Protokoll der Sitzung vom 22.11.2000

Ich will nicht noch einmal Herrn Schily zitieren, der nach Ihrer Meinung nichts von der Sache versteht. Ich will Ihnen nur sagen, dass Sie nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung vieler Experten hier mit dem Kopf gegen die Wand rennen, wie das schon gesagt wurde.

Wenn Sie die Sache ehrlich regeln wollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Warum übrigens eigentlich nicht? Nirgendwo im Grundgesetz steht, dass man die Verfassung nicht ändern kann. Es gibt nur wenige Teile der Verfassung, die man nicht ändern kann. Dann diskutieren wir meinetwegen doch darüber, wie man die Verfassung vernünftig ändert.

Aber ich sage Ihnen, dann würde ich es auch nicht so machen, wie Sie es vorschlagen, sondern dann würde ich deutlich sagen: Der Schutz knüpft an die Kinder an,

(Beifall bei der FDP/DVP)

egal, in welcher Lebensform, auch dann, wenn sie bei einem „Auswärtsspiel“ zustande gekommen sind.

(Abg. Mühlbeyer CDU: Ja ist denn schon Weih- nachten? – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das gibt auch drei Punkte!)

Der Schutz knüpft an die Kinder an, und man kann schon die Frage stellen, ob der Schutz der bloßen Partnerschaft nicht im heutigen Grundgesetz zu stark ausgebaut ist. Ich bin einverstanden, wenn Sie sagen: Wir verschieben die Grenze ein bisschen, nehmen den Schutz der Partnerschaft zurück und erhöhen den Schutz der Kinder.

(Abg. Bebber SPD: Sie wissen, dass es dann keine Mehrheit gibt!)

Das war übrigens an die Grünen gerichtet. Das war den Grünen früher einmal klar. Früher haben sie genau wie die FDP dafür plädiert, dass man vom bloßen Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting kommt. Das war ein vernünftiger Standpunkt. Heute machen sie etwas ganz anderes – das ist auch schon zur Sprache gekommen –: Sie entziehen im Grunde genommen den Kindern die Mittel, um sie den Erwachsenen zur Finanzierung ihrer Lebensentwürfe zu geben.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Das ist doch Unfug, was Sie da erzählen! Das wissen auch Sie!)

Das ist das, was mich eigentlich an diesem Entwurf stört. Er orientiert sich an der Erwachsenenwelt, er orientiert sich an den Bedürfnissen der Erwachsenen. Damit diese ihre Lebensentwürfe verwirklichen können, entzieht er den Kindern die Mittel. Das ist das paradoxe Ergebnis Ihres Vorschlags.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen)

Was die SPD anbelangt, habe ich, wie vorhin angedeutet, sowieso den Eindruck: Sie meinen es nicht sonderlich ernst. Das ist das Muskelspiel, von dem Sie reden: Sie gaukeln den Betroffenen vor, Sie hätten ganz mächtig etwas gemacht und ans Tor geschlagen. Sie wissen genau, dieses Ding läuft nicht. Das ist eine symbolische Politik von Ihnen.

Dass Sie aber dann all diejenigen kritisieren, die redlich versuchen, es richtig zu machen, wie die Kollegen von der FDP/DVP-, aber auch von der CDU-Fraktion, das werden

(Minister Dr. Ulrich Goll)

Ihnen die Leute draußen und gerade die Betroffenen hoffentlich nicht abnehmen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Justizminister, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Herrn Abg. Deuschle? Er hatte sich schon vorher gemeldet. – Bitte schön, Herr Deuschle.

Herr Minister, Sie haben auf den zentralen Kritikpunkt, das Eheabstandsgebot hingewiesen. Ich wollte Sie fragen, wann die Landesregierung eine Entscheidung bezüglich einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht trifft. Können Sie uns dazu schon etwas sagen?

(Zuruf des Abg. Birzele SPD)

Darauf, was man gegen ein Gesetz macht, sollte man sich dann einigen, wenn man das Gesetz hat. Diese Sache ist heute nicht spruchreif, weil gar kein Vorschlag auf dem Tisch liegt. Wir sind in der Debatte und im Ringen um einen vernünftigen Entwurf. Ob man dagegen vor Gericht zieht, würde ich vernünftigerweise erst dann entscheiden, wenn der Entwurf beschlossen ist.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die EU-Vorschläge zur Familienzusammenführung und ihre Auswirkungen auf das Land Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der CDU

Auch hier gelten die üblichen Redezeiten: 50 Minuten Gesamtredezeit ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Haasis.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 1999 haben sich mit dem Vertrag von Amsterdam die Mitgliedsstaaten der EU die Entwicklung einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik auf die Fahnen geschrieben. Sie wollten das künftig gemeinsam regeln – das halte ich auch für richtig –, weil erkannt wurde, dass dieser Bereich nicht mehr nur national geregelt werden kann, sondern dass es europaweite Regelungen geben muss. Das ist richtig, aber ich bin der Auffassung, dass das, was bis jetzt das Licht der Welt erblickt hat, vielleicht noch gut gemeint, auf jeden Fall aber schlecht gemacht ist.

Die Kommission hat nämlich als Erstes die Gesetzesinitiative für eine Richtlinie betreffend das Recht auf Familienzusammenführung entworfen. Sie wurde auch bereits in einer ersten Beratung mit dem Parlament besprochen, und sie hat insbesondere auch bei uns in der Bundesrepublik be

reits zu gravierenden Einwendungen geführt. Das Land Baden-Württemberg hat bereits am 9. Juni eine Bundesratsinitiative gestartet, weil wir die Tendenz der Ausweitung der Familienzusammenführung für falsch halten. Nach unserer Meinung ist der Kreis der nachzugsberechtigten Familienangehörigen viel zu weit gefasst.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb hat die Landesregierung – übrigens mit Unterstützung aller anderen Länder – im Bundesrat gefordert, die Bundesregierung solle eine qualifizierte mittelfristige Prognose abgeben, mit welcher Zuwanderung durch diese Richtlinie zu rechnen ist. Leider ist eine solche Prognose von der Bundesregierung bis heute nicht vorgelegt worden, obwohl diese Richtlinie bereits am 30. November bei der EU verabschiedet werden soll.

Bisher fehlt jegliche Äußerung, mit wie viel Zuwanderung durch den Nachzug von Familienangehörigen zu rechnen ist,

(Zuruf der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grü- nen)

und es ist auch nicht absehbar, aus welchen Generationen und vor allem mit welchen Qualifikationen Menschen aus Drittstaaten in die Bundesrepublik kommen werden – weil wir in der Bundesrepublik die höchste Quote an Ausländern aus Drittstaaten haben, werden wir natürlich am meisten davon betroffen sein – und insbesondere welche Folgen das für das Renten-, Sozial- und Steuersystem der Mitgliedsstaaten haben wird.

Wir sind für Familienzusammenführung. Die CDU hat das auch schon immer verfolgt, aber in dem Sinne, wie Familienzusammenführung seither gegolten hat: dass Eltern zu ihren Kindern und Kinder zu ihren Eltern kommen können. Das ist immer unter Familienzusammenführung verstanden worden. Das heißt, diese Familienzusammenführung hat sich auf die so genannte Kernfamilie beschränkt. Jetzt soll ausgeweitet werden, und zwar nicht nur auf die Ehepartner, sondern auch auf Lebenspartner bei unverheirateten Paaren. Der Begriff wird faktisch ausgehöhlt. Außerdem glaube ich, dass wir damit, dass wir Menschen aus allen Drittstaaten auf der Welt die Möglichkeit geben, als Partner in unverheirateten Lebensgemeinschaften einzureisen,

(Abg. Ingrid Blank CDU: Das muss man sich ein- mal vorstellen!)

dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Wie soll das nachgewiesen, wie soll das bewiesen werden?

(Abg. Ingrid Blank CDU: Ja!)

Neu ist auch, dass Verwandte in aufsteigender Linie nachziehen können. Das heißt, die Eltern und Großeltern derer, die seit einem Jahr hier leben, könnten in die Bundesrepublik oder andere Staaten der EU kommen. Wenn also ein hier lebender Ausländer nach einem Jahr seinen Ehegatten oder Lebenspartner nachziehen lässt, dann dürfen auch dessen Eltern und Großeltern einreisen. Das ist neu. Das hat es seither in keinem Land in dieser Form gegeben – und dies bereits nach einem Jahr Aufenthalt. Deswegen meinen wir, dass es völlig unkalkulierbar ist, wer kommt.

Nicht nur bei Ausländern, die zum Arbeiten in die Bundesrepublik kommen, sondern auch für Studenten soll dasselbe gelten – nach einem Jahr Aufenthalt!

Zum Dritten – das halten wir für besonders gravierend –: Der Kindernachzug soll bis zum 18. Lebensjahr möglich sein.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Ich sage nur: UNO-Kinderkonvention!)

Eine solche Änderung berücksichtigt überhaupt nicht, dass Kinder integriert werden sollen und wollen, wenn sie in ein fremdes Land kommen, und dass das immer schwieriger wird, wenn ein solcher Zuzug nach dem Ende der Schulpflicht oder gar nach dem Ende der Ausbildung erfolgt. Ich weiß auch gar nicht, was man dabei unter Familienzusammenführung versteht, wenn beispielsweise die Eltern in Deutschland oder im übrigen Europa sind und die Kinder im Kleinkind- oder Schulalter oder als junge Erwachsene, bis sie 16, 17, 18 Jahre alt sind, im fernen Ausland bleiben und die Familienzusammenführung mit den Eltern erst dann erfolgt, wenn sie 18 Jahre alt und volljährig sind. Eigentlich bedeutet Familienzusammenführung doch genau das Gegenteil, nämlich dass die Kleinkinder bei den Eltern sein können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb meinen wir, das maximale Lebensalter beim Zuzug von Kindern müsste von jetzt 16 Jahren heruntergesetzt werden, sodass die Kinder wirklich die Chance haben, in Deutschland – ich spreche vor allem von uns, aber es sind ja alle EU-Staaten betroffen – integriert zu werden, eine Schulbildung zu erwerben und die Sprache zu lernen.

Wir sind ein offenes Land. Wir sind ein tolerantes Land. Aber gerade deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die aus Drittländern außerhalb Europas zu uns kommen, die Chance haben, sich hier zu integrieren, sich entsprechend zu bilden und danach auch über eine Berufstätigkeit einzugliedern. Das wird mit diesen Richtlinien nicht erreicht. Genau das Gegenteil geschieht.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Das kann man nicht beweisen!)

Deshalb fordern wir die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen auf, auf die Bundesregierung und auf ihre Abgeordneten im EU-Parlament einzuwirken, damit sie gegen diese Richtlinie stimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Bebber SPD zur CDU: Jetzt tut doch nicht so, als ob ihr anderer Meinung wärt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Heiler.