Protokoll der Sitzung vom 22.11.2000

Das Wort erteile ich Frau Abg. Bender.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erstens ist festzustellen, dass man über Lebensstile nicht abstimmen kann. Nicht ein Parlament hat zu entscheiden, ob Menschen heterosexuell oder homosexuell sind,

(Abg. Mühlbeyer CDU: Das war auch nicht die Frage!)

und Gott sei Dank sind die Versuche, die es ja bis vor wenigen Jahren noch gab, die Menschen in ihrem persönlichen Verhalten zu reglementieren – ich erinnere daran, dass männliche Homosexualität lange strafbar war –, jetzt zu den Akten gelegt worden. Das ist gut so.

Wenn es so ist, dass man über Lebensstile nicht beschließen kann, dann geht es nur um die Frage gesetzlicher Rahmenbedingungen. Inwieweit ist eine Demokratie bereit und hält sie es für angemessen, den unterschiedlichen Lebensstilen in dieser Gesellschaft Rechnung zu tragen? Inzwischen nimmt es ja eine Mehrheit der Menschen – das zeigt sich immer wieder an den Umfragen – nicht nur zähneknirschend hin, sondern hält es für völlig normal und akzeptabel, dass es lesbische und schwule Menschen gibt. Aber wenn wir die Gesetze anschauen, dann sehen wir, dass sie dem nicht Rechnung tragen; denn lesbische und schwule Paare werden behandelt wie Fremde.

Das, meine Damen und Herren, kann nicht richtig sein. Deswegen haben wir jetzt in Berlin mit der rot-grünen Mehrheit dieses Gesetz über die eingetragene Partnerschaft vorgelegt. Es soll lesbischen und schwulen Paaren möglich sein, das Füreinander-Einstehen und die Verantwortung, die sie füreinander übernehmen wollen, nicht nur nach außen zu dokumentieren, sondern auch mit Rechten zu verbinden,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und Pflichten!)

mit Rechten etwa im Krankenhaus, im Prozess, mit Rechten beispielsweise auch, wenn es um gemeinsames Vermögen und das Erben geht.

Meine Damen und Herren, es ist aber festzuhalten, dass damit niemand anderem etwas weggenommen wird. Wenn in der Diskussion gelegentlich das Argument auftaucht, man wisse ja nicht, ob dann nicht weniger Leute heirateten,

kann ich nur sagen, meine Damen und Herren: Welches Misstrauen gegen die Ehe muss man haben, wenn man solche Argumente ins Feld führt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf von der CDU: Nur Sie!)

Der Gesetzentwurf ist von einem solchen Misstrauen nicht getragen, sondern er schafft nach dem Vorbild der Ehe ein eigenes Rechtsinstitut für die Verbindung von zwei Menschen.

Jetzt werden – bei manchen sicher eher als Vorwand; aber einigen will ich glauben, dass sie das auch ernst meinen – gegen den Gesetzentwurf verfassungsrechtliche Argumente vorgebracht. Es sind in etwa zwei.

Die einen sagen: Hier entsteht eine neue Benachteiligung nicht ehelicher heterosexueller Lebensgemeinschaften; warum tut man nicht für alle etwas? Dazu muss man sagen, meine Damen und Herren: Dem steht der Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes entgegen. Eine Lösung wie in Frankreich mit dem Pacte civil kann es in Deutschland nicht geben, weil wir sonst in der Tat eine Art Ehe zweiter Klasse hätten, und das lässt unsere Verfassung nicht zu.

Das zweite Argument ist, hier werde der Schutz von Ehe und Familie beeinträchtigt. Dazu kann ich nur sagen: Das ist in keiner Weise der Fall. Niemand wird daran gehindert, zu heiraten oder eine Familie zu gründen. Keiner Ehe und erst recht keiner Familie wird etwas weggenommen. Deswegen ist Artikel 6 der Verfassung in keiner Weise beeinträchtigt.

Die Debatte hier im Parlament war ja bisher ruhig. Aber man wundert sich, meine Damen und Herren, doch über die etwas merkwürdige Leidenschaft, die bei Regierungsmitgliedern, zum Beispiel beim Justizminister dieses Landes, ausbricht, wenn es darum geht, das Projekt zu verhindern. Die Überschrift eines Interviews mit dem Justizminister des Landes vom letzten Samstag hieß: „Land will Gesetz zur Homoehe nicht umsetzen“. Herr Justizminister, meine Damen und Herren, da frage ich: Welches Rechtsverständnis und welches Verfassungsverständnis stecken eigentlich dahinter, wenn das Land meint, Baden-Württemberg zum bundesrechtsfreien Raum ausrufen zu können? Das kann ja wohl nicht sein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Selbstverständlich, Herr Justizminister, werden Sie ein Bundesgesetz umzusetzen haben. Man kann im Vermittlungsausschuss noch nach Kompromissen suchen – dagegen spricht überhaupt nichts –; aber was verabschiedet ist, wird auch in Baden-Württemberg gelten. Ich kann Ihnen nur sagen: Lassen Sie es nicht darauf ankommen, dass man für die Umsetzung erst das Bundesverfassungsgericht bemühen muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das überlassen Sie mal getrost uns! – Abg. Birzele SPD: Was ist aus der liberalen Partei geworden, aus der Rechtsstaatspartei!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ehe und Familie sind die tragenden Säulen unserer Gesellschaft und stehen deshalb zu Recht unter dem besonderen Schutz unseres Grundgesetzes. Ich glaube, ich muss nicht daran erinnern, dass die Institutionen Ehe und Familie immer wieder einmal totgesagt wurden. Denken Sie an die Achtundsechzigerzeiten zurück! Aber sie sind so erfolgreich, dass auch andersgeschlechtlich orientierte Paare offensichtlich genau diese Lebensform künftig wählen möchten.

(Abg. Brechtken SPD: Das ist doch ein Witz!)

Um im Übrigen auf die Frage einzugehen, ob die Neuregelung möglicherweise die Bereitschaft, Ehen zu schließen, mindert: Alle Umfragen unter jungen Menschen zeigen, dass sie sich in Priorität gegenüber allen anderen Dingen ein harmonisches Zusammenleben in der Familie wünschen. Ich denke, das sollten wir als Erstes zur Kenntnis nehmen.

(Abg. Brechtken SPD: Klasse!)

Zum Zweiten haben sich in der Realität durchaus neue Formen des Zusammenlebens und neue Verantwortungsgemeinschaften gebildet. Das müssen und wollen wir wahrnehmen. Es kann eigentlich um nichts anderes gehen als darum, die Diskriminierung und die Stigmatisierung solcher anderer Verantwortungsgemeinschaften zu beseitigen. Dazu stehen wir Liberalen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Lassen Sie mich abseits der Tagespolitik einmal sagen: Denken Sie daran, welche menschlichen Tragödien sich zu den Zeiten abgespielt haben, als genau diese Themen tabuisiert und stigmatisiert waren; da brauchen Sie nicht allzu weit zurückzublicken. Das ging hin bis zur Verfolgung durch die Nazis. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die FDP dieser neuen Realität Rechnung tragen möchte, dann brauchen Sie nur in die Bundestagsdrucksachen zu schauen. Da sehen Sie nämlich, dass die FDP-Bundestagsfraktion einen Entwurf genau zur Beseitigung von Diskriminierung solcher gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften eingebracht hat.

Bei aller Harmonie, bei aller Zustimmung im Grundsätzlichen meine ich, dass Sie zur Kenntnis nehmen sollten, dass man denjenigen, denen man helfen will, nicht hilft, wenn man versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und Dinge durchzupeitschen, die – wie es auch Ihr Verfassungsminister Schily sieht – offenkundig möglicherweise nicht verfassungskonform sind,

(Abg. Birzele SPD: „Offenkundig möglicherwei- se“! Sind sie nun offenkundig oder möglicherwei- se nicht verfassungskonform?)

weil wegen des besonderen Schutzes von Ehe und Familie eben ein deutlicher Abstand zur Ehe und Familie bestehen muss, dem übrigens unser Gesetzentwurf genau Rechnung trägt. Wenn Sie nicht versuchen würden, mit dem Kopf

durch die Wand zu gehen, dann würden Sie auch nicht solche Schlagzeilen provozieren wie die genannte, die der Justizminister im Übrigen nicht selbst formuliert hat. Wenn Sie das Interview lesen, stellen Sie nämlich fest, dass er seine Kritik eben nicht gegen die Beseitigung von Diskriminierung richtet. Wir stehen dazu, dass wir im Mietrecht, im Zeugnisverweigerungsrecht, bei der Fürsorgepflicht, beim Besuchsrecht im Krankheitsfall und, und, und, überall da, wo der Bundesgesetzgeber zwingend gefordert ist, in der Tat bundesgesetzliche Regelungen fordern, die aber deutlich unterhalb der Ehe angesetzt sind.

Im Übrigen hat eine Befragung unter den Betroffenen ergeben, dass sie eben nicht die totale Reglementierung, wie Sie sie planen, wünschen, sondern dass sie sich in ihren persönlichen, auch finanziellen Angelegenheiten durchaus Vertragsfreiheit wünschen.

Jetzt noch eine letzte Bemerkung an die Republikaner, weil ja nun immer wieder auf die Religionen Bezug genommen wurde.

(Abg. Deuschle REP: Stimmt doch wohl, oder?)

Da knüpfe ich einmal an an unsere Diskussion über die „Leitkultur“. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass nicht nur die christliche Kultur Grundlage unseres heutigen kulturellen Verständnisses ist, sondern auch die antike Kultur. Da darf ich einfach einmal diejenigen, die sich immer auf die christlich abendländische Kultur berufen, daran erinnern, dass es in den antiken Philosophenschulen durchaus unter dem zentralen Begriff des Eros eine völlig andere Wertung der Themen, die wir heute diskutieren, gegeben hat.

(Abg. König REP: Daran ist Griechenland auch zugrunde gegangen! – Abg. Brechtken SPD: Schlechtes Beispiel! Das hat mit Lebenspartner- schaft nichts zu tun, die Antike!)

Das kann man einfach nicht wegdiskutieren.

Wer also den Betroffenen, die die Verantwortung für ihr Leben auch nach außen dokumentieren wollen, wirklich helfen will

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Es geht nicht um Sozialpolitik, sondern um Gerech- tigkeit! Thema verfehlt!)

zur Sozialpolitik kommen wir im zweiten Teil –, der darf unseres Erachtens nicht versuchen, durch Tricksereien, die natürlich Rechtsstreitigkeiten vorprogrammieren, die Bedürfnisse der Betroffenen außer Acht zu lassen.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wir reden doch hier nicht über Behinderte!)

Abschließend, bevor wir nachher in der zweiten Runde zum Sozialversicherungsteil kommen, möchte ich Ihnen sagen: Überlegen Sie sich einmal das Szenario, wenn jetzt Lebenspartnerschaften geschlossen werden, aber das Bundesverfassungsgericht – und es wird angerufen werden, das wissen Sie genauso gut wie wir – dieses Gesetz letztendlich kassiert. Ich möchte einmal wissen, wie Sie darauf reagieren wollen.

Es wäre besser, im Vorfeld einen Konsens zu suchen. Wenn Sie zugehört haben, haben Sie gehört, dass Herr Mühlbeyer für die CDU ziemlich deutlich signalisiert hat, dass er mit dem Entwurf, den die FDP vorgelegt hat, durchaus leben könnte.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Da muss man auch den Konsens suchen! Aber was Ihr Minister macht, ist keine Konsenssuche!)

Dazu rufe ich auf: Nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen und nicht mit Tricksereien arbeiten, sondern in dieser wichtigen Frage wirklich den Konsens suchen, und zwar auf der Ebene, auf der eine verfassungskonforme Lösung möglich ist.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Sozialminister Dr. Repnik.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wa- rum spricht eigentlich der Sozialminister? – Ge- genruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Lesen Sie doch einmal das Thema!)

Lieber Herr Kollege, haben Sie eigentlich gelesen, wie dieser Punkt der Tagesordnung lautet? Lesen Sie einmal, wie er heißt!

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ich lese Ihnen die Tagesordnung vor! So weit kommts noch!)