Protokoll der Sitzung vom 14.05.2020

Mit der Volljährigkeit erhält man sowohl Bürgerrechte als auch Bürgerpflichten. Mit der Senkung des Wahlalters korrespondiert das Wahlrecht aber nicht mehr mit den entsprechenden Pflichten. Minderjährige dürfen dann zwar schon wählen oder gewählt werden, sind aber noch nicht voll strafmündig. – Apropos Strafmündigkeit: In den allermeisten Fällen verurteilen wir junge Erwachsene selbst im Alter zwischen 18 und 20 noch nach Jugendstrafrecht, und das aus gutem Grund.

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Das Gesetz geht nämlich davon aus, dass es den jungen Menschen noch an dem nötigen Unrechtsbewusstsein fehlen kann. Und auch wenn dies gegeben sei, besitzen Jugendliche oft nicht die Fähigkeit, der Einsicht entsprechend zu handeln, heißt es dort.

Also auf strafrechtlicher Ebene sprechen wir den jungen Menschen die Reife ab, die Konsequenzen und Tragweiten ihrer Taten vollumfänglich zu erfassen, auf politischer Ebene trauen wir ihnen das aber genau zu. – Das ist doch Messen mit zweierlei Maß!

[Beifall bei der AfD – Franz Kerker (AfD): Bravo!]

Ich denke auch nicht, dass Sie in Zukunft die Absicht haben, die Strafmündigkeit auf 16 herabzusetzen.

Also lassen wir die Altersgrenze bei 18 Jahren, angeknüpft an die Volljährigkeit! Das ist früh genug, um sich der politischen Verantwortung zu stellen. Ein großes Angebot für Jugendliche, sich politisch zu engagieren, ist bereits vorhanden. Wir lehnen den Antrag ab. Und wenn es um Altersgrenzen geht, dann setzen Sie doch die Altersgrenze für Stadträte und Bürgermeister erst mal nach oben! Da haben Sie fähige Leute mit Sachkenntnis, die viel Erfahrung haben und gebraucht werden – der Antrag von uns liegt bereits vor.

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]

Für die Linksfraktion hat die Kollegin Klein jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was länger währt, wird gut –, es gibt da so einen schönen Spruch. Wie Sie wissen, finden wir als Linksfraktion die Zahl 16 im Zusammenhang mit Wahlen schon länger dufte. Damit meinen wir nicht 16 Prozent, da kann es auch ruhig einmal mehr sein. Da meinen wir natürlich das Wahlalter. Wir freuen uns, dass wir nun den nächsten kleinen Schritt in diese Richtung gehen können. Nachdem seit 2006 bereits 16-Jährige die Bezirksverordnetenversammlungen mitwählen dürfen, können nach dem Beschluss dieser hier vorliegenden Gesetzesänderung auch 16-Jährige als Bürgerdeputierte gewählt werden. Ich freue mich, dass wir diese Gesetzesänderung gemeinsam mit der CDU einbringen. Ich finde es sehr schade, Frau Demirbüken-Wegner, dass Sie da irgendwie hinterhertreten. Herr Zimmermann hat bereits etwas dazu gesagt. Dass wir einen echten Gesetzesantrag machen, ist wesentlich mehr wert. Sie vermiesen einem die Lust an solchen übergreifenden Anträgen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Warum die FDP-Fraktion nicht mitmacht, wird sie uns gleich erklären, wobei ich da auch nicht in der Haut von Herrn Schlömer stecken möchte.

[Heiterkeit bei Paul Fresdorf (FDP)]

Die Beteiligung beziehungsweise Mitwirkung von jungen Menschen an der Politik ist bis heute eine gewisse Herausforderung. Oft wird es ihnen einfach nicht zugetraut, Gescheites beizutragen, das haben wir eben gehört.

Was die Politik ihnen allerdings zutraut, ist, Entscheidungen über die Zukunft zu treffen, indem sie zum Beispiel eine Ausbildung starten, dafür das eigene Zuhause verlassen und Verträge unterschreiben. Darüber freuen sich die Erwachsenen. Doch wenn sie freitags oder an anderen Tagen auf Demos gehen, die sie vielleicht sogar selbst vorbereiten, Forderungen an die Politik stellen und sich von den Erwachsenen auch nicht einschüchtern lassen, dann ist schon einmal Schluss mit dem Zuhören und dem Ernstnehmen. An Jugendliche wird gern ein überhöhter Anspruch gestellt, wie, wann und warum sie sich einmischen dürfen. Wenn diese Erwachsenen diesen hohen Anspruch auch einmal an sich selbst richten würden, hätten wir sicherlich eine etwas andere Welt. Oder anders herum gesagt: Wenn wir Kinder und Jugendliche ernster nähmen, hätten wir eine bessere, gerechtere Welt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist eine Behauptung!]

Wie Sie wissen, würde diese Koalition die Absenkung des Alters zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhauses auf 16 Jahre gern beschließen. Es geht uns auch klar darum, das nachzuholen, was andere schon haben. Frau Kahlefeld hat erwähnt, dass es in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein schon möglich ist, mit 16 Jahren auch den Landtag zu wählen. Wenn wir diesen

(Jeannette Auricht)

logischen Schritt nicht auch machen, denn sehe ich in dieser Debatte um das Wahlalter eine ungenutzte Möglichkeit verstreichen.

Klar ist, die Wahlalterabsenkung auf Landesebene würde eine Verfassungsänderung voraussetzen. Diese scheitert leider an unseren Kollegen und Kolleginnen von der CDU. Frau Demirbüken-Wegner! Sie haben unlängst im Ausschuss Ihre Auffassung vertreten, dass viele junge Menschen das politische Geschehen aktiv mitgestalten wollen und es darüber hinaus auch ein Akt der Demokratiestärkung sei, ihnen mehr Teilhabe und Mitbestimmung zu ermöglichen. Warum Sie beim Wahlrecht mit 16 Nein sagen, erschließt sich mir deshalb nicht.

Auch die FDP hat Einwände und will sich leider noch nicht einmal unserem Antrag zur Senkung der Altersgrenze bei Bürgerdeputierten anschließen. Das ist sehr bedauerlich. Es schwingt immer eine Angst mit, Jugendliche zu beteiligen, die ich nicht nachvollziehen kann. Nun geben Sie sich doch am besten einen Ruck, liebe CDU, liebe FDP, und lassen Sie uns noch einmal darüber reden.

[Beifall bei der LINKEN – Heiko Melzer (CDU): Was? Wir sind Mitantragsteller!]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Schlömer jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es uns mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf leider auch nicht ganz einfach gemacht, das gebe ich zu. Man muss sagen, jungen Menschen die Chance auf mehr politische Teilhabe zu bieten, das ist grundsätzlich eine gute Sache. Wenn junge Menschen sich für Politik, Demokratie und den fairen Austausch von Argumenten interessieren und sich hierauf auch einlassen wollen, wenn sie kennenlernen möchten und können, wie Demokratie wirklich funktioniert, dann ist das aus meiner Perspektive großartig.

Dennoch hat sich keine Mehrheit in der FDP-Fraktion für die Unterstützung dieses Antrags ergeben. Ich möchte Ihnen sehr gern über die Gründe hierfür Auskunft geben. Ein erster Kritikpunkt: Die Forderung nach Absenkung des Wahlalters lediglich für Bürgerdeputierte, ist unserer Meinung nach ein wenig inkonsistent und ein Stück weit auch inkonsequent.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Was denn nun?]

Warum weitere Rechte und Pflichten vorenthalten? Warum nicht gleich auch für die Bezirksverordnetenver

sammlungen eine Herabsetzung beim passiven Wahlrecht einfordern?

[Hendrikje Klein (LINKE): Antrag!]

Die Herabsetzung des Wahlalters nur auf die Rolle von Bürgerdeputierten zu reduzieren, kann den Eindruck erwecken, dass es sich bei deren Wahl und Bestellung um ein Recht minderer Qualität und Bedeutung handele. Diesen Eindruck wollen wir mit einer Unterstützung des Antrags nicht erreichen.

[Beifall bei der FDP]

Eine Antwort bleiben Sie leider in der Begründung des Gesetzentwurfes schuldig.

Ein zweiter Kritikpunkt: die Kontinuität und stetige Partizipation in den bezirklichen Gremien über einen Zeitraum von fünf Jahren. Es gibt kaum eine dynamischere Lebensphase im Leben eines Menschen als die jungen Jahre zwischen 16 und 18 Jahren. Mehr Rechte, mehr Freiheit, wechselnde Interessen, neue Neigungen, erste Schulabschlüsse, auch mit dem Beginn von beruflicher Ausbildung. All das wirkt auf junge Menschen ein. Wir haben deshalb die Sorge, dass die stetige Mitbestimmung und die kontinuierliche Mitverantwortung bei der Aufgabenwahrnehmung in den Ausschüssen auf bezirklicher Ebene gerade bei jungen Menschen nicht gewährleistet ist. Das lasten wir den jungen Menschen aber explizit nicht an. Die Bereitschaft, aus freien Stücken ehrenamtliche Aufgaben in der kommunalen Politik zu übernehmen, steht immer im Zusammenhang mit der individuellen verfügbaren freien Zeit, freien Kapazitäten und privater Prioritätensetzung, Selbstbestimmung und anderen familiären oder beruflichen Verpflichtungen. Das ist auch gut so. Wir glauben nicht, dass junge Menschen sich über einen Zeitraum von fünf Jahren für die bezirkliche, ehrenamtliche Arbeit binden lassen.

Ein weiterer Kritikpunkt – ich möchte jetzt hier nicht den Christian Lindner machen –: die fehlende besondere Sachkunde.

[Heiterkeit bei der LINKEN – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Eine besondere Sachkenntnis ist aber eine zentrale Voraussetzung für die Teilhabe als Deputierte in den bezirklichen Gremien. Das sieht das Gesetz auch so vor. Wir befürchten, dass bei jungen Menschen diese nicht immer gegeben ist. Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen, Gesundheit, Jobcenter, Bürgerämter, Wirtschaft, Sicherheit und Ordnung, Personal, Haushalt, für all das braucht man ein wenig Vorkenntnisse und Erfahrungen, wenn man als quasi von außen berufener, bürgerlicher Sachverständiger in den Bezirken mitwirken will. Wir befürchten auch, dass mancher 16-Jähriger von Ihnen und den Initiatoren dieses Antrags regelmäßig in die Spielplatzkommission geschickt oder schlichtweg nur zum Klimaschutz angehört wird. In Sachen Jugendhilfe werden Sie sicherlich

(Hendrikje Klein)

die 16-Jährigen nicht entscheiden lassen. Das wird der Sache nicht gerecht, Ihrem Anliegen gewiss auch nicht.

Insgesamt gesehen mehr Contra als Pro. Wir haben die Absicht, gegen den Gesetzesantrag zu stimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Franz Kerker (AfD)]

Vielen Dank! – Auch zu diesem Tagesordnungspunkt hat sich der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. Die Redezeit beträgt auch hier zwei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt das Wort – bitte schön!

Frau Präsidentin! Ich hoffe, die Alarmanlage läuft nicht meinetwegen.

Bürgerdeputierte sollen durch Sachverstand die BVVen stützen. Das können Leute von besonderer Fachkompetenz oder mit besonderer Erfahrung. Aus diesem Grund gibt es auch Ältestenräte, aber keine Jüngstenräte. Man könnte auch Säuglinge als Bürgerdeputierte einsetzen, das bringt außer Geschrei allerdings nicht viel.

Es würde übrigens auch Abgeordneten guttun, zunächst einmal etwas zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, um dann Gesetze zu machen.

[Burkard Dregger (CDU): Hört, hört! – Frank Zimmermann (SPD): Sehr richtig!]

Ich weiß, wenn Frau Tomiak jetzt hier wäre, würde ihr das nicht gefallen.

Wenn Sie junge, unerfahrene Leute in den BVVen haben wollen, dient das nicht der Steigerung der Qualität der BVVen, sondern der Versorgung von jungen Parteifunktionärinnen und Parteifunktionären und der Vorbereitung von Abhängigkeiten und Seilschaften. Jeder, der im Leben steht, weiß, sich von Unerfahrenen beraten zu lassen, ist Unfug. – Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Deutschen mehr Kinder brauchen. – Danke!

[Steffen Zillich (LINKE): Uih, uih, uih!]

Weitere Wortmeldung liegen nicht vor. – Empfohlen wird die Überweisung der Gesetzesvorlage federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation. – Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 7 A