Protokoll der Sitzung vom 27.02.2008

Natürlich wissen wir auch, dass Gesetze allein die Situation der Betroffenen nicht umfassend verbessern können. Aber sie sind die Leitplanken auf dem Weg zu dem Ziel „Mehr Teilhabe und Selbstbestimmung“.

Als das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz im Jahr 2005 verabschiedet wurde, wurde es von den Betroffenen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Erfreulich war, dass ein solches Gesetz geschaffen wurde – nach langer Diskussion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Aber in die Freude mischte sich auch die Enttäuschung darüber, dass dieses Gesetz weit hinter den Gleichstellungsgesetzen anderer Länder zurückblieb.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: So ist es! Genau!)

Wir haben dies damals kritisiert und konstruktive Vorschläge gemacht. Wir kritisieren dies heute wieder und machen in Übereinstimmung mit den Betroffenen und ihren Verbänden wieder konkrete und konstruktive Vorschläge. Ich will dies ganz kurz in drei Punkten deutlich machen:

Der Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt sich auf Landesbehörden. Das Gesetz nimmt kommunale Behörden überall dort aus, wo es für die Betroffenen konkret wird, z. B. auf den Bürgermeisterämtern, auf den Landratsämtern, in den Gemeindeverwaltungen. Nach der Verwaltungsstrukturreform, mit der Sie ja die Nähe zum Bürger gesucht haben, gibt es außer dem Finanzamt keine Behörde mehr, wo das bisherige Gesetz den Betroffenen, die mit Stadt- und Landkreisverwaltungen zu tun haben, wirklich zugutekommt.

Im Gesetz fehlen Regelungen zur Bestellung von Behindertenbeauftragten in Kreisen und Gemeinden. Das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz sieht bisher als Kannregelung einen vom Ministerpräsidenten bestellten Landesbehindertenbeauftragten vor. Diese Funktion wird zurzeit von Herrn Hillebrand, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales, wahrgenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Guter Mann, der Hillebrand!)

Als Mitglied der Landesregierung ist er in erster Linie natürlich den Zielen der Landesregierung verpflichtet, und eine effektive Interessenvertretung erfordert Unabhängigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Aber die Landesregierung ist dem Volk verpflichtet! Das ist höher!)

Wir wollen, dass ein Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen bestellt wird, der unabhängig von der Landesregierung tätig ist und der über eine angemessene Infrastruktur verfügt. Der Integrationsbeauftragte der Landes

regierung hat eine solche Infrastruktur: Er hat sechs Mitarbeiter.

Wir wollen auch, dass der Behindertenbeauftragte des Landes dem Landtag und der Landesregierung berichtet und zur Lage der Menschen mit Behinderungen im Land zeitnah Aussagen darüber macht, wo tatsächlich noch Verbesserungen notwendig und wichtig sind.

Meine Damen und Herren, ich bin heute mit dem Zug gefahren und habe gesehen, wie es auf Bahnhöfen in unserem Land aussieht und wie es mit barrierefreier Mobilität aussieht. Es ist noch einiges zu tun in diesem Bereich.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Noch viel!)

Ich denke, dass ein Behindertenbeauftragter des Landes auch daran mitwirken kann, dass hier etwas in Bewegung gerät.

Wir wollen im Gesetz das Benachteiligungsverbot für öffentliche Stellen, das Menschen mit Behinderungen im Umgang mit Behörden das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen und das Recht auf barrierefreie Gestaltung des Schriftverkehrs garantiert, auf den kommunalen Bereich ausweiten.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Genau!)

Und wir wollen, dass die Stadt- und Landkreise und Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern gesetzlich verpflichtet werden, eine Persönlichkeit zur Beratung in Fragen der Behindertenpolitik zu bestellen. Das kann durchaus auch im Ehrenamt mit Betroffenen organisiert werden. Sie sind die Experten und können bei Stadtplanung, Stadtentwicklung, Verkehrskonzepten und Planung von öffentlichen Gebäuden mit ihrem Rat, mit ihrer Kenntnis, mit ihrer Kompetenz dazu beitragen, dass viel Geld gespart wird.

Wir wollen auch – wir haben das ja in 15 Punkten detailliert aufgelistet –, dass z. B. die Integration von Kindern mit Behinderungen in Kindertagesstätten, vorschulischen Einrichtungen und Schulen stärker befördert wird, als das zurzeit im Land geschieht. Wir haben heute Morgen kurz einen Eindruck davon bekommen, wie das bei uns aussieht.

In einer Anhörung zu unserem Antrag und zu den 15 Punkten, in denen wir Veränderungen des Landes-Behindertengleichstellungsgesetzes vorschlagen, haben wir mit den Vertretern der Betroffenen, mit dem Landkreistag und dem Städtetag diskutiert, und wir haben von allen Seiten grundsätzlich Zustimmung erfahren. Wir sehen auch mit einer gewissen Genugtuung, dass der Landkreistag und Herr Staatssekretär Hillebrand die Bestellung von Behindertenbeauftragten empfehlen. Nur sehen wir die Form einer Empfehlung als nicht ausreichend an. Wir wollen vielmehr, dass die Landkreise verpflichtet werden. Wir sehen uns aber schon durch diesen ersten Schritt in unserer Arbeit bestätigt und in unseren Vorstellungen be stärkt.

Das reicht uns aber noch nicht aus. Wir wollen eine aktive, ambitionierte Politik für Menschen mit Behinderungen im Land. Es wäre schade, wenn sich die Haltung der Landesregierung und der Regierungsfraktionen weiterhin mit dem Satz des Soziologen Ulrich Beck umschreiben ließe: „Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“.

Also tun Sie etwas. Sagen Sie uns heute, wann Sie die Anhörung planen und wann Sie das Gesetz novellieren wollen. Besser noch – es geht auch einfacher –: Stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Rüeck das Wort.

(Abg. Georg Wacker CDU: Jetzt kommt ein guter Mann!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen ist in den letzten Jahren in Deutschland eine andere geworden. Menschen mit Behinderungen werden nicht länger als bloße Objekte der Fürsorge angesehen. Im Vordergrund steht nicht mehr allein der Wunsch, das Leben dieser Menschen optimal zu organisieren, wie dies früher oftmals der Fall war. Im Vordergrund stehen heute Gleichberechtigung, Teilhabe und Selbstbestimmung. Behinderte Menschen haben die Fähigkeit, eigene Wünsche zu entwickeln. Sie haben die Möglichkeit, Lebenspläne zu schmieden, und sie haben vor allem das Recht, Entscheidungen selbstständig zu treffen. Wir als CDU-Landtagsfraktion wollen sie dabei aktiv begleiten und für sie ein selbstbestimmtes Leben und die gleichberechtigte Teilnahme an und in unserer Gesellschaft erreichen.

Mit der Aufnahme des Benachteiligungsverbots für behinderte Menschen in die Landesverfassung wurde 1995 ein wichtiges Ziel baden-württembergischer Behindertenpolitik erreicht. Das am 1. Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes und das zum 1. Juni 2005 in Kraft getretene Landes-Behindertengleichstellungsgesetz konkretisieren den Auftrag dieser Gleichstellung für den Bereich des öffentlichen Rechts.

Zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gemeinschaft gehört auch eine sinnvolle Gestaltung ihrer Freizeit sowie die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und auch Neues kennenzulernen. Hierzu bedarf es spezieller Angebote und besonderer Unterstützung, damit Menschen mit Behinderungen möglichst zusammen mit Nichtbehinderten Gemeinschaft erleben können.

Ca. 250 Dienste der offenen Behindertenarbeit bieten insbesondere Beratung und Begleitung für betreute Freizeitmaßnahmen an. Auch der Behindertensport leistet eine wesentliche Integrationsarbeit. Man muss sich einmal vor Augen halten: Allein die Sportmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen haben in Baden-Württemberg jährlich rund 400 000 Teilnehmer, eine Zahl, die in kaum einem anderen Bereich erzielt wird.

Zum Erreichen gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen sind auch in Zukunft weitere Anstrengungen erforderlich. Dies gilt insbesondere in den Bereichen der Mobilität, der beruflichen Integration und der gesellschaftlichen Teilhabe. Politik, Gesellschaft und vor allem auch die Träger der Behindertenhilfe stehen in Zukunft vor großen Herausforderungen, vielleicht vor der größten Herausforderung in der Geschichte überhaupt, wenn wir die demografische Entwicklung betrachten.

In vielen Bereichen ähnelt das Altern von Menschen mit Behinderungen dem der sonstigen Bevölkerung. So erleben wir gerade zum ersten Mal eine Generation von Menschen mit Behinderungen, die ein höheres Lebensalter erreichen. Das ist auch gut so. Aber die Forschung, z. B. über das Altern von Menschen mit geistiger Behinderung, steht erst am Anfang. Uns fehlen Erfahrungen in Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung in höherem und hohem Alter.

Meine Damen und Herren, schon allein die Tatsache des Älterwerdens an sich stellt uns vor einen veränderten Bedarf in den Bereichen Wohnen und Tagesbetreuung allgemein. Dann ist dort auch noch der große Personenkreis der Behinderten, die bisher noch bei ihren Eltern oder Geschwistern leben, die mittlerweile aber selbst oft schon hochbetagt sind und vielleicht einem Alter entgegengehen, in dem sie selbst in die Pflegebedürftigkeit kommen. Das stellt auch die Arbeit unserer Behinderteneinrichtungen vor völlig neue Aufgaben. Der Ausbau der Fähigkeiten wird nicht mehr allein im Vordergrund stehen, sondern auch dem altersbedingten Nachlassen der erlernten Fähigkeiten und der körperlichen Leistungsfähigkeit muss entgegengewirkt werden.

Wir als CDU-Landtagsfraktion sind uns unserer Verantwortung gegenüber den Menschen mit Behinderungen bewusst. Wir stellen uns den Herausforderungen, und wir unterstützen die Landesregierung darin, eine sorgfältige Zwischenbilanz des Landes-Behindertengleichstellungsgesetzes zu erarbeiten und diese zur Mitte der Wahlperiode vorzulegen, genau so, wie es auch in der Koalitionsvereinbarung beschrieben ist.

Den Antrag der Fraktion der SPD halten wir für rückwärtsgewandt.

(Widerspruch bei der SPD – Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Wir halten ihn für ideologisch, und wir halten ihn vor allem für formal und für formalistisch.

(Beifall des Abg. Andreas Hoffmann CDU – Abg. Andreas Hoffmann CDU: Recht hat er!)

Vor allem bringt er die Menschen mit Behinderungen in diesem Land nicht weiter. Wir lehnen ihn deshalb ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! Gute Rede! – Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Mielich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es wirklich nett, Herr Rüeck, wenn Sie sagen, dass die Belange der Menschen mit Behinderungen bei Ihnen gut aufgehoben seien.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist nicht nur nett, das ist sogar richtig!)

Ich finde es auch wirklich prima, dass Sie sagen, Sie wollten die Belange der behinderten Menschen auch in den Mittelpunkt der Arbeit und der politischen Initiative stellen. Aber

wenn Sie das sagen, dann müssten Sie diesen schönen Worten wirklich auch einmal Taten folgen lassen. Ich finde, dass das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz diese Taten nicht wirklich erkennen lässt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU: Sie müssen genau hinschau- en!)

Es war nun erklärtes Ziel – genau so, wie es das Bundesgesetz vorgesehen hat, welches wirklich ein sehr gutes ist; übrigens ein Erfolg der rot-grünen Regierung, das möchte ich deutlich erwähnen –,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das habe ich nicht in Abrede gestellt!)

dass Antidiskriminierung und Teilhabe zentrale Elemente die ses Gleichstellungsgesetzes sind. Das Gleichstellungsgesetz, das jetzt auf den Weg gebracht worden ist, ist hinter diesen Erwartungen sehr weit zurückgeblieben. Es ist vor allem hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die die Verbände und die Menschen mit Behinderungen gehabt haben. Es ist weit hinter dem zurückgeblieben, was andere Länder – z. B. Bay ern – auf den Weg gebracht haben.

Das hat Gründe. Dieses Gesetz enthält enorm viele Kannvorschriften. Es ist im Vergleich eher unverbindlich und ist daher deutlich nachzubessern. Deswegen unterstützt meine Fraktion sehr ausdrücklich den Antrag der Fraktion der SPD, die eine zeitnahe Novellierung für notwendig hält. Es ist in unseren Augen in keinster Weise nachvollziehbar, warum das Sozialministerium erklärt: „Wir haben von vornherein gesagt, 2008 machen wir diese Novellierung auch. Warten wir doch einmal das Jahr 2008 ab.“ Wenn klar ist, dass es große Kritik gibt und diese Kritik z. B. am „Tag behinderter Menschen“ von allen Seiten laut formuliert wird, dann macht es doch keinen Sinn, sich statisch hinzustellen und zu sagen: „Wir haben halt einmal gesagt, wir machen die Novellierung Mitte 2008. Dann machen wir sie eben nicht am Anfang des Jahres, sondern wirklich in der Mitte.“ Das ist für mich ein formaler Grund, und er bringt nicht wirklich etwas.