Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

Kein anderes Bundesland, meine Damen und Herren, exportiert so viele Waren ins europäische Ausland wie BadenWürttemberg. Im Jahr 2003 gingen von unseren Exporten 70,25 % ins europäische Ausland, 52,16 % in die alten EULänder, und mittlerweile gehen bereits 12 % in die neuen Beitrittsländer. Die Exporte in die mittel- und osteuropäischen Länder haben beinahe den Umfang der Exporte in die USA erreicht.

Da unser Land das mit großem Abstand industriestärkste Bundesland ist, sind wir auch besonders abhängig vom Export und daher auf stabile wirtschaftliche Verhältnisse in Europa angewiesen. Die Entscheidung der Richter des Europäischen Gerichtshofs, die den Stabilitätspakt bestätigt haben, ist nach Auffassung der FDP/DVP-Landtagsfraktion richtungweisend.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir sind dem liberalen Finanzminister der Niederlande dankbar, dass er dieses Thema auf die europäische Agenda gesetzt und damit erreicht hat, dass der Stabilitätspakt eingehalten werden muss. Dies wird zwar kurzfristig die Regierungen und Parlamente von Bund und Ländern und auch in den benachbarten europäischen Staaten vor große finanzpolitische Herausforderungen stellen. Langfristig aber sichert der Stabilitätspakt die Stabilität des Euro nach innen und außen und ist damit die Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es bleibt unsere Aufgabe, den Menschen in unserem Land noch stärker die große Bedeutung Europas für unsere eigene ökonomische Zukunft ins Bewusstsein zu bringen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Jawohl!)

Eine Volksabstimmung über die Europäische Verfassung, wie sie in anderen Ländern Europas abgehalten wird, wäre nach Auffassung der FDP/DVP-Fraktion auch in Deutschland nach wie vor das beste Mittel, die Notwendigkeit Europas

(Beifall bei der FDP/DVP)

und die Vorzüge der Verfassung, aber auch ihre Unzulänglichkeiten den Bürgerinnen und Bürgern nahe zu bringen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf von der SPD)

Lieber Kollege Rust, Sie haben verschwiegen, dass wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode die Quoren für den Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene abgesenkt haben. Der eigentliche Skandal an dieser Stelle ist ja, dass Rot-Grün in Sonntagsreden von mehr Bürgerbeteiligung spricht,

(Abg. Fischer SPD: Jetzt hören Sie doch einmal bitte mit solchen Märchen auf!)

aber in der zentralen Frage einer Europäischen Verfassung die Bürger nicht abstimmen lassen will.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Was bringen denn Bürgerabstimmungen über einen Kanaldeckel in einer Gemeinde – dagegen bin ich ja gar nicht, da ist die FDP/DVP immer Vorreiter gewesen –,

(Abg. Fischer SPD: Wo Sie nicht überall Vorreiter waren!)

wenn man in der wirklich großen Zukunftsfrage Europas die Bürgerinnen und Bürger nicht abstimmen lässt? Hieran müssen Sie sich messen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Europa beginnt in den Köpfen der Men- schen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus der Sicht der FDP/DVP-Fraktion ist der Verfassungsvertrag ein großer Fortschritt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Birzele?

Bitte schön.

Herr Kollege Theurer, ist es richtig, dass die FDP zusätzlich fordert, dass der Bundestag und der Bundesrat die Europäische Verfassung mit Zweidrittelmehrheit beschließen, und was soll dann das von Ihnen gewünschte Referendum bedeuten?

(Abg. Fischer SPD: So ist es!)

Weitere Zusatzfrage, Herr Abg. Knapp.

Herr Kollege Theurer, ist es richtig, dass die FDP/DVP hier im Landtag die Drucksachen 13/1245 und 13/1246 der SPD-Fraktion abgelehnt hat?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Was steht da drin?)

Das waren die beiden Gesetzentwürfe der SPD, mit denen die Quoren abgesenkt werden sollten.

(Abg. Fleischer CDU: Jetzt hast du die Frage von Herrn Birzele versaut! Dumm gelaufen! – Abg. Schmiedel SPD: Jetzt aber raus mit der Sprache, Herr Theurer!)

Herr Kollege Knapp, die zweite Frage kann ich mit Ja beantworten. Dafür gab es auch sachliche Gründe.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Knapp SPD: Nein! – Abg. Fischer SPD: Die gab es überhaupt nicht!)

Richtig ist aber auch, dass wir die Mitbestimmungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene gestärkt haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zur Frage des Kollegen Birzele: Es ist richtig, dass die FDP auf Bundesebene eine Volksbefragung vorgeschlagen hat, die aber die Ratifizierung durch die deutschen Parlamente nicht überflüssig machen würde. Wir sind aber auch bereit, über andere Änderungen des Grundgesetzes mit Ihnen zu sprechen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Knapp SPD: Das ist doch gespaltene Zunge!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Sicht der FDP/DVP ist der Verfassungsvertrag ein großer Fortschritt gegenüber den Regeln von Nizza.

(Abg. Gall SPD: Allzeit bereit!)

Die EU erhält Rechtspersönlichkeit, ihre Organe und Kompetenzen gewinnen Kontur. Der Verfassungsvertrag beinhaltet wichtige Schritte hin zu der dringend erforderlichen Vertiefung, ohne die die Handlungsfähigkeit des Europa der 25 nicht gewährleistet werden kann. Gut ist, dass jetzt Mehrheitsentscheidungen möglich sind, die sowohl die Interessen der Mitgliedsstaaten als auch der Bevölkerungsmehrheiten berücksichtigen. Der Konvent hat gute Arbeit geleistet. Man sieht ja, dass sich die Staats- und Regierungschefs nicht weit von dem Konventsentwurf wegbewegt haben.

Als Vertreter der deutschen Länder im Konvent haben Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, an dieser Arbeit an maßgeblicher Stelle aktiv mitgewirkt. Dafür möchte ich Ihnen und auch Herrn Minister Palmer im Namen der FDP/ DVP-Fraktion unseren Respekt und unseren Dank aussprechen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Dass ausgerechnet der nach Reinhold Maier biederste und bodenständigste Ministerpräsident Baden-Württembergs nun durchaus Visionäres zum europäischen Einigungsprozess beigetragen hat, gehört sicherlich zu jenen Merkwürdigkeiten im Sinne des Bemerkenswerten, die es in der Geschichte immer wieder gibt.

(Abg. Fischer SPD: Aber Ihre Rede, die Sie halten, ist auch bemerkenswert, mein lieber Freund!)

Ginge es heute darum, Titel zu verleihen, so müsste dieser, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Teufel, in Anlehnung an Reinhold Maier „Graswurzeleuropäer“ lauten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Gerade der Beitrag der deutschen Bundesländer sollte nicht unterschätzt werden. Sie haben in der Überzeugungsarbeit wichtige Argumente geliefert, und das zu Recht, wenn man bedenkt, dass Baden-Württemberg mit 10,5 Millionen Einwohnern bei der Einwohnerzahl noch vor Ungarn und Österreich liegt. Natürlich rede ich keiner neuen Kleinstaaterei das Wort, im Gegenteil, wir können deutsche Interessen nur durch Geschlossenheit durchsetzen. Aber bei allen innerdeutschen Diskussionen über eine Zentralisierung von Einrichtungen und Institutionen wie zum Beispiel beim Verfassungsschutz zur besseren Terrorismusbekämpfung sollten wir diese Dimensionen im Hinterkopf behalten. Bessere Kooperation von Polizei und Justiz im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus: ja. Schaffung leistungsfähiger Einheiten durch Länderneugliederungen in Deutschland: ja. Zentralisierung von Einrichtungen wie Verfassungsschutz auf Bundesebene: nein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen ferner ausdrücklich die Grundrechtecharta in der Verfassung. Einen Gottesbezug hätte ich mir allerdings sehr wohl vorstellen können und ausdrücklich gewünscht.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Die FDP/DVP-Fraktion ist der Meinung, dass an einigen Punkten und Themen weitergearbeitet werden muss. So ist die Europäische Verfassung zweifelsfrei ein Schritt zu größerer Transparenz bei politischen Entscheidungen. Freilich, die Kompetenz des Europäischen Parlaments bleibt hinter dem Notwendigen zurück. Echte wirksame parlamentarische Kontrolle der europäischen Rechtsetzung ist eben dort noch nicht verwirklicht, meine Damen und Herren, und dieses Demokratiedefizit ist auch mit der neuen Europäischen Verfassung noch nicht endgültig beseitigt.