Protokoll der Sitzung vom 30.04.2008

Wir können vom hohen Ross aus ganz anders argumentieren.

(Abg. Dr. Bernd Murschel GRÜNE meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Abg. Ursula Haußmann SPD: Da meldet sich jemand!)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, zählt hierzu auch das Thema Agrotechnik.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Murschel?

Aber natürlich.

Bitte, Herr Abgeordneter.

Ich bleibe einfach einmal hier sitzen.

(Zurufe – Unruhe)

Es gibt noch ein paar Formen der Höflichkeit in Baden-Württemberg, aber bitte.

(Heiterkeit – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Wenn Sie es an dem festmachen wollen!)

Wir machen es nicht daran fest.

Ich würde jetzt gern von Ihnen wissen, ob Sie diesem Weltagrarbericht, der den Satz „Business as usual is not an option“ in den Mittelpunkt seiner Aussage gestellt hat und damit die nordamerikanische und europäische Agrarpolitik gemeint hat, zustimmen. In diesem Bericht heißt es: Die Folgen der intensivierten Landwirtschaft für die Welternährung sind schlecht, weil die Auswirkungen auf die Biodiversität so ungünstig sind, weil es so hohe Pestizidrückstände und Düngemittelbelastungen gibt und weil ein so hoher Energieinput notwendig ist, dass hier quasi

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das stimmt für Ba- den-Württemberg einfach nicht! – Weitere Zurufe – Unruhe)

ein kontraproduktiver Effekt eintritt. – Das ist in meinen Worten die Zusammenfassung des Weltagrarberichts.

Meine Frage lautet ganz konkret: Sagen Sie, dass die Aussagen des Weltagrarberichts nicht stimmen? Sie sagen nämlich, dass wir Qualität und Quantität brauchten. Genau das steht nicht im Weltagrarbericht.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das waren jetzt fünf Feststellungen und eine Frage!)

Herr Kollege Dr. Murschel, die Landesregierung ist durchaus in der Lage, sich selbst Gedanken zu machen. Wir müssen nicht von anderen abschreiben. Wir übernehmen auch nicht ungeprüft Feststellungen, die andere treffen. Ich habe den Weltagrarbericht nicht von A bis Z gelesen, aber ich kenne die wesentlichen Inhalte. Es stimmt nach unserem landwirtschaftlichen Verständnis faktisch nicht, wenn Sie den Schluss ziehen, es gehe nur durch Vielfalt, und Vielfalt schließe Industrialisierung oder Technisierung der Landwirtschaft aus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo blieben oder wo stünden wir denn gerade im Bereich der Agrotechnik, wenn es um die Frage einer nachhaltigen Landbewirtschaftung geht? Dort wollen wir ja hin. Mit dem, was wir in Deutschland tun, sind wir bereits sehr nahe dran, auch wenn man den Energieeinsatz noch ein Stück weit optimieren könnte. Schauen Sie sich doch einmal an, welche Vorschriften Landwirte bei uns einhalten müssen! Aber darum geht es noch nicht einmal. Es geht vielmehr darum, dass sie Jahr für Jahr und auch noch in zehn, in 20 oder in 50 Jahren, was unsere Böden und unsere Umwelt angeht, eine Bewirtschaftung betreiben, die auch für die Produktion pflanzlicher Lebensmittel nachhaltig leistungsfähig ist.

Das ist doch die Zielsetzung. Wenn wir diese Ziele erreichen – und wir erreichen sie in Europa –, dann, muss ich sagen, sind wir auf dem richtigen Weg. Ich sehe aber auch, dass in anderen Teilen der Welt diese Zielsetzung nicht erfüllt wird. Ich sehe, dass man dort zwei, drei, fünf, acht Jahre lang die Böden ausbeutet, die Böden durch Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz verseucht, Mittel, die ohne Prüfung, ohne Kontrolle ausgebracht werden, und dann die Flächen verlässt,

und die Menschen leiden zum Teil unter Vergiftungen oder wie auch immer. Aber genau dies findet in Europa nicht statt.

(Abg. Dr. Bernd Murschel GRÜNE: Das stimmt nicht!)

Wenn wir uns zu einer nachhaltigen Landbewirtschaftung und Landwirtschaft bekennen, dann müssen wir doch dieses Modell einer nachhaltigen Landbewirtschaftung, das gut ist,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

das dazu geführt hat, dass die Menschen in Deutschland gesünder sind als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, auch offensiv nach außen verteidigen

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl Rombach CDU: Bravo!)

und dürfen nicht ständig so tun, als müssten wir uns für das, was die Landwirte tun oder was die Politik tut, tagtäglich entschuldigen.

Herr Dr. Murschel, wir sind gut in Europa, wir sind gut in Baden-Württemberg, und die Landwirte machen ihr Geschäft hervorragend, besser als früher, besser als zu jedem Zeitpunkt zuvor in der Geschichte. Da bedarf es überhaupt keiner Entschuldigung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Jetzt muss man sich die grundlegende Frage stellen: Wohin wollen wir? Ich sage es noch einmal: Klasse allein reicht nicht. Wir brauchen beides: Wir brauchen klasse Produkte, wir brauchen diese Produkte aber auch massenhaft, weil es darum geht, in der Zukunft nicht nur viereinhalb Milliarden, sondern fünf, sechs und vielleicht sogar sieben Milliarden Menschen zu versorgen, und das –

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

da haben Sie völlig recht, Herr Kollege Winkler – bei einer landwirtschaftlichen Fläche, die weltweit nicht beliebig vermehrbar ist. Das muss man einfach sehen. Das heißt Intensität und Ertragssteigerungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Sektor kommt die Forschung viel stärker ins Spiel, vielleicht auch – auch wenn ich dort im Augenblick noch gar keinen Ansatzpunkt sehe – die grüne Gentechnik. Aber unter dem Stichwort Ertragssteigerung wird mit Sicherheit das Thema Agroforschung weltweit, aber auch bei uns im Land zunehmend eine Rolle spielen müssen. Dann hängt es sehr stark von der Antwort auf die Frage ab: Wie stellen wir die Betriebe bei uns im Land für die nächsten Jahre auf? Da kommt der Health Check wieder rein.

Ich bin schon der Meinung, dass wir das eine tun müssen, ohne das andere zu lassen. Wir haben über Jahre und Jahrzehnte auch unter dem Eindruck einer Überschussproduktion sehr stark auf Extensivierung gesetzt. Wir haben sehr stark auf eine umweltschonende Landbewirtschaftung gesetzt – zu Recht –, weil wir unsere Umweltmedien, weil wir Wasser, Boden und Luft auch in der tagtäglichen Landbewirtschaftung schüt

zen wollen und nicht nur – so, wie es zum Teil in anderen Ländern Deutschlands der Fall ist – auf ein paar Inseln, die sich Naturschutzgebiet oder sonst wie nennen.

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Das haben wir mit Erfolg gemacht. Diesen Weg müssen wir weitergehen.

Aber wir müssen auch ein Weiteres tun.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Sind wir ein Parlament oder ein Freizeitverein?)

Wir müssen unsere Betriebe so aufstellen, dass sie auch morgen noch produzieren können. Wir müssen sie wettbewerbsfähig machen. Das heißt, es darf in der Zukunft kein Quadratmeter landwirtschaftlicher Boden ohne Not verloren gehen. Das ist letztendlich der Knackpunkt. Die Böden müssen auch tatsächlich bewirtschaftet werden.

(Glocke des Präsidenten)

Dazu bedarf es auch landwirtschaftlicher Betriebe, die dieses tun können.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Winkler?

Bitte schön.

Herr Minister, nachdem Sie gerade mit einer so großen, geradezu euphorischen Begeisterung unsere guten Zustände beschreiben, darf ich Sie daran erinnern, dass 60 % der in Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften zugemischten Biotreibstoffe aus der Dritten Welt eben nicht unter diesen Umständen entstehen.

Ich darf Sie zweitens daran erinnern, dass die Hälfte aller Futtermittel für Milch-, Fleisch- und Tierproduktion aus eben dieser Welt kommen, wo nicht so gute Verhältnisse herrschen. Sehen Sie diese Tatsachen in dieser Reform berücksichtigt, und halten Sie uns für hierfür unmaßgeblich und nicht verantwortlich?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ja, ge- nau!)

Herr Kollege Winkler, jetzt sind wir genau bei den spannenden Fragen. Die erste spannende Frage ist: Wer ist derzeit in der Regierung in Deutschland, und wer war in den letzten Jahren in der Regierungsverantwortung?

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist doch keine Frage! Das wissen wir doch! – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)

Die Frage darf man zumindest einmal stellen. Es gibt eine klare Zuständigkeit. Die gibt es übrigens auch in einer deutschen Bundesregierung. Wenn es um die Frage der Energie, des Ener gieeinspeisegesetzes und seines Vorläufergesetzes geht: Ich war es nicht, der den Einsatz von Palmöl zugelassen hat. Auf die Idee, auf die man jetzt kommt – zu Recht, muss ich sagen –, dass man nur Öle oder Bioenergie aus zertifizierten und da

mit nachhaltig bewirtschaftbaren Flächen einsetzt, hätte man schon früher kommen können. Das ist der erste Punkt.