Protokoll der Sitzung vom 01.10.2020

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Fraktion der CDU hat die sofortige Abstimmung über ihren Antrag beantragt. Die Koalitionsfraktionen beantragen dagegen die Überweisung federführend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen sowie mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. Gemäß § 68 der Geschäftsordnung lasse ich zuerst über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer der Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU auf Drucksache 18/3059 federführend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen sowie mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Wild. Weitere fraktionslose Abgeordnete sehe ich nicht. Gibt es Enthaltungen? – Die sehe ich nicht. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist die Überweisung beschlossen und eine Abstimmung über den Antrag erübrigt sich heute.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.4:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 6

Gesetz zur Anpassung des Abstimmungsrechts

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 14. September 2020 Drucksache 18/3020

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2723

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweite Lesung des Gesetzesantrags. Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 4 des Gesetzesantrags und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch höre ich nicht. – In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. Herr Dr. Efler, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Versprochen – gehalten. Rot-Rot-Grün hat

im Koalitionsvertrag verabredet, die Menschen stärker an den politischen Entscheidungen zu beteiligen und sie auch gegebenenfalls selbst treffen zu lassen. Mit der Änderung des Abstimmungsrechts lösen wir einen wichtigen Teil dieses Versprechens ein. Wir schöpfen dabei unseren einfachgesetzlichen Spielraum aus. Ich finde, es ist deswegen auch ein Tag zum Feiern.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich will noch einmal kurz zur Aktuellen Stunde von heute Morgen zurückkommen, auch wenn die Fraktion, die dazu gesprochen hat, gerade nicht zuhört. Herr Pazderski! Sie haben heute Vormittag mal wieder von den „Altparteien“ gesprochen und vermeintlich antidemokratischen Tendenzen in Deutschland und auch in dieser Stadt. Ich finde, Sie können vielleicht einmal anerkennen, dass das, was hier heute passieren wird, genau das Gegenteil davon ist. Wir schaffen mehr Demokratie. Ich finde, Ihr hohles Gerede, dass hier ständig irgendwelche Rechte unterminiert werden, ist damit auch entzaubert.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Das nicht erst seit heute, sondern das ist Politik in dieser Stadt seit 15 Jahren. Seit 15 Jahren werden die direktdemokratischen Verfahren in Berlin immer weiter ausgebaut und verfeinert. Ich finde, das hat dieser Stadt gutgetan. Viele politische Themen sind breit in der Stadtgesellschaft diskutiert worden, manches ist korrigiert worden, neue Themen sind auf die politische Agenda gekommen. Manche Initiatorinnen und Initiatoren von Volksbegehren oder Bürgerbegehren engagieren sich jetzt in der repräsentativen Demokratie. Einer spricht gerade zu Ihnen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das muss zwar nicht allen gefallen, aber man sollte es anerkennen, dass es Menschen gibt, die über solche Verfahren dann auch für die repräsentative Demokratie gewonnen werden können. Viele der direktdemokratischen Initiativen haben übrigens über Berlin hinaus Impulse gesetzt. Ich denke an die vielen Radbegehren und Radentscheide, die in zahlreichen Kommunen dieser Republik stattfinden oder an zahlreiche Bürger- und Volksbegehren, mit denen die Rekommunalisierung der Wasseroder Energieversorgung gefordert wird.

Aber es haben sich in der praktischen Anwendung auch einige Mängel gezeigt, die wir jetzt mit diesem Gesetz weitgehend abstellen werden. Es wird Sie jetzt nicht überraschen, dass ich einige von denen hier aufzeige. Ich hoffe, dass wir möglicherweise am Ende, wenn wir dann hier abstimmen, eine große Einigkeit herstellen. Ich bin einmal gespannt, was insbesondere die FDP dann machen wird, die auch mal wieder auf das Pferd Volksbegehren in diesem Wahlkampf setzen will.

(Katrin Schmidberger)

Zum ersten Punkt: Volksentscheide werden künftig grundsätzlich zeitgleich mit Wahlen durchgeführt. Das ist ganz, ganz wichtig, damit eben die hohen Quoren, die wir in der Verfassung haben, erreicht werden können. Ich gehe fest davon aus und erwarte es auch vom Senat, dass alle zukünftig stattfindenden Volksentscheide unabhängig von den politischen Inhalten auch mit Wahlen gekoppelt werden.

Zweitens werden feste Fristen für die amtliche Kostenschätzung und für die Zulässigkeitsprüfung des Volksbegehrens eingeführt. Wie nötig das ist, zeigt einmal mehr, ich habe es schon häufiger erwähnt, die Zulassungspraxis des Senats und der dafür zuständigen Innenverwaltung. Unfassbare 441 Tage hat es gedauert, bis das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zu Ende geprüft worden ist.

Die Initiative für ein Transparenzgesetz wartet nunmehr seit 283 Tagen auf eine Entscheidung. In Zukunft wird das nicht mehr zulässig sein. Ich hoffe, der Senat hält sich daran; wenn nicht, handelt er rechtswidrig und wird dann eben gegebenenfalls gerichtlich korrigiert. Es wird zukünftig auch eine Kostenerstattungsregelung geben für Initiatoren von Volksbegehren nach dem Vorbild anderer Bundesländer. Das kennen wir von der Wahlkampfkostenerstattung. In Zukunft wird es auch für Initiativen, die Volksbegehren und Bürgerbegehren starten, einen Teilanspruch geben, Kosten quasi erstattet zu bekommen für die Information der Öffentlichkeit.

Dann, das ist eine Bestimmung – da müssen Sie von der FDP dann auch mal wieder ganz genau aufpassen –, die wird für Sie wahrscheinlich bei Ihrem neuen Volksbegehren auch zur Anwendung kommen: Wir erhöhen die Transparenz von Volksbegehren. Es gibt eine neue Anzeigepflicht von Spenden Dritter an die Träger des Volksbegehrens und auch für den Einsatz von Eigenmitteln.

[Beifall bei der LINKEN – Paul Fresdorf (FDP): Was wollen Sie uns damit unterstellen?]

Wenn Parteien eigene Mittel einsetzen, wird es in Zukunft auch transparenzpflichtig sein. Auch das, denke ich einmal, ist eine schöne Sache, damit von den Bürgerinnen und Bürgern gesehen wird, wer tatsächlich hinter einem Volksbegehren steht.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Auch auf Bezirksebene werden direktdemokratische Verfahren gestärkt, in dem der Senat nicht mehr so schnell in Bürgerbegehren hineingrätschen darf und es auch ein paar Erleichterungen bei Einwohneranträgen gibt.

Insgesamt ist es ein rundes Paket. Das wird aber hoffentlich noch nicht alles in dieser Wahlperiode sein. Wir hatten vorhin schon die Debatte über das Thema Transpa

renzgesetz. Auch das ist für uns noch eine ganz wesentliche Reform, die wir unbedingt durchsetzen wollte. Ich bin ganz sicher, Herr Geisel, dass Sie auch demnächst in diesem Haus einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werden. Dann werden wir uns über die Inhalte unterhalten und zu guten Ergebnissen kommen.

Last but not least will ich mich noch bei den Kolleginnen und Kollegen Kahlefeld und Zimmermann für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Es hat Spaß gemacht. Legen wir noch einen drauf. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Tom Schreiber (SPD) und Raed Saleh (SPD)]

Für die CDU-Fraktion hat Herr Penn das Wort.

[Zuruf]

Nein, Herr Evers. Das ist bei mir noch nicht geändert worden – Herr Evers, bitte schön – nehmen wir auch!

Man muss nehmen, was man bekommt!

Wem sagen Sie das!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Efler! Der Satz des Tages war für mich: „Ich hoffe, der Senat hält sich daran.“ – Mit Verlaub, das zeigt dann auch das Ausmaß der Verzweiflung, das inzwischen schon innerhalb der Koalition über das Nichthandeln des Senats in einigen Fragen oder das verzögernde Handeln des Innensenators, um auf den Punkt zu kommen, herrscht. Ich kann Sie sehr gut verstehen.

[Heiko Melzer (CDU): An der Stelle!]

Wir haben hier schon verschiedene Male auch untereinander über das Thema Umgang mit direkter Demokratie im Land Berlin gesprochen. Das fängt beim Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel an, wo der Senat den Volkswillen zunächst einmal gänzlich missachtet. Das setzt sich aber, und das ist eigentlich der Gegenstand dieses Gesetzentwurfs, mit den allzu großzügig unbestimmten Nichtfristsetzungen des Abstimmungsgesetzes bei der Prüfung des Inhalts von Volksbegehren fort.

Wir haben das beim Volksbegehren für mehr Videoüberwachung in Berlin durchlebt und durchlitten. Nicht nur, dass es unerträglich lange in der Rechtsprüfung gedauert

(Dr. Michael Efler)

hat, musste ich mir die Akteneinsicht seinerzeit auch noch vom Verfassungsgericht gegen den Innensenator erstreiten, um überhaupt nachvollziehen zu können, wie er zu seiner rechtlichen Bewertung kommt. Das hat auch einiges über die Willkür im Hause Geisel offenbart. Wir erleben, obwohl mir der Inhalt nun ferner nicht liegen könnte, beim Volksbegehren, das jetzt fortgesetzt werden soll, zum Thema Enteignung, wie lange eine Rechtsprüfung dauern kann, die mit einem Satz hätte beantwortet werden können, nämlich erstens: In der Sache ist es rechtswidrig, und zweitens: Da es kein Gesetzentwurf ist, darf trotzdem dafür gesammelt werden. Ich freue mich ehrlicherweise auf die Debatte über das Thema Enteignung, denn da werden Sie Farbe zu bekennen haben und ihr blaues Wunder in der Stadt erleben. Da bin ich mir ganz sicher, denn in der Hauptstadt der Freiheit werden die Berlinerinnen und Berliner wissen, wie sie sich zum Thema Enteignung verhalten werden.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Holger Krestel (FDP)]

Aber zum Thema: Wir sind uns einig, trotz dieser Differenzen in Sachfragen, zu denen Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheide in dieser Stadt stattfinden, dass der Umgang des Senats mitunter ein unerträglicher ist und insofern die Initiative zu ergreifen und dem Einhalt zu gebieten ist. Respekt dafür. Ich erinnere mich an die letzte Legislaturperiode. Auch da haben wir gelegentlich als Abgeordnete selbst zur Feder gegriffen, falls der Senat wider unser Erwarten nicht gehandelt hat. Insofern bin ich gespannt, ob wir ein Transparenzgesetz aus dem Hause Geisel noch erleben werden oder ob auch da die Koalition eine Vorlage macht. Ich finde es jedenfalls gut, dass wir diese Vorlage zur Änderung des Abstimmungsgesetzes zu beraten hatten.

In der Sache finde ich es richtig, dass kein unbegrenzter zeitlicher Spielraum mehr gegeben ist im Rahmen der Rechtsprüfung. Das sollte klar und präzise formuliert sein. Keine Rechtsprüfung im Hause Geisel darf so lange dauern, wie wir es jetzt bei all diesen Volksbegehren erleben mussten. Das ist zum Spielball der Politik und von Senatsproporz geworden. Nichts davon hat direkter Demokratie und der Akzeptanz dieser Verfahren in der Stadt gutgetan. Insofern haben wir von Seiten der CDU auch der Initiative im Ausschuss zugestimmt.

Aufgrund dieser Erfahrung hoffe ich wie Sie, dass sich der Senat daran hält. Die Debatte, die wir vorher erlebt haben, hat mir aber auch gezeigt, dass es mit der Akzeptanz von Recht und Gesetz weder in den Bezirken noch im Senat von Berlin zwingend weit her ist. Insofern stirbt zwar die Hoffnung zuletzt. Mich freut, dass Sie noch welche haben. Ich bin da etwas pessimistischer. Nichtsdestotrotz ist dieser Gesetzentwurf ein Anfang, ist eine sinnvolle Beschränkung der Freiheiten des Senats im Umgang mit direkter Demokratie. Wir unterstützen ihn gern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die SPD-Fraktion hat dann gleich Herr Zimmermann das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Kollege Evers! Ich kann Sie beruhigen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht gegen die Innenverwaltung und gegen den Senat erarbeitet worden, sondern mit ihr. Wir haben das gemeinsam entwickelt. Es war ein sehr konstruktiver Beitrag, der dort gekommen ist.