Protokoll der Sitzung vom 27.11.2003

Herr Kollege Theurer, ist Ihnen bekannt, dass einerseits die Justizministerin für den Erhalt auch der kleinen Amtsgerichte gekämpft hat, andererseits der Herr Ministerpräsident vor einiger Zeit die These verkündet hat, ein Amtsgericht pro Landkreis reiche aus?

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Hat der nie verkündet! Wo?)

Erstens habe ich ein solches Zitat unseres Ministerpräsidenten nicht gehört und auch nicht gelesen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Noch nie gehört!)

Und zum Zweiten bin ich der Auffassung, dass wir nach Möglichkeit auch die Amtsgerichtsstandorte erhalten sollten. Dafür spricht sich die FDP/DVP-Fraktion aus, meine Damen und Herren, weil wir nicht sehen können, wo wir noch etwas einsparen können, wenn Baden-Württemberg bundesweit schon mit den wenigsten Richtern die kürzesten Verfahren hat. Wenn man Amtsgerichtsstandorte infrage stellt, muss man beweisen, dass man dadurch etwas einspart. Im Einzelfall kann das sein, aber darüber wird man noch sprechen müssen.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Meine Damen und Herren, im Großen und Ganzen ist die FDP/DVP-Fraktion dafür, eine bürgernahe Versorgung mit Amtsgerichten aufrechtzuerhalten.

(Abg. Drexler SPD: Hervorragend, dann braucht man keine Reform zu machen!)

Wenn man die Justizreform unter diesem Gesichtspunkt anschaut, dann, meine ich, hat die Justizministerin hervorragende Vorschläge gemacht, die auch bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen werden.

(Abg. Drexler SPD: Es ist absurd, staatliche Ge- walt zu privatisieren! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Das macht keinen Sinn!)

Mit der Privatisierung der Gerichtsvollzieher, meine Damen und Herren, würden wir eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen.

(Abg. Fischer SPD: Warum wollen Sie die?)

Wir erwarten auch im Sinne einer Föderalismusreform, dass die Bundesebene uns in Baden-Württemberg die Möglichkeit einräumt,

(Abg. Drexler SPD: Nein, das tun wir nicht!)

das hier auszuprobieren, die Justiz auf ihre Kernbereiche zurückzuschneiden. Wir wollen die Privatisierung der Gerichtsvollzieher. Wir wollen die Übertragung der Handelsund Genossenschaftsregister auf die Kammern.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch den Bereich der Gerichtshilfe und Bewährungshilfe in einem Modellversuch auf frei gemeinnützige Träger übertragen.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Richtig!)

Das sind gute Vorschläge.

Beim fünften großen Bereich, bei den Notariaten, sind sich die Fachpolitiker von FDP/DVP und CDU seit vielen Jahren einig, dass der Weg in Richtung freiberufliches Notariat gehen muss. Wir wissen, dass der Übergang vom beamteten Notariat in ein freiberufliches Notariat nicht ganz einfach, sondern schwierig ist, dass er vor allem mit fiskalpolitischen Problemen verbunden ist. Wenn man mit 25 zusätzlichen freiberuflichen Notariatsstellen im badischen Landesteil den Einstieg in ein freiberufliches Notariat in BadenWürttemberg macht, dann ist das ein erster großer Schritt auf dem Weg zum Ziel der Überführung in die Freiberuflichkeit, der Privatisierung der Notariate. Wichtig ist es, dieses Ziel im Auge zu behalten. In einer haushaltstechnisch so schwierigen Zeit ist es nicht ehrenrührig, wenn fiskalpolitische Argumente es verhindern, das in einem Schritt zu schaffen. Ich bin sicher, dass wir auch diesen Kernpunkt der Reform in den nächsten Jahren Schritt für Schritt realisieren werden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke des Präsiden- ten)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abg. Kretschmann?

Wenn ich noch Zeit habe, sie zu beantworten, mache ich das.

Bitte schön, Herr Abg. Kretschmann.

Herr Kollege Theurer, ein Mensch muss im Durchschnitt 0,8-mal in seinem Leben zum Amtsgericht. Inwiefern ist da die Bürgernähe in Bezug zur Entfernung so wichtig, da man bei uns bekanntlich nicht mit dem Esel zum Amtsgericht reiten muss, sondern mit dem Zug oder Auto dahin fahren kann?

Herr Kollege Kretschmann, Ihre Frage hat einen polemischen Unterton; das wissen Sie. Wir wissen, dass nicht die reine Entfernung zum Amtsgericht entscheidend ist, und wir wissen, dass die Zivilrichter und Strafrichter in den kleinen Amtsgerichten keine Überstunden kennen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wir wissen weiter, dass sie die örtlichen Verhältnisse kennen. Und bei der Rechtsfindung ist auch der Rechtsfrieden entscheidend. Wenn die Gerichte vor Ort sind, dann ist die Akzeptanz der Urteile wesentlich größer. Das lässt sich an

hand der Statistik beweisen. Deshalb spricht alles für diese dezentrale Struktur bei den Amtsgerichten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Sie wollen eine Reform, damit die Richter Überstunden machen!)

Das Wort erteile ich Frau Justizministerin Werwigk-Hertneck.

„Die Justizreform ist gescheitert.“

(Beifall der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Drexler SPD: Richtig!)

„Die Justizreform ist auf dem Abstellgleis.“ So berichteten die Zeitungen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete, heute stehe ich da und bin froh, dass die erfolgreich zusammenarbeitende Koalition es gestern geschafft hat, die Justizreform gut aufs Gleis zu setzen und

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das ist eine Mini- spur!)

an den Zug der Verwaltungsreform anzugliedern.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Von daher ist heute für mich ein Freudentag. Glückwünsche nehme ich gern entgegen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Unruhe – Abg. Carla Bregenzer SPD: Die Märklin-Bahn auf dem Abstellgleis!)

Ich weiß wohl, dass es viele gab, die dachten, die Justizreform werde nicht mehr zustande kommen. Aber sie ist ja auch schwierig. Es geht um schwierige rechtliche, justizielle Dinge – Landesgesetzgebung, Bundesgesetzgebung. Ich habe Verständnis für die vielen Unkenrufe, die man gehört hat.

Ich werde in Zukunft weiterhin nur solche Vorschläge machen können. Denn wir haben wegbrechende Steuereinnahmen zu verzeichnen. Wir müssen sehen, wie wir den Kernbereich der Justiz aufrechterhalten können. Mit unserem Koalitionspartner besteht Konsens darüber, dass die Justiz in unserem Land bereits Spitze ist, bereits so effizient arbeitet, dass sie sich im Bundesdurchschnitt sehen lassen kann, was zum Beispiel die Verfahrenslaufzeiten angeht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Kompromisse sind im täglichen politischen Geschäft etwas Normales, meine Damen und Herren, vor allem wenn man in einer Koalition zusammenarbeitet.

Auf eines möchte ich hinweisen: Ich habe von Anfang an gesagt: Diese liberale Justizreform – wir haben sie „liberale“ Justizreform genannt, nicht „große“ – zeigt einiges auf, unter anderem auch den Politikstil. Von Anfang an war klar, dass ich die Diskussion in einem offenen Prozess mit

unserem Koalitionspartner führe. Ich möchte für die vielen, vielen Gespräche, die wir geführt haben, danken. Ich möchte Herrn Dr. Reinhart und dem CDU-Arbeitskreis I danken. Wir haben teilweise bis über Mitternacht hinaus getagt.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Jawohl! Wir betreiben Sacharbeit! – Zurufe von der SPD)

Ich möchte Michael Theurer danken. Wir haben in der FDP/DVP stundenlang getagt.

(Unruhe)

Ich danke ausdrücklich auch der SPD-Fraktion und Herrn Stickelberger dafür, dass wir über die Justizreform heftig diskutiert haben. Die Grünen wiederum haben mich nicht eingeladen, aber dafür haben sie ja für heute diese Debatte beantragt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Reinhart CDU: Die Grünen sind immer ein bisschen hintendran! – Zurufe von der SPD)