Protokoll der Sitzung vom 27.11.2003

Ich sage ja, heute kommen alle politischen Lager durcheinander. Aber die CDU kann immer noch Adenauer zitieren. Da spricht nichts dagegen.

(Abg. Blenke CDU: Zitieren ja, aber nicht deuten!)

Warum ist es ein Experiment? Ganz einfach deshalb, weil wir es – Herr Kollege Palmer hat es richtig herausgearbeitet

(Minister Müller)

mit zwei einander widersprechenden Elementen zu tun haben. Das eine verschärft das Problem, und das andere löst es vielleicht wieder. Die Verschärfung besteht darin, dass das Alter gesenkt wird. Dass die Alterssenkung kein Beitrag zur Verkehrssicherheit ist, ist mit Händen zu greifen. Das braucht man nicht weiter zu erläutern. Diese Verschärfung ist sicher. Aber ob die Begleitperson, die im Auto sitzt und auf den jungen Fahrer wie auch immer einwirkt – fragen Sie mich nicht, wie –,

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

das sichere zusätzliche Risiko auf null bringt oder gar zu mehr Sicherheit führt, ist in hohem Maße ungewiss. Deswegen sage ich: Das Risikopotenzial wird erhöht. Die Risikominderung ist in irgendeinem möglichen Umfang vorhanden oder auch nicht; sie ist jedenfalls ungewiss. Und somit habe ich es genau mit einer experimentellen Situation zu tun.

Hinzu kommen die praktischen Einwände. Ich sage Ihnen nur einmal die Erwägungen, die angestellt worden sind. Anforderungen an den Begleiter: Er soll 30 Jahre alt sein, er soll mindestens seit fünf Jahren den Führerschein Klasse B haben, er soll maximal drei Punkte im Verkehrszentralregister haben, und er soll an einem 90-minütigen Einführungskurs teilgenommen haben. Ich stelle mir den armen Polizeibeamten vor, der diese Anforderungen bei einer Anhaltekontrolle überprüfen soll. Wie das gehen soll, ist mir ehrlich gesagt nicht klar.

Im Übrigen ist die Neigung eines jungen Führerscheinbesitzers mit 17, die Begleitperson auch einmal wegzulassen, weil sie gerade nicht zur Verfügung steht, das heißt, eine Spitztour zu machen – man hat ja den Führerschein –, natürlich relativ groß. Das ist schon beinahe die Anstiftung zu einer Straftat, was man da ins Werk setzt.

Man muss natürlich auch fragen: Was macht eigentlich der Begleiter? Sitzt er nur daneben? Wirkt er allein durch seine Anwesenheit? Redet er mit dem Betreffenden? Gibt er Kommentare zum Fahrstil? Man weiß als Autofahrer, wie sehr man das liebt, wenn daneben einer sitzt und immer seinen Kommentar dazu gibt. Wie steht es mit dem Schadenersatz, wenn etwas passiert? Denn wir haben es mit einem unter 18 Jahren zu tun, der ja bekanntermaßen nur begrenzt haftet, während der Begleiter über 18 Jahre alt ist und es in irgendeiner Weise zu einer Schadensteilung kommen muss.

Es gibt eine Reihe von anderen Fragen, zum Beispiel die Frage: Was passiert im Falle eines Unfalls, wenn der Begleiter eine verwandte Person ist? Wie ist es mit dem Zeugnisverweigerungsrecht? Wie ist es mit der Promillegrenze bezüglich des Begleiters? Muss der genauso nüchtern sein wie der Fahrer? Wie ist es mit der Risikoteilung zwischen den zwei Personen?

Deswegen die Schlussfolgerung aus alledem: Wenn man etwas machen wollte – ich plädiere nicht dafür –, dann gäbe es nur eine logische Konsequenz, und die heißt: „Begleitetes Fahren“ mit 18, aber nicht mit 17. Es gibt keinen Grund, dieses angebliche zusätzliche Sicherheitspotenzial zu unterlaufen durch Absenken der Führerscheingrenze.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Ich bedanke mich. Das verwirrt mich nicht.

Meine Damen und Herren, wie sehr diese Argumentation zutreffend ist – da wende ich mich an die SPD-Fraktion –, mögen Sie daran sehen, dass ich soeben längere Passagen aus einer Pressemitteilung der Bundestagsfraktion der SPD von vor zwei Wochen zitiert habe. Diese Bedenken, die ich gerade vorgetragen habe, sind da erwähnt. Deswegen ist das Bundesverkehrsministerium skeptisch, deswegen ist die Bundestagsfraktion der SPD skeptisch, und deshalb geht es unter den Bundesländern kreuz und quer, was die Meinungen anbelangt.

Jetzt darf man aber nicht sagen, es sollte nichts geschehen. Es wird auch nicht nichts geschehen. Denn was wir aktiv betrieben haben und was seit Mai 2003 geltendes Recht ist, ist die Möglichkeit, bei einem jungen Führerscheininhaber mit Führerschein auf Probe die Probezeit zu verkürzen, wenn er freiwillig eine zweite Phase der Fahrausbildung vornimmt, das heißt entsprechende zusätzliche Kurse und Fortbildungsseminare absolviert. Das werden wir in BadenWürttemberg – wir haben das selbst mit betrieben – zusammen mit 13 anderen Bundesländern ab dem 1. Januar 2004 starten.

Es gibt noch weitere Maßnahmen, die wir im Interesse der Verbesserung der Sicherheit seit Jahren durchführen, zum Beispiel die Kampagne „Ohne Sprit fahr ich mit“ – mit „Sprit“ ist in diesem Fall Alkohol gemeint –, eine Kampagne, die wir vor allem an Berufsschulen durchführen – ich habe dort selbst schon öfter etwas gemacht –, die Arbeit der Landesverkehrswacht, die Förderung der Verkehrsübungsplätze des ADAC, die Benzinsparfahrkurse – wer Benzin sparend fährt, fährt in der Regel auch etwas weniger riskant –, die wir als einziges Bundesland subventionieren.

Kurz und knapp, meine Damen und Herren – ich kann es abschließen –: Verkehrssicherheitsfragen gerade bei jungen Leuten eignen sich nicht zur Profilierung, sie eignen sich nicht zu Experimenten, sie eignen sich auch nicht zu einem jugendpolitischen Populismus. Deswegen lehnt die Landesregierung diesen Vorstoß der SPD ab. Sie wird sich der Stimme enthalten. Sie wird, wenn es denn je zu einer Mehrheit im Bundesrat kommt, von der Möglichkeit, ein solches Experiment in Baden-Württemberg einzuführen, Abstand nehmen. Ich glaube, wir sollten das Thema relativ schnell wieder beenden.

Vielen Dank.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Herrn Abg. Palmer?

Ja.

Bitte schön, Herr Palmer.

Jetzt wird mir ein Ball zugespielt, schätze ich.

Herr Minister, sind Sie bereit, vor dem Hintergrund der Alternativen, die Sie zum begleiteten Fahren ab 17 genannt haben, auch zu erwägen, in Zukunft einen gewissen Anteil der Landesmittel zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs gezielt für Freizeitverkehre und für öffentlichen Nachtverkehr einzusetzen? Denn bisher liegt der Anteil der Mittel, die Sie für diese Zwecke einsetzen, in der Größenordnung von 0,1 % bei einem Kuchen von 700 Millionen € jährlich.

Ich könnte jetzt auch sagen: Der Anteil ist ein bisschen größer; er liegt bei ungefähr 350 Millionen €. Denn das, was wir für die Schülerbeförderung und nach § 45 a des Personenbeförderungsgesetzes für den Ausbildungsverkehr an Zuschüssen ausgeben, liegt genau in dieser Größenordnung.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Nachts fährt doch nichts!)

Was die sonstigen speziellen Maßnahmen wie beispielsweise Nachtbusse und Discofahrten anbelangt, so muss ich sagen: Das sind ja in der Regel „Busdinge“. Dafür liegt die Zuständigkeit bekanntlich bei den Stadt- und Landkreisen. Die einen machen es, die anderen machen es nicht. Sie verbinden es zum Teil mit Tickets unterschiedlicher Art. Das möge vor Ort entschieden werden. Wir betrachten das nicht als Aufgabe des Landes. Im SPNV stellt sich diese Frage so nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Göschel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns darüber einig – zumindest sollten wir uns einig sein –, dass sich dieses Thema nicht zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung eignet. Dazu ist die Gemengelage bundesweit viel zu bunt, als dass man das Thema eindeutig irgendeiner Partei zuordnen könnte.

Wir sind uns auch darüber einig, dass das Ziel sein muss, die Unfallhäufigkeit bei Fahranfängern zu reduzieren. Was umstritten ist, ist der Weg.

(Abg. Alfred Haas CDU: Begleitetes Fahren ab 18!)

Hier geht es um einen Modellversuch – ich wiederhole es –, um zu erproben, ob das begleitete Fahren ab 17 ein erfolgreicher Weg sein kann.

(Abg. Alfred Haas CDU: Begleitetes Fahren ab 18!)

Deswegen ab 17, weil jemand, der mit 18 den Führerschein hat, darauf gar nicht mehr angewiesen ist. Er darf allein und unbegrenzt fahren und muss sich nicht begleiten lassen. Dagegen ist es eine Motivation für junge Fahranfänger, mit 17 fahren zu dürfen, wenn sie begleitet werden. Dieses Begleiten hat durchaus positive Effekte, wie der entsprechende evaluierte Modellversuch in Österreich gezeigt hat.

Nun zu Ihnen, Frau Berroth: Der Führerschein ab 17 soll nach einer qualifizierten vollen Fahrausbildung erteilt werden. Wir wollen keineswegs den „Führerschein light“ für das begleitete Fahren. Wir wollen das voll verantwortliche Fahren, soweit dies möglich ist.

Jetzt komme ich zu den juristischen Bedenken, die hier als Erstes ins Feld geführt worden sind.

Interessant ist: Dieser Vorschlag kommt von Niedersachsen. Die Bundesratsinitiative wird von Niedersachsen und Bremen gemeinsam eingebracht.

(Abg. Fischer SPD: Wer regiert in Niedersachsen?)

In Niedersachsen ist es nicht die SPD, die dort die Landesregierung führt. Unterstützt wird die Initiative auch von der Staatsregierung in Bayern. Erst am Anfang dieser Woche hat das bayerische Kabinett beschlossen, dieser Bundesratsinitiative beizutreten

(Abg. Dr. Caroli SPD: Und da hat Herr Palmer Be- denken! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

und ihr zuzustimmen. Wie gesagt: Bei dem Thema besteht eine bunte Gemengelage, und es ist keineswegs parteipolitisch einseitig zuzuordnen.

Zu den Juristen will ich noch etwas sagen: Natürlich gibt es überall Probleme. Aber der Verkehrsgerichtstag in Goslar ist doch nicht mit juristisch heurigen Hasen besetzt. Das sind doch alles erfahrene Juristen, die sich etwas dabei gedacht haben. Auch die Projektgruppe, die das Ganze erarbeitet hat, hat die Sache rechtlich abgeklärt. Letztlich glaube ich nicht, dass in Baden-Württemberg alle alles viel besser wissen. Das Motto „Wir können alles. Außer Verkehrssicherheit“ wäre nicht der richtige Slogan für unser Land, und deswegen müssen wir eine Lösung finden, um diesem Problem beizukommen.

Ich meine, Herr Minister Müller, als zuständiger Fachminister ist es Ihre Aufgabe, zu einem gegebenen drängenden Problem eine Lösung zu finden, und nicht, zu einer möglichen Lösung sofort das Problem zu suchen. Deswegen sind wir der Auffassung, dass es dringend notwendig ist, dass sich Baden-Württemberg auch an einem solchen Modellvorhaben beteiligt, um selber beurteilen zu können, ob diese Maßnahme wirksam ist oder nicht. Das Risiko ist jedenfalls wesentlich geringer als die Chance, die darin liegt, durch begleitetes Fahren am Anfang der Fahrlaufbahn eines Führerscheinneulings zu mehr Verkehrssicherheit im Straßenverkehr zu kommen. Und dafür lohnt sich die Beteiligung an dem Modellvorhaben.

Ich kann zum Schluss nur noch einmal appellieren: Geben Sie grünes Licht für einen Modellversuch in Baden-Württemberg!

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Sehr gu- ter Vorschlag!)

Frau Abg. Berroth erhält das Wort für eine äußerst kurze Restredezeit.

(Abg. Schebesta CDU: Wie viel?)

0,05 Sekunden. – Ich muss nur klarstellen, weil ich mich offensichtlich missverständlich ausgedrückt habe: Ich will keine Laienausbildung, natürlich nicht; ich will auch keinen Führerschein mit 17. Ich könnte mir aber vorstellen, dass jemand zum Beispiel mit 17 ½ Jahren seine Prüfung macht, den ordentlichen Führerschein erst mit 18 bekommt,