Protokoll der Sitzung vom 13.05.2009

Ich frage mich, warum ein solches Abstimmungsverfahren mit den Kirchen notwendig ist, wenn man schon vorher sagt, es gebe keine Möglichkeiten, in irgendeiner Weise rechtlich dagegen vorzugehen.

Aber die Frage ist: Befürchten nicht auch Sie, dass Sie mit diesem Vorgehen, das heißt, die rechtlichen Möglichkeiten hier nicht auszuschöpfen, einen Präzedenzfall schaffen und weitere Anträge kommen, denen Sie dann eben auch stattgeben müssen, ohne rechtliche Schritte einzuleiten?

Herr Staatssekretär, bitte.

Wenn es weitere Anträge auf Anerkennung geben sollte, dann werden wir die genauso intensiv prüfen müssen. Aber ich wage darüber überhaupt keine Prognose abzugeben. Wir wissen sehr wohl, dass es einen sehr schmalen Grat gibt zwischen Sekten und Gemeinschaften, die im rechtsstaatlichen Sinn als sehr problematisch einzustufen sind. Wir haben auch im Schulausschuss sehr ausführlich darüber gesprochen, dass man sehr genau hinschauen muss, bevor man zu einer abschließenden Einschätzung kommt. Insofern wage ich in diesem Zusammenhang keine Position dahin gehend zu beziehen, inwieweit wir dann andere mögliche Folgeanträge abschließend bewerten.

Der Vorstoß der Zeugen Jehovas hat sich über viele Jahre hinweg erstreckt. Ich sage noch einmal: Dies ist kein Vorgang, der aus heiterem Himmel gefallen ist. Seit Anfang dieses Jahrtausends haben die Zeugen Jehovas immer wieder diesen Antrag gestellt. Er kam dann nach einem langen Durchprozessieren über das Oberverwaltungsgericht in Berlin bis in das Bundesverwaltungsgericht hinein. Am Ende kam dann die abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wirklich durch alle Instanzen hindurch gab es eine rechtliche Prüfung. Insofern glaube ich als juristischer Laie sagen zu können, dass die Chancen sehr gering sind, hier nach neuen rechtlichen Ermessensspielräumen zu suchen.

Insofern sagen wir: Wir werden das Gespräch mit den Kirchen führen. Wenn wir aufgrund dieses Gesprächs zu anderen Ergebnissen kommen, werden wir dies natürlich sehr gern hier kommunizieren. Nach der bisherigen Einschätzung und nach dem Abstimmungsprozess, der bereits zwischen allen Bundesländern vorgenommen wurde, sehe ich hierfür allerdings wenig Möglichkeiten.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Gibt es weitere Fragen?

Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Regierungsbefragung wie folgt abläuft: Wenn die SPD-Fraktion eine Frage gestellt hat, kann als Nächs tes die CDU eine Frage stellen. Wenn sie keine Frage stellt, geht das Fragerecht weiter an die Grünen. Wenn sie keine Frage stellen, kommt die FDP/DVP an die Reihe. Dann kommt wieder die SPD an die Reihe. Deswegen müssen Sie nicht aufgeregt werden. Jeder kommt dran. Man kann sich auch mehrfach melden.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Kommt die Frau Krue ger jetzt dran?)

Das ist ein Unterschied zur Fragestunde. Derselbe Abgeordnete kann sich bei der Regierungsbefragung mehrfach hintereinander für seine Fraktion melden. Dies wollte ich noch einmal zum Sachstand klären.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Kommt die Frau Krue ger jetzt dran?)

Jetzt erhält Frau Kollegin Krueger für die CDU-Fraktion das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich denke, wir haben das Verfahren jetzt doch auch etwas besser verstanden.

(Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Dann nehmen wir das!)

Herr Staatssekretär, ohne Zweifel ist es in der Bundesrepublik so, dass höchstrichterliche Rechtsprechung – also eben auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder auch des Bundesverwaltungsgerichts – in aller Regel als unmittelbares Recht gilt.

Nun ist es zweifelsohne so, dass sich die Landesregierung von Baden-Württemberg selbstverständlich an Recht und Gesetz halten muss und halten wird. Gehe ich dennoch recht in der Annahme, dass Sie die Gespräche mit den Kirchen in BadenWürttemberg dazu nutzen werden, Anhaltspunkte zu finden, um das Verfahren an dieser Stelle noch einmal aufzurollen?

(Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Das war jetzt sehr be- müht! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sehr diploma- tisch! – Abg. Peter Hofelich SPD: Das ist keine Re- gierungsbefragung, sondern eine interfraktionelle Willensbildung!)

Herr Staatssekretär, bitte.

Frau Kollegin Krueger, wenn wir Gespräche mit Partnern der Landesregierung führen – die Kirchen in Baden-Württemberg sind in wichtigen politischen Fragen wichtige, unverzichtbare Partner –, dann ist es ein guter Ton, dass man die Gespräche auf gleicher Augenhöhe führt und die Gesprächspartner auch ernst nimmt. Wenn ich sagen würde, wir führten dieses Gespräch mit den Kirchen in Baden-Württemberg, indem wir uns sozusagen in einer monologisierenden Rolle verstünden – sprich dass wir unsere Position zwar formulieren, aber nicht zuhören –, dann wäre das Gespräch nicht zweckmäßig. Wir werden sehr wohl das Gespräch auf gleicher Augenhöhe führen.

Ich sage noch einmal: Wenn der juristische Rat seitens der Kirchen zu Ergebnissen kommt, die uns darin beflügeln könnten, gegenüber den anderen 15 Bundesländern in Deutschland – das will ich noch einmal betonen: gegenüber den anderen 15 Bundesländern in Deutschland – eine andere Position einzunehmen, dann sind wir natürlich sehr gern – nicht nur gern, sondern sehr gern – bereit, zu einem anderen möglichen Ergebnis zu kommen.

(Beifall der Abg. Andrea Krueger CDU – Abg. Hel- mut Walter Rüeck CDU: Das wollen wir hören!)

Aber meine Aufgabe ist es, hier die Fakten darzulegen. Da lässt sich im Grunde auf das hochwertige Urteil des Bundesverfassungsgerichts verweisen. Es wäre falsch, wenn ich dies in diesem Zusammenhang nicht täte.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dietmar Bach- mann FDP/DVP – Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Eine weitere Nachfrage für die FDP/DVP-Fraktion, Herr Abg. Dr. Wetzel.

Herr Staatssekretär, gibt es überhaupt Anhaltspunkte, die einem Hoffnung machen könnten, dass das Bundesverfassungsgericht von der jetzigen

Entscheidung abweicht und zu einem anderen Ergebnis kommt?

(Abg. Peter Hofelich SPD: Die Hoffnung stirbt zu- letzt!)

Bitte, Herr Staatssekretär.

Ich weiß nicht, inwieweit das Bundesverfassungsgericht – sprechen Sie darüber bitte auch mit Verfassungsrichtern – innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums nach umfassender Prüfung zu einem anderen Ergebnis kommt. Ich fühle mich auch nicht befugt, darüber eine Prognose, eine Bewertung abzugeben. Ich sage nur, dass das Bundesverfassungsgericht nach allen Kriterien einer Anerkennung die einzelnen Punkte geprüft hat.

Ich habe eben auch zitiert, dass bezüglich des Verhältnisses zum Rechtsstaat zunächst einmal nach dem Verhalten und nicht nach dem Glauben zu urteilen ist. Das ist im Grunde die wichtige Abwägung, die das Bundesverfassungsgericht vornimmt, die Güterabwägung zwischen Religionsfreiheit und dem tatsächlichem Verhalten gegenüber einem demokratischen Rechtsstaat. Insofern werde ich keine Prognose da rüber formulieren, ob das Bundesverfassungsgericht durch eine mögliche andere Klage zu einem anderen Ergebnis käme.

(Abg. Walter Heiler SPD: Dann könnten Sie es doch probieren!)

Weitere Fragen? – Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Schmiedel.

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, sagen Sie uns, Sie hielten es für möglich, dass sich die Position der Landesregierung durch Gespräche mit der Kirche auf gleicher Augenhöhe ändert.

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Und zwar juris tisch!)

Sie müssen mir nur zuhören.

Jetzt sprechen Sie mit Vertretern des Landtags hoffentlich auch auf gleicher Augenhöhe. Sie stehen aber den Argumenten unerschütterlich wie ein Fels gegenüber. Ist es richtig, dass Sie sich möglicherweise durch Gespräche mit der Kirche bekehren lassen, aber Gespräche mit Vertretern des Landtags völlig ohne Eindruck auf Sie sind?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Natürlich bejahen!)

Herr Staatssekretär, bitte.

Herr Kollege Schmiedel, Sie haben die Möglichkeit, einen parlamentarischen Antrag einzubringen und dann selbst auch diese Rechtsprüfung vorzunehmen, wie wir es seit zwei Jahren tun. Dann kann man gern bei gleichen Argumenten auch eine Güterabwägung vornehmen.

Sie haben vorhin gesagt, Sie seien erst vor Kurzem über diesen Sachverhalt informiert worden. Ich betrachte meine Stellungnahme als erste Unterrichtung dieses Parlaments seitens der Landesregierung. Ich habe in diesem Zusammenhang auch gesagt: Wenn die Kirchen, wie jeder andere im Land, eine Argumentationslinie vortragen, die einen völlig neuen Ermessensspielraum eröffnet, ist das natürlich mit einer neuen Prüfung verbunden.

Aber ich habe im gleichen Zusammenhang deutlich gemacht, dass uns das Bundesverfassungsgericht ganz klar aufgegeben hat – wie allen anderen Bundesländern auch –, dass die Prüfung der Rechtstreue ein ganz wichtiges Instrument der Genehmigung in diesem Fall ist, dies aber an den Einzelfällen, die ich eben zitiert habe, nicht festgemacht werden kann.

Ob ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas an die Massentaufe glaubt oder daran, dass es beispielsweise auch Persönlichkeiten gibt, die im Grunde im Sinne Jehovas den Glauben missionieren können, ist Bestandteil des individuellen Glaubensverhältnisses jedes einzelnen Gläubigen. Es steht dem Staat und auch dem Land Baden-Württemberg nicht zu, diesbezüglich eine Bewertung vorzunehmen. Deshalb können wir dieses Antragsverfahren auch nicht daran festmachen.

Für die CDU-Fraktion eine weitere Nachfrage des Herrn Abg. Hoffmann.

Herr Staatssekretär, ich glaube nicht, dass in diesem Hohen Haus ein Landtagsabgeordneter ist, der die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts sehen will – nicht ein einziger. Trotzdem muss ich noch einmal auf das Haftungsrisiko zurückkommen. Sie haben sich vorhin zur Frage von der SPD, ob es ein Haftungsrisiko gebe, geäußert, und daran möchte ich noch eine Frage anschließen.

Wenn wir die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen müssen, könnten die Zeugen Jehovas, wie andere Religionsgemeinschaften auch, daraus einen Anspruch ableiten, dass wir für sie Kirchensteuer erheben. Wenn dieser Anspruch erhoben würde und wir uns trotz eindeutigem Verfassungsgerichtsurteil dazu entschließen, erneut zu verweigern, könnte damit eventuell ein Haftungsanspruch für die entgangene Kirchensteuer verbunden sein. Teilen Sie diese Ansicht?

Bitte, Herr Staatssekretär.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Da wäre ich jetzt vor- sichtig!)

Wir wissen, dass mit der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gewisse Privilegien verbunden sind. Da gibt es zahlreiche Vergünstigungen und auch Befreiungen im Steuerrecht, die bekannt sind, und auch beim Kosten- und Gebührenrecht. Insofern: Wenn wir diese Anerkennung erteilen, gilt im Grunde für uns nach diesem Rechtsmaßstab auch die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften. Das ist richtig. In diesem Fall ist es nicht nur eine formale Anerkennung, sondern auch die Erteilung von Privilegien. Deshalb ist es uns auch so schwergefal

len, diesen Schritt zu gehen, weil wir es aus innerster Überzeugung eigentlich nicht als gerechtfertigt ansehen, diese Anerkennung auszusprechen. Aber der Kreis der Argumentation schließt sich. Es ist eine Notwendigkeit und letztlich nur eine Frage der Zeit, im Konvoi der anderen Bundesländer diesen Schritt zu gehen. Meines Erachtens ist dieser nach jetzigem Stand auch vernünftig.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Winkler von der SPD-Fraktion.

Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, wo und in welchem Umfang der Verfassungsschutz Untersuchungen bei dieser Religionsgemeinschaft hinsichtlich ihres repressiven Verhaltens bei Ausstiegswilligen durchgeführt hat?