Protokoll der Sitzung vom 03.12.2008

Wenn das Ziel weiterhin lauten soll, alle Landesteile angemessen am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt teilhaben zu lassen, muss man daher auch den Dörfern, die nicht Siedlungsschwerpunkte sind bzw. nicht an einer Entwicklungsachse, z. B. einer S-Bahn-Linie, liegen, ebenfalls noch Siedlungstätigkeit zur Sicherstellung einer angemessenen Entwicklung zugestehen. So wichtig das Ziel, den Flächenverbrauch zu stoppen, auch ist: Die Umsetzung darf nicht nur in den ländlichen Räumen erfolgen. Auch der ländliche Raum muss noch die Möglichkeit zu einer eigenen Entwicklung haben.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP)

Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Punkt kommen. Gerade der hohe gesamtwirtschaftliche Nutzen der Land- und Forstwirtschaft, der bei der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung unberücksichtigt bleibt, rechtfertigt selbstredend die Vielzahl von Förderprogrammen. Dass aber gerade die Mittel für die Naturparks, die einen hervorragenden Beitrag zu diesem Nutzen leisten, drastisch gekürzt werden, erscheint widersinnig und sollte korrigiert werden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Wohlstand kommt auf guten Straßen. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die Verkehrsinfrastruktur, also für den Straßenbau und für den ÖPNV, sondern im übertragenen Sinne auch für die sogenannten Datenautobahnen. Meine Kollegin Kipfer wird anschließend hierauf näher eingehen.

Auf die Segnungen des EEG gerade im Hinblick auf die Wertschöpfungsmöglichkeiten der Land- und Forstwirtschaft muss ich nicht im Detail eingehen. Aber nicht ohne Stolz darf ich auf den Neckar-Odenwald-Kreis hinweisen, der das ehrgeizige Ziel hat, im Jahr 2009 energieautark zu sein, das heißt die Energie für die 150 000 Einwohner ausschließlich aus erneuerbaren Energien zu decken.

Erfreulich ist auch die erklärte Absicht, die Fachhochschulen und Berufsakademien im ländlichen Raum zu stärken. Ich gehe davon aus, dass es bei dem Kabinettsbeschluss bleibt, z. B. die Berufsakademie in Mosbach für künftig 3 000 Studenten auszubauen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Inklusive Bad Mergentheim!)

Es darf aber auch hier genauso wie bei dem Aus- und Neubau von Bundesstraßen nicht dazu kommen, dass finanzstärkere Städte im Wege der Teil- bzw. Vorfinanzierung strukturpolitische Ziele des Landes unterlaufen.

Zusammenfassend möchte ich feststellen: Politik für den ländlichen Raum bedeutet nicht, Politik gegen die Großstädte und Ballungsgebiete zu machen. Vielmehr muss es darum gehen, dass die ländlichen Räume nicht stiefmütterlich behandelt werden. Lassen Sie uns weiter daran arbeiten. Um auf den Anfang zurückzukommen: Dann können sich auch die Menschen in „Badisch Sibirien“ und in anderen ländlichen Räumen für unsere Politik und an unserer Politik erwärmen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von den Grünen: Wo? – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wohnen im ge- lobten Land! Im Odenwald wächst ja alles! Geseg- netes Land!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Dr. Murschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Ländlicher Raum“ ist ein Querschnittsthema. Das war es schon immer, und das wird es auch immer bleiben. Man kann fast bei jedem Punkt ansetzen und es durchdeklinieren, angefangen bei der Bildung bis hin zu ÖPNV-Versorgungsdienstleistungen usw.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Deklinieren Sie einmal!)

Das tue ich gern. – Laut Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU ist dies Punkt für Punkt eine Erfolgsstory. Sie haben es selbst eben so bezeichnet. Wenn man das so nehmen würde, könnte man den Deckel zuklappen und fragen: Warum reden wir überhaupt darüber? Es gibt keine Probleme, es ist alles wunderbar, und die Kleinigkeiten, die es noch zu regeln gibt, die regeln wir schon.

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Tu Gutes und rede da- rüber!)

Ich denke, es gibt durchaus einige Punkte, die es anzusprechen lohnt. Denn es ist keinesfalls alles in Ordnung, sondern es gibt berechtigte Klagen über die unterschiedlichsten Dinge, sowohl in den Ballungsräumen als auch im ländlichen Raum, wobei sich das nicht ausschließen muss. Nachher werden wir noch über das Breitband reden. Das ist, glaube ich, ein beredtes Beispiel dafür. Die Breitbandversorgung stellt nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in Ballungsräumen ein Problem dar. Für ein kleineres Dorf oder einen Teilort gibt es auch im Ballungsraum schon Probleme. Aber dazu später mehr.

Wir reden hier über einen Großteil der Fläche unseres Landes und über ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Deshalb ist es auch wichtig, wie wir das Thema herüberbringen. Ich denke, man darf nicht sagen: Wir machen Politik für den ländlichen Raum. Das klingt immer so, als würden wir hier in Stuttgart sitzen, durch das Fernglas schauen, wo der ländliche Raum ist – ganz weit weg, rund um Stuttgart –,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: „Badisch Sibirien“! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Als Leonberger Abgeordneter weiß man sicherlich nicht, wo der länd- liche Raum ist!)

und dann machten wir hier Politik. Das ist sicherlich das Falsche. Wir müssen vielmehr eine Politik machen, die den Menschen als Mittelpunkt hat, und zwar die Menschen, die im ländlichen Raum leben – also die Hälfte der Bevölkerung –, und natürlich auch die Menschen, die in einem im Ballungsraum leben. Beide haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Funktionen, und diese gilt es zu befriedigen und zu erfüllen.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Für manchen be- ginnt der ländliche Raum gleich hinter dem Löwen- tor!)

Im ländlichen Raum gibt es Schrumpfungs- und Wachstumsregionen, und dies oftmals ganz eng beieinander. Das heißt auf gut Deutsch: Konzepte, die an einer Stelle vielleicht wirken, können im Nachbarkreis manchmal schon nicht mehr funktionieren.

Lassen Sie mich noch, weil es vorhin angesprochen wurde, auf zwei, drei wichtige Punkte eingehen. Wir Grünen sehen es tatsächlich als eine Art Prioritätenliste: Wo sollen wir denn anfangen mit der Politik?

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Als oberste Priorität sehen wir das Thema Bildung, angefangen z. B. bei der Frage „Zukunft der Hauptschulstandorte“.

Wir werden das ja morgen und bei verschiedenen Gelegenheiten weiter diskutieren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Stellen Sie einmal Ihre Basisschulstandorte vor! – Gegenruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Münsingen!)

Das Konzept der Werkrealschulen soll im Prinzip ja sicherstellen, dass – das wurde ja von Ihnen, Herr Kübler, erwähnt – möglichst an jedem Standort die Schulen erhalten bleiben sollen. Das werden Sie mit einem solchen Konzept natürlich nicht hinkriegen.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Genau zuhören! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ich habe bisher noch nichts darüber gehört, wofür die Grünen im ländlichen Raum stehen!)

Sie sagen ja selbst, es müssten nachher Schulen zusammengeschlossen werden, es müssten mindestens zweizügige Schulen sein. Die Antwort auf die Krise „Bildungsmisere im ländlichen Raum“ ist nicht gegeben, die ist noch offen.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Katrin Altpeter SPD – Oh-Rufe von der CDU)

Dafür brauchen wir echte neue Konzepte.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Kommen Sie doch einmal nach Münsingen! Da können Sie gucken, was es da alles hat! Nicht bloß mit dem Fahrrad durch die Gegend fahren, sondern auch die Augen aufmachen!)

Wir könnten das fortführen bei dem Thema ÖPNV. Damit sind nicht unbedingt Straßen gemeint. Vielmehr ist der ländliche Raum im Grunde genommen vom ÖPNV abgehängt.

(Zuruf der Abg. Elke Brunnemer CDU)

Die medizinische Versorgung ist auch ein wichtiges Thema.

Herr Kollege Dr. Murschel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Kluck?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist auf jeden Fall eine gute Frage!)

Bitte, Herr Abgeordneter.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Als Landwirt spricht der jetzt!)

Herr Kollege, könnten Sie bitte näher ausführen, was Sie unter „Bildungsmisere im ländlichen Raum“ verstehen.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Sehr gut!)

Nach meinen bisherigen Informationen gibt es das dort nicht. Denn die Probleme bestehen eher in großstädtischen Ballungsräumen.

Ich sage nur noch einen Satz dazu; denn wir werden dieses Thema noch oft behandeln. Sie wissen ja auch, was gemeint ist. Diese rhetorische Frage kann ich schlichtweg damit beantworten.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Nein, nein! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir haben es gehört, aber nicht verstanden!)

Sie sagen, wir brauchten die Grundschulen, die Hauptschulen vor Ort. Das ist eine Illusion.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wollen doch die Basisschule, Sie wollen doch gar keine Haupt- schule!)

Wir wollen die Basisschule, das ist richtig.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Also! Was reden Sie dann von der Hauptschule?)

Aber wir wollen, dass eine qualifizierte Schulbildung auch im ländlichen Raum möglich ist. Das ist mit dem Konzept, das Sie vorstellen, nicht möglich. Im Gegenteil, da werden die Schulen mindestens zur Hälfte wegbrechen, dann wird es in einem Großteil der kleinen Gemeinden keine Schule mehr geben.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Schuld ist die CDU!)