Protokoll der Sitzung vom 27.06.2007

(Abg. Reinhold Gall SPD: Echt? Gibt’s das? – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Da gab es die Grünen noch gar nicht!)

Auch so etwas kann es in Baden-Württemberg und in Deutschland geben.

Der Mittelstand, das Handwerk, unsere Weltfirmen in Industrie, Handel und Dienstleistung, aber auch die öffentliche Hand brauchen eine gute Grundlage für eine moderne, zeitgemäße und anpassungsfähige Ausbildung in Baden-Würt temberg. In Wirtschaft und Verwaltung geht es nicht mehr nur um die reine Stoffvermittlung, sondern um die Grundlagen für ein lebenslanges Lernen, um junge Menschen auf ständige Veränderungen vorzubereiten und flexibel auf neue Herausforderungen reagieren zu können.

Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Erstens: Der Gesetzentwurf räumt den Ländern mehr Delegationsmöglichkeiten, also die Verlagerung staatlicher Kompetenzen auf sogenannte zuständige Stellen ein – das können IHKs sein, das können Handwerkskammern sein –, egal, ob es sich dabei um private oder staatliche Ausbildungsstellen handelt.

Zweitens: In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf ist festgestellt worden, dass wir bisher seit über 30 Jahren keine Ermächtigungsgrundlage für Teile der Zuständigkeitsverordnung hatten. Dieser Gesetzentwurf korrigiert letztlich diesen rechtsfreien Zustand.

Der Gesetzesvorschlag der Landesregierung hat aus unserer Sicht vier Vorteile. Erstens: Es können mehr Synergien zwischen der öffentlichen Hand und der freien Wirtschaft entstehen. Zweitens: Mit der Delegation dieser Zuständigkeiten kann praxisnäher entschieden werden. Drittens: Durch die Verlagerung der Kompetenzen ist dieser Gesetzentwurf auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Und letztlich viertens: Es entstehen keine Kosten, weder für die Wirtschaft noch für die öffentliche Hand.

Der Landtag von Baden-Württemberg verbessert damit die Ausbildungsmöglichkeiten und -chancen. Das ist wichtig, denn der Beruf ist das Rückgrat des Lebens, wie Nietzsche sagte. Das gilt auch für Politiker, meine Damen und Herren.

Wir danken der Landesregierung für diesen Gesetzentwurf. Im Ausschuss haben sogar SPD, Grüne und FDP/DVP diesem Gesetzesvorschlag zugestimmt. Wir von der CDU-Fraktion stimmen dem Entwurf einstimmig zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abg. Kaufmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das scheint heute ein ziemlich unspektakuläres Thema zu sein, wenn man davon absieht, dass Baden-Württemberg, worauf Kollege Nemeth hingewiesen hat, 30 Jahre in einem rechtsfreien Raum gelebt hat. So schlimm war die Situation nicht.

Heute geht es darum, die rechtstechnischen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Landesregierung in die Lage versetzt wird, eine neue Zuständigkeitsverordnung auf den Weg zu bringen. Diese Zuständigkeitsverordnung soll festlegen, wel ches die nach dem Berufsbildungsgesetz zuständigen Stellen sind, die weitere Verordnungen umsetzen und auf den Weg bringen können.

Insbesondere geht es um Verordnungen nach dem Berufsbildungsgesetz, z. B. dem § 43 Abs. 2, der die Anrechnung von Qualifikationen und die Zulassung zur Kammerprüfung betrifft.

Deshalb will ich der These des Kollegen Nemeth, im Land Baden-Württemberg sei durch die Ausschöpfung dieses Gesetzes eine Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten ge

geben, entschieden widersprechen. Genau das Gegenteil war der Fall. Ich bin gern bereit, Ihnen das darzulegen.

Durch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2005 wurden die Zuständigkeiten der Länder erheblich erweitert. Die Länder sind jetzt in der Lage, durch Rechtsverordnung zu beschließen und auf den Weg zu bringen, dass die Position der Jugendlichen, die sich um eine Lehrstelle bewerben, entscheidend verbessert wird. Die Regelung des bundesweiten Anrechnungsverfahrens ist durch die Novellierung weggefallen, und jetzt bedarf es eben einer entsprechenden Vorlage seitens der Länder.

Da, muss ich sagen, ist von der Landesregierung so gut wie noch nichts passiert. Überall sind Sie vor der Wirtschaft eingeknickt. Denn wo gibt es außer bei der einjährigen Berufsfachschule noch verbindliche Anrechnungen? Wir haben Warteschleifen: Die Übergangssysteme bilden die Jugendlichen in den beruflichen Schulen aus, und dann stehen sie vor dem Werkstor, bewerben sich um eine Lehrstelle. Und was wird angerechnet von dem, was sie in der Schule gelernt haben?

Mittlerweile kommen die jungen Leute nicht mehr mit 16 Jahren, sondern mit 19 Jahren in die Berufsausbildung. Da haben sie sich zwischenzeitlich in den Berufsschulen qualifiziert, in Berufsfachschulen, einjährig, zweijährig, Berufskollegs usw. Hat der Staat nicht einen Anspruch darauf, auch der Wirtschaft gegenüber zu sagen: „Ihr müsst diese Zeiten anrechnen und die Lehrzeit verkürzen“? Bei einer geringeren Lehrstellenanzahl muss man sogar einfordern, dass zumindest die Verweildauer im dualen System verkürzt wird, wenn der Staat im Bereich der beruflichen Bildung schon etwas angeboten hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann Ihnen Beispiele nennen: Wirtschaftsausbildung, Berufskolleg, sei es in der Informatik oder in der Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten. Da bewerben sich junge Menschen mit mittlerer Reife nach zweijähriger Ausbildung im Berufskolleg, und dann verlangt der Arbeitgeber: Ihr macht noch einmal dreieinhalb Jahre Lehre. Dann sitzen sie wieder in derselben Schule vor denselben Lehrern und hören denselben Stoff.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist nicht der Inhalt des Gesetzes!)

Aber das Gesetz schafft die Voraussetzungen, dass die Verordnungen auf den Weg gebracht werden, die das verändern. Reden wir einmal ein bisschen politisch.

(Zuruf von der CDU: Warum stimmen Sie dann zu?)

Rechtstechnisch brauchen wir das vorliegende Gesetz.

Es ist ja keine Frage, dass wir das benötigen, um die notwendigen Verordnungen rechtssicher erlassen zu können. Aber natürlich reden wir hier auch über den Inhalt der Verordnungen, die dadurch ermöglicht werden. Das ist doch das Entscheidende. Da können Sie sich jetzt politisch nicht davonschleichen und sagen: „Heute zelebrieren wir einen großen Ausbildungspakt“, wenn dabei nichts Neues für Baden-Württemberg herauskommt. Hier in diesem Hause ist auch darüber zu diskutieren, wie die Chancen der Jugendlichen in unserem Land verbessert werden können. Dazu dient diese Diskussion.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Besser als in Berlin!)

Deshalb, meine Damen und Herren, werden Sie von unserer Seite nachdrücklich dazu ermuntert, möglichst schnell über die Verordnungsmöglichkeiten, die das Berufsbildungsgesetz schafft, die Position der Jugendlichen bei der Bewerbung um eine Lehrstelle zu verbessern und dafür Sorge zu tragen, dass die Ausbildung in angemessener Zeit durchgeführt wird und dass wir das, was man als Warteschleife oder Übergangssys tem bezeichnet, auch abbauen können.

Wir haben es Gott sei Dank auch durch den Einsatz unserer Fraktion geschafft – das wird viel zu wenig thematisiert –, dass mittlerweile auch die Bundesagentur für Arbeit hier im Land die Möglichkeit erhält, zusätzliche Ausbildungsplätze mitzufinanzieren. Das wurde aufgrund einer Intervention unserer Fraktion beim Bundesarbeitsminister möglich. Das waren auch Wünsche, die von der Bundesagentur geäußert wurden. Es ist jetzt erstmalig möglich, auch Ausbildung über die Bundesagentur zu finanzieren. Dadurch können in BadenWürttemberg etwa 5 000 zusätzliche Ausbildungsplätze für marktbenachteiligte Jugendliche finanziert werden. Das schafft schon etwas Spielraum. Wir sind stolz darauf, dass wir das erreicht haben.

Deswegen ist das, was die Wirtschaft angesichts dieser Situation an neuen Lehrstellen anbietet, nachgerade ein Witz. Baden-Württemberg verlangt mehr, unsere Jugendlichen verlangen mehr, und dem müssen wir gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erhält Herr Abg. Lehmann das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Nemeth, es ist schon beeindruckend, was Sie gesagt haben:

(Abg. Paul Nemeth CDU: Das freut mich!)

Das Gesetz kostet nichts, aber es wird die Ausbildungssituation in Baden-Württemberg verbessern. Das ist natürlich immer die beste Lösung, wenn es nichts kostet und die Situation verbessert.

Ich kann mich dem, was Herr Kaufmann gesagt hat, in vielen Punkten anschließen. Es geht heute um ein Ausführungsgesetz, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit beinhaltet, die derzeit einer rechtlichen Grundlage entbehrt, nämlich dass die Landesregierung entsprechende Verordnungen erlassen kann. Dem wollen wir uns natürlich nicht entgegenstellen; das ist klar. Wir sind froh, wenn sich jetzt, nachdem das Berufsbildungsgesetz seit über zwei Jahren in Kraft ist, die Landesregierung offensichtlich endlich daranmacht, um im Verordnungswege über die Handlungsspielräume, die das neue Gesetz seit zwei Jahren erschließt, hier vielleicht doch etwas zu machen. Das begrüßen wir sehr, wenn es dazu kommt. Wir haben das schon vor längerer Zeit angemahnt. Wir wollen uns daher nicht dagegen sperren. Man könnte ja auch in einem Gesetz verankern, was z. B. die Anrechenbarkeit von Ausbildungszeiten angeht. Aber wir wollen die Landesregierung und

die entsprechenden Ministerien aus der Verantwortung, die sie in diesem Bereich haben, nicht entlassen.

Heute Mittag wird der Ausbildungspakt unterzeichnet. Es könnte eigentlich nichts symbolischer sein als der leere Sitzungssaal hier und parallel dazu die Unterzeichnung des Ausbildungspakts mit den entsprechenden Vertretern. Das zeigt die Wertigkeit der Förderung der beruflichen Ausbildung für die Politik hier in Baden-Württemberg. Man setzt viel mehr auf symbolisches Handeln als wirklich auf die Möglichkeiten, hier konkret Dinge umzusetzen, die sich durch das Gesetz ergeben. Das ist, denke ich, ein Problem, dem Sie sich auch als Regierungsfraktionen stellen müssen. Ich bin gespannt, was nachher von der FDP/DVP dazu gesagt wird.

Wir müssen heute, zwei Jahre nach Inkraftsetzung des Gesetzes, feststellen, dass die Ziele des Berufsbildungsgesetzes bisher nicht erfüllt worden sind. Im Vorwort des Gesetzes steht:

Ziel der Reform ist die Sicherung und Verbesserung der Ausbildungschancen der Jugend sowie einer hohen Qualität der beruflichen Ausbildung für alle jungen Menschen – unabhängig von ihrer sozialen oder regionalen Herkunft.

Wir müssen heute feststellen, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde.

Ein zweiter Punkt, der wesentlich ist, ist auch in dem Berufsbildungsgesetz zu lesen. Das neue Berufsbildungsrecht gibt den Verantwortlichen im Bund, in den Ländern und in den Regionen mehr Handlungsspielräume. Ich vermisse bis heute, dass die neuen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich über die §§ 7 und 43 des Berufsbildungsgesetzes eröffnet haben – nicht nur die strikte Trennung der Zuständigkeiten für außerschulische berufliche Bildung und schulische Bildung nach Ländern und Bund –, durch das Land genutzt werden.

Ich muss Ihnen noch eines sagen: Mich erschüttert – es sind zwei Ministerien in der Verantwortung, das Wirtschaftsminis terium und das Kultusministerium –, dass die gemeinsame Verantwortung für berufliche Ausbildung offensichtlich in der Landesregierung noch nicht angekommen ist. Die Ministerien agieren nicht – für mich jedenfalls nicht erkenntlich – gemeinsam in diesem Bereich. Das Kultusministerium macht irgendwelche kleinen Reförmchen,

(Abg. Ingo Rust SPD: Das ist gar nicht da!)

Modellversuche in den Berufskollegs, wo man vielleicht eine Anerkennung von Ausbildungszeiten bekommt. Herr Pfis ter hat letztens ganz groß verkündet, dass die ESF-Mittel, die man jetzt ausgibt – die uns eigentlich zufließen –, die große Leistung des Wirtschaftsministeriums in diesem Bereich sei en.

Die Qualitätssicherung in der beruflichen Ausbildung, die wir explizit mit dem Berufsbildungsgesetz übertragen bekommen haben, ist bis heute nicht angegangen worden. Wir haben es jetzt in einer Erklärung des Kultusministeriums manifestiert bekommen: Es gibt Ausbildungsberufe, in denen die Abbrecherquote weit über 30 % liegt. Das muss man sich einmal überlegen. Der zweite Skandal neben der Tatsache, dass 40 000 Jugendliche in Warteschleifen sind, ist, dass in man

chen Berufen über ein Drittel der Auszubildenden die Ausbildung vorzeitig beenden. Da scheint doch die Qualität beruflicher Ausbildung, sei es im Betrieb oder in der Schule, im Argen zu liegen. Da besteht dringender Handlungsbedarf.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Unsere Hoffnung ist, dass nach der Reform auch vor der Reform ist und dass die Landesregierung begreift, dass, bevor auf Bundesebene wieder eine neue gesetzliche Regelung erlassen wird, zunächst die Möglichkeiten, die man durch das bestehende Gesetz hat, endlich einmal angegangen und umgesetzt werden sollten.

(Beifall bei den Grünen)

Für die FDP/DVPFraktion erhält Herr Abg. Dr. Rülke das Wort.