Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

wo sie auch einmal aus dem sozialen Kontext von schulischen und familiären Ansprüchen herauskommen. Auf diese Angebote gibt es einen Rechtsanspruch, der durch das Gutachten, das Frau Kollegin Kühnemann bereits erwähnt hat, im Auftrag der Senatsjugendverwaltung in der vergangenen Legislaturperiode noch einmal geklärt wurde.

Es geht hier nicht um Geschenke und guten Willen, sondern um einen Rechtsanspruch, und das Land Berlin hat das Recht und die Pflicht, hier Standards zu definieren. Unser Koalitionsvertrag positioniert sich sehr klar in diesem Sinne – auch, weil die allgemeine Kinder- und Jugendarbeit in Berlin mehr als alles andere dem Verantwortungspingpong zwischen Bezirken und Senat, Bezirken untereinander, zwischen kommunalen und freien Trägern, zwischen den verschiedenen Jugendhilfebedarfen, innerhalb einzelner Bezirksämter, immer sehr unterworfen war. Der bisherige Gesetzesvorschlag, den Einsatz der 10 Prozent für Jugendhilfe, für den Jugendfreizeitbereich hat nicht funktioniert. Warum nicht? – Weil sie in der Umsetzung in bezirklicher Verantwortung ist, als freiwillige Leistung interpretiert wird und weil sie deshalb als Erste den Sparzwängen der Bezirke zum Opfer fällt.

Während im Jahr 2008 noch 94 Millionen Euro im Einsatz waren, wurden im Jahr 2015 nur noch 79 Millionen Euro ausgegeben, und das, obwohl wir alle wissen, dass die Stadt gewachsen ist und weiter wächst, und bereits bis 2030 20 Prozent mehr Menschen in der Altersgruppe von 6 bis 18 in Berlin leben werden, und obwohl allen klar ist, dass auch die inhaltliche Arbeit im Digitalzeitalter, in Zeiten stärkerer Zuwanderung und zunehmender sozialer Spaltung eigentlich weit differenzierter und umfangreicher werden muss. Es lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, ob und warum verschiedene Bezirke ihre Zuwächse nicht für die Jugendförderung eingesetzt haben, ob sie lieber Rücklagen gebildet, andere politische Prioritäten gesetzt haben oder ob es einfach nur Unfähigkeit war. Das Problem ist nur, das Streiten löst dieses Problem nicht. Deshalb wollen wir ein Berliner Jugendfördergesetz auf den Weg bringen, das einheitliche qualitative und quantitative Standards für die Ausstattung und auch für das Personal und damit auch die Ansprüche auf bedarfsgerechte Finanzierung über die Globalsummen der Bezirke festsetzen soll. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Weiß das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich stehen wir einem Berliner Jugendfördergesetz natürlich aufgeschlossen gegenüber. Interessant ist allerdings, dass die Notwendigkeit des Gesetzes damit begründet wird, dass das Budget für die Kinder- und Jugendarbeit seit Jahren schrumpfe. Bezug wird dabei auf die Jahre 2008 bis 2015 genommen. Frau Senatorin Scheeres muss sich in diesem Zusammenhang die Frage gefallen lassen: Warum eigentlich erst jetzt? Immerhin regiert die SPD schon weit länger als seit 2008, und das ununterbrochen. Der Bereich Jugend befand sich dabei stets in Ihrer Verantwortung. Allein seit 2011 lag dieser durchgehend bei Frau Scheeres. Dass Sie nun also der Ansicht sind, dass das Sozialgesetzbuch VIII seit Langem falsch interpretiert und daher die Kinder- und Jugendarbeit finanziell vernachlässigt werde, mag zwar eine zutreffende Einschätzung der Lage sein, ist aber im Endeffekt nichts weiter als eine späte Einsicht eigener Fehler.

[Beifall bei der AfD]

Daraus nun den Schluss zu ziehen, dass ein neues Gesetz benötigt würde, statt dass man die vorhandene Gesetzeslage richtig zu deuten beginnt, ist leider nur schwer nachzuvollziehen und wirft eher die Frage auf, was hier nun, gerechtfertigt durch nicht viel mehr als eigene Fehler, unter dem scheinbar unbedenklichen Label der Jugendförderung eigentlich auf den Weg gebracht werden soll. Damit ist nicht gemeint, dass die Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit nicht ausbaufähig wäre, und die Anpassung der Finanzierung an die tatsächliche Menge von Kindern und Jugendlichen in den jeweiligen Bezirken ist sicherlich sinnvoll. Allerdings muss Ihnen in diesem Zusammenhang ebenfalls vorgeworfen werden, dass Sie für die bestehenden finanziellen Engpässe selbst verantwortlich sind. Schließlich haben Sie den überdurchschnittlichen Anstieg der Menschen in dieser Stadt durch Ihre fatale Willkommenskultur selbst verursacht.

[Beifall bei der AfD – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ich glaube es nicht! Ein Hohlorgan spricht!]

Die Erfahrung lehrt außerdem, dass bei rot-rot-grünen Gesetzesentwürfen ein gesundes Maß an Misstrauen an den Tag zu legen, nicht ganz verkehrt sein kann. Sofern dieses Gesetz wirklich kommen sollte, möchte die AfDFraktion daher sichergestellt wissen, dass die Prioritäten der Finanzierung vernünftig und gerecht gesetzt werden. Sinnvolle Investitionsmöglichkeiten sind z. B. in Form der Berliner Jugendfeuerwehr oder der Sportjugend Berlin reichlich vorhanden.

[Beifall bei der AfD]

Bei der Gelegenheit könnte zudem darüber reflektiert werden – nur so als Gedankenanstoß –, ob es dem Anspruch der Demokratisierung entsprechen kann, im Rahmen des Landesjugendrings z. B. eine Vereinigung wie die Junge Europäische Bewegung zu fördern. Diese

(Katrin Möller)

Bewegung hat nämlich das erklärte Ziel, einen europäischen Einheitsstaat herbeizuführen, was dem Mehrheitswillen des deutschen Volkes und der europäischen Völker sicherlich zuwider läuft.

Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg bei der Ausarbeitung und sind schlussendlich gespannt, was Sie uns für einen Gesetzesentwurf präsentieren werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): So ein Gesülze ist unfassbar!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Abgeordnete Frau Tomiak das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als jüngste Abgeordnete dieses Hauses freue ich mich sehr, meine erste Rede in diesem Haus zum Thema Jugendförderung halten zu können.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP]

Mir ist das Thema Jugendarbeit allerdings nicht vorrangig wichtig, weil ich selbst noch zu der Zielgruppe zähle, sondern weil Jugendarbeit ein Thema ist, das alle Generationen angeht. Die Jugend ist eine Zeit der Orientierung. Man probiert Dinge aus, lernt sich selbst kennen und erfindet sich neu. Seinen Platz in der Welt zu finden, braucht Zeit, und es braucht Kraft, und genau deshalb ist es wichtig, dass wir hier die Unterstützung und Sicherheit geben, die dies ermöglicht. Wie wir heute mit der jungen Generation umgehen, welche Zukunftsperspektiven wir ihr geben, wird maßgeblich beeinflussen, wie diese die Welt zukünftig gestalten wird.

Doch vom großen Ganzen wieder zurück nach Berlin. Worum geht es beim Jugendfördergesetz? – Ganz grob gesagt: Jugendarbeit braucht verbindliche Standards und eine rechtliche Absicherung. Das klingt erst einmal nicht so spektakulär, ist aber trotzdem wichtig. Seit Jahren besteht die Forderung der Verbände nach verbindlichen Regelungen und einem Gesetz, das die Qualitätsstandards und die Finanzierung der Jugendarbeit absichert. Diese Forderung können und wollen wir nun endlich umsetzen. Wir bringen mit diesem Antrag direkt am Anfang der Legislaturperiode einen Meilenstein im Bereich der Jugendpolitik auf den Weg. Das Vorhaben ist nicht nur zeitlich ambitioniert, sondern auch inhaltlich ein ganzes Stück Arbeit, denn die Themen, um die es geht, sind enorm wichtig. Jugendarbeit kann der Schlüssel sein, der jungen Menschen die Möglichkeit, den Raum und die Werkzeuge gibt, um kritische, selbstbewusste und eigenständige Menschen zu werden. Jugendarbeit kann Ju

gendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen Alternativen aufzeigen und Perspektiven schaffen. Jugendarbeit kann helfen, egal, aus welchen Kontexten die Jugendlichen kommen und mit welchen Problemen sie konfrontiert sind. Das sind alles Dinge, die nicht besonders strittig sind.

Wo ist dann das Problem? – Das Problem ist, dass die Bedingungen für gute Jugendarbeit in Berlin zurzeit katastrophal sind. Es gibt zwar die berühmten 10 Prozent der Bezirkshaushalte, die für Jugendarbeit genutzt werden sollen, aber – wir haben es vorhin schon gehört – die Realität sieht oft leider anders aus. Die Folge: Es gibt keine Verbindlichkeit und Planungssicherheit für die Träger der Jugendhilfe und der Jugendarbeit, doch genau diese Sicherheit ist in der Jugendarbeit existenziell notwendig. Nicht nur die Träger, vor allem die Jugendlichen selbst brauchen Sicherheit und Verlässlichkeit. Es ist also von außerordentlicher Wichtigkeit, dass sich hier endlich etwas bewegt und wir die Jugendarbeit nachhaltig sichern und stärken.

Wir wollen mit diesem Jugendfördergesetz qualitative und quantitative Standards in der Jugendarbeit festschreiben. Wir wollen einen verbindlichen Förderplan, der die Infrastruktur der Kinder- und Jugendarbeit sichert. Wir wollen eine verbindliche Beteiligung der Kinder und Jugendlichen selbst. Und wir wollen die Sicherstellung der Finanzierung und rechtliche Rahmenbedingungen, die es den Verbänden ermöglicht, ihre Rechte im Zweifel auch einzuklagen. Damit das Jugendfördergesetz so gut wird, wie wir es uns wünschen, braucht es allerdings Zeit und vor allem die Einbeziehung der Verbände, der betreffenden Gremien und natürlich der Jugendlichen selbst. Um eine nachhaltige Partizipation zu ermöglichen und umfassend alle Akteure einbeziehen zu können, haben wir für den Erarbeitungsprozess des Jugendfördergesetzes ungefähr anderthalb Jahre veranschlagt. Bis das Gesetz tatsächlich kommt, ist die Fortschreibung der Mittel an die Bezirke auf Basis des aktuellen Kalenderjahres erst einmal gesichert. – Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit allen verschiedenen Akteuren und darauf, in hoffentlich weniger als zwei Jahren mit dem Jugendfördergesetz ein stabiles Fundament für die Jugendarbeit geschaffen zu haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Herr Abgeordneter Fresdorf das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann für die Jugendlichen in Berlin nur hoffen, dass es Ihnen mit der Jugendförderung ernst ist. Klar ist, dass es

(Thorsten Weiß)

in der Vergangenheit mit sozialdemokratischer Jugendarbeit auch nicht geklappt hat, um an das vergangene Plenum anzuschließen. Jugend fördern, können Sie anscheinend auch nicht.

[Beifall bei der FDP]

Aber wir schauen nach vorne und haben vor, die Regierungsarbeit so gut wie möglich konstruktiv zu begleiten, auch wenn Frau Scheeres das Angebot für die Bildung ausgeschlagen hat. Wir werden es immer wiederholen und auch für den Jugendbereich anbieten. Stichwort ist die Inkompetenzkompensationskompetenz der Freien Demokraten. Die tragen wir Ihnen gerne an.

[Beifall bei der FDP]

Auf einiges muss in den Ausgestaltung des Gesetzes geachtet werden, denn das wird leider aus dem Antrag nicht ganz klar. Wir empfehlen Ihnen daher, sich in die Details des 15. Kinder- und Jugendberichts einzuarbeiten und diesen in die Erstellung des Gesetzes einzubeziehen. Wir finden die Empfehlungen des Berichts durchaus beachtenswert, vor allem was die Warnung vor dem Absacken hinsichtlich der Schulabschlüsse und der immer noch vorhandenen Chancenabhängigkeit von der sozialen Herkunft betrifft. Es geht um Freiräume, Qualifizierung, Selbstpositionierung und Verselbständigung, darum, in einem Umfeld ohne gesellschaftliche Zwänge mit seinen Fähigkeiten eine eigene Position zu entwickeln und selbständig zu leben, ohne dabei verzweckt zu werden. Kurzum: Es geht um den mündigen Bürger.

Was steht dem entgegen? – Die soziale Herkunft. Sie entscheidet noch immer über Lebenschancen. Dieses Problem dürfen wir nicht ignorieren, denn die Leidtragenden sind unsere Kinder und Jugendlichen. Wie von uns schon oft im Parlament kritisiert, haben bislang alle Ihre Bemühungen nur wenig gebracht. Sämtliche Studien über dieses Thema zeigen auch: Sie haben hier auf ganzer Linie versagt.

[Beifall bei der FDP]

Es ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, dass 20 Jahre sozialdemokratisch geprägte Bildungs-, Jugend- und Familienpolitik in Berlin dazu führen, dass die soziale Herkunft von Kindern so maßgeblich für den weiteren Lebensweg ist. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Kinderarmut ist ein präsentes Problem. Soziale Herkunft entscheidet über den Bildungserfolg und die Lebenschancen von Menschen in dieser unserer schönen Stadt. Jugendfreizeiteinrichtungen sind nicht ausreichend vorhanden. Jugendämter sind nicht ausreichend besetzt, um den Kontroll- und Unterstützungsauftrag wahrzunehmen. Die RSDs sind nicht ausreichend besetzt. Kindertagesstätten sind nicht ausreichend vorhanden. Wir finden nicht ausreichend Personal für Kitas und Schulen. Das ist das Ergebnis von 20 Jahren nicht ausreichender sozialdemokratischer Politik.

[Beifall bei der FDP]

Herr Fresdorf! Lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kittler zu?

Nein, danke! – Schämen Sie sich dafür überhaupt nicht? Haben Sie jemals das Gefühl, den Wählerauftrag erfüllt zu haben, und wenn ja, wann und warum?

Unser Auftrag ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Kinder und Jugendlichen dazu befähigen, ihre eigenen Lebensentwürfe zu gestalten. Das muss man aber wollen. Das beinhaltet auch, dass nicht jeder junge Mensch Abitur machen muss, um erfolgreich zu sein. Das gleiche Ergebnis im Bildungsabschluss wird noch immer nicht alle gleich machen. Das ist auch gut so, denn Menschen sind verschieden. Individuen haben unterschiedliche Bedürfnisse, Lebensentwürfe und Wünsche. Da hat Gleichmacherei nichts zu suchen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wir sollten für mehr Förderung von Talenten sorgen, schon von Kleinkindesbeinen an. Es wurde in der letzten „Zeit“ in einem bemerkenswerten Artikel bestätigt, dass es nicht nur um die Qualität des Abiturs schlecht bestellt ist, sondern auch um die der frühkindlichen Bildung.

Eine weitere zentrale Botschaft des vorliegenden Kinder- und Jugendberichts ist es, Jugendliche und junge Erwachsene als Akteure zu begreifen, die sich in vielfältigen Formen selbst positionieren. Unser bildungspolitisches Ziel ist erreicht, wenn die jungen Erwachsenen zu mündigen Bürgern werden. Bislang hat es durch Ihre Bildungs- und Jugendpolitik wunderbar funktioniert, sich die eigene Klientel heranzuziehen, die Sie als politische Erziehungsberechtigte anleiten wollen und durch alle Lebenslagen lotsen möchten – sei es Fleischverzehr, Pappbechergebrauch, Heizpilznutzung oder Führerscheinentzug für das Rauchen im Freien.

[Katalin Gennburg (LINKE): Unisextoiletten!]

Aber nach 20 Jahren reicht es damit.

[Beifall bei der FDP]

Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede!

Die Vertiefung des vorliegenden Antrags erfolgt im Ausschuss. Wir werden die Inhalte und Ziele Ihrer Jugendfördermaßnahmen kritisch begleiten. Wir können es uns einfach nicht leisten, weiter ideologisch herumzuexperimentieren und Generationen von Berlinerinnen und

Berlinern diesem Herumgeeiere zu überlassen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]