Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte schön!

[Burkard Dregger (CDU): Diese Beiträge werden der Lage nicht gerecht! – Paul Fresdorf (FDP): Kindergartenniveau!]

Wir sind hier noch im Parlamentssaal und nicht in irgendwelchen anderen Gewässern. Ich bitte um entsprechende Anerkennung dieser Würde des Hauses.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, der AfD und der FDP]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Lehrer ist in Paris bestialisch ermordet worden, ein Kollege von mir. In Nizza und Wien fielen Menschen brutalen Attentaten zum Opfer. Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds sind ebenso in unserem Gedächtnis wie die von Halle und Kassel.

[Zuruf von Tommy Tabor (AfD)]

Die Frage, wie es dazu kommen kann, dass Menschen sich so radikalisieren, dass sie solcher bestialischen Taten fähig sind, muss uns beschäftigen, ebenso die Frage, wie wir das verhindern können, auch und vor allem bei jungen Menschen.

Aber ist die Antwort darauf der vorliegende Antrag? Wird hier die Lösung präsentiert? Die CDU will eine „Notfallstelle Extremismusbekämpfung an Schulen“ gründen lassen, die als erster Ansprechpartner bei akuten und ernsten Gefährdungssituationen tätig wird. Ich dachte ja bisher, dass ich dazu die Polizei anrufen müsste. Leicht verunsichert habe ich deshalb gestern mal bei der Polizei nachgeschaut, nachgeforscht und Folgendes gefunden – ich zitiere von der Seite der Polizei –:

Durch Ihren Hinweis können Sie mithelfen, die Vorbereitung von extremistischen Straftaten oder terroristischen Anschlagsplanungen frühzeitig zu erkennen und aufzudecken. Somit tragen Sie zur Verhinderung von islamistischen Aktivitäten

und/oder Terroranschlägen bei. …

Bitte melden Sie verdächtige Wahrnehmungen, die auf die Planung/Vorbereitung/Durchführung eines Terroranschlages, auf die Radikalisierung von Einzelpersonen/Personengruppen … hindeuten.

Bei der Polizei, und zwar beim „kostenfreien Notruf 110“. – Also das zur Information an die Eltern, Schülerinnen und Schüler und Kolleginnen und Kollegen, die angeblich nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen!

Ansonsten kann man sich auch noch an die Internetwache der Polizei wenden. Soweit ich mich erinnere – da war

(Franz Kerker)

ich nämlich wegen ähnlicher Sachen selber schon –, ist außerdem die Abteilung 5 im LKA zuständig. Dann gibt es übrigens auch noch, um das noch zur Vollständigkeit hinzuzufügen, ein Hinweistelefon zur Aufklärung islamistischen Terrors, das ist die: 20 054 507. – So weit zur Information.

Der Antrag will, dass glaubhaft extremistische, fanatische Äußerungen der Schülerschaft bei der Notfallstelle gemeldet werden. Dazu habe ich eigentlich schon etwas gesagt, aber – Herr Stettner! – jetzt kommt die Festigungsphase. Sie ahnen schon, was jetzt von mir kommt: Ich verweise wieder einmal auf den Notfallordner der Senatsbildungsverwaltung, der in jeder Schule steht. Konkrete Gewaltandrohungen, ob gegen Schülerinnen und Schüler, Pädagoginnen und Pädagogen oder anderes Schulpersonal, auch im Zusammenhang mit Extremismus, gehören zum dort angegebenen Gefährdungsgrad II, also zu Notfällen, die in Verantwortung von Schule und der Polizei, in Zusammenarbeit mit anderen außerschulischen Helfersystemen zu klären sind. Hier kommt in erster Linie der Schulleiter, der Schulleiterin die Verantwortung zu, zu handeln und um Hilfe anzurufen, und zwar bei der Polizei und beim Jugendamt.

[Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Die Zeit reicht jetzt leider nicht. Lesen Sie doch selber mal im Kapitel Bedrohung unter: Sofortreaktionen, Eingreifen, Fürsorge, Opferhilfe, Maßnahmen, Informieren, Nachsorgen, Aufarbeiten, Vorsorgen, Unterstützung von Opfern nach. Ich habe den Ordner übrigens hier, Sie können sich ihn gerne noch mal holen. Darin sind die betreffenden Seiten dazu.

Der Antrag fordert nun, dass die zu schaffende zentrale Anlaufstelle zum einen bei der Landeskommission Berlin gegen Gewalt anzusiedeln wäre. Die Landeskommission gibt es bei der Senatsverwaltung für Inneres, hat eine Arbeitsstelle für Jugendgewaltprävention und ist Teil der Umsetzung des Landesprogrammes Radikalisierungsprävention.

In den Eckpunkten des Konzepts der Landeskommission wird unter dem dritten Eckpunkt das Zusammenleben in Vielfalt gegen Hass und gruppenbezogene Gewalt thematisiert, als vierter Eckpunkt die Bildungseinrichtung als Lernorte gewaltfreien Lebens hervorgehoben. Auch hier finden Sie Kontakttelefonnummern, an die man sich wenden kann. – Das auch wieder für die verunsicherten Menschen, die von Ihnen hier benannt werden.

Ich sage Ihnen: Sie fordern eine mobile Eingreiftruppe mit technischer Ausrüstung. Da würde mich einmal interessieren, was Sie damit meinen. Wir glauben jedenfalls, dass das im Jahr 2020/2021 an jeder Schule verwirklichte Konzept, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter dort zu haben, hilfreicher ist. Es ist auch hilfreicher, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Pädagoginnen und Pädagogen und Eltern wach und engagiert zu machen, wenn sie Ver

änderungen in Richtung Extremismus bei Kindern und Jugendlichen feststellen. Sie müssen dann unter Ausnutzung bestehender Strukturen und Hilfen gemeinsam handeln, Ethik- und Politikunterricht stärken und mehr Fortbildung zu den Themen Islamismus, personenbezogene Menschenfeindlichkeit und Extremismus und dem Umgang damit erhalten. All das würde meines Erachtens mehr helfen als die Umsetzung des vorliegenden Antrags.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Fraktion der CDU hat eine Kurzintervention angemeldet. – Herr Abgeordneter Stettner, Sie haben das Wort!

Zunächst einmal habe ich offenbar am Ende meiner Rede die Damen nicht erwähnt. Dafür entschuldige ich mich, das tue ich normalerweise nicht. Da habe ich die Aufregung verstanden. Das ist aber nicht der Grund meiner Kurzintervention.

Heiße Luft von Frau Dr. Lasić: Es gibt ausreichend Handreichungen, höre ich aus dem Lager.

Eine Kurzintervention bezieht sich bitte nur auf die Vorrednerin. Frau Dr. Lasić war schon ein bisschen davor.

Frau Kittler hat auf verschiedene Handreichungen hingewiesen, die ich lesen sollte. – Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin! – Ich möchte nur darauf hinweisen, was wir beantragt haben und bitte die Koalition das noch einmal in Ruhe durchzulesen. Wir haben mitnichten allein eine Notfallnummer beantragt. Ich glaube, wenn man den Antrag lesen würde, würde man auch erkennen, dass drei Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterinnen, die im Einsatz sind, für die sozialräumliche und pädagogische Unterstützung der Schule vorhanden sein sollen. Das ist Ziel unseres Antrags. Wir wissen doch jetzt, das haben meine Vorrednerrinnen bestätigt, dass wir Stand heute nicht ausreichend viele Sozialarbeiter in unseren Schulen haben. Das haben Sie ja selber gesagt.

Wenn wir also erstens feststellen: Ad 1: Wir haben so wenig Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an unseren Schulen. Ad 2: Wir wollen sie vielleicht irgendwann einmal im nächsten Jahr dahin bekommen, dann können wir doch bitte bis dahin 250 000 Euro in die Hand nehmen und unseren Schulen helfen. Das ist der Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

(Regina Kittler)

Frau Abgeordnete Kittler! Möchten Sie erwidern? – Ja. Einen Moment. Frau Kittler, Sie haben das Wort, bitte!

Vielen Dank! – Herr Stettner! Das hätten wir vielleicht auch mit einer Zwischenfrage klären können. Ich lasse das immer zu, das wissen Sie.

[Paul Fresdorf (FDP): Aber so haben alle mehr davon!]

Aber ich kann ja durchaus etwas dazu sagen. Also: Was wollen Sie? – Sie wollen drei – in Worten „drei“ – Schulsozialarbeiter/-innen

[Paul Fresdorf (FDP): Und Sozialarbeiter!]

an einer Stelle konzentrieren und die sollen dann – da würde mich echt interessieren, was das sein soll – auch noch mobile technische Vollausrüstung kriegen. Deshalb komme ich auf die Bezeichnung „mobile Eingreiftruppe“ – oder was weiß ich, was Sie da wollen. Dann sollen drei Menschen in Notfällen durch die Stadt rasen und alle Schulen in irgendeiner Form erreichen. Ich sage Ihnen, das wird nicht funktionieren.

Ich bin nie gegen eine Verstärkung von schon vorhandenen Institutionen, die sich genau mit den von Ihnen geschilderten Problemen, die wir auch sehen, beschäftigen. Das ist überhaupt nicht die Frage. Viel wichtiger ist es doch wirklich, an jeder Schule Schulsozialarbeit zu haben, die Verantwortung durch die Pädagoginnen und Pädagogen wahrnehmen zu lassen, sie zu schulen, sie zu unterstützen. Da reicht es nicht, noch mal eine Extrastelle zu schaffen, neben denen, die wir bereits haben. Dann überlegen wir doch, wie wir die Stellen, die wir schon haben, stärken können, und wie wir die Strukturen, die wir schon haben, stärken können. Da hätten Sie mich an Ihrer Seite.

[Beifall bei der LINKEN]

Für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Fresdorf das Wort. Einen kleinen Moment. – Jetzt haben Sie das Wort, bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen haben wir hier zusammengesessen und uns in der Aktuellen Stunde mit dem Thema Extremismus beschäftigt, wo wir die schrecklichen Vorfälle in Frankreich, Österreich und in Deutschland beleuchtet haben. Wir haben sie alle verurteilt und finden es unsäglich, was dort passiert ist. Ich denke, da gibt es einen Konsens in diesem Haus.

Man kann sich mit dem Thema beschäftigen. Man kann sich darüber Gedanken machen. Die CDU hat es getan. Man kann sich darüber lustig machen. Man kann vielleicht auch Missverständnissen aufsitzen. Vielleicht liegt es auch tatsächlich, wie Frau Dr. Lasić sagte, an der Überschrift des Antrags, die ein bisschen verwirrend sein kann, weil früher – Sie werden sich erinnern – hat die CDU überall „Lotsen“ draufgeschrieben. Da gab es dann die Behördenlotsen und was nicht alles. Und das soll, glaube ich, auch so eine Art Lotsenstelle sein, wenn ich das richtig interpretiere. Das sollen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sein, die Lehrern in einer absoluten Krisensituation, in der sie sich dann befinden, Hilfe geben. Das, finde ich, ist grundsätzlich eine gute Idee.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Sie wissen alle, dass sich die Schulen in Krisensituationen oft alleinegelassen fühlen. Da helfen noch so viele tolle Notfallordner nichts. Frau Kittler, ich kenne den auch. Das ist wirklich ein gutes Konstrukt, aber er hilft nicht dabei, wenn ich zum Beispiel als Lehrerin abends zu Hause sitze und eine E-Mail bekomme, in der schlimme Worte stehen, die mit einer Todesdrohung enden. Da kann ich bei der Polizei anrufen – was sicherlich Sinn macht –, aber dann brauche ich vielleicht auch Hilfe im pädagogischen Bereich. Wie gehe ich am nächsten Tag mit dem Schüler um? Wie gehe ich mit der Gesamtsituation um?

Wenn ich dann so einen Lotsen habe, der mir hilft, der mir mal die ganze Palette unseres in dieser Stadt doch sehr breit vorhandenem Hilfssystems ausbreitet – die sicherlich nicht jede Lehrerin und jeder Lehrer kennt –, wenn dieser den Lehrerinnen und Lehrern hilft, das richtige Werkzeug, um damit umzugehen, dann auch schnell zu finden, dann haben wir doch den Lehrerinnen und Lehrern in dieser Stadt geholfen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Dirk Stettner (CDU)]

Darum erachte ich diese Idee vom Grundsatz her als sehr sinnvoll. Wir haben wirklich eine breite Palette an Hilfsangeboten, wir wissen aber auch – Herr Stettner hat das gerade auch in Zahlen eindrücklich gesagt –, dass wir ein Extremismusproblem an Berliner Schulen haben. Das ist so. Bis zu 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben extremistisches Gedankengut. Als Freier Demokrat sage ich Ihnen eins: Extremismus – egal von links, von rechts, von oben, von unten, aus dem Islam oder von sonst woher – hat an Berliner Schulen keinen Platz.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Karsten Woldeit (AfD)]

Wir müssen ihn bekämpfen, und wir müssen die richtigen Werkzeuge zur richtigen Zeit einsetzen und müssen den Lehrerinnen und Lehrern helfen, diese zu kennen und zu finden. Wir müssen uns ehrlich machen – – Eine Zwischenfrage!

Ich wollte Sie gerade fragen, ich wollte nur den Moment abpassen. Frau Burkert-Eulitz hat eine Zwischenfrage gestellt. – Sie haben das Wort, bitte!

Ich würde gerne wissen, ob Sie das von der Senatsbildungsverwaltung aufgesetzte Programm „ProRespekt Coaches“ kennen, in dem genau 20 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Schulen in besonderen Situationen unterstützen.