Protokoll der Sitzung vom 04.10.2000

In den meisten Fällen haben wir in den Gemeinden sinkende Beiträge für das Betreuungsangebot zu konstatieren. Es gibt Ausreißer, aber ich denke, dass sich das im Wege der politischen Meinungsbildung in diesen Gemeinden nach und nach korrigieren wird.

Allen Grundschulen, den Kollegen und den Schulleitungen, können wir Dank dafür abstatten, dass sie zu Beginn dieses Schuljahres eine Umstellung der Stundenpläne so vorgenommen haben, dass das Ziel der verlässlichen Grundschule erreicht werden konnte.

(Abg. Nagel SPD: Ha, ha!)

Wir haben vonseiten des Landes das Unsere getan, um die Unkenrufe der Opposition, was die Lehrerversorgung angeht, nicht wahr werden zu lassen. Was haben wir uns von dort alles sagen lassen müssen, solange wir nur diskutiert, aber noch keine Erfahrungen mit der Erprobung gesammelt haben. Durch die Neueinstellungen, die wir in diesem Jahr tätigen konnten, und durch die Lehrerreserve von bis zu 660 Stellen haben wir es geschafft, dass wir aus allen Schulamtsbezirken zu Beginn des Schuljahres die Meldung bekamen: Wir haben alle Probleme der Unterrichtsversorgung in einem vernünftigen Maß in den Griff bekommen.

(Abg. Fischer SPD: Wo leben Sie denn?)

Ich denke, dass wir auch in den nächsten Monaten ganz zuversichtlich die weitere Entwicklung abwarten können. Lassen wir die SPD, lassen wir die Grünen von ihrer neuen Grundschule reden. Sie sind ja nicht einmal in der Lage, die dafür notwendigen Mittel bereitzustellen. Anträge in diesem Sinne liegen zumindest nicht vor.

(Abg. Wintruff SPD: Natürlich! In den Haushalts- beratungen!)

Wir haben das gemacht, was sinnvoll war, was notwendig war und was umsetzbar war. Wir haben es in Partnerschaft mit den Schulen, mit den Kommunen und den Familien getan. Nur so können solche Reformwerke wirklich Bestand haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

(Abg. Seimetz CDU: Jetzt gehts los! – Abg. König REP: Jetzt kommt etwas Neues auf den Tisch! – Abg. Rau CDU: Zum sechsten Mal das Gleiche!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das neue Schuljahr hat begonnen, und noch immer gibt es für die Eltern in Baden-Württemberg keinen Rechtsanspruch auf eine verlässliche Grundschulzeit von vier bzw. fünf Stunden. Noch immer ist Baden-Württemberg eindeutig Schlusslicht mit den erteilten Wochenstunden an den Grundschulen.

Es geht hier nicht um Schlechtreden, Herr Rau. Es geht um Tatsachen. Die Schavan’sche Verlässlichkeit ist nichts an

deres als eine Mogelpackung, bei der die Kommunen und die Eltern die Zeche zahlen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Rückert CDU)

Herr Rückert, Sie als Finanzer müssen das wissen: Es gibt keine einzige zusätzliche Stunde für die Grundschule.

(Abg. Rückert CDU: Ich weiß aber zu unterschei- den zwischen Unterrichts- und Betreuungsangebot, zwischen Zuständigkeit von Land und Zuständig- keit von Kommunen!)

Was wir haben, ist ein unübersehbarer Flickenteppich. Sie wollen das gerne Vielfalt nennen, obwohl Sie davon ansonsten nicht allzu viel halten. Aber Sie argumentieren ja immer so, wie es Ihnen in den Kram passt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Machen Sie das anders?)

Wir haben also einen unübersehbaren Flickenteppich von Unterricht und Betreuung – manchmal, das sage ich bewusst dazu, in Form von Aufbewahrung –, anstatt unseren Kindern von zum Beispiel 8 bis 12 Uhr für die ersten beiden Klassen oder von 8 bis 13 Uhr für die dritte und vierte Klasse einen Unterricht zu garantieren, und zwar durch das Land, und dies in Form eines rhythmisierten Konzepts.

Im Gegensatz zu Ihnen sagen wir: Unser grundlegender pädagogischer Gedanke für die Weiterentwicklung der Grundschule zu einer vollen Halbtagsgrundschule lautet: mehr Zeit für Kinder. Kinder und Lehrkräfte brauchen mehr Zeit miteinander, um die Grundlage für eine ganzheitliche schulische Bildung und Erziehung zu schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eltern und Kinder, meine Damen und Herren, brauchen zuverlässige, feste tägliche Schulzeiten. Eltern können dadurch die Anforderungen von Beruf und Erziehung besser miteinander verbinden.

Nehmen Sie sich doch einmal ein Beispiel an Bayern, an Rheinland-Pfalz oder an Niedersachsen. Diese Länder stellen alle mehr Stunden für ihre Grundschulen bereit als Baden-Württemberg. Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP/DVP, sparen an der falschen Ecke. Sie sparen an der bildungspolitischen Ecke, und dies ist falsch.

(Beifall bei der SPD)

Bei Ihrem Modell – das haben Sie gerade einräumen müssen – nehmen relativ wenig Kinder die Betreuungszeiten – es geht nicht um Unterricht – in Anspruch, weil zum Teil eben auch erhebliche Kosten für die Eltern entstehen. Wir sind, was diese Kritik angeht, mit der Vorsitzenden des Landeselternbeirats einig.

Bildung, Schule und Unterricht sind öffentliche Aufgaben. Das Land – nicht die Eltern und nicht die Kommunen – hat verlässliche Schulzeiten zu garantieren. Ich betone nochmals: Angesichts einer veränderten Familiensituation ist es aus pädagogischen und sozialen Gründen sogar geboten, allen Kindern bessere Lebens- und Lernchancen zu geben.

Ein der CDU angehörendes Mitglied des Schulausschusses verkündet, bei der verlässlichen Halbtagsgrundschule sei eine finanzielle Beteiligung der Eltern unerlässlich. Ich werfe Ihnen vor und sage Ihnen: Das ist nichts anderes als die Einführung des Schulgeldes durch die Hintertür.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns mit dem Städtetag, den Sie, meine Damen und Herren, ja zitiert haben, mit vielen Lehrerverbänden, der GEW, dem Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter und vielen anderen einig, dass der Fremdsprachenunterricht an den Grundschulen möglichst schnell und flächendeckend, und zwar ab der dritten Klasse, eingeführt werden muss – so, wie es im Übrigen einige Bundesländer bereits sehr erfolgreich praktizieren.

Die Beherrschung von Fremdsprachen ist in einem zusammenwachsenden Europa und in einer globalen Kommunikationsgesellschaft heute wichtiger denn je. Aber welcher Zynismus, wenn sich Frau Schavan innovativ geben will und dies auf dem Rücken von Kindern und Lehrkräften austrägt! Von Ihrer großspurigen Ankündigung zu Anfang dieser Legislaturperiode, wonach der Fremdsprachenunterricht an allen Grundschulen erteilt werden soll, ist außer einigen Modellversuchen wenig übrig geblieben, weil Sie lange Zeit geschlafen und sich jetzt konzeptionell verstiegen haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich zitiere gern den Städtetag – Herr Rau, hören Sie genau zu –, der unsere Kritik teilt. Der Städtetag äußert wörtlich:

Wir fordern, die flächendeckende Einführung dieses Unterrichts vorzuverlegen und diesen Unterricht dann sofort in allen Klassen anzubieten.

Handeln Sie endlich im Interesse der Kinder und der Eltern, und lassen Sie Ihre bildungspolitischen Luftballons platzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir werden heute dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zustimmen, auch wenn wir Grünen weiter gehende Vorstellungen haben. Unser erklärtes Ziel ist es, in Baden-Württemberg die volle Halbtagsgrundschule mit einer Öffnungszeit von fünf Zeitstunden für alle Grundschulkinder von Klasse 1 bis 4 einzuführen.

Wir brauchen diese volle Halbtagsgrundschule aus familienpolitischen Gründen, wir brauchen sie wegen der Veränderungen in der Kindheit. Wir brauchen die volle Halbtagsgrundschule vor allem auch aus pädagogischen Gründen. Wir brauchen die Grundschule als einen Lern- und Lebensort für alle Kinder, für soziales Lernen der Kinder, für die Förderung von Kindern mit Teilleistungsschwächen, mit sozialen Auffälligkeiten und Problemen. Wir

brauchen die Halbtagsgrundschule für die Gesundheitserziehung. Wir haben anhand einer Studie gerade wieder gehört, welche Defizite hier bei vielen Kindern bestehen. Wir brauchen die volle Halbtagsgrundschule für Kinder aus unterschiedlichen Herkunftsländern, die Probleme mit der deutschen Sprache haben, und wir brauchen sie auch, um Spiel und Bewegung stärker integrieren zu können.

Sie, Frau Ministerin, brüsten sich jetzt damit – um ein Beispiel zu nennen –, Sie hätten die Stunden für Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche verdreifacht. Aber Sie vergessen hinzuzufügen, dass dies um den Preis des Einsammelns der noch vorhandenen Förderstunden an der Grundschule erfolgt ist. Das heißt, diejenigen Kinder, die nicht das Glück haben, in eine solche zentrale Fördergruppe zu kommen, bleiben auf der Strecke. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von Chancengleichheit und Förderung aller Kinder an den Grundschulen in unserem Land.

Ich gebe Ihnen Recht, Herr Rau: Was den Bildungsplan betrifft, braucht man die Grundschule in Baden-Württemberg nicht neu zu erfinden. Aber wenn Sie an die Schulen gehen, wenn Sie mit Eltern, mit Lehrern und Lehrerinnen sprechen, werden Sie hören, dass in der Grundschule einfach mehr Zeit gebraucht wird. Wir haben nur diesen verdichteten Unterrichtszeitraum – Herr Zeller hat es schon gesagt – mit 20 Unterrichtsstunden à 45 Minuten in der ersten Klasse. Damit sind wir bundesweit Schlusslicht. Wir brauchen mehr Zeit für die Förderung, aber auch für einen pädagogisch ausgestalteten Unterrichtsvormittag.

Wenn ich unser Konzept, unsere Vorstellung von einer echten Halbtagsgrundschule mit Ihrer verlässlichen Grundschule vergleiche, dann ist letztere in der Tat ein Etikettenschwindel oder eine Mogelpackung. Mit Ihrem Konzept geben Sie lediglich dem stärksten Druck aus der Gesellschaft nach. Der Druck ist vorhanden. Ich erinnere Sie daran: Vor zwei Jahren haben selbst die katholischen Landfrauen die Einführung der Halbtagsgrundschule massiv eingefordert.

(Abg. Rückert CDU: Selbst? Was soll denn das heißen?)

Das wollte ich damals schon erklären; ich erkläre es Ihnen aber gerne heute. Dort herrscht tatsächlich noch die traditionelle Vorstellung vom Hort der Familie vor. Selbst diese Frauen fordern inzwischen die Einführung einer vollen Halbtagsgrundschule für alle Kinder.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Ihr Modell ist noch immer bedarfsorientiert.

(Abg. Rau CDU: Na klar! Natürlich ist es bedarfs- orientiert! Das Vernünftigste, was man machen kann!)

Im Übrigen, wenn man sich vor Ort informiert – zurzeit bin ich viel in den Regionen Baden-Württembergs unterwegs –, erfährt man, dass Eltern es nicht nachvollziehen können, wenn in einem Ort die Kernzeitenbetreuung 100 DM monatlich kostet, während sie an der Grundschule im Nachbarort 50 DM und in einer dritten Kommune überhaupt