Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Ich glaube, dass es unsere Aufgabe als Landtag ist, nicht zu zulassen, dass ganze Wirtschaftszweige in Baden-Württem berg keine Chance mehr haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP – Glocke des Präsiden ten)

Kollege Schreiner, gestatten Sie ei ne Zwischenfrage des Kollegen Schmiedel?

Gern zum Schluss.

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Nie zu früh aufstehen!)

Das habe ich von Ihnen gelernt, Herr Schmiedel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir dürfen nicht zulassen, dass der Spargelanbau und der Erd beeranbau in Baden-Württemberg nicht mehr bezahlbar sind.

Dabei geht es nicht um die Ausbeutung von Mitarbeitern. Wir wissen, dass der Tariflohn für Saisonarbeiter, die meist aus Osteuropa kommen, bereits 7 € pro Stunde beträgt. Dabei geht es auch um den Wettbewerb mit anderen Ländern.

Als jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion möchte ich auch die geplante Altersgrenze von 18 Jahren ansprechen. Vie le 18-jährige Jugendliche sind noch gar nicht in einer Ausbil dung. Das Durchschnittsalter beim Beginn einer Ausbildung beträgt in Baden-Württemberg 20 Jahre. Es hat einen Grund, warum in den Niederlanden – Musterbeispiel für den Min destlohn –

(Zuruf von der SPD: Die waren noch nie Weltmeis ter!)

ein gestaffelter Mindestlohn ab 23 Jahren eingeführt worden ist.

Man muss sich schon einmal ernsthaft fragen, ob man nicht vielleicht sogar die falschen Anreize setzt. Manch ein Jugend licher wird sich vielleicht fragen: Warum soll ich überhaupt meine Ausbildung beenden, wenn mir 8,50 € pro Stunde mit 18 Jahren garantiert werden?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Deshalb fordern wir, dass als Kriterium nicht das Alter, son dern z. B. eine abgeschlossene Berufsausbildung festgelegt wird. Wir wünschen uns an dieser Stelle Nachbesserungen. Deshalb fordern wir Sie, die Landesregierung und insbeson dere die Ministerin – die vielleicht einen besseren Draht zu Bundesministerin Nahles hat als wir, die CDU-Opposition im Land –, auf, an dieser Stelle nachzubessern. Hier sehen wir auch die Landesregierung in der Pflicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Kollege Schmiedel.

Herr Kollege Schreiner, Sie ha ben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass die Mehrzahl der Unternehmen in Baden-Württemberg mehr als 8,50 € pro Stunde bezahlt. Stimmen Sie mir nicht zu, dass diese Unter nehmen auch einen fairen Wettbewerb verdienen und dass für viele Unternehmen infrage steht, diesen Lohn auf Dauer be zahlen zu können, wenn mit Lohndumping konkurriert wird? Also ist der Mindestlohn eine Voraussetzung für einen eini germaßen fairen Wettbewerb, was die Löhne betrifft.

Ich habe nicht nachvollziehen können, warum Sie den Min destlohn an eine abgeschlossene Berufsausbildung knüpfen wollen. Was machen Sie denn mit all den ungelernten Älte ren? Wollen Sie diese alle ausnehmen?

Herr Kollege Schmiedel, es ist eine Altersgrenze von 18 Jahren vorgesehen,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja!)

und von einer abgeschlossenen Ausbildung ist im jetzigen Re ferentenentwurf gar keine Rede.

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Wir wollen, dass das ein Kriterium ist; das ist unsere Forde rung.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja Wahnsinn!)

Ich glaube, das ist auch durchaus berechtigt.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Das heißt, ein 40-Jähriger ohne Ausbildung wird weiter ausgebeu tet? Das ist ja unglaublich!)

Zu dem anderen, was Sie gesagt haben: Natürlich geht es ge rade um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Deshalb halten wir es auch für falsch, jetzt quasi zentral alle über ei nen Kamm zu scheren. Ich wollte nur darauf hinweisen – ich glaube, dass Sie dem auch zustimmen –, dass die Mehrzahl der Unternehmerinnen und Unternehmer in Baden-Württem berg ihre Beschäftigten anständig bezahlen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut! – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Poreski.

Herr Präsident, sehr geehr te Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland ist überfällig. Das sagen wir Grünen übrigens schon länger als jede andere Par tei.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Euch gibt es noch gar nicht so lange!)

Denn er ist europäische Normalität. Er ist notwendig, weil ta rifliche Regelungen immer weniger greifen, weil wir ein zu nehmendes Lohndumping beklagen müssen, weil Millionen von Menschen auf ergänzende staatliche Leistungen angewie sen sind, weil sie trotz Vollzeitarbeit nicht von den Früchten ihrer Arbeit leben können. Das ist unwürdig, das ist unfair, und das muss sich ändern,

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

übrigens auch im Interesse der Unternehmen in Baden-Würt temberg. Denn die müssen vor Schmutzkonkurrenz geschützt werden, einer Schmutzkonkurrenz, die nicht auf Qualität, son dern auf die Ausbeutung von Mitarbeitenden setzt. Deshalb ist ein Mindestlohn auch gut für Baden-Württemberg, gerade für den Mittelstand und für die Handwerksbetriebe.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Der Mindestlohn ist ein wichtiges Instrument gegen Lohndum ping und für fairen Wettbewerb, aber er ist kein Allheilmittel, grundsätzlich nicht und schon gar nicht so, wie ihn die Gro ße Koalition umsetzt. So soll der Mindestlohn für nicht tarif lich Beschäftigte ab 2015, aber für Tarifbeschäftigte erst ab 2017 gelten. Das ist eine unverständliche und bittere Nach richt für das Wach- und Sicherheitsgewerbe, für Gärtnereien und Tankwarte. In diesen Bereichen gehen also Lohndumping und unfairer Wettbewerb in die Verlängerung.

Die pauschale Sonderregelung für Langzeitarbeitslose wird dazu führen, dass künftig kaum noch ein Langzeitarbeitsloser

eingestellt wird, ohne dass es zusätzliche staatliche Zuschüs se gibt – und dann nicht einmal zum Mindestlohn. Das wird den Arbeitsmarkt verzerren, statt Benachteiligte gezielt und individuell zu unterstützen.

Dafür haben wir hier in Baden-Württemberg mit dem PassivAktiv-Transfer ein sinnvolles Instrument. Er ist ein individu eller Nachteilsausgleich – damit wettbewerbsneutral –, und er ermöglicht die Teilhabe am Arbeitsmarkt für Menschen, die bisher chancenlos und ausgeschlossen waren.

(Beifall bei den Grünen)

Das ist der richtige Weg, weil dabei keine institutionelle För derung, sondern der individuelle Bedarf und die Menschen würde im Mittelpunkt stehen.

Leider ist der Mindestlohnansatz der Großen Koalition auch an anderer Stelle lückenhaft. Denn die meisten Armutslöhne werden heute nicht auf Stundenbasis, sondern auf Stücklohn basis abgerechnet. Dafür, dass dies systematisch bereinigt wird, tut die Große Koalition leider nichts.

Auch an der entscheidenden Weichenstellung, bei den jungen Menschen, sind die Vorschläge der Großen Koalition mangel haft. Dass der Mindestlohn für Jugendliche nicht gelten soll, ist sinnvoll, damit eine Beschäftigung als Ungelernter zum Mindestlohn nicht einer Ausbildung vorgezogen wird.

Entscheidend ist aber doch etwas ganz anderes, nämlich dass es positive Anreize gibt und dass eine Ausbildung nicht nur angefangen, sondern auch erfolgreich abgeschlossen wird, ge rade auch von solchen Jugendlichen, die zwar das Potenzial haben, es aber wegen unterschiedlicher persönlicher Schwie rigkeiten bisher nicht geschafft haben. Auch dafür gäbe es sinnvolle Instrumente wie die assistierte Ausbildung, die wir hier in Baden-Württemberg erfolgreich erprobt haben. Solche individuell passenden und nachhaltig wirksamen Instrumen te – sie bieten übrigens eine hervorragende Prävention gegen Armut und soziale Ausgrenzung – haben es leider nicht in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene geschafft.

Ich hoffe, wir können hier mithilfe des Bundesrats noch nach steuern. Denn nur so können wir eine nachhaltige Perspekti ve in die Arbeitsmarktpolitik integrieren.

Ich fasse zusammen: Es ist gut, dass die Große Koalition den Mindestlohn einführt. Aber es ist unverständlich, wie viele widersprüchliche und wenig nachhaltige Regelungen hier hi neingestrickt wurden. Wir brauchen keine institutionelle För derung mit Mitnahmeeffekten, sondern einen passgenauen und individuellen Nachteilsausgleich für Menschen mit Vermitt lungshemmnissen – und übrigens grundsätzlich auch bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Der Mindestlohn ist offenbar ein großer Schritt für die Große Ko alition, aber er ist halt leider nur ein kleiner und bisher wenig zielsicherer Schritt hin zu einer ganzheitlich ausgerichteten sozialen Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat schon darauf hingewiesen: Es ist die dritte Aktuelle Debatte in die ser Legislaturperiode zu diesem Thema. Erwartungsgemäß sind keine neuen Argumente hinzugekommen.