Protokoll der Sitzung vom 01.07.2004

(Abg. Drexler SPD: Wir haben die Privatisierung beantragt! Die FDP/DVP war dagegen!)

Können das nicht Private besser machen?

(Abg. Drexler SPD: Die FDP/DVP war dagegen!)

Das wären Möglichkeiten, bei denen wir sagen: Privatisierung, ja bitte.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Fischer SPD: Wo es um Geld geht! – Abg. Drexler SPD: Wir haben einen Antrag gestellt! Die FDP/DVP war dagegen!)

Es gibt andere Bereiche, bei denen man nicht privatisieren kann – in der Stellungnahme zu dem Antrag sind viele hoheitliche Aufgaben genannt, die nicht privatisiert werden können –, bei denen aber gespart werden kann, indem man etwas organisiert. Ich möchte als ein Beispiel das Messund Eichwesen in Hessen nennen. Dieses ist dort anders strukturiert, und zwar in öffentlicher Trägerschaft, und braucht unter dem Strich keinen Zuschuss. Das wäre auch ein Weg, den man gehen könnte, um den Haushalt zu sanieren.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Hofer FDP/ DVP)

Das heißt unter dem Strich: Wir müssen jeweils sehr detailliert prüfen, ob eine Privatisierung richtig ist oder ob man darauf verzichten soll.

(Beifall der Abg. Boris Palmer GRÜNE und Hofer FDP/DVP)

Die Stellungnahme des Innenministeriums bietet ja vielfältige Hinweise, was alles bei dieser Entscheidung beachtet werden muss.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Richtig!)

Lassen Sie mich abschließend noch einen Gedanken äußern: Wir Grünen sind klar dagegen, beim Privatisieren die Rosinen herauszupicken.

(Beifall der Abg. Boris Palmer GRÜNE und Hofer FDP/DVP)

Das kann nicht angehen. Als ein Beispiel möchte ich das Handelsregister nennen. Das Führen des Handelregisters ließe sich privatisieren. Aber es gibt beim Handelsregister auch verfahrensrechtliche Aufgaben, die geklärt werden müssen und die bei der Justiz bleiben müssen. Diese beiden Bereiche sind so verschränkt, dass eine Privatisierung keinen Sinn macht.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sie waren bisher so gut!)

Eine Privatisierung würde erstens dazu führen, dass dem Land Einnahmen verloren gingen. Zum Zweiten würde im öffentlichen Bereich doppelte Arbeit entstehen, und die Aufgabe würde komplexer. Daher lehnen wir hier eine Privatisierung ab.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Sehr richtig! – Abg. Wieser CDU: Wir wollen jetzt den Schäuble hören!)

Weil mein Kollege Boris Palmer vorhin das Stichwort Rothaus-Brauerei ansprach, lassen Sie mich auch dazu noch kurz Stellung nehmen: Zumindest für mich persönlich kommt eine Privatisierung von Rothaus nicht infrage.

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD – Abg. Sieber CDU: Sehr gut!)

Es ist ein ertragreiches Unternehmen. Zweitens ist die Rothaus-Brauerei ein wichtiger Arbeitgeber im ländlichen Raum, der eine wichtige strukturpolitische Aufgabe erfüllt. Das ist gut für unser Land, und wir sollten dafür sorgen, dass dies so bleibt.

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD – Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Zu- stimmung! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Da haben Sie doch meine volle Unterstützung!)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Dr. Schäuble.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD – Abg. Drexler SPD: Wir klat- schen erst nach der Rede! Erst nach der Rede! Also gut, klatschen wir ein bisschen mit! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Vorschuss!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem Thema Privatisierung denke ich zunächst einmal daran, wie sich hier die Diskussion in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Ich habe jetzt über 20 Jahre – früher als Oberbürgermeister, später als Minister und Abgeordneter – hauptamtlich in der Politik gearbeitet. Ich kann mich noch gut erinnern: Mitte der Achtzigerjahre gab es im Bereich der Kommunalverwaltung schon große Diskussionen, wenn man etwa das Reinigungsgeschäft privatisieren wollte.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Die Diskussion hierüber hat sich mit immer größerer Rasanz und Dynamik weiterentwickelt.

Manchmal – und das ist, Herr Kollege Junginger, nicht als Alibi gedacht – scheint mir, man muss schon wieder aufpassen, dass man die Kirche noch im Dorf lässt.

(Abg. Junginger SPD: Gut! – Abg. Stickelberger SPD: Richtig!)

Ich sehe vor allem zwei Faktoren, die diesen ungeheuren Schub in der Diskussion zur Privatisierung hervorgebracht haben. Das eine sind die bekannten finanziellen Zwänge und die damit verbundene Erwartungshaltung, was alles möglicherweise durch eine Privatisierung erreichbar sein könnte. Das andere ist natürlich das immer stärker spürbar gewordene Wirken der EU, der EU-Kommission mit dem außerordentlich scharfen Gedanken des Wettbewerbs auf allen Gebieten, das ja durchaus auch für uns in Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg manchmal mit mehr als einem Fragezeichen zu versehen ist. Dabei denke ich etwa an die Rolle der Sparkassen und an die Einflussnahme oder den Versuch der Einflussnahme seitens der EU. Die Sparkassen sind ja – damals im 19. Jahrhundert hat man es noch anders bezeichnet – letztendlich auch als ein Element der kommunalen Daseinsvorsorge geschaffen worden. Ich unterstütze dies schon und glaube auch, dass wir uns dieser Diskussion nicht entziehen können – das tun wir ja alle auch nicht – und dass noch Veränderungen auf uns zukommen werden, die wir uns früher nicht vorstellen konnten und die wir uns vielleicht auch heute noch gar nicht vorstellen können.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Aber es wird auch da darum gehen, dass man wie immer im Leben den goldenen Mittelweg findet. Deshalb ist es auch unerlässlich, diese Diskussion bei uns zu führen.

Ich will heute davon Abstand nehmen – ich glaube, das ist auch nicht das, was Sie von mir erwarten –, wieder buchhalterisch aufzulisten, wo sich die Landesregierung schon bemüht hat und was wir gemacht haben. Ich möchte mich wirklich auf einige wenige Hinweise beschränken. Wir haben ja auch – übrigens zum Teil jedenfalls auch auf Druck der beiden Fraktionen, die die Regierung unterstützen – im Rahmen der Verwaltungsreform noch einmal den Privatisierungsgedanken verstärkt. Ich erinnere an die lange Diskussion über die Frage, wie wir den Anteil der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure erhöhen können. Das hat sich ja letztlich auch im Gesetzentwurf bemerkbar gemacht.

Wir steuern als übernächste Lösung noch immer eine Privatisierung des Landesgewerbeamts an, und im Rahmen des Teils der Verwaltungsreform, der die Justiz betrifft, sind als Ziel ja auch Elemente aufgenommen worden – ich komme auf das eingangs Gesagte zurück –, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wären.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Ich habe heute Mittag – das ist Zufall – an einer Diskussion über das Thema teilgenommen, inwieweit sich zum Beispiel auch Kommunen, um eine bessere Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Forderungen erreichen zu können, der Dienste von Inkassounternehmen bedienen können. Rechtlich gibt es viele, viele Fragezeichen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: UVG!)

(Minister Dr. Schäuble)

Aber wenn ich zum Beispiel sehe, wie unbefriedigend es für das Allgemeinwohl, für den Steuerzahler ist, dass so wenig Unterhaltsvorschüsse wieder zurückgeholt werden können,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

bin ich überzeugt, dass wir hier auch noch Diskussionen ausgesetzt werden, die man sich – ich wiederhole mich – vor nicht allzu langer Zeit noch gar nicht hätte vorstellen können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Wenn man etwas erreichen will, dann ist es nach meiner Erfahrung sehr hilfreich, wenn man sich ein bestimmtes Gebiet vornimmt, das auch gewisse Flaggschiffeigenschaften hat, und dort etwas erreicht. Ich sage zum Beispiel übrigens auch an unsere, an meine Adresse, zum Uraltthema Entbürokratisierung, bei dem wir ja – aber nicht nur wir hier in Baden-Württemberg, sondern überall – auf der Stelle treten: Wenn es gelänge, dass wenigstens einmal das Steuerrecht – ich rede jetzt nicht über das Absenken der Steuersätze – nicht mehr so kompliziert wäre, dann wäre dies auch ein Durchbruch, weil man dann bei vielen anderen Rechtsgebieten an die Adresse der dort Verantwortlichen sagen könnte: Die haben es ja auch geschafft; warum dann nicht ihr? Aber auch da bekommt man ja, wenn man die Diskussion verfolgt, wieder Sorge, ob am Schluss nicht der berüchtigte Berg nur das kleine Mäuslein gebiert.

Ein ähnliches Flaggschiff bei der Privatisierungsdiskussion könnte jetzt sein, was Herr Kollege Junginger vorhin noch einmal nachgefragt hat: Es wäre aufgrund der symbolhaften Bedeutung schon hochinteressant, wenn es zum Beispiel gelänge, im Zulassungswesen bei Kraftfahrzeugen Private – sprich die Händler; dann kann man ja sortieren, wem man es anvertraut und wem nicht, und jeder wird sich bemühen, dann bei den Guten zu sein, weil es anderenfalls für ihn auch geschäftlich sehr schlecht wäre – zuzulassen und in diesem Bereich einen Durchbruch zu erreichen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das haben wir ja auch im Innenausschuss diskutiert, und deshalb wiederhole ich das dort Gesagte: Die Bereitschaft hierfür wäre wohl vorhanden. Aber noch ist auf der BundLänder-Ebene nicht ersichtlich, dass die bundesrechtlichen Änderungen, die man dazu bräuchte, geschaffen werden. Es wäre aber wichtig, in irgendeinem Bereich einmal einen richtig dicken Punkt zu setzen, damit dies Vorbildwirkung für andere Bereiche erzielt.

Wenn ich noch einmal auf das Thema Aufgabenabbau kommen darf, mit dem Sie mich in den letzten Wochen auch in den Ausschusssitzungen immer wieder etwas herausgefordert haben: Ich sage auch heute als Schlusspunkt, dass ich mir natürlich gewünscht hätte, dass wir insgesamt mehr erreichen. Aber auch das ist nichts Neues. Wir haben in Baden-Württemberg alles im Blick, auch das, was im gesamten Bundesgebiet geschieht. Es ist auch richtig, dass man voneinander lernen will. Es ist aber überall das Gleiche: Man kommt da noch nicht richtig voran.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Seltenreich?

Ja, gerne, aber ich möchte meinen Satz noch beenden.

Ich bin davon überzeugt – ohne die Diskussion, die wir gestern sehr lange geführt haben, noch einmal aufwärmen zu wollen –, dass es in der öffentlichen Verwaltung ohne einen massiven Sparzwang nicht zu einem Aufgabenabbau kommen wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es! – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)