torsten Schneider (SPD): Bedanke dich erst mal bei der AfD für das Lob! – Zuruf von der SPD: Czaja-Festspiele heute! – Senatorin Elke Breitenbach: Ist ja heute sehr einseitig!]
Aber nicht die Inhalte! – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Taschner! Ich will Ihnen zuerst einmal sagen: All der Dank an die Berliner Polizei und die Rettungskräfte in allen Ehren – auch Herr Jahnke –, aber der Dank wäre umso wertvoller, wenn tatsächlich die Beschaffung der Rettungsausrüstung, der Schutzmasken und von dem, was jetzt so dringend notwendig ist, so einfach wäre. Deshalb ist auch die Frage, wie wir mit Vergaben in diesem Land generell umgehen, eine sehr wichtige.
Es ist in der Tat ein seltsamer Weg, wie dieses Gesetz hier heute zur Verabschiedung gekommen ist, wenn Sie sich noch einmal vergegenwärtigen, dass seit fast zwei Jahren im Senat über diese Frage diskutiert wird. Seit fast zwei Jahren setzt man sich im Senat mit der Frage eines neuen Vergabegesetzes auseinander, und dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass Sie gerade jetzt, in diesen Tagen, in der ersten Lesung, heute in der zweiten Lesung dieses Gesetz in einem Schnelltempo durch das Par
lament bringen, ohne dazwischen noch einmal den Praxischeck zu machen und dass diejenigen in dieser Stadt, die Ihnen an dieser Stelle auch noch relevante Dinge mit auf den Weg geben können, einfach einmal außen vor bleiben.
Die Berliner Wirtschaft ist schwer getroffen von der Coronakrise. Das will hier hoffentlich keiner in Abrede stellen. Ein Drittel der Unternehmen befürchten die Insolvenz. In jedem zweiten Unternehmen drohen Arbeitsplätze wegzufallen. In dieser Krise brauchen die Unternehmen jede denkbare Unterstützung. Dazu gehört auch die unbürokratische und im Übrigen schnelle Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Ich darf daran erinnern, so wie zu Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise kann die öffentliche Hand auch durch Vereinfachung von Vergaberegeln und der Entbürokratisierung einen wichtigen Beitrag leisten. Da haben wir einmal gesehen, wie es ging. Das wäre jetzt richtig. Wer darauf gesetzt hat, dass mit dem heutigen Vergabegesetz genau das passiert, das genau auf Grundlage der Coronakrise öffentliche Vergaben vereinfacht werden oder aber dieses Gesetz hinterfragt und reflektiert wird, der wird bitter enttäuscht.
Bitter enttäuscht werden in dieser Stadt recht viele. Die IHK, die Baukammer, Bauindustrieverband Ost, Fachgemeinschaft Bau, der Fachverband Garten, Landschaft- und Sportplatzbau Berlin, das Kompetenzzentrum Mittelstand, Verband der Digitalwirtschaft, die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und der Verein freier Berufe haben in diesen Tagen zu Recht aufgefordert, das Vergabegesetz nicht zu verabschieden, sondern es der Situation und der Krise gemäß zu hinterfragen und die Grundsatzfrage aufzumachen, ob dieses Vergabegesetz, so wie es vor der Krise im Übrigen schon Schwachstellen hatte, aber jetzt noch schwächer wird, um den Problemen zu begegnen, tatsächlich noch zeitgemäß ist. Sie halten an Ihrem Plan fest, als würde hier draußen in dieser Welt überhaupt nichts passieren. Das ist der nächste große Fehler, den Sie begehen.
Stattdessen wäre es wichtig, die Wertgrenzen entsprechend anzuheben, bürokratische Nachweispflicht auszusetzen und tatsächlich einmal darüber nachzudenken, ob man den Praxischeck macht, der über § 5 in diesem Gesetz hinausgeht. § 5 erweckt noch den Eindruck, dass tatsächlich ein klares Bekenntnis zum Mittelstand und zu Mittelstandsfreundlichkeit dieses Senats vorhanden ist. Dann ist aber auch schon Schluss in diesem Gesetz, denn all das dahinter, das haben meine Vorredner ausgeführt, was dann an Regularien auf uns zukommt, wird am Ende
des Tages nicht zu einfachen, sondern zu schwierigen Vergaben führen. Es wird dazu führen, dass am Ende viele Anforderungen definiert werden, die Preise damit nicht zu halten sind und die Vergaben und damit die dringend notwendigen Konjunkturmaßnahmen, im Übrigen auch die Schulbausanierung und vieles mehr in unserer Stadt, entsprechend in die Umsetzung kommt. Das verhindern Sie. Das bremsen Sie mit diesem Gesetz. Deshalb lehnen wir es auch ab.
Wir haben darüber hinaus in diversen Debatten immer wieder Vorschläge gemacht, wie man die Dinge vereinfachen kann. Wir haben Ihnen im Übrigen auch hier in diesem Haus einen Antrag vorgelegt, in dem wir gerade auch den vielen Unternehmen, die im Start-up-Bereich tätig sind, die Gelegenheit geben wollen, ihr Know-how, ihre Kreativität, auch ihre Erfahrung, auch ihren Erfolg, den sie bereits anderswo hatten, mit in die Vergabe einzubringen. Das ist schlichtweg nicht möglich. Bei zahlreichen Nachweisen oder langen Unternehmenszugehörigkeiten wird das dazu führen, dass die vielen ausgeschlossen sind. Auch dazu haben wir Ihnen innovative Vorschläge gemacht. Sie haben alles abgelehnt. Statt sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, laufen Sie den alten Weg weiter. Den halten wir für schlicht falsch. Deswegen bleiben wir bei unserer ablehnenden Haltung zu diesem Gesetz. Sie hätten eine Chance gehabt, die Krise jetzt zu nutzen, konstruktiv damit umzugehen. Sie hätten eine Chance gehabt, die vielen Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, tatsächlich im Rahmen einer Anhörung, im Rahmen einer ordentlichen ersten und zweiten Lesung innerhalb, mitten des Jahres oder Ende des Jahres zu berücksichtigen. Auch das haben Sie nicht gemacht. Auch das ist mit ein Grund, weshalb wir dieses Gesetz ablehnen. – Vielen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Zu der Gesetzesvorlage Drucksache 18/2538 empfiehlt der Hauptausschuss – gegen die Oppositionsfraktionen – die Annahme. – Wer der Gesetzesvorlage gemäß der Beschlussempfehlung Drucksache 18/2579 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Ich darf fragen, ob es Enthaltungen gibt? – Es gibt Enthaltungen der Abgeordneten Buchholz, SPD, Frau Platta und Herrn Kössler. – Damit ist das Gesetz beschlossen.
Der heute im Parlament behandelten Vorlage „Zweites Gesetz zur Änderung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes“, Drucksache 18/2538, habe ich nicht zugestimmt, sondern mich enthalten. Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht, sehe dies jedoch als Umwelt- und Klimapolitiker als unausweichlich an.
Als langjähriger Berliner Parlamentarier begrüße ich wesentliche Teile der heute beschlossenen Gesetzesänderungen, insbesondere die deutliche Anhebung des Mindestlohns. Auch die besondere Eilbedürftigkeit zur Behandlung der Vorlagen zum Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz – BerlAVG – sowie zur Änderung des Landesmindestlohngesetzes ist nachvollziehbar und richtig. Gerade auch in der schwierigen Phase der CoronaKrise müssen anstehende Vergabeverfahren – u. a. die Neuausschreibung des Schulmittagessens – rechtssicher und zügig umgesetzt werden. Beschäftigte sollen bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand so schnell wie möglich den erhöhten Mindestlohn von 12,50 Euro je Stunde erhalten, das unterstütze ich von ganzem Herzen.
Die üblichen intensiven Befassungen mit der Vorlage und mögliche Änderungen unter anderem im Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz waren aufgrund der Eilbedürftigkeit und der besonderen Situation, in der wir uns befinden, nicht möglich. Die Leidtragenden des erfolgten Beschlusses aber sind aus meiner Sicht Umwelt und Klima, die von der Neuregelung zur Höhe der Wertgrenzen in § 3 BerlAVG maßgeblich betroffen sein werden. Seit 2012 hat Berlin mit dem vom Abgeordnetenhaus beschlossenen BerlAVG in Bezug auf Klima- und Ressourcenschutz eines der fortschrittlichsten Vergabegesetze. Bei Produkten und Dienstleistungen im Wert von insgesamt rund 5 Milliarden Euro, die jährlich von öffentlichen Vergabestellen eingekauft werden, werden durch umweltverträgliche Beschaffung Klima und Ressourcen geschont, wichtige Impulse für Innovationen gesetzt und durch die Berücksichtigung von Lebenszykluskosten nachweislich Kosteneinsparungen realisiert.
Mit dem von der damaligen Koalition aus SPD und CDU 2012 im Rahmen der Einführung des BerlAVG gefassten Beschluss für eine Wertgrenze ab 10 000 Euro ist jedoch die Wirksamkeit der fortschrittlichen ökologischen Kriterien nicht voll zum Zuge gekommen. Erst ab einem geschätzten Auftragswert oberhalb dieser Grenze waren die Kriterien für umweltverträgliche Beschaffung bzw. die Verwaltungsvorschrift für ökologische Beschaffung – VwVBU – anzuwenden – für mich schon 2012 Grund genug, gegen den Beschluss des Gesetzes im Parlament zu stimmen.