Protokoll der Sitzung vom 16.10.2002

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Nur wenn beides gelingt – die Hilfe der Institutionen, Kindergärten und Schulen zur Sprachförderung und die Unterstützung der Eltern –, wird es tatsächlich Veränderungen geben.

Deshalb: Alle Fraktionen sind unmittelbar beteiligt, weil sie im Aufsichtsrat der Landesstiftung vertreten sind. Wir haben im September die Chance

(Abg. Schmid SPD: Im September?)

im November; wir haben schon Oktober –, gemeinsam einen Startschuss zu geben. Ich rate uns sehr, dieses Konzept dann vor allem auch gemeinsam mit den freien Trägern, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden Stück für Stück

auf den Weg zu bringen. Ich sage es noch einmal: nicht vorübergehend, nicht als Modellphase, sondern als wirklich integralen und dauerhaften Bestandteil der Begleitung und Förderung von Kindern, weil wir wissen, dass das der eigentliche Schlüssel für Bildung, für Integration ist, weil wir wissen, dass nicht vorhandene Sprachkompetenz zu Bildungsbenachteiligung führt. Wenn uns dies gelingt – davon bin ich überzeugt –, wird in der nächsten PISA-Studie nicht nur der Satz stehen, dass es in Baden-Württemberg die geringsten sozialen Ungleichheiten im Bildungswesen gibt, sondern auch der Satz, dass es innerhalb weniger Jahre gelungen ist,

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

diesen Schlüssel Sprache wirklich ernst zu nehmen und kein Kind mehr einzuschulen, keinem Kind mehr einen ersten Schultag zuzumuten, das nicht souverän mit der deutschen Sprache umgehen kann.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und Abgeordne- ten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

(Oh-Rufe bei der CDU – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schavan, ich habe sehr genau hingehört, was Sie gesagt haben, und muss nach dem, was Sie hier sehr lange ausgeführt haben, feststellen: Im Wesentlichen bleiben Sie bei Ihrer Flickschusterei in Sachen Sprachförderung, anstatt wirklich sinnvolle Konzepte umzusetzen. Auch die Frage von Herrn Käppeler haben Sie nicht beantwortet. Das ist typisch, weil Sie genau hier eine Schwachstelle haben.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, die unwiederbringliche Chance der ersten Lebensjahre zu erkennen und zu nutzen.

(Unruhe)

Deswegen sind Vorschuleinrichtungen nicht nur für Erziehung und Betreuung zuständig, sondern sie sind ein Teil des Bildungssystems, und Bildung ist ein entscheidender Faktor. Deshalb müssen wir auch das Verhältnis von Grundschule zu Kindergarten auf eine neue Grundlage stellen.

(Anhaltende Unruhe – Abg. Drexler SPD: Pst!)

Wir brauchen hier neue Übergangsformen. Selbstverständlich brauchen wir auch neue Qualifikationen für unsere Erzieherinnen.

Die frühkindliche Bildung, meine Damen und Herren, ist ein wirksamer Beitrag, um die Integration ausländischer Kinder frühzeitig zu fördern und ihnen bessere Startchancen zu geben.

Nun haben Sie, Frau Schavan, hier PISA zitiert. Ich will nochmals deutlich herausheben: Jedes fünfte Kind bei uns in Baden-Württemberg hat Schwierigkeiten im Bereich Lesen, erreicht nicht die Kompetenzstufe I, liegt also darunter.

Das heißt: Es geht nicht nur darum, ein paar wenige Kinder zu fördern, sondern es geht darum, jedes fünfte Kind in ein solches Förderkonzept mit einzubeziehen und ihm die Bildungschancen zu geben, die es braucht.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen, meine Damen und Herren, sagen wir: Unsere Kinder brauchen rechtzeitig, möglichst früh zielgerichtete Fördermaßnahmen. Natürlich ist es richtig, dass bereits in der Familie die Grundlagen gelegt werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Im Übrigen gehört dazu auch die Frage der Elternbildung. Natürlich ist es richtig, Herr Wacker, bereits beim Eintritt in den Kindergarten mit dieser Förderung zu beginnen. Es ist zu spät, damit erst dann zu beginnen, wenn die Kinder in die Schule kommen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Sie bauen bisher – das haben Sie im Grunde genommen gerade eben bestätigt – auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Wir halten dies für nicht ausreichend. Wir wollen deswegen früher ansetzen. Wir wollen die Kinder im fünften Lebensjahr einer verpflichtenden Sprachstandsdiagnose unterziehen. Das heißt: verpflichtend und nicht freiwillig. Wenn hier davon ausgegangen wird, dass 90 % der Kinder in den Kindergarten gehen, dann sind es genau jene restlichen 10 %, die diese Förderung dringend brauchen und die Sie bisher nicht erreichen.

(Beifall bei der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Zeller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wacker?

Bitte schön, Herr Wacker.

Herr Kollege Zeller, Sie fordern das verpflichtende Element der Sprachförderung. Wie erklären Sie sich aber die Tatsache, dass nachweislich kein einziges Bundesland in Deutschland einen solchen Schritt beabsichtigt?

(Abg. Drexler SPD: Ja und?)

Herr Wacker, Ihre beliebte Masche ist ja immer, auf andere zu schielen. Manchmal hinken Sie hinterher. Ich würde nur sagen: Schauen Sie vor allem einmal auf die Bundesländer, wenn es darum geht, die Kinder bis zum Alter von drei Jahren zu fördern. Das erwähnen Sie nämlich in der Regel nicht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Das ist richtig! – Zuruf: Ablenkungsversuch!)

Ich sage Ihnen: Wir sind hier in Baden-Württemberg. Ich werde überall, auch in anderen Bundesländern, gegenüber den dortigen Verantwortlichen meine Positionen, unsere Positionen, die Positionen, die wir für richtig halten, vertreten.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Deswegen, sage ich Ihnen, müssen wir früher darankommen, diese 10 % bzw. jedes fünfte Kind, wenn man von PISA ausgeht, zu erreichen. Das ist unser Ansatz. Und wenn die anderen Länder noch nicht so weit sind, dann sind wir hier halt einmal Spitze, dann gehen wir wirklich voran und warten nicht auf die anderen Bundesländer.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, Frau Schavan, schlagen wir Ihnen folgendes Konzept vor – und wir bitten Sie wirklich, dieses sehr ernsthaft zu prüfen und in die Richtung zu gehen –: Wir wollen, dass alle Kinder im fünften Lebensjahr eine Sprachstandsdiagnose bekommen. Ich sage hier bewusst dazu: Das ist keine Testeritis. Es geht hier nicht darum, nur zu testen, sondern die Diagnostik soll aufzeigen, welcher Förderbedarf notwendig ist, welche Förderung die Kinder brauchen, um dann entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Das ist bei jedem Kind natürlich anders. Deswegen müssen wir die Möglichkeiten, die wir haben, ausbauen, die Kooperation zwischen Grundschule und Kindergarten ausbauen und mit den Frühförderstellen, mit den Frühberatungsstellen zusammenarbeiten.

In der Tat haben wir keinen Ausbau zum Beispiel der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule, sondern eine Reduzierung. Überall, wo ich hinkomme, heißt es: „Wir würden gerne mehr machen, aber wir haben keine personellen Ressourcen zur Verfügung.“ Genau da müssen wir ansetzen, damit für diesen entscheidenden, wichtigen Bereich mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Schavan, es geht hier nicht um Schnellschüsse. Wer in der Schule steckt, wer schon jahrelang mit Kindern, die einen Förderbedarf haben, arbeitet, wer weiß, wie Schule von innen aussieht, der braucht nicht erst auf die Ergebnisse der PISA-Studie zu warten und braucht nicht erst interministerielle Kommissionen einzurichten, sondern der hat den Handlungsbedarf schon längst erkannt. Sie haben ihn noch nicht erkannt. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Sehr gut!)

Jetzt will ich noch ein Wort zur Finanzierung sagen. Wir haben Ihnen beim Kindergartenkonzept, bei der Stärkung der Elementarbildung dargestellt, dass wir zusätzlich 90 Millionen € pro Jahr zur Verfügung stellen wollen. Dies haben wir sauber, seriös finanziert. Sie haben hier den Vorschlag gemacht, über die Landesstiftung zu gehen. Bei diesem Thema frage ich mich natürlich schon wieder: Geht es hier eigentlich um Pflichtaufgaben oder um so genannte freiwillige Aufgaben? Selbst wenn es möglich wäre, frage ich mich – normalerweise laufen die Projekte über die Landesstiftung auf Zeit, das heißt, sie laufen nach drei Jahren aus –: Was machen Sie denn anschließend?

(Beifall bei der SPD)

Deshalb: Wenn Sie eine seriöse Finanzierung wollen, fordere ich Sie auf, dies über den Landeshaushalt zu finanzieren und die Mittel dafür bereitzustellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Schavan.

(Zuruf von der SPD: Schon wieder? – Abg. Schmie- del SPD: Jetzt kommt es zum Showdown!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Zahlen muss man jetzt schon noch einmal richtig stellen. Ganz banal: In Baden-Württemberg besuchen nicht 90 % der Kinder einen Kindergarten, sondern mehr als 95 %.