Protokoll der Sitzung vom 20.08.2020

[Beifall bei der AfD]

Welche Dinge wären notwendig gewesen – zwingend notwendig, gerade in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland? Natürlich brauchen wir eine Videoüberwachung, die Kennzeichnung von kriminalitätsbelasteten Orten, eine Regelung des finalen Rettungsschusses und natürlich auch die Fußfessel. Das alles sind Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten. – Und was machen Sie? Sie sprechen von Stärkung von Bürgerrechten. Das ist ja in Ordnung. Sie schaffen aber keine Sicherheit mehr. Der Senator sagte bei der Vorstellung des Entwurfs: Ich hätte mir mehr gewünscht, es wäre mehr drin gewesen. – Das ist wirklich ein Armutszeugnis, wenn nicht einmal der Senator mit seinem eigenen Gesetzentwurf zufrieden ist. Vielleicht hat sich das bis heute geändert. Mal schauen, was er gleich aussagen wird.

Abschließend hat der Kollege Lux gesagt: Rot-Rot-Grün liefert mehr im Rahmen der inneren Sicherheit als je eine Koalition zuvor. – Da gebe ich Ihnen recht. Sie liefern mehr, aber Sie liefern nichts Gutes. Ich hoffe auf den gesunden Menschenverstand und dass wir das, was hierin steht, ein Stück weit wieder zur Normalität bringen, und ich hoffe auf eine vernünftige Beratung im Innenausschuss. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Schrader.

(Frank Zimmermann)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Änderungen von Polizeigesetzen in Bund und Ländern gegeben. Dabei gab es bislang auch nur eine Richtung, die der Verschärfung. Staatstrojaner, Onlinedurchsuchungen, ausufernde Videoüberwachung, elektronische Fußfesseln, Verwendung von Handgranaten, lange Inhaftierung auf Verdacht – 14 Tage und mehr, in Bayern sogar unbegrenzt – usw. und so fort. Das sind nur einige Punkte. Dagegen sind zu Recht viele Menschen auf die Straßen gegangen, und ich bin heilfroh, dass wir in Berlin mit R2G einen anderen Weg gehen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Raed Saleh (SPD)]

Diese bundesweite Entwicklung ist von der realen Bedrohung durch Kriminalität schon weitgehend abgekoppelt. Ja, es gibt neue Bedrohungen, es gibt neue Herausforderungen. Darauf müssen wir reagieren. Das ist legitim. Das tun wir auch. Die Kriminalitätsrate sinkt aber bundesweit, und zwar seit Jahren. Das betrifft auch Berlin. – Die Aufklärungsquote in Berlin ist übrigens seit der Regierungszeit von Herrn Henkel wieder leicht gestiegen, Herr Dregger. Zum Glück!

[Zuruf von der CDU: Wohin denn? – Zuruf von Dr. Robbin Juhnke (CDU)]

Weil jetzt zwei Tage nach der schrecklichen Tat auf dem Stadtring schon die Ersten genau wissen, dass wir wieder neue Befugnisse brauchen – und auch beim Anschlag am Breitscheidplatz war das ja so –, möchte ich zum Thema Terror sagen: Die Untersuchung des Terroranschlags am Breitscheidplatz hat gezeigt: Es hat genügend Instrumente gegeben, nur wurden diese nicht ordentlich genutzt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe?

Nein! – Da wurde Telefonüberwachung nicht ausgewertet, Observationen nicht durchgeführt, abgebrochen. Da wurden Informationen nicht richtig ausgetauscht, und da ist jede Menge liegen geblieben. Das ist doch die Baustelle, an der wir in erster Linie arbeiten müssen: die Sicherheitsbehörden so aufstellen, dass wir in der Lage sind, das zu tun, und dass sie das auch machen. – Das machen wir als R2G.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Silke Gebel (GRÜNE) und Antje Kapek (GRÜNE)]

Deswegen sage ich auch, diese bundesweiten Verschärfungsorgien sind fern von Rationalität. Die ernsthafte Evaluation und die Prüfung, was bestimmte Instrumente

überhaupt bringen, wird schon lange nicht mehr vorgenommen. Da hat man schon den Eindruck, dabei geht es nicht in allererster Linie um Kriminalitätsbekämpfung, sondern eher darum, den Menschen irgendetwas vorzulegen, ihnen Sicherheit vorzugaukeln, nach dem Motto: Viel hilft viel. – Das ist Symbolpolitik auf dem Rücken der Grundrechte. Das werden wir in Berlin nicht zulassen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Genau aus diesen Gründen erweitern wir mit unserer ASOG-Änderung eben nicht einfach die Befugnisse, sondern wir stellen sie auch auf den Prüfstand. Ja, darum haben wir lange miteinander gerungen, auch in der Koalition, aber ich finde, es gehört zu rationaler Innenpolitik, dass man sich diese Zeit nimmt, wenn man sie braucht. Ich finde, es ist gut geworden. Es wird an einigen Stellen mehr Rechtsklarheit für die Polizei geben und auch für die Bürgerinnen und Bürger. Und ja, es gibt mit der TKÜ auch eine weitere neue Befugnis, die wir als Linke skeptisch sehen. Da haben wir uns bewegt, aber diese Befugnis werden wir befristen und evaluieren, damit man eben entscheiden und abwägen kann, was solch ein Instrument für die Gefahrenabwehr bringt, und zwar, bevor man entscheidet, diese Befugnis auf Dauer zu verankern. Das ist die richtige Reihenfolge.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Silke Gebel (GRÜNE) und Antje Kapek (GRÜNE)]

Wir haben, das ist schon angesprochen worden, eine ganze Reihe von bürgerrechtlich wichtigen Punkten. Davon möchte ich einige nennen: Wir verkürzen den Unterbindungsgewahrsams – die Haft auf Verdacht ist wirklich ein schwerer Grundrechtseingriff – von vier Tagen auf maximal 48 Stunden. Wir schaffen mehr Transparenz bei den kriminalitätsbelasteten Orten, wo anlasslose Kontrollen stattfinden können. Es wird auch künftig nicht mehr möglich sein, solche Orte einzurichten und damit anlasslose Kontrollen durchzuführen allein auf der Grundlage von aufenthaltsrechtlichen Straftaten. Das ist eine Norm, die Racial Profiling begünstigen kann, und es ist richtig, dass wir sie streichen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Burkard Dregger (CDU): Warum ist das richtig?]

Wir nehmen auch die Kriminalisierung von Prostitution aus dem Gesetz. Wir erhöhen die Hürden für den Einsatz von V-Personen. Wir verankern endlich die Kennzeichnungspflicht und die Legitimationspflicht im Gesetz. Auch bei den Bodycams nehmen wir beide Seiten in den Blick. Unsere Regelung ist so konstruiert, dass die Bodycam für beide Seiten nutzbar ist: Die Eigensicherung der Einsatzkräfte kann durch sie stattfinden, aber sie ist eben auch nutzbar für die Betroffenen von Polizeieinsätzen. Auch diese können die Bilder für das Einklagen ihrer Rechte nutzen. Das ist bundesweit einmalig, und auch da sagen wir: Lieber erst einmal ausprobieren, erst einmal

evaluieren und dann über die dauerhafte Einführung entscheiden! – Das sind Punkte, die zeigen: Solch ein ausgewogenes, bürgerrechtliches Polizeigesetz ist möglich. Das hätten viele nicht mehr gedacht in diesem Land, und ich hoffe, dass dieses Gesetz auch Strahlkraft über Berlin hinaus entfalten wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete Herr Krestel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bitte lassen Sie mich auch bei dieser ASOG-Debatte zunächst den positiven Aspekt darstellen: Gemäß dem Entwurf des neuen § 24c soll der Einsatz von Körperkameras eine rechtlichen Regelung erfahren, auch wenn es handwerklich schludrig gemacht wurde. Hier haben Sie aber wenigstens einmal versucht, eine alte Forderung der FDP umzusetzen.

[Anne Helm (LINKE): Das war wichtig! – Steffen Zillich (LINKE): Deswegen haben wir es gemacht!]

Das weiß ich doch, danke! – Spätestens mit der Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes, das seit Kurzem Gefährder regelrecht dazu einlädt, behördliche Maßnahmen zu reklamieren, ist die Aufzeichnung der Maßnahmeverhältnisse durch diese Körperkameras eigentlich unverzichtbar geworden.

Schlecht ist jedoch, dass die praktische Einführung – diese Befürchtung hat man automatisch, wenn man hier lange genug dabei ist – berlintypisch wieder viele lange Jahre in Anspruch nehmen wird. Was wir aber unverantwortlich finden: Sie haben es nicht geschafft, in diesen Entwurf eine verbindliche Regelung für Taser-Einsätze mit aufzunehmen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Können Sie einmal ein Beispiel bringen? ]

Taser können den Gebrauch der Schusswaffe verhindern, beziehungsweise statistisch gesehen vermindern oder weiter hinausschieben – wie Sie das auch immer sagen wollen –, gleichzeitig kann ein Taser bei nicht richtiger Handhabung und unglücklichen Umständen die gleiche Gefährlichkeit wie eine Schusswaffe entwickeln.

Zusätzlich haben Sie es wieder nicht auf die Reihe bekommen, endlich einmal den sogenannten finalen Rettungsschuss zu regeln. Das ist nicht nur moralisch als Dienstherr bedenklich, meiner Meinung nach ist es auch rechtlich nicht zulässig, dass sich Polizisten in Notlagen auf sogenannte Jedermannsrechte berufen sollen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Burkard Dregger (CDU)]

Berlin gibt den Beamten keine Chance, auf hoheitlicher Basis durch Rettungsschüsse Leben zu retten.

Dann – aber das können wir später im Ausschuss machen – müssen Sie mir noch diese hochgepriesene Neuregelung kriminalitätsbelasteteter Orte gemäß § 21 in Ihrer Vorlage – ich habe das jetzt nur so notiert, das dürfte dort Punkt 10 sein – erklären, dass die Identitätsfeststellung zukünftig nicht mehr bei aufenthaltsrechtlichen Straftaten durchzuführen sei. Diese Problematik wurde ausgiebig und, wie ich meine, abschließend im Bundesrecht geregelt und ist letztlich in diesem Gesetzentwurf völlig irrelevant. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Luthe gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Ihre Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. Sie haben gleich das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Krestel hat es gerade richtig angesprochen, eines fehlt in Ihrem Entwurf: Wie dieser Fehler zu korrigieren ist, haben Sie nun mit dem von mir vorgelegten Änderungsantrag als Vorlage bekommen. Nämlich: Wenn Sie von der Stärkung von Bürgerrechten sprechen, Kollege Schrader, Kollege Lux, dann gehört dazu selbstverständlich auch, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nur auf einer entsprechend sauberen gesetzlichen Grundlage stattfinden darf. Deshalb brauchen Sie eine gesetzliche Grundlage für den Taser.

Nur mit dieser gesetzlichen Grundlage wäre es auch möglich, das, was wir bereits vor einiger Zeit vorgesehen hatten, nämlich beispielsweise die Einsatzhundertschaften mit dem Taser auszustatten, die Ausstattung mit dem Taser deutlich auszuweiten und damit für deutlich mehr Sicherheit und Ordnung in Berlin zu sorgen, auch tatsächlich mit einer Grundlage zu versehen. Wir werden sicherlich im Ausschuss dazu kommen, über diesen Punkt intensiver zu beraten, und ich würde mich freuen, wenn Sie diese sehr detailliert ausgearbeitete Regelung aufmerksam und ergebnisoffen lesen, und gegebenenfalls zu dem Ergebnis kommen, das aufzunehmen. Denn Sie haben versprochen, eine solche Regelung zu schaffen.

Was mich in der Tat sehr überrascht hat, ist nicht die Änderung in § 21, sondern die in § 36 ASOG, der sich ebenfalls mit den aufenthaltsrechtlichen Strafvorschriften

(Niklas Schrader)

befasst. Sie wollen also mit der Streichung des § 36 Abs. 1 Nr. 4b ASOG die Möglichkeit streichen, Wohnungen zu betreten, in denen sich Personen aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen.

Sie wollen also damit die Möglichkeit nehmen – bei aufenthaltsrechtlichen Strafvorschriften, illegalem Aufenthalt, den Verstoß gegen Meldeauflagen, die illegale Einreise und so weiter und so fort –, Wohnungen zu betreten, in denen sich, mit einiger Wahrscheinlichkeit, solche Personen aufhalten.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Vielen Dank für das Stichwort, aber ich würde ein anderes nehmen. – Ich würde den bekannten Fall Anis Amri noch einmal aufgreifen wollen: Herr Amri hat sich illegal in Berlin aufgehalten, Herr Amri hat sich in Wohnungen aufgehalten, in denen er nicht gemeldet war, und Herr Amri hat wiederholt gegen die Meldeauflagen verstoßen. Die Polizei hätte nun gar keine Möglichkeit mehr, an die Orte, an denen sie jemanden wie Herrn Amri vermutet, zu gehen, um ihn dort ausfindig zu machen, um geltendes Bundesrecht, nämlich das Aufenthaltsgesetz durchzusetzen, da der aufenthaltsrechtliche Verstoß alleine nicht mehr ausreichen soll. Wenn weitere Straftaten dazukämen, zum Beispiel der Terror, wäre das etwas anderes, aber es muss sich nicht erst die Terrorgefahr realisieren, sondern der bloße Verstoß gegen Bundesrecht an der Stelle reicht aus meiner Sicht selbstverständlich aus und muss weiter eine Grundlage sein.

[Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lux?

Bitte!

Herr Lux, Sie haben das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Der Kollege Altuḡ hat mich schon wieder darauf hingewiesen, dass er es schlimm findet, dass der Name des Terroristen vom Breitscheidplatz hier immer gesagt wird, ich kann das nur teilen, ich versuche, mich auch zu disziplinieren und diesen Namen nicht mehr in den Mund zu nehmen. Aber das nur als Einleitung.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP) – Zuruf von der AfD]