Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Vorbemerkungen sind immer vorweg!)

Das ist das erste Gesetz, das das Land auf der Grundlage – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Vorbemerkungen sind immer vorweg!)

Gut zuhören, Herr Kollege Zimmermann! Das ist ein bisschen rechtsstaatliche Bürgerkunde. Vorlesungen halte ich hier nicht. Lieber vergesse ich etwas.

Es geht einfach darum: Wir haben auf der Grundlage der Föderalismusreform I jetzt als Parlament erstmals die Möglichkeit, ein Gesetzgebungsverfahren hier im Landtag zu diskutieren – und uns über einzelne Themenbereiche auch streitig auseinanderzusetzen –, bei dem wir als Botschaft vonseiten der Föderalismusreform eigentlich mitbekommen haben, dass das mehr Kompetenz und mehr Einflussmöglichkeiten für die Länderparlamente bedeutet.

Deswegen haben wir gleich vorweg – wir als Grüne-Fraktion – dieses Gesetzgebungsverfahren schon in der Ankündigung und dann, als der erste Entwurf vorlag, sehr ernst genommen. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt. Wir haben eine Anhörung durchgeführt, und wir haben tatsächlich einige Kritikpunkte, die wir uns aber nicht nur aus den Fingern gesogen haben, sozusagen als Oppositionsreflex, sondern die wir deshalb haben, weil wir diesen Gesetzentwurf mit vielen Sachverständigen, mit vielen Fachkundigen diskutiert haben. Im Rahmen dieser Anhörungen und im Rahmen dieser Auseinandersetzungen, dieser Diskussionen mit Sachverständigen bringen wir jetzt unsere Vorstellungen auch in dieses Verfahren ein.

Jetzt wird sich zeigen, meine Damen und Herren, ob es sich um einen Exekutivföderalismus handelt. Bei allem Lob, das Sie, Kollege Zimmermann, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums ausgesprochen haben – dem kann ich mich, was den Umfang des Gesetzes und auch die Technik anbelangt, durchaus anschließen, wenn ich auch inhaltlich mit manchen Punkten nicht einverstanden bin, auf die ich gleich noch zu sprechen komme –, wird es natürlich schon interessant sein, zu sehen, ob das Parlament mehr Kompetenzen bekommen hat oder die Exekutive mehr Kompetenzen bekommen hat. Wir werden Ihnen dazu Gelegenheit geben, weil wir an ein paar zentralen Stellen dieses Gesetzes auch im Hinblick auf die anstehenden Ausschussberatungen mit einigen entsprechenden Änderungsanträgen agieren werden. Dann werden wir ja sehen, wie ernst die Mehrheit dieses Hauses oder das Haus insgesamt, das Parlament insgesamt seine Kompetenzen nimmt.

So viel als Vorbemerkung zu diesem Gesetzgebungsverfahren.

Im Zentrum unserer zentralen Botschaft zum Thema Jugendstrafvollzug steht das Prinzip „Erziehung statt Strafe“. Das haben wir seit vielen Jahren so vertreten, und ich darf Ihnen das an zwei, drei zentralen Stellen dieses Gesetzeswerks nochmals darlegen.

§ 91 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes, der ja trotz der Föderalismusreform weiterhin Gültigkeit besitzt, bringt zum Ausdruck, dass diese These bei Jugendlichen im Vordergrund steht, die offensichtlich oftmals deswegen Jugendstrafvollzugsanstalten aufsuchen müssen, weil sie Erziehungsdefizite aufweisen. Diese Erziehungsdefizite müssen wir dort ausgleichen, wo wir die Möglichkeit haben, als Gesellschaft darauf Einfluss zu nehmen, also auch im Jugendstrafvollzug. Deswegen steht diese zentrale Botschaft für uns im Vordergrund. Daher ist aus unserer Sicht diametral gegen diesen Gesetzentwurf einzuwenden, dass in § 2 als zentrale Botschaft zunächst die Kriminalprävention steht, nämlich der Duktus der inneren Sicherheit, eher sozusagen der Schutz der Allgemeinheit vor Jugendlichen, die straffällig geworden sind oder die vielleicht potenziell straffällig werden. Genau das ist die zentrale Botschaft, die in § 2 dieses Gesetzentwurfs steht.

Erst viel weiter hinten, nämlich in § 21, kommt der Erziehungsgedanke. Wer die Gesetzessystematik kennt, Herr Kollege Zimmermann, der weiß jedoch genau, dass das, wenn § 21 den Erziehungsgedanken beinhaltet, an der falschen Stelle des Gesetzes steht.

(Abg. Karl Zimmermann CDU schüttelt den Kopf.)

Der Erziehungsgedanke gehört nach vorn in den § 2. Es ist die zentrale Aufgabe dieses Gesetzes, Jugendliche, die Erziehungsdefizite haben, tatsächlich zu erziehen.

Ein weiterer Punkt, den ich erwähnen möchte, weil er offensichtlich auch nicht richtig verstanden wird, ist § 22 Abs. 2. Herr Minister, meine Kollegen, natürlich weiß ich, dass sich diese Formulierung – – Im Übrigen steht sie auch so im Schulgesetz, interessanterweise nicht im Kindergartengesetz; wir müssen also die Gesetze, die es im Land gibt, einmal durchgehen und schauen, wo diese Formulierung der Verfassung steht. Da muss man einfach – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Landesverfas- sung gilt doch für alle!)

Natürlich gilt sie für alle. Aber wenn sie doch sowieso für alle gilt, warum erfolgt dann hier explizit die Wiederholung dieser Formulierung?

Herr Minister, Sie haben ja jetzt eine Begründung zu geben versucht. Ich bin mit Ihnen darin einer Meinung, dass wir mit Jugendlichen, mit jungen Menschen – vielleicht nicht nur mit jungen, aber auch, ja gerade mit denen, die vielleicht ein Problem damit haben, sich in die Gesellschaft zu integrieren – noch eine Wertedebatte führen müssen. Aber dabei können wir nicht von vornherein unsere Wertevorstellungen vorgeben und diese explizit noch einmal in ein Gesetz hineinschreiben. Immerhin gehören 50 % der Menschen, die es betrifft, gar nicht der christlichen Religion an. Wahrscheinlich wollen sie dieser auch gar nie angehören. Das kann man ihnen ja selbst überlassen. Aber der Jugendstrafvollzug ist keine Bekehrungsanstalt, auch wenn Sie das zehnmal beteuern.

Es sind viele richtige Werte enthalten, beispielsweise Friedensliebe und weitere Werte. Aber die Fokussierung auf die christliche Botschaft

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Im Geiste der christ- lichen Botschaft! – Dem Redner wird das Ende sei- ner Redezeit angezeigt.)

würde bedeuten – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, dass Sie in Zukunft alle Angestellten in den Justizvollzugsanstalten daraufhin überprüfen müssten, ob sie überhaupt in der Lage sind, diese Werte zu vermitteln. Mir ist aber völlig unbekannt, dass ein Bekenntnis zum christlichen Glauben Voraussetzung dafür wäre, in einer Jugendstrafvollzugsanstalt tätig zu werden.

(Zuruf von der SPD: Einer privaten!)

Insofern werden wir in den Ausschussberatungen an dieser Stelle mit entsprechenden Anträgen arbeiten. Wir sind gern bereit, diese Wertedebatte zu führen; nicht, dass Sie denken, uns ginge es um die Umgehung der Wertedebatte. Wir werden sehen, inwieweit Sie bereit sind, diese Anregungen, diese Kritik, wenigstens an dieser oder jener Stelle – sofern sie von Sachverständigen kommt – aufzunehmen. Wir werden dann sehen, ob Sie den Exekutivföderalismus oder die Stärkung des Parlaments wollen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Wetzel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem heute vorliegenden Entwurf zum Jugendstrafvollzugsgesetz wird die Landesregierung einen eigenen, effektiven, erzieherischen und sicheren Strafvollzug für junge Straftäter erreichen. Ich bin auch froh, dass sich Baden-Württemberg nicht den neun anderen Ländern angeschlossen hat. Denn meines Erachtens macht der Föderalismus keinen Sinn,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es!)

wenn man dem Land einerseits die Möglichkeit und die Befugnis gibt, eigene Gesetze zu erlassen, und auf der anderen Seite wieder einen Einheitsbrei macht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deswegen finde ich es gut so, wie es gemacht ist. Meine Damen und Herren, das ist Föderalismus.

Das Jugendstrafrecht ist keine Miniausgabe des Erwachsenenstrafrechts. Ebenso wenig ist der Jugendstrafvollzug eine Lightvariante des Erwachsenenstrafvollzugs. Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Landesregierung den modernen und zeitgemäßen Anforderungen an einen Jugendstrafvollzug gerecht.

Erste und wichtigste Aufgabe des Jugendstrafvollzugs ist der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten der jungen Strafgefangenen. Herr Kollege Oelmayer, es nützt natürlich nichts, wenn Sie erziehen, die Jugendlichen dann aber wieder straffällig werden. Dann ist die Allgemeinheit wieder gefährdet. Darum ist die erste und wichtigste Aufgabe natürlich, dass die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten geschützt wird.

Dieses Ziel wird durch die Resozialisierung der Strafgefangenen, durch Erziehung, Bildung und Ausbildung erreicht.

Aus diesem Grund sollen die jungen Straftäter in erster Linie erzogen werden. So steht es im Gesetz. Denn davon, meine Damen und Herren – das ist das Bedauerliche, und darum sitzen sie möglicherweise ein –, haben die jungen Straftäter bis zu ihrem Strafantritt weder in ihrem Elternhaus noch in ihrer sonstigen Umgebung, bei Freunden oder Bekannten etwas gehört.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Noch in der Schu- le!)

Noch auch möglicherweise in der Schule. Das kann sein.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Da, wo sie das Rau- chen gelernt haben!)

Der vorliegende Gesetzentwurf lässt sich darüber hinaus ganz wesentlich von einer Forderung und von Anregungen des Bundesverfassungsgerichts leiten. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass es sich um ein eigenständiges Strafgesetzbuch handelt und insbesondere auf Verweisungen auf andere Gesetze völlig verzichtet. Das Gesetz ist – das haben Sie selbst eingeräumt, Herr Oelmayer – gut lesbar. Es ist insbesondere auch für Nichtjuristen leicht verständlich und auch logisch gegliedert. Der Gesetzentwurf wird dadurch der Bedeutung der besonderen Lebensphase der Jugend gerecht.

Der vorliegende Gesetzentwurf unternimmt weiterhin den Versuch, den Jugendstrafvollzug aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Hierbei wird auch Wert darauf gelegt, dass der Jugendstrafvollzug haushaltsverträglich ausgestaltet ist. Schließlich wollen wir alle – das wollen Sie doch auch – möglichst schnell die Nullnettoneuverschuldung erreichen.

Aus diesem Grund enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von Soll-, Kann- und Ermessensvorschriften. Nur in wenigen für die Entwicklung und auch für die Resozialisierung der jungen Strafgefangenen wichtigen Fällen wie bei dem Recht auf Bildung, dem Recht auf Ausbildung, dem Recht auf sinnstiftende Arbeit und dem Recht auf Gesundheitsfürsorge sieht der Gesetzentwurf einklagbare subjektive Rechte für die jungen Strafgefangenen vor, und das ist gut so.

Der Gesetzentwurf legt großen Wert auf Bildung und Ausbildung der jungen Strafgefangenen. Dies ist sehr wichtig, denn unter den jungen Strafgefangenen – Herr Zimmermann hat es vorhin gesagt – befindet sich ein sehr großer Anteil von Schulversagern, Schulverweigerern und Schulflüchtlingen. Mehr als die Hälfte der jungen Strafgefangenen verfügt nicht über einen Schulabschluss und natürlich auch nicht über eine Ausbildung. Um diese jungen Strafgefangenen wieder oder erstmals auf den rechten Weg zu bringen, sind Bildung und Ausbildung von überragender Bedeutung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ohne eine Ausbildung bekommen die jungen Strafgefangenen nach ihrer Haftverbüßung und Entlassung kaum eine Arbeitsstelle, haben dadurch auch kaum eine Chance, einen Fuß auf den Boden zu bringen, und werden möglicherweise wieder straffällig. Darum ist das Recht auf Bildung wichtig.

Die Gefahr, sehr rasch wieder straffällig zu werden, ist groß. Dies müssen wir verhindern, denn sonst können wir alle Op

fer dieser Strafgefangenen werden. Wir dürfen aus dem Gefängnis entlassene Jugendliche auch nicht allein lassen. Darauf nimmt der Gesetzentwurf ebenfalls Rücksicht. Wir müssen allergrößten Wert darauf legen, dass die jungen Menschen, auch wenn sie gefehlt haben, ihr weiteres Leben straffrei führen können. Hierzu gehören in erster Linie Bildung, Ausbildung und Disziplin.

Das Leben innerhalb der Justizvollzugsanstalt wird durch Bildung und Ausbildung aber auch kurzweiliger. Die jungen Strafgefangenen hängen nicht einfach herum. Die Arbeit ist sinnstiftend. Gleichzeitig werden wichtige Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen: Disziplin, Fleiß, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortung, Eigenverantwortung und Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen.

Wenn wir es schaffen, dass diese jungen Menschen in der Jus tizvollzugsanstalt in diesem Sinn erzogen werden, haben wir die Ziele erreicht. Die Allgemeinheit wird vor weiteren Straftaten bewahrt, und die jungen Straftäter werden während der Haft so erzogen, gebildet und ausgebildet, dass sie ein Leben ohne weitere Straftaten führen können.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Hoffen wir es! – Zu- ruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Das künftige Jugendstrafvollzugsgesetz übernimmt selbstverständlich die bewährten landesspezifischen Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs. So wurden auch das bundesweit beachtete Jugendstrafvollzugsverfahren in freier Form, also das „Projekt Chance“, und die außerordentlich wichtige Nachsorge gesetzlich geregelt.

Die Fraktion der FDP/DVP wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Machen Sie es ebenso, Herr Kollege Oelmayer, und geben Sie der Jugend dadurch eine Chance. Wir danken insbesondere dem Justizminister und seinen Mitarbeitern für diesen gelungenen Gesetzentwurf. Dieses Gesetz wird in Deutschland federführend sein.

Herzlichen Dank.