Protokoll der Sitzung vom 24.04.2013

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Andreas Glück FDP/DVP: Sie wollten doch Regierung wer den!)

Ob letztendlich Philippsburg Teil der Lösung sein wird, ist noch völlig unklar. Das ist keine Frage von irgendwelchen po litischen Bereitschaftserklärungen, sondern diese Frage wird – so meine ich – heute Mittag in einem Gespräch geklärt wer den, zu dem der Bundesumweltminister die vier Betreiber in Deutschland eingeladen hat.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wer denn sonst?)

Wer denn auch sonst?

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Letztendlich geht es nur so, dass die Betreiber sich bereit er klären müssten, von ihren bestehenden Genehmigungen ab zuweichen und Änderungsgenehmigungen zu beantragen. Üb rigens gilt es eine Reihe von rechtlichen und technischen Fra gen zu klären. Ebenso müsste die Frage der Kosten, die Sie angeschnitten haben, geklärt werden. Das sind alles Punkte, die es zu klären gilt. Solange dies nicht geklärt ist, ist es ein fach unverantwortlich, hier mit Philippsburg zu spekulieren.

(Abg. Peter Hauk CDU: Wir haben es nicht ins Spiel gebracht!)

Philippsburg kann ein Teil der Lösung sein. Das hat der Herr Ministerpräsident ausdrücklich betont. Wir reden über fünf Behälter mit mittel radioaktiven Abfällen. In manchen Inter views von Bürgermeistern und anderen lese ich etwas von fremden abgebrannten Brennelementen. Da heißt es, man neh me nur eigenen Atommüll. Wenn dies so wäre, dann müsste man überlegen, wie viele Behälter heute in Gorleben stehen, die den einzelnen Standorten, sei es auch Philippsburg oder Neckarwestheim, zuzurechnen sind. Deshalb warne ich vor solch einer Diskussion.

Herr Kollege Rülke, von der Last, die Baden-Württemberg mit einem Anteil der Kernenergie von 50 % zu tragen hatte, habe ich in der Vergangenheit nicht viel gemerkt, als es um die Frage der Laufzeitverlängerung gegangen ist. Da haben Sie sich nicht hingestellt und gesagt: „Jetzt haben wir die Last lange genug getragen, Schluss mit Laufzeitverlängerung.“ Sie haben vielmehr der Laufzeitverlängerung das Wort geredet.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Selbst betrieben!)

Gott sei Dank kam das dann – wie wir heute wissen – alles anders. Aber verstehen Sie: Das ist irgendwie schizophren. Auch an den Standorten war es keine Last, wenn wir ehrlich sind.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt plötz lich nicht mehr!)

Die Standorte haben vielmehr über die Jahre mit den Anla gen, die in den jeweiligen Kommunen angesiedelt waren, gut verdient.

Noch einmal: Es geht um fünf Behälter mit mittel radioakti ven Abfällen, die in Zwischenlager zurückkommen, denen dank des Ausstiegsbeschlusses von 2011 eine erheblich grö ßere Menge an hoch radioaktiven Abfällen erspart geblieben ist. Es wäre einfach töricht, wenn man jetzt nicht sagen wür de, dass man insgesamt zu einer Lösung beiträgt, die Nieder sachsen in diesen Konsens einschließt. Das war der Grund für diese Lösung. Das war der Grund, weshalb der Ministerprä sident gesagt hat, dass wir bereit sind, hier Verantwortung zu übernehmen, von anderen aber auch erwarten, dass sie eben so Verantwortung übernehmen.

Abschließend möchte ich Sie noch einmal bitten, dazu beizu tragen, dass dieser Konsens zum Tragen kommt, dass er er folgreich verläuft. Ich glaube, das ist eine Chance. Welche Chance darin steckt, sieht man grundsätzlich – auch da gibt es Schwierigkeiten beim Ablauf – beim Suchverfahren in der Schweiz für ein Tiefenendlager. Das ist eine völlig andere Form der Kommunikation und Diskussion, die dort stattfin det, als sie bei uns über all die Jahre im Zusammenhang mit Gorleben bestand.

Meine Hoffnung ist, dass wir diese Qualität von Diskussion über die Frage des Prozesses zur Endlagersuche auch in Deutschland hinbekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Bevor ich dem Ministerpräsidenten, der erneut um das Wort gebeten hat, das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass durch die Dimension der Redezeit der Re gierung jetzt weitere Redezeit der Fraktionen ausgelöst wor den ist. Nach jetzigem Stand sind das pro Fraktion vier Mi nuten.

Jetzt hat der Herr Ministerpräsident das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei einigen hier scheint mir eine wesentliche Frage nicht ganz klar zu sein, nämlich die Frage: Was ist eigentlich ein nationaler Konsens? Natürlich besteht Einigkeit darüber, dass die Endlagerung national erfolgt. Das heißt, dass nicht jedes Bundesland, das Atomkraftwerke be treibt, selbst ein Endlager sucht. Das ist die Grundlage. Es wird national nach einem Endlager gesucht.

Was heißt nun „nationaler Konsens“? „Nationaler Konsens“ heißt: Die Entscheidungen werden auf nationaler Ebene ge fällt, und die Frage, wo ein Endlager hinkommt, wird nicht regional, sondern von den Bundesorganen entschieden. Das ist das Entscheidende am nationalen Konsens. Bundestag und Bundesrat fällen diese Entscheidung. Im Bundesrat – das weiß jeder – wirken die Länder mit. Er besteht ja schließlich aus Vertretern der Länder. Das ist das Entscheidende am nationa len Konsens.

Das hat einen guten Grund: Natürlich will zunächst einmal keine Region Atommüll haben. Das ist doch offenkundig. Al so können wir die Entscheidung nicht regional treffen. Sie muss von den Bundesorganen gefällt werden und darf nicht von der Region getroffen werden. Das ist der Kern des natio nalen Konsenses. Anders wird es nie funktionieren.

Wer soll das Ganze denn bitte stemmen? Überlegen Sie ein mal, welche Konflikte schon ein unterirdischer Bahnhof be reitet.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Karl-Wilhelm Röhm: Die sind von Ihnen künstlich erzeugt!)

Stellen Sie sich einmal vor, was dasjenige Land, dem zum Schluss ein atomares Endlager zugewiesen wird, stemmen muss.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Das kann nur gestemmt werden, wenn dahinter ein Konsens der Parteien, der Bundesorgane, von uns allen steht. Anders kann das nicht funktionieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Kollege Rülke, ich habe hier überhaupt nichts gefeiert. Das war ein sehr, sehr schwieriger Prozess, und ich habe ge sagt: Das ist der erste Schritt dazu.

Worauf es jetzt ankommt – das ist ganz entscheidend –, ist einzig und allein, Vertrauen zu schaffen. Das ist das Entschei dende, wofür wir sorgen müssen. Denn dieses Vertrauen ist in der Gorleben-Debatte in Jahrzehnten untergegangen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Von wem denn?)

Darum fangen wir neu an, weil wir das Vertrauen nur in ei nem nachvollziehbaren, transparenten Verfahren, an dem al le mitwirken können, schaffen können. Vertrauen ist immer leicht verspielt, aber schwer wieder aufgebaut. Deswegen bit te ich alle dringend, an diesem Prozess der Vertrauensbildung mitzuwirken und ihn nicht schon von vornherein zu durchlö chern.

Die erste schwierige Frage – das haben Sie schon aufgezeigt – sind die Kriterien: Welche geologischen Formationen sind überhaupt geeignet? Jetzt ist doch ganz klar, was eintreten wird – das hat die Debatte in den anderthalb Jahren gezeigt, ist aber nicht neu –: Jeder versucht natürlich, die Kriterien so zu gestalten, dass der Müll nicht bei ihm landet. Diese Erfah rung haben wir in den anderthalb Jahren oft gemacht. Ich kann nur an alle appellieren, das nicht zu machen. Das untergräbt von vornherein den Vertrauensbildungsprozess.

Darum ist jetzt eine hochrangige Kommission eingesetzt wor den, die sozusagen noch einmal von vorn anfängt. Natürlich erfinden wir hier das Rad nicht neu. Natürlich gibt es darüber eine lange Debatte, was geeignet ist, aber es kommen immer auch neue Erkenntnisse dazu. Man muss jetzt das Vertrauen in diejenigen haben, die letztlich über diese Kriterien entschei den. Das muss stimmen, damit wir uns dann auch dahinter stellen können. Da darf nicht jeder an den Kriterien herum schrauben, um – das ist ein durchsichtiges Manöver – zu er reichen, dass der Müll nicht bei ihm landet.

Diese Gefahr ist enorm. Ich habe mitten im Prozess erlebt, dass ein Kollege von mir auf einmal hereinkam und erklärte, warum ein bestimmtes Gestein nicht geeignet sei. 15 Minu ten später war er wieder weg. Nach 30 Sekunden wussten aber alle, was er wollte: schauen, dass der Müll nicht bei ihm lan det.

Deshalb mache ich keinerlei Angebote, Herr Kollege Rülke – überhaupt nicht.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Philipps burg war schon ein Angebot!)

Das wäre völlig falsch. Das habe ich nie gemacht. Das werde ich auch nie machen. Es geht vielmehr darum, dass die Flä che der gesamten Bundesrepublik Deutschland eine weiße Landkarte ist, und da gehört Baden-Württemberg bekanntlich dazu. Auch hier kann ganz normal gesucht werden. Aber erst muss man sich auf die Kriterien festlegen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie müssen auch Folgendes berücksichtigen: Wir müssen ja einen Standort in Deutschland finden. Aber die Geologie ist nun einmal nicht danach entstanden, dass Menschen irgend wann einmal auf die Idee gekommen sind, Atommüll zu pro duzieren, der dann gelagert werden muss – nach diesem Prin zip ist die Geologie leider nicht entstanden –, sondern die geo logischen Gegebenheiten sind so, wie sie sind. Wir müssen in

der real existierenden Geologie einen Standort finden. Das kann nur der sicherstmögliche Standort sein.

Wir müssen bei den Kriterien aufpassen, dass wir sie nicht so weit hochzonen, dass wir in Deutschland überhaupt keinen Standort mehr finden. Auch diese Gefahr ist sehr groß. Das habe ich immer wieder denjenigen – auch aus den eigenen Reihen – gesagt, die so etwas versucht haben. Man muss da auf dem Teppich bleiben. Das muss sich nach der Geologie richten, die wir hier in Deutschland haben.

Meine Damen und Herren, das ist ein höchst fragiler Prozess. Das Schwierigste ist die Kriterienfestlegung am Anfang. Selbstverständlich wird sich da jeder einbringen, auch die Geologischen Landesämter. Es ist ja erwünscht, dass sie Sach verstand in diese Debatte einbringen. Aber die Geologischen Landesämter werden das zunächst einmal nicht entscheiden. Vielmehr wird es erst in der untertägigen Phase – das ist die dritte Stufe – dann so konzipiert sein, dass wir, auch der Land tag von Baden-Württemberg, klagen könnten, wenn der Land tag das wollte und das Verfahren nicht für richtig und nicht für transparent halten würde.

Ob hier in Baden-Württemberg Standorte geeignet sind oder auch nicht, entscheide nicht ich. Deshalb werde ich das nicht bewerten. Ich kann nur allen raten, das ebenfalls zu unterlas sen. Man darf nicht von vornherein – bevor irgendein Gremi um eine Expertise abgegeben hat – sagen: „Bei uns geht das aber nicht.“ Ich kann nur raten, das zu unterlassen. Die Posi tion kann man dann an geeigneter Stelle einbringen, wenn es so weit ist.

Ich will noch einmal etwas zu Gorleben sagen: Dieser Stand ort – das ist ganz einfach – wird in jeder Phase des Entschei dungsprozesses genau so bewertet wie jeder andere Standort, wie jede andere geologische Formation, die untersucht wird. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt dieser Stand ort drin, oder er fällt in dieser Stufe heraus. Nach den Krite rien, die es dann gibt, wird entschieden, ob er herausfällt oder nicht. Das ist, glaube ich, das einzig sinnvolle, rationale Ver fahren, um Vertrauen in einen solchen Prozess hineinzubrin gen.

Ich fasse noch einmal zusammen: Klar ist, dass so etwas in einem so breiten Konsens nicht ohne Kompromisse geht, mei ne Damen und Herren. Das ist doch hoffentlich jedem son nenklar. Das geht auch nicht, ohne Vertrauen zu schaffen. Ich bitte Sie alle darum, dass wir gemeinsam an diesem Vertrau en mitwirken, dass diese Phasen eingehalten werden und wir dann mit unseren Vorschlägen in den Prozess eintreten. Da ist jeder berufen, sich mit seinem Sachverstand und seinen Auf fassungen in diesen Prozess einzubringen, wenn es so weit ist.

Aber bis es so weit ist, sind wir alle aufgerufen, in den Pro zess selbst Vertrauen hineinzubringen. Das ist fragil, Herr Dr. Rülke; das ist mir sehr wohl bekannt. Darum habe ich gesagt: Immer wieder muss man auf jeder Stufe versuchen, den Streit beizulegen. Das wird nicht einfach sein, aber ich sehe nicht, wie wir sonst weiterkommen. Ich bitte alle, sich konstruktiv an diesem Prozess zu beteiligen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Unabhängig von der erfolgten Rede zeitverlängerung pro Fraktion, die jetzt acht Minuten umfasst, greift jetzt noch § 82 Absatz 4, wonach die Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen infolge der Ausführungen des Minis terpräsidenten das Recht haben, das Wort zu ergreifen.