Protokoll der Sitzung vom 30.01.2013

Wir teilen diese Ansicht. Auch hier gibt es Probleme. Vermut lich wäre es für die kommunal geprägte Struktur in Deutsch land sogar besser gewesen, man hätte diese Konzessionsricht linie überhaupt erst einmal gar nicht neu bearbeitet. Zusam men mit der CDU und den Grünen hat auch die FDP auf EUEbene lange versucht, zu verhindern, dass diese Konzessions richtlinie überarbeitet wird. Das Problem war aber die SPD,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört, hört!)

die dies durchsetzte. Die Berichterstatterin der Kommission, Heide Rühle,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört, hört!)

eine Grüne, sagte, die SPD habe mit ihrem Vorpreschen der deutschen Sache einen Bärendienst erwiesen.

(Zuruf: So ist es!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Fass wieder zu zubekommen, wenn es halt einmal aufgemacht ist, ist natür lich – –

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wer hat das gesagt? Namen! – Abg. Peter Hofelich SPD: Mein Friseur hat das einmal gesagt!)

Das habe ich gesagt: Frau Heide Rühle, Berichterstatterin, Grüne. Das ist nachzulesen. – Das Fass wieder zuzubekom men, nachdem es einmal offen ist, ist viel schwieriger, als wenn man das Thema von vornherein nicht angegangen wä re. Bereits Goethe wusste: „Die ich rief, die Geister, werdʼ ich nun nicht los.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es gesagt: Fast immer herrscht bei europapolitischen Themen hier im Haus Einigkeit, so auch hier. Den Entwurf der Konzessions richtlinie halten wir nicht für gut. Den Kompromiss halten wir für kaum besser. Das zeigt das Grundproblem in Europa, näm lich dass manches Mal die Kommission zu weit weg ist vom Parlament, die Exekutive zu weit weg von der Legislative.

Die Probleme habe ich aufgeführt. Was nicht das Problem ist, nämlich ein Privatisierungszwang, habe ich Ihnen auch ge sagt. Jetzt so zu tun, als gäbe es doch einen Privatisierungs zwang, halte ich wirklich für schwierig und auch für unseri ös.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Unseriös!)

Erlauben Sie mir bitte noch eine letzte Bemerkung. Es ent steht in letzter Zeit der Eindruck, es gäbe keine landespoliti schen Themen mehr. Immer öfter möchten Sie über die dop pelte Staatsbürgerschaft oder Gesundheitspolitik oder darü ber reden, wie und wann Fessenheim abgeschaltet wird, und darüber, wie sich die Bundesregierung jetzt verhalten muss, und überhaupt, wie sich die französische Regierung verhalten soll. Glauben Sie wirklich, dass Sie bereits alle Probleme im Land gelöst haben

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ablen kungsmanöver!)

und sich jetzt anderen Themen zuwenden können? Ich glau be das nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Regierung spricht Umwelt minister Franz Untersteller.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kol legen! Mit Sorge verfolge ich die Beratungen, Herr Kollege Glück, und auch die Ergebnisse auf europäischer Ebene zu dem von der Kommission vorgelegten Entwurf einer Richtli nie über die Konzessionsvergabe. Wie man die Debatte, die wir heute Morgen führen, nennt, ob man das Wort „Privatisie rung“ darin verwendet oder nicht, Herr Kollege Glück, ist nicht das Problem. Das Problem ergibt sich, wenn man ein mal einen Blick in diesen Richtlinienentwurf wirft. Da wird man sehr schnell feststellen, was hier langfristig das Ziel ist.

Aus unserer Sicht treibt die EU-Kommission Regelungen vo ran, die darauf hinauslaufen, einen internationalen Markt und Wettbewerb für Wasser als frei handelbare Ware einzuführen.

Das ist der Kern dieses Richtlinienentwurfs. Auch die jüngst in der Mitteilung der EU-Kommission zum sogenannten Blue print enthaltenen Ausführungen zu Wasserhandelssystemen lassen sich aus unserer Sicht dahin gehend interpretieren.

Ehrlich gesagt war ich etwas überrascht, Herr Kollege Rein hart, wie sich die Bundesregierung in dieser Frage verhalten hat. Denn die Bundesregierung hat im Rat diesem Entwurf, so wie er jetzt vorliegt, zugestimmt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Hört, hört!)

Ich kann auch vor dem Hintergrund der Reden, die hier ge halten wurden, nicht verstehen, dass nicht auch von Ihrer Sei te aus eine deutliche Ansage in Richtung Berlin erfolgt ist, welche Folgen dieser Richtlinienentwurf für uns in BadenWürttemberg hätte. Ich werde noch näher darauf eingehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es liegt nämlich aus unserer Sicht klar auf der Hand, was ein europäisches Wasserhandelssystem gerade für Baden-Würt temberg, aber auch für Deutschland insgesamt bedeuten wür de und welche Folgen es haben könnte. Ich frage Sie: Soll Wasser eines Tages wie Öl und Gas in Pipelines quer durch Europa geleitet werden? Niemand hier will das – das ist in der Debatte klar geworden –, aber im Kern kann diese Richtlinie, wenn man sie zu Ende denkt, durchaus – zugegebenermaßen in ferner Zukunft – dazu führen.

Ein pfleglicher Umgang mit den Wasserreserven ist nur durch setzbar, wenn die damit verbundenen Nachteile unmittelbare Vorteile für die Betroffenen haben. Das ist aber nur der Fall, wenn die Wasserversorgung ortsnah erfolgt. Eine ortsunge bundene Wasserversorgung hingegen führt aus unserer Sicht zu ungebundener Verantwortungslosigkeit. Dies stünde im Übrigen in eklatantem Widerspruch auch zu den Festlegun gen in der Wasserrahmenrichtlinie der EU. Darin heißt es – ich zitiere –:

Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererb tes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend be handelt werden muss.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Mit der natur- und ortsgebundenen Erschließbarkeit verbin det sich bis heute weitgehend ein natürliches Monopol. Mit Wasserschutzgebieten nehmen die Kommunen, nehmen die Landwirte und nehmen die Bürgerinnen und Bürger Ein schränkungen für ihr Wasser in Kauf. Mit der Unterwerfung der Wasserversorgung unter einen europaweiten Wettbewerb werden diese Identifikationen und nicht zuletzt deshalb Ver sorgungsorientierung, Versorgungssicherheit, Qualität und ökologische Nachhaltigkeit infrage gestellt. Mit der jetzt vor liegenden Initiative der Kommission wird diese besorgniser regende Entwicklung aus unserer Sicht eindeutig vorangetrie ben.

Meine Damen und Herren, der Entwurf der Konzessionsricht linie widerspricht nicht nur der eben von mir zitierten Was serrahmenrichtlinie, sondern er widerspricht auch den Zielen des Vertrags von Lissabon. Die Europäische Union hat dort in einem Zusatzprotokoll den nationalen und lokalen Behör den eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Erledigung

von Aufgaben der Daseinsvorsorge zugesichert. Traditionell ist die Wasserversorgung – das ist auch in den Debattenbei trägen deutlich geworden – kommunale Aufgabe im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Aus guten Gründen ist in Deutschland, konkret in § 50 des Wasserhaushaltsgesetzes, festgelegt, dass der Wasserbedarf vorrangig aus ortsnahen Vor kommen zu decken ist.

Für dieses Aufgabenverständnis und die entsprechenden de zentralen Strukturen sind eine europaweite Ausschreibung und die vorgesehenen Regularien absolut untauglich. Es mag schon richtig sein – so auch die Verlautbarungen, die ich in den letzten Tagen bei verschiedenen Gesprächen in Brüssel mitbekommen habe, bei Gesprächen mit Europaabgeordne ten aus Baden-Württemberg, aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommission –, dass die Richtline, Herr Kolle ge Glück, nicht die Privatisierung der Wasserversorgung ver ordnet. Völlig d’accord. Aber der Prozess, Wasser zur Han delsware zu machen, wird mit dieser Richtlinie wieder ein Stück vorangetrieben. Auch die Beschränkung des Geltungs bereichs der Richtlinie auf Wasserversorgungsunternehmen mit signifikantem privatwirtschaftlichem Anteil – aktuell sind 20 % in der Diskussion – kann mich nicht beruhigen, da in Baden-Württemberg ca. 40 % der Bewohnerinnen und Be wohner von solchen Wasserversorgungsunternehmen versorgt werden.

Herr Dr. Reinhart, gerade gestern habe ich ein Schreiben von Herrn Dr. Schwab, Mitglied der EVP-Fraktion im Europäi schen Parlament, bekommen, in dem er schreibt: Die Wasser versorgung bleibt in den Händen der Kommunen. In seinem Schreiben heißt es weiter: Die EVP-Fraktion konnte hinsicht lich der Berechnung der Tätigkeiten von 80 %, die zu einem Ausschluss von den Regelungen der Konzessionsvergabe füh ren, durchsetzen, dass nur, wenn mehr als 20 % des Geschäfts außerhalb der eigenen Reihen erbracht werden, Dienstleistun gen künftig ausgeschrieben werden müssen.

Noch einmal: Wenn das zur Grundlage gemacht wird, sind da von in Baden-Württemberg 40 % der Kommunen betroffen. Das ist der Punkt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Die Bedingungen für die Vergabe an öffentlich kontrollierte Unternehmen oder andere Formen der interkommunalen Ko operation werden durch die Konzessionsvergabe zumindest deutlich erschwert, und die komplexen Regelungen, die hier vorgegeben wurden, führen aus unserer Sicht vor allem zu ei nem, nämlich zu mehr Rechtsunsicherheit.

Die vorgesehenen Regelungen könnten jedoch auch für Kom munen, die ihre Wasserversorgung in der Vergangenheit pri vatisiert oder teilprivatisiert haben, Anlass sein, dies im Rah men der angedachten Übergangsfrist – im Moment ist das Jahr 2020 in der Diskussion – wieder rückgängig zu machen.

Auch das häufig verwendete Argument – um das auch noch einmal anzuführen –, Privatisierung oder Dekommunalisie rung sei mit günstigen Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher gleichzusetzen, ist nachweislich nicht stichhal tig. Dazu muss man sich nur die Situation in Baden-Württem berg genauer anschauen. Der Preis für den Kubikmeter Trink

wasser in den Gemeinden unseres Landes, die durch ein pri vates Wasserversorgungsunternehmen versorgt werden, lag im Jahr 2010 im Durchschnitt bei 2,05 € und damit um gan ze 21 Cent, sprich gut 10 %, höher als in den durch Regie- oder Eigenbetriebe der Kommunen versorgten Gemeinden.

Auch das spricht aus meiner Sicht eine eindeutige Sprache. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Interesse unseres Landes und im Interesse der Verbraucherinnen und Verbrau cher sein soll, einer solchen Richtlinie zuzustimmen. Noch einmal: Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, dass die Bundesregierung dieser Richtlinie im Rat das Okay gegeben hat.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Meine Damen und Herren, das zentrale Anliegen der EU, auf lange Sicht einen internationalen Markt und Wettbewerb für Wasser als frei han delbare Ware durchzusetzen, lehne ich strikt ab. Ich bin dank bar für die Unterstützung, die es hier im Haus über die Frak tionen hinweg für diesen Kurs gibt.

Die Landesregierung wird sich auch weiterhin dafür einset zen, dass die Gestaltungsspielräume der Kommunen bei Leis tungen der Daseinsvorsorge wie der öffentlichen Wasserver sorgung durch europäische Wettbewerbsregelungen nicht aus gehöhlt werden. Ich habe bereits vor 14 Tagen einen ausführ lichen Brief an die Mitglieder des Wettbewerbsausschusses auf EU-Ebene sowie einen Brief an meinen Kollegen auf Bun desebene, Peter Altmaier, geschrieben und habe in den letz ten Tagen auch intensive Gespräche in Brüssel zu dem The ma geführt. Unser Ziel ist es, die bewährten Strukturen der kommunalen Wasserwirtschaft bei uns im Land auch in Zu kunft zu erhalten. Ich denke, das habe ich in meiner Rede deutlich gemacht.

Wir brauchen in Europa – das sage ich in aller Deutlichkeit – keine Richtlinie, die die Vergabe von Konzessionen im Be reich Wasser zum bürokratischen Hindernislauf macht. Wir brauchen auch keine Richtlinie, die mehr Rechtsunsicherheit schafft und die Zusammenarbeit der Kommunen erschwert. Wir werden den vorhandenen landespolitischen Spielraum nutzen, um insbesondere im Bereich der Wasserversorgung die kommunale Daseinsvorsorge auch zukünftig in öffentli cher Hand zu halten.

Nachdem ich in den letzten Tagen dem Kollegen Altmaier be reits einen Brief habe zukommen lassen, in dem ich die Pro blematik noch einmal dargelegt habe, werden wir jetzt als nächsten Schritt einen Entschließungsantrag im Bundesrat ein bringen. Ich hoffe hier natürlich auch auf breite Unterstützung von Regierungen anderer politischer Couleur. Denn ich glau be, es kann nicht im Interesse irgendeiner Landesregierung hier in Deutschland sein, dass diese Richtlinie in dieser Form zum Tragen kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Marwein.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! Den Kollegen Glück kann ich beruhigen: Man kann den Titel der Aktuellen Debatte – „Kein Privatisie rungszwang durch Europarecht“ – unterschiedlich lesen. Für uns ist das eine Feststellung, dass das so nicht sein soll. Dar an sieht man aber vielleicht, dass man manchmal etwas deut licher formulieren sollte.

Aber uns war vor allem die Aktualität wichtig. Am 24. Janu ar hat der EU-Binnenmarktausschuss entschieden. Heute, am 30. Januar, sechs Tage später, führen wir hier diese Debatte. Daran wird klar, wie brisant das Thema ist und wie engagiert sich der Landtag – das ließ sich in allen Reden feststellen – gegen diese Konzessionsrichtlinie positioniert.