Wir werden im Übrigen zur Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe noch einen eigenen Gesetzentwurf einbringen. Ich hoffe, dass Sie, Herr Kleinmann, dieser Initiative auch zustimmen werden.
Natürlich – oder leider, muss man eher sagen – gibt es aber Situationen – das wissen wir –, in denen eine präventive, pädagogische Arbeit nicht mehr greift, nicht mehr nützt und es bei wiederholtem Fehlverhalten zu einem Schulausschluss kommen muss. Die Frage ist nun, wie wir mit diesen Fällen umgehen.
Frau Vossschulte, ich darf Sie korrigieren. Es ist so, dass wir in unserem Arbeitskreis nach der Vorlage Ihres Gesetzentwurfs sehr intensiv beraten haben. Sie haben unsere Anregungen und Änderungsvorschläge bekommen. Es sind Punkte, die wir unbedingt in einem solchen Gesetz haben wollen. Insofern schließen wir, die Bildungspolitiker, uns auch als Teil der Fraktion ein und fordern die entsprechenden Änderungen. Richtig ist, dass man möglichst zeitnah entscheiden soll. Das ist ein wichtiger Punkt; diesen tragen wir auch mit.
Es ist aber ein Widerspruch, wenn Sie einerseits sagen, dass Sie versuchen, dadurch Zeit zu gewinnen, indem Sie die Verantwortung und die Entscheidung möglichst allein auf den Schulleiter oder die Schulleiterin übertragen, andererseits aber die Schulleitung gleichzeitig das Votum der Klassenkonferenz einholen soll. Wenn Sie schon das Votum einholen, warum trauen Sie dann den Fachleuten, die in der Klassenkonferenz sind, nicht zu, dass sie auch über Ordnungsmaßnahmen entscheiden können? Dies ist doch ein Widerspruch. Deswegen wollen wir, dass der Schulleiter oder die Schulleiterin nicht alleine entscheidet, sondern dass die Entscheidung in der Verantwortung der Klassenkonferenz zu liegen hat; denn diese halten wir für kompetent. Letztendlich sind dort jene vertreten, die tagtäglich Erfahrungen in der Klasse sammeln.
Der zweite Punkt betrifft etwas, das wir gerade vor dem Hintergrund des Falles in Erfurt sehen müssen: Wir wollen auch – das ist im Entwurf nicht enthalten; vielleicht können Sie das noch aufnehmen –, dass Eltern erwachsener Kinder ebenfalls informiert und einbezogen werden, und zwar rechtzeitig, damit keine Entwicklungen stattfinden können, wie wir sie alle leider erleben mussten. Diesen Punkt wollen wir unbedingt aufnehmen.
Ich sage Ihnen nochmals: Wir werden zu allen drei Punkten, die ich gerade genannt habe – zu der Frage der Zuständigkeit der Klassenkonferenz, zu der Pflicht zur Information der Eltern erwachsener Kinder und zu einer stärkeren Beteiligung und Einbeziehung der Jugendhilfe in solche Verfahren –, entsprechende Änderungsanträge einbringen. Frau Vossschulte, ich bin gespannt, ob Sie dann unseren Anträgen zustimmen, damit wir dieses Gesetz gemeinsam verabschieden können.
Abg. Renate Rastätter GRÜNE Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich, bevor ich auf den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen eingehe, auch noch ganz kurz generell zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen ein paar Ausführungen mache.
Der Grundsatz, dass in der Erziehung Prävention Vorrang vor Strafen hat, hat an den meisten Schulen in Baden-Württemberg erfreulicherweise doch dazu geführt, dass besondere pädagogische Konzepte zum Abbau von Aggressionen, von Gewalt und von Regelverletzungen entwickelt und umgesetzt wurden. Aufgrund eines parlamentarischen Antrags der CDU-Fraktion zum Thema Gewaltprävention haben wir von der Landesregierung ja eine wunderbare Bestandsaufnahme über die betreffenden Maßnahmen erhalten. Wir alle haben festgestellt, in welch großem Umfang solche pädagogischen Konzepte greifen: Streitschlichterprogramme, Programm „Faustlos“, Vereinbarungen von Eltern und Schulen, Kooperation mit der Jugendhilfe, Einsatz von Schulsozialarbeit usw.
In Karlsruhe erlebe ich das Beispiel, dass die Rektoren aller fünf Hauptschulen an sozialen Brennpunkten bereits zusammenarbeiten und gemeinsam überlegen, wie sie den Erziehungsauftrag erfüllen können mit Blick auf Prävention.
Deshalb sage ich insbesondere zu Ihnen, Frau Kollegin Vossschulte: Konsequenz in der Erziehung beginnt nicht erst beim Unterrichtsausschluss und beim Schulausschluss, sondern Konsequenz in der Erziehung beginnt bei jedem kleinen Regelverstoß, beginnt damit, dass nicht weggesehen wird, sondern klare Grenzen gesetzt werden.
Hier muss sich ein Kollegium verständigen, welche Konsequenzen jeweils ergriffen werden. Diese Konsequenzen
müssen dann allerdings verbindlich sein, sie müssen für alle Beteiligten transparent sein, sie müssen einsichtig sein, das heißt auf ein großes Maß an Akzeptanz stoßen, und sie müssen zielgerichtet auf eine Änderung des Verhaltens der Schüler und Schülerinnen erfolgen.
Beispiel: Einem Hauptschüler, der in einer ganz schwierigen Lebenslage ist, der die Schule ständig schwänzt, wird überhaupt nicht geholfen werden, wenn man ihn jetzt auch noch aus dem Unterricht ausschließt. Ein solcher Vorschlag würde doch absolut ins Leere laufen. Dagegen kann dies bei einem Schüler am Gymnasium, der Angst hat, dass er mit Blick auf die Prüfung Probleme bekommt, als letztes Mittel möglicherweise sogar sinnvoll sein.
Nun möchte ich auch davor warnen, hier einen Popanz aufzubauen. Ich habe mit mehreren Schulen gesprochen. Ich selber war 21 Jahre lang an einer Schule tätig. In diesen 21 Jahren ist ein einziger Schüler von der Schule ausgeschlossen worden. Ich habe Rektoren in meiner Heimatstadt Karlsruhe befragt. Der Unterrichtsausschluss und der Schulausschluss sind eine Ausnahme. Die Rektoren von Hauptschulen in sozialen Brennpunkten haben mir bestätigt, dass sie zum Beispiel zu dem Mittel greifen, mit den Eltern eine Umschulung in eine andere Schule zu besprechen. Das heißt, wir brauchen doch nicht so zu tun, als ob in unseren Schulen in Baden-Württemberg Unterrichtsausschluss und Schulausschluss an der Tagesordnung wären
Nun zu den Regelungen in Ihrem Gesetzentwurf. Der Arbeitskreis in unserer Fraktion, der aus mir besteht,
(Heiterkeit – Abg. Wacker CDU: Oh, so groß ist der Kreis! Das ist ein Zirkel, kein Kreis, Frau Kollegin!)
meine Damen und Herren, und zwar im Wesentlichen aus einem Grund: Wir lehnen die Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse für schwerwiegende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen – nämlich zeitweiliger Unterrichtsausschluss, Androhung des Schulausschlusses und Schulausschluss – von der Klassenlehrerkonferenz auf den Schulleiter mit großer Entschiedenheit ab, Frau Vossschulte.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Christa Vossschulte CDU: Sie haben aber großes Vertrauen in die Schul- leiter, Frau Kollegin!)
Unsere Gründe dafür sind: Lehrer und Lehrerinnen kennen die betroffenen Schüler am besten. Sie haben im Vorfeld alle Erziehungsmaßnahmen mit dem betroffenen Schüler oder der betroffenen Schülerin eingeleitet. Sie können am besten beurteilen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen.
Im Übrigen möchte ich noch ein weiteres Wort dazu sagen. Wir müssen Lehrer und Lehrerinnen stärken. Da sind wir uns alle einig. Wenn wir aber Lehrer und Lehrerinnen in ihrer Kernkompetenz, da, wo sie in ihrer ureigenen pädagogischen Verantwortung Entscheidungen treffen sollen, schwächen, dann schwächen wir die Stellung der Lehrer und Lehrerinnen an der Schule, dann schwächen wir deren Ansehen, und das ist kontraproduktiv für eine Stärkung des Ansehens von Lehrern und Lehrerinnen in unseren Schulen und in der Gesellschaft.
Wir wollen Lehrer und Lehrerinnen stärken, wir wollen ihre Verantwortung stärken, und wir wollen damit dazu beitragen, dass die Schulen insgesamt in ihrer erzieherischen Leistung gestärkt werden.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte: Wenn Sie jetzt sagen, Frau Vossschulte und meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie wollten die Verfahren beschleunigen, dann passiert eines: Die Eltern – und das sind in der Regel auch die Eltern von Gymnasiasten – werden, wenn so etwas beabsichtigt ist, dann natürlich sofort den Wegfall der aufschiebenden Wirkung beklagen und vor Gericht ziehen. Damit werden die Gerichte noch früher eingeschaltet.
(Abg. Christa Vossschulte CDU: Ich denke, es gibt nur wenige Fälle! Dann spielt das doch auch keine Rolle mehr!)
Wer das will, wer noch mehr Rechtsstreitigkeiten vor Gericht haben will, der muss dies tun. Deshalb muss das noch einmal kritisch überprüft werden. Wir werden das auch im Schulausschuss eingehend noch einmal mit Ihnen diskutieren.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wir werden im Schulausschuss ernsthaft und gewissenhaft mit Ihnen über alle anderen Punkte dieses Gesetzentwurfs sprechen. Wir werden zum Beispiel der Einbeziehung der Jugendhilfe zustimmen, das ist doch klar. Wir werden gegebenenfalls Änderungsanträge einbringen.
Aber zum Schluss sage ich Ihnen noch eines: Erziehungsund Ordnungsmaßnahmen dürfen an den Schulen nur so ausgestaltet sein, dass kein junger Mensch ins Bodenlose
fällt. Unsere Gesellschaft kann nicht zulassen, dass wir auch nur einen einzigen jungen Menschen zurücklassen. Wir brauchen alle jungen Menschen in unserer Gesellschaft.