Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat schon darauf hingewiesen: Es ist die dritte Aktuelle Debatte in die ser Legislaturperiode zu diesem Thema. Erwartungsgemäß sind keine neuen Argumente hinzugekommen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ach doch! Jetzt kommt das Gesetz!)

Es geht bei dieser Aktuellen Debatte auch nicht um Erkennt nisgewinn. Vielmehr geht es der SPD nur darum, die CDUFraktion ein bisschen vorzuführen, weil man ja weiß, dass die CDU-Fraktion im Land nicht für einen allgemeinen flächen deckenden Mindestlohn ist, aber die CDU in Berlin diesen all gemeinen flächendeckenden Mindestlohn beschlossen hat. In der Tat hat die Union in Berlin diesen allgemeinen flächende ckenden Mindestlohn gemeinsam mit den Sozialdemokraten beschlossen. Kollege Schreiner hat uns hier heute erklärt, wa rum das ein Fehler war. Insoweit ist es ein Stück weit gelun gen. Denn in Baden-Württemberg – im Mittelstand, in der In dustrie – spielt dieser Mindestlohn überhaupt keine wesentli che Rolle.

(Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Dann ist er unschäd lich!)

Die baden-württembergische Wirtschaft zahlt in aller Regel mehr,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: In aller Regel!)

sie zahlt in aller Regel sogar deutlich mehr als 8,50 € pro Stun de.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Es geht um die Ausnah men, Herr Kollege!)

Aber es gibt Ausnahmen – in der Tat; diese Ausnahmen hat Kollege Schreiner benannt – für Bereiche, in denen es keinen Sinn macht, mit diesem politisch festgelegten Mindestlohn zu operieren. Genau diese Bereiche treffen Sie im negativen Sinn, beispielsweise die Landwirtschaft, beispielsweise die Zeitungsausträger und dergleichen mehr.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Rülke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinderer?

Aber selbstverständ lich.

Herr Kollege Rülke, vielen Dank für die Erlaubnis, eine Zwischenfrage zu stellen.

Ist Ihnen bekannt, dass der Gesetzentwurf vorsieht, dass der Mindestlohn eben nicht politisch festgelegt wird, sondern dass die Tarifparteien erstmals, glaube ich, zum 1. Januar 2018 über die zukünftige Höhe des Mindestlohns verhandeln und ent scheiden werden?

Herr Kollege Hin derer, es geht um die 8,50 € pro Stunde, die nicht unterschrit ten werden dürfen und die dann auch dynamisiert werden. Ge nau das ist das Problem für manche dieser Gewerbe. Gerade wir, die FDP, haben überhaupt nichts gegen Mindestlöhne. Wenn beispielsweise die Tarifpartner Mindestlöhne festlegen,

finden wir das gut. Wir haben auch kein Problem, branchen spezifische Mindestlöhne festzulegen. In der schwarz-gelben Koalition zwischen 2009 und 2013 wurden eine ganze Reihe von branchenspezifischen politischen Mindestlöhnen festge legt.

Allerdings wenden wir uns dagegen, einen allgemeinen flä chendeckenden Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde bezogen auf das gesamte Bundesgebiet und bezogen auf alle Branchen festzulegen. Das ist Unfug; das hat man auch in Berlin ge merkt, und deshalb hat man angefangen, über die Differenzie rungen zu diskutieren, und über Ausnahmen geredet.

Dass das Ganze ein lediglich populistisches Projekt ist,

(Zuruf von der SPD: Ach!)

wird deutlich daran, wie sich die SPD in den letzten zehn Jah ren entwickelt hat.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Nach un ten!)

Wahrscheinlich will sich von Ihnen keiner mehr an den Na men Gerhard Schröder erinnern.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Claus Schmiedel: Doch! Wir feiern demnächst seinen Siebzigsten!)

Ich sage Ihnen aber: Die Agenda 2010 von Gerhard Schröder war das Beste, was Sie in Ihrer 151-jährigen Geschichte zu stande gebracht haben.

(Zurufe von der SPD)

Aber davon wollen Sie jetzt nichts mehr wissen. Von Gerhard Schröder wollen Sie auch nichts mehr wissen; er hatte näm lich in seiner Agenda 2010 keinen allgemeinen flächendecken den Mindestlohn verankert.

(Minister Reinhold Gall: Mein Gott!)

Die Grünen haben die Agenda 2010 übrigens mitgetragen –

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört, hört!)

ohne allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn. Das ist doch die Realität.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Rülke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmiedel?

Vielen Dank, Herr Kollege Rül ke.

Ist Ihnen bekannt,...

(Vereinzelt Heiterkeit)

... dass der allgemeine flächen deckende Mindestlohn damals an der Gegnerschaft der Ge werkschaften gescheitert ist, die damals meinten, dass sie die

Dinge über Tarifverträge besser regeln könnten? In der Zwi schenzeit sind aber die Gewerkschaften zu der Einsicht ge kommen, dass die Bindungswirkung der Tarifverträge so stark abgenommen hat, dass man einen Mindestschutz für Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen allgemeinen ge setzlichen Mindestlohn braucht. Damals waren die Gewerk schaften dagegen; heute sind sie dafür.

Herr Kollege Schmie del, mir war nicht bekannt, dass die Gewerkschaften an der Regierung Schröder beteiligt waren. Insofern verstehe ich die Argumentation, es sei an den Gewerkschaften gescheitert, überhaupt nicht. Regieren in Deutschland bei einem sozialde mokratischen Bundeskanzler die Gewerkschaften, oder regie ren der Deutsche Bundestag und eine rot-grüne Koalition?

(Beifall bei der FDP/DVP)

Faktum ist, Schröder hat dieses nicht eingeführt, und Faktum ist auch – da stehe ich überhaupt nicht an, dies zu sagen –, dass sich die Agenda 2010 wirtschaftlich positiv ausgewirkt hat. Aber Sie wollen davon nichts mehr wissen, und Sie ver schleudern das Erbe von Gerhard Schröder mit solchen Maß nahmen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Dummes Zeug!)

Mindestlöhne sind sinnvoll, wenn die Tarifpartner sie festle gen, ohne Zweifel. Sie sind auch dann sinnvoll, wenn die Po litik in bestimmten Branchen Missbrauch feststellt. Ich nen ne die Entsenderichtlinie im Baugewerbe, ich nenne die Min destlöhne für Postdienstleistungen – das alles sind politische Mindestlöhne, die die FDP mitträgt. Aber es macht doch kei nen Sinn, mit der Gießkanne über das Land zu gehen und al len allgemeine flächendeckende Mindestlöhne zu verordnen.

Die Probleme, die bei den Praktikanten, bei den Langzeitar beitslosen, bei den Jugendlichen auftauchen, hat der Kollege Schreiner ja benannt. Da fängt es dann an mit der Gerechtig keit. Sie haben in Ihrem Debattentitel das Wort „Gerechtig keit“ aufgeführt. Wo fängt denn die Gerechtigkeit an, wenn der 17-Jährige den Mindestlohn nicht bekommt, aber der 18-Jährige ihn bekommt? Was sind das für bürokratische Monster, die daraus erwachsen? Ich wünsche Ihnen viel Ver gnügen, wenn der erste 17-Jährige – sich auf die Antidiskri minierungsrichtlinie der EU beziehend – vor Gericht zieht und Sie dann mit Ihrem allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn ab 18 Jahren Schiffbruch erleiden.

Dasselbe gilt für manche Branchen in der baden-württember gischen Wirtschaft, beispielsweise die Saisonarbeiter in der Landwirtschaft; genau die treffen Sie mit einem solchen Blöd sinn. Die Zeitungsausträger wurden auch schon genannt. Ich nenne auch Saisongewerbe in der Gastronomie. Sie alle wer den unter dem ideologisch-populistischen Projekt zu leiden haben.

Deshalb wären Sie gut beraten, sich nicht der Einsicht zu ver schließen, die die Agenda 2010 getragen hat, nämlich die öko nomische Grundweisheit, dass Löhne zunächst einmal erwirt schaftet werden müssen. Wenn Sie einen zu niedrigen Min destlohn ansetzen, ist er völlig wirkungslos. Wenn Sie aber ei nen zu hohen Mindestlohn ansetzen, dann vernichten Sie Ar

beitsplätze, und das wird zumindest in den genannten Berei chen in Baden-Württemberg der Fall sein. Sie erweisen der baden-württembergischen Landwirtschaft einen Bärendienst, Sie erweisen dem baden-württembergischen Zeitungsgewer be einen Bärendienst, und Sie erweisen dem baden-württem bergischen Hotel- und Gaststättengewerbe einen Bärendienst. Das ist das Einzige, was mit diesem Gesetz erreicht wird. In allen anderen Branchen ist es unnötig und wirkungslos.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Altpeter.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Dr. Rülke, nach Ihren Aus führungen zum Mindestlohn kann man nur noch froh sein, dass Ihre Partei außer in Sachsen an keiner Regierung in der Bundesrepublik mehr beteiligt ist.