Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

(Abg. Marianne Wonnay: Jetzt sind wir gespannt! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Der Tiger springt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kompliment an die Oppositionsfraktionen, insbesondere an Frau Lösch. Denn genau die Fragen, die Sie im Rahmen der heutigen Debatte an die Regierung gestellt haben, sind die Fragen, die auch wir stellen, gestellt haben und weiter stellen werden. Es ist also keineswegs illegitim, genau diese Themen zu diskutieren.

(Abg. Gall SPD: Sind Sie an der Regierung oder nicht?)

Sie wissen, es ist immer ein bisschen ein Problem – so sehe ich das jedenfalls –, wenn ich eine Reform mit Eckpunkten von ganz oben her beschließe und dann sage: Die Details regeln wir später.

In diesem Prozess befinden wir uns jetzt genau in der Phase der Detailregelung. Damit steht und fällt natürlich alles. Vom Prinzip her waren schon die Landeswohlfahrtsverbände – das ist zu Recht gesagt worden – natürlich kommunale Verbände, auch wenn sie Landeswohlfahrtsverbände hießen.

Frau Lösch, lesen Sie die Stellungnahme einmal genau. Das, was jetzt geplant ist, ist nichts anderes als das, was Sie fordern, nämlich eine Verschlankung und eine Fusionierung. Das heißt, wir werden künftig einen schlankeren kommunalen Sozialverband als Nachfolger der bisherigen klassischen Landeswohlfahrtsverbände haben. Im Grunde genommen geht es also genau in die richtige Richtung.

Die Frage ist nur: Wie schlank wird dieser kommunale Sozialverband sein, und welche Aufgaben sollen bei ihm verbleiben? Hier handelt es sich in der Tat um eine Organisationsreform, denn 98 % der Aufgaben sind gesetzlich definiert. Ob die Aufgaben nun der Landeswohlfahrtsverband

oder der Landkreis erfüllt: Ich gehe davon aus, dass sie sich an die Gesetze halten werden.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Aber alle Landräte sind da nicht mehr auf der sicheren Bahn!)

Zu glauben, man könne durch eine Organisationsreform auch dort eine Effizienzrendite von 20 % erreichen, ist wirklich eine Illusion. Darum geht es überhaupt nicht.

Wir wissen alle – da sind wir uns völlig einig –: Wir haben eine demographische Entwicklung, bei der Gott sei Dank heute auch Menschen mit Behinderungen älter werden können und mehr Möglichkeiten haben, am Leben teilzuhaben. Dadurch steigt auch ihre Zahl deutlich. Dies kann man an den Statistiken ablesen. Man hat also nicht irgendwelche Standards erhöht, sondern es gibt einfach mehr Menschen mit Behinderungen. Viele erleiden ihre Behinderung übrigens im Lauf ihres Lebens. Dies kann jeden von uns treffen. Dadurch ist diese Steigerung schlicht und einfach programmiert.

Umso wichtiger ist es – unabhängig davon, welche Ebene dies zu erledigen hat –, dass wir bei allen gesetzlichen Vorgaben dafür sorgen, dass die jeweils zuständige Ebene mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen wird. Wir sollten gemeinsam sagen – ich glaube, da herrscht auch Einigkeit –: Wir können angesichts der demographischen Entwicklung die kommunale Ebene – egal, ob sie gemeinsam mit dem Landeswohlfahrtsverband arbeitet oder ob es im Rahmen der einzelnen Kreise geschieht – nicht mit diesen Aufgaben alleine lassen. Da brauchen wir bundesgesetzliche Regelungen, die dies einheitlich regeln und die Gemeinden nicht im Regen stehen lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Kiefl CDU: Das ist überfällig!)

Daran ändert eine Organisationsreform überhaupt nichts.

Jetzt zur Frage eines Gutachtens: In der Tat haben wir die Bedenken des Gemeindetags sehr ernst genommen. Der Fraktionsvorsitzende hat gemeinsam mit mir dazu einen Brief geschrieben. Wir haben uns schon sehr intensiv damit befasst, ob uns ein solches Gutachten mehr Erkenntnisse bringen könnte.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber?)

Wir mussten uns davon überzeugen lassen – Kollege Haas hat es gerade auch gesagt –, dass sich sehr, sehr vieles im spekulativen Bereich bewegen würde, was Synergien betrifft.

(Lachen der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Dann muss man sich natürlich fragen: Wer hätte dieses Gutachten machen sollen? Die Gemeindeprüfungsanstalt? Die drei kommunalen Landesverbände hätten das gemeinsam machen können. Da hätte das Land überhaupt nichts tun müssen. Da muss man sich schon fragen, warum zwei kommunale Landesverbände es nicht haben wollten. Daraus kann man dann seine eigenen Schlüsse ziehen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das tun wir!)

Nachdem dies nicht für sinnvoll erachtet worden ist und auch plausibel dargelegt worden ist, dass ein Gutachten möglicherweise nicht die Erkenntnisse brächte, die man sich davon verspricht,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Sehr vorsichtig for- muliert!)

legen wir umso größeren Wert darauf, dass wir künftig in den Beratungen ein Instrument finden – das gilt übrigens für die gesamte Verwaltungsreform –, mit dem wir die Frage beantworten können, ob durch die geplante Organisationsreform die Kosten der Verwaltung dieser Aufgaben steigen, gleich bleiben oder gar sinken, wie es prognostiziert ist.

Nach der Vorlage zu diesem kommunalen Sozialverband haben die Landkreise und die Städte, wenn sie erkennen sollten, dass es tatsächlich unwirtschaftlich wird, selbstverständlich immer noch die Möglichkeit, Aufgaben wieder an den kommunalen Sozialverband zu übertragen.

Wichtig ist uns also, dass wir eine Art Controlling einführen, damit nachher nicht genau das passiert, was der Gemeindetag befürchtet hat: dass Mehrkosten, die aufgrund von unwirtschaftlicher Leistungserbringung anfallen, zulasten der Kommunen gehen.

Das nächste Thema ist – dies nehmen wir sehr ernst –, dass behinderte Menschen Angst haben, dass sich, je nachdem, in welchem Landkreis sie wohnen, ein unterschiedlicher Zugang zu den gesetzlich verbrieften Hilfegewährungen entwickeln könnte. Hier Einheitlichkeit sicherzustellen wird meiner Meinung nach eine Aufgabe sein. Das werden wir bei den Gesetzesberatungen im Detail weiter zu diskutieren haben. Da wird es eine Art Selbstverpflichtung der Landkreise geben müssen. Noch einmal: Diese Anrechte der behinderten Menschen sind gesetzlich verbrieft. Da wird man sich meiner Meinung nach zum Beispiel so etwas wie eine Clearing- oder Schiedsstelle vorstellen können. Denn Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Da haben wir leidvolle Erfahrungen mit anderen Bereichen, wo man manchmal ganz großzügig sagt: Die werden das schon machen. Ich meine, wir werden es schaffen, da ein Sicherheitsnetz einzuziehen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Alles ein bisschen nebulös, Herr Kollege!)

Da wird vieles noch zu diskutieren sein; das ist überhaupt keine Frage, Herr Kretschmann. Nur: Schon jetzt im Vorfeld zu sagen, das werde alles furchtbar schlecht sein und zulasten der behinderten Menschen gehen, halte ich für unverantwortlich. Es geht jetzt darum, die entsprechenden Sicherheitsnetze wirklich einzuziehen, damit wir genau das erreichen:

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

weiterhin wirtschaftliche Leistungserbringung bei Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch für Menschen mit Behinderung in unserem Land, damit keinem sozusagen nach Kassenlage sein gesetzlicher Anspruch verweigert wird.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dafür bereiten Sie damit gerade den Boden vor!)

Das wird unsere gemeinsame Aufgabe sein. Wir haben noch ein bisschen Zeit dafür, das im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam zu beraten und zu beschließen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Sozialminister Dr. Repnik.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte ich gerne – Ladies first – Frau Altpeter den Vortritt gelassen.

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wir reden gern nach Ihnen! – Abg. Birzele SPD: Er hätte gern das letzte Wort gehabt!)

Ich bin gern bereit, Ihnen ein paar Stichworte zu liefern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden über die Veränderungen bei den Landeswohlfahrtsverbänden. Die Landeswohlfahrtsverbände sind – um das einmal ganz klar zu sagen – kommunale Verbände, denen unter anderem die Eingliederungshilfe obliegt. Das heißt: Wir machen nichts anderes, als dass wir mit den kommunalen Landesverbänden, die heute schon diese Aufgabe haben, versuchen, effizientere, effektivere und bürgernahe Verwaltungen aufzubauen. Wir zerschlagen nichts, wir schieben nichts vor uns her, wir verändern nichts.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: „Wir verändern nichts“! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Moment! Wir verändern nicht die Aufgaben.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die Zuständigkeit!)

Wir verändern die Zuständigkeit. Wir legen fest, wo die Aufgaben geregelt werden sollen: in einem übergeordneten Verband oder vor Ort. Wir glauben, dass es vor Ort günstiger, bürgernäher und vor allem auch effizienter ist. Die Kommunen machen es heute schon.

Deswegen ist die Frage nach der Fusion, Frau Lösch, im Prinzip Schnee von gestern. Seit 1998 reden wir mit den beiden Verbänden darüber,

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

ich in meiner Funktion als Minister schon zum wiederholten Mal. Die Fusion ist gescheitert. Die Verbände wollten es nicht, Württemberg nicht und hauptsächlich Baden nicht. Jetzt, als wir gesagt haben, dass wir eine Aufgabenverlagerung vornehmen würden, kamen die Verbände und haben gesagt, sie könnten doch fusionieren, weil man dadurch die Synergieeffekte erreichen könnte, die wir uns gerade davon auch versprechen.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir mit den kommunalen Landesverbänden – Städtetag, Landkreistag, Gemeindetag – und den Landeswohlfahrtsverbänden eingehend erörtert, wie so etwas aussehen könnte, und haben gemeinsam das vorliegende Konsensmodell entwickelt, das von allen – von allen; auch vom Gemeindetag, auch von den Wohlfahrtsverbänden – mitgetragen wird.

(Minister Dr. Repnik)

Details sind in der Stellungnahme zu dem Antrag der Grünen im Einzelnen dargelegt. Ich gehe nur auf einige Einzelheiten ein.

Wir gehen von Folgendem aus: Die Landesverbände werden aufgelöst. Ihre Aufgaben werden grundsätzlich in die Stadt- und Landkreise eingegliedert, wenn das möglich ist. Ein neuer überörtlicher Träger – der Sozialverband – erledigt bundesrechtlich vorgeschriebene Aufgaben. Der überörtliche Verbund ist kommunal organisiert. Der neue kommunale Verband erhält neben den bundesrechtlichen Aufgaben weitere Aufgaben, übergeordnete Aufgaben, die dort effizienter erledigt werden können. Das sind vorwiegend überörtliche Planungs- und Beratungsaufgaben. Aber die Zuständigkeit für die Eingliederungshilfen für behinderte Menschen – diese verursachen den Löwenanteil der Kosten – wird im Grundsatz auf die örtliche Ebene verlagert.

(Abg. Zeller SPD: Genau das ist das Problem!)