Protokoll der Sitzung vom 04.10.2000

Im Übrigen, wenn man sich vor Ort informiert – zurzeit bin ich viel in den Regionen Baden-Württembergs unterwegs –, erfährt man, dass Eltern es nicht nachvollziehen können, wenn in einem Ort die Kernzeitenbetreuung 100 DM monatlich kostet, während sie an der Grundschule im Nachbarort 50 DM und in einer dritten Kommune überhaupt

nichts kostet. Das ist keine Vielfalt, sondern einfach ein Schlamassel, der auf dem Rücken der Eltern und Kinder in unserem Land ausgetragen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Sie sprechen von einem Erfolgsmodell. Ich kann Ihnen sagen, die Betreuung, die Sie anbieten, wird nicht gut angenommen, weil Eltern mit dieser Form der Betreuung etwas verbinden, was sie gezwungenermaßen in Anspruch nehmen müssen, aber nicht als pädagogisches Angebot wahrnehmen. Im letzten Schuljahr haben ein Drittel der Grundschulen Kernzeitenbetreuung angeboten. Jetzt sind es 70 % der Grundschulen.

(Abg. Rau CDU: Das ist doch super! Das ist mehr als verdoppelt!)

Sie müssen aber berücksichtigen, um wie viele Kinder es sich handelt. Während im letzten Schuljahr etwa 3,5 % der Grundschulkinder betreut wurden, hat sich inzwischen in vielen Regionen die Anzahl der Kinder verdoppelt. Wir werden nachfragen. Es wird sich herausstellen, dass maximal 7, 8 oder 9 % der Kinder tatsächlich betreut werden. Das heißt, das Angebot wird nicht angenommen.

Die Familien würden eine zuverlässige Halbtagsgrundschule begrüßen. Aber eine Betreuung, die Geld kostet und für die man das Kind extra anmelden muss, wird in BadenWürttemberg nicht in dieser Form angenommen. Deshalb hat auch der Landeselternbeirat Kritik geäußert. Frau Picker, die Vorsitzende des Landeselternbeirats, fordert im Rahmen dieses Modells zumindest einen Rechtsanspruch auf Betreuung. Sie fordert, dass das Unterrichtsvolumen ausgeweitet wird; sie spricht von mindestens zehn zusätzlichen Wochenstunden in der Grundschule.

(Abg. Haas CDU: Geldscheißer!)

Diejenigen, die etwas Positives über die verlässliche Grundschule sagen, äußern, es sei ein erster Schritt. Aber, meine Damen und Herren, die Gesellschaft und die Schulen haben sich so weit entwickelt, dass wir mit ersten Schritten nicht mehr leben können und leben wollen. Wir müssen jetzt das tun, was gesellschaftlich und was für die Familien und die Kinder erforderlich ist. Dazu müssen wir Prioritäten setzen.

Herr Rau, ich sage Ihnen: Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen die Mittel beantragt. Wir haben 70 Millionen DM für die Beschäftigung von Erzieherinnen und 2 000 zusätzliche Lehrerstellen beantragt.

(Zuruf des Abg. Haas CDU)

Für unsere Fraktion hat die Halbtagsgrundschule Priorität. Wir werden sie weiter einfordern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. König. – Verzeihung, Frau Abg. Berroth. Entschuldigung, Frau Berroth, Sie haben den Vortritt.

Das Wort hat Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit Beginn dieses Schuljahrs garantiert die Landesregierung eine verbindliche, feste Unterrichtszeit an unseren Grundschulen. Wer sagt, das sei keine Halbtagsschule, muss sich auch einmal fragen lassen, was bei uns ein halber Tag ist. Der Arbeitstag hat inzwischen meistens siebeneinhalb bis siebendreiviertel Stunden. Die Hälfte davon erreichen wir durchaus mit der festen Schulzeit ohne Betreuung.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Auch wieder wahr!)

Je mehr praktische Erfahrung wir mit diesem Modell gewinnen – und die Erfahrung nimmt von Tag zu Tag zu –, umso mehr zeigt sich auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich habe mich in meinem Wahlkreis einmal umgesehen: In allen 16 Gemeinden gibt es dort inzwischen auch ein solides, verlässliches Betreuungsangebot zusätzlich zu dieser festen Schulzeit.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Es gibt in allen Gemeinden – auch da, wo das Betreuungsangebot schon vorher vorhanden war – inzwischen mehr Gruppen; es sind mehr Kinder in diesen Gruppen. Das Ganze ist preiswerter geworden. Immer öfter gibt es auch Ferienbetreuung.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Die von Ihnen angesprochenen unterschiedlichen Kosten hängen zum Teil auch damit zusammen, dass qualitativ unterschiedliche Angebote gemacht werden. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass sich diese Kosten nivellieren werden, weil sich das anpasst. Es ist ja nicht so, dass sich die Leute nicht trauen, ihren Gemeinderäten auch einmal zu sagen, was sie von ihnen erwarten, und die Gemeinderäte hören in der Regel sehr gut zu, wenn Eltern etwas von ihnen verlangen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die Ferienbetreuung, die meistens über die Kindergärten läuft, sorgt dann dafür, dass nur noch dann, wenn Kindergartenferien sind, wirklich keine Betreuung angeboten wird. Frau Rastätter, das Angebot wird weit mehr angenommen, als Sie das hier dargestellt haben.

(Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen: Ich habe die Zahlen von vielen Regionen erho- ben!)

Aber Sie müssen die aktuellen Zahlen erheben, nicht die vor einem halben Jahr. Sie müssen jetzt fragen. Wir haben ja inzwischen manches verbessert.

Der Herr Zeller sieht das hartnäckig so, als ob das fürchterlich wäre.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Der sagt halt die Wahrheit, und die Wahrheit ist manchmal fürchter- lich, Frau Berroth!)

Sie mögen sich noch so winden: Fakt ist, dass die Antragsteller und offensichtlich auch die Grünen alle Grundschul

kinder für fünfeinhalb Stunden in der Schule behalten wollen. Natürlich kann da nicht nur Unterricht stattfinden. Sie wollen rhythmisieren.

(Abg. Zeller SPD: Zuhören!)

Aber genau das, meine Damen und Herren, die von Ihnen vorgesehene Vermengung von Betreuung und Unterricht, halte ich für pädagogisch nicht vorteilhaft. Wir wollen keine Weiterführung des Kindergartens mit anderen Mitteln.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Lachen bei der SPD – Abg. Wintruff SPD: Das ist doch dummes Zeug!)

Die Grundschule soll an eine neue Arbeitsweise heranführen, bei der man lernt, sich regelmäßig und zu festen Zeiten auf bestimmte Themen zu konzentrieren. Das ist wichtig für die spätere Schulzeit und auch für das spätere Arbeitsleben.

Ob die mehr spielerischen Phasen davor und danach unter öffentlicher Betreuung stattfinden sollen, müssen Eltern und Familien selbst entscheiden dürfen. Soziales Lernen, meine Damen und Herren, findet auch in der Kernzeit statt, und es ist da kein bisschen schlechter als in der Schule.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sagt doch auch niemand!)

Wann solche Betreuungsangebote sinnvoll sind, kann am besten in den Kommunen vor Ort festgelegt und beurteilt werden, weil das in jeder Gemeinde wieder anders ist. Dabei kommt es zum Beispiel auf Busverbindungen und alles Mögliche an.

Die SPD gebärdet sich als Weltmeister der Rechtsansprüche. Uns Liberalen ist immer wieder klar und deutlich: Rechtsansprüche sind das Teuerste, was es überhaupt gibt, und das wollen wir unserem Staat nicht zumuten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Klar ist andererseits auch: Wir werden dieses Konzept sukzessive weiter ausbauen müssen. Der erste Schritt ist die Aufnahme des Fremdsprachenunterrichts.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wo wollen Sie die Lehrer herkriegen?)

Eine weitere Stufe – damit werden wir uns in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen müssen – müssen Ganztagsangebote, und zwar für alle Schularten, in erreichbarer Nähe sein.

Ich möchte hier meinen Dank aussprechen, vor allem an die Schulen und an die Lehrer, die sich tatsächlich der Herausforderung in großer Breite gestellt haben, Schule etwas anders zu organisieren, als sie es bisher gewohnt waren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Das war wirklich eine Herausforde- rung!)

Ich bedanke mich auch bei den Eltern, vor allem bei denen, die sich in Elterninitiativen engagieren und die hierdurch

ein ganz anderes Miteinander von Schule und Elternschaft erleben, das mit Sicherheit prägend für die ganze Schulzeit der Kinder sein wird.

Mein Dank gilt ferner den Gemeinderäten, die in großer Zahl sehr vernünftige Lösungen beschlossen haben

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wenn das Land nicht fähig ist, müssen halt die Gemeinderäte ein- springen! Das ist doch klar!)

und denen ich zutraue, dass sie diese so weiterentwickeln, dass vielleicht in zwei Jahren sogar Sie von der Opposition zufrieden sind. Es wird für Sie schwierig werden, wenn Sie dann nichts mehr zu meckern haben.

(Zurufe von der SPD – Zuruf des Abg. Kiel FDP/ DVP)

Jawohl, den Gemeinderäten sitzen die Bürgermeister vor, Herr Kollege Kiel. Da haben Sie völlig Recht. Und wenn ein Bürgermeister eine solide Vorlage macht, kann sich der Gemeinderat richtig entscheiden. Deshalb der Dank auch in diese Richtung.