Protokoll der Sitzung vom 23.01.2013

Wir müssen die anderen Länder dafür gewinnen, und zwar die Länder beider Seiten, also die Nehmerländer wie auch die Ge berländer. Dann ist die Chance größer, dass wir im Wege der Verhandlungen weiterkommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rül ke FDP/DVP: Wann fangen Sie an?)

Wir müssen diese Zeit nutzen, um gemeinsam ein gutes Kon zept zu entwickeln,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

das das gesamte innerstaatliche Finanzsystem neu regelt und mehr Anreize und mehr Gerechtigkeit schafft. Um all diese Punkte geht es.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und wann geht es los?)

Dafür laufen bereits Verhandlungen und Gespräche. Die Re gierungsseite wird sicher sagen, wie weit sie ist. Aber auch Sie wissen: Bei den Verhandlungen geht es um einen sehr komplexen Sachverhalt, und eine Regelung ist nicht sofort möglich. Man braucht mindestens vier oder fünf Jahre. Wenn man wirklich die Landesinteressen ernst nimmt und sich zur Verfassung dieses Landes bekennt, dann muss man auch ein Interesse daran haben, Verhandlungen seriös und konstruktiv zu führen und weg von Bierzelten und Wahlkampfzeiten zu kommen. Dafür ist das Thema zu wichtig. Wir haben Verant wortung für Baden-Württemberg, wir sind baden-württember gische Abgeordnete. Aber das Grundgesetz gilt natürlich auch hier, und darin ist der Finanzausgleich geregelt. Es gilt, da und dort eine vernünftige Regelung zu finden.

Noch eine letzte Bemerkung zur Klage. Es ist sehr nett, Herr Herrmann, wenn Sie meinen, das Bundesverfassungsgericht würde sich beeindrucken lassen, wenn auf einmal drei „star ke Jungs“ auftreten. Welches Verständnis haben Sie denn vom Bundesverfassungsgericht? Sie wissen doch genau, nach wel chen Kriterien, wie objektiv und genau dort Urteile gefällt werden – zum Glück –, dass das nichts mit Muskelkraft zu tun hat und nichts damit zu tun hat, wie viele sich zusammentun. In welcher Welt leben Sie denn? Sie wissen, dass eine Klage auch Risiken birgt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie wissen, dass die Kommunen in Baden-Württemberg eine stärkere Finanzkraft haben als die Kommunen in Bayern und Hessen. Sie wissen auch genau, dass es durchaus sein kann, dass wir, wenn man die Finanzkraft der Kommunen stärker

berücksichtigen würde, als dies jetzt der Fall ist, mehr bezah len würden als heute. Dann hätten wir nicht einmal die Chan ce gehabt, zu verhandeln. Deshalb: Lieber vorher konstruktiv und richtig verhandeln, damit wir das Beste für unser Land herausholen. Wenn gar nichts geht: Spätestens nach dem Jahr 2019 entfällt der jetzt geltende Länderfinanzausgleich sowie so, und dann muss man ohnedies eine neue Regelung treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Maier das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg zahlte im Jahr 2012 2,6 Milliarden € in den Länderfinanzausgleich, Bayern zahlte 3,9 Milliarden €, Hessen zahlte 1,9 Milliar den €, und Berlin bekommt 3,3 Milliarden €. Das ist eine tol le Story

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

für populistische, von der FDP/DVP beantragte Aktuelle De batten sowie den Landtagswahlkampf in Bayern und in Hes sen.

Wir sollten einmal festhalten: Die derzeitige Regelung des Länderfinanzausgleichs wurde im Land von Schwarz-Gelb unter Ministerpräsident Teufel ausgehandelt und als Erfolg verkauft. Jetzt wollen die, die für das derzeitige System ver antwortlich zeichnen, gegen ihr eigenes Gesetz klagen. Das ist schon bemerkenswert.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Genau! Das ist per vers!)

Trotzdem, meine Damen und Herren: Zweifellos ist der Län derfinanzausgleich reformbedürftig. Er bietet keine ausrei chenden Anreize zur Stärkung der eigenen Steuereinnahmen. Herr Herrmann, wir sind mit Ihnen einig: Der Solidaritätsge danke unter den Ländern wird überstrapaziert, und im Fall Berlin wird der Länderfinanzausgleich immer mehr zu einem Bedarfsausgleich für die Bundeshauptstadt.

Ich meine aber, der richtige Schritt, um diese Probleme und diese Missverhältnisse in den Finanzbeziehungen zu beseiti gen, sind Verhandlungen. Es ist auch etwas geschehen, Herr Rülke. Die Ministerpräsidenten haben sich auf einer Konfe renz in Thüringen auf einen gemeinsamen Vorstoß zur Neu ordnung des Länderfinanzausgleichs und der Bund-LänderFinanzbeziehungen geeinigt. Olaf Scholz, der Erste Bürger meister der Hansestadt Hamburg, ist Verhandlungsführer. Er hat den Auftrag, einen Fahrplan für Gespräche vorzulegen und eine Liste von Themen aufzustellen. Der Ministerpräsident wird nachher von kompetenter Seite sicherlich einiges dazu erklären.

Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich ist riskant. Ich gebe da meiner Kolle gin, Frau Aras, recht. Namhafte Rechtsprofessoren halten die Erfolgsaussichten für relativ gering – ich beziehe mich auf Professor Ulrich Häde – oder warnen sogar vor einer Klage, wie etwa der Wirtschaftsweise Professor Feld.

Das erste große Risiko liegt bei der Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft. Wird die kommunale Finanzkraft stärker einbezogen als bisher – nach der letzten Klage wurde dieser Anteil schon von 50 % auf 64 % erhöht –, bedeutet das für Baden-Württemberg ein großes Risiko und Zusatzzahlun gen von großem Ausmaß.

Der Länderfinanzausgleich ist nur ein Teil unseres Finanzaus gleichssystems. Er funktioniert horizontal zwischen den Län dern. Man kann genau ablesen, welches Land zahlt und wel ches Land etwas bekommt, und macht daraus natürlich ein großes Politikum. Bei der Umsatzsteuer wurde es aber ganz still. Sie wird vertikal verteilt. Viel mehr Milliarden Euro ge hen hier zum Bund und vom Bund wieder zurück zu den Län dern.

Wenn man sich die Sache einmal genau anschaut, sieht man, dass die Umsatzsteuer eine extrem hohe Verteilungswirkung hat. Wenn man die gesamten Finanzausgleichsströme in den Blick nimmt, sind Baden-Württemberg, Bayern und Hessen dabei, aber mit relativ großen Strömen ist auch NordrheinWestfalen dabei, ebenso wie Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Man muss also aufpassen, dass, wenn all diese Finanzströme gegeneinander aufgerechnet werden, Ba den-Württemberg bei einer Klage nicht den Kürzeren zieht.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Es ist auch nicht ausgemacht, dass man mit einer Klage schneller ans Ziel kommt. Das letzte Urteil des Bundesverfas sungsgerichts zum Länderfinanzausgleich stammt aus dem Jahr 1999. Es gab kleine Änderungen zugunsten und zuun gunsten der Geberländer. Das Gericht legte damals einen Zeitrahmen bis 2004 fest, innerhalb dessen seine Anforderun gen in Gesetzesform zu gießen waren. 2005, also sechs Jahre später, war dann die Föderalismuskommission II so weit und hat die neuen Regelungen, die heute gelten, beschlossen.

Wenn wir jetzt eine Klage einreichen würden, sähe ich keinen zeitlichen Vorteil. Das Bundesverfassungsgericht wird kein Diktat machen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Woher wissen Sie das?)

Es wird die Regelungen nur im Rahmen von Leitplanken fest legen. Man würde also nach wie vor verhandeln müssen. Ich glaube, es wäre falsch, diejenigen, die wir für diese Verhand lungen brauchen, vor den Kopf zu stoßen und hier mit einer Klage und mit unzähligen Debatten schlechte Stimmung zu machen.

Zum Schluss möchte ich auch noch einmal unterstreichen: Es handelt sich beim Länderfinanzausgleich um einen Einnah meausgleich. Die unterschiedliche Steuerkraft innerhalb der Bundesrepublik soll damit ausgeglichen werden. Einen Zu sammenhang mit dem Nürburgring oder dem Berliner Flug hafen herzustellen, wie es im Titel der Aktuellen Debatte wie der einmal gemacht wird, ist völlig daneben. Das ist populis tisch und zeugt von Unkenntnis dieser schwierigen Materie.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Willkommensgruß dem Marschall der Woi wodschaft Lodz, Herrn Witold Stepien, der mit einer Delega

tion dem Land Baden-Württemberg vom 22. bis zum 25. Ja nuar einen Besuch abstattet.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wie Sie wissen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat der Ausschuss für Europa und Internationales beschlossen, eine Partnerschaft mit einer Region Polens anzustreben. Auf Ein ladung der Landesregierung sind nun unsere Partner aus der Region Lodz in Baden-Württemberg, um weitere Gespräche zu führen.

Dem Anliegen, Menschen aus Lodz und aus Baden-Württem berg einander näherzubringen, trägt der Landtag mit einer Ausstellung Rechnung, die in der Mittagspause in der Ein gangshalle des Landtagsgebäudes eröffnet wird. Hierzu sind Sie alle eingeladen.

Sehr geehrter Herr Marschall Stepien, ich wünsche Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Delegation weiterhin einen angeneh men Aufenthalt in unserem Bundesland und vor allem inter essante und erfolgreiche Begegnungen und Gespräche Ihrer Delegation mit der Landesregierung.

Noch einmal herzlich willkommen!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Ministerpräsi denten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe das System des Länder finanzausgleichs im vergangenen Jahr als bescheuert bezeich net. Das war vielleicht nicht gerade eine feine Wortwahl,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber zutref fend! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die war richtig!)

aber in der Sache fühle ich mich durch die veröffentlichten Zahlen zum Länderfinanzausgleich bestätigt. Das gegenwär tige System setzt falsche Impulse, und das komplizierte Inei nandergreifen dieser kaum noch zu verstehenden Mechanis men treibt wirklich nicht mehr nachvollziehbare Blüten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Unsere Finanzkraft ist gestiegen. Wir haben 11 % mehr Steu ern eingenommen. Darauf sind wir stolz, und wir sind froh darüber. Aber das geht nicht nur uns so. Berlin, das mit Ab stand größte Nehmerland, hat ebenfalls einen Zuwachs – um 7,9 % – zu verzeichnen,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Hessen, der drittgrößte Zahler, dagegen nur um 2,2 %, und dennoch bekommt Berlin 280 Millionen € mehr als im Vor jahr.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Bescheu ert!)

Hamburg, meine Damen und Herren, ist mit Abstand das fi nanzstärkste Land der Bundesrepublik. Pro Kopf erwirtschaf ten die Hamburger und Hamburgerinnen 2 134 € an Steuer einnahmen. Bei uns sind es 1 223 €. Hamburg liegt bei den

Umsatzsteuereinnahmen bei 149 % des Bundesdurchschnitts, wir liegen bei 121 %.