Protokoll der Sitzung vom 11.07.2000

Uns ist vorgehalten worden, dass wir in einer Kehrtwendung ein Einwanderungsgesetz forderten. Das ist nicht wahr. Wir haben immer gesagt, dass wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen und hinzugefügt, dass dies in erster Linie ein Regulierungsgesetz – wenn Sie so wollen auch ein Begrenzungsgesetz – sein muss, aber kein Gesetz, mit dem Deutschland und Bayern zu Einwanderungsländern gemacht werden. Das sehen wir heute noch ganz genauso.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also kein Einwanderungsland!)

Natürlich nicht. Ich habe gerade ausgeführt, wie das zu verstehen ist. Integration ist wichtig, weil ein Mangel an Integration dazu führt, dass in der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber Ausländern aufkommen. Das ist die eigentliche Gefahr. Deshalb brauchen wir die Integration derjenigen Ausländer, die ein Bleiberecht auf Dauer haben. Voraussetzung dafür ist aber, dass die zum Bleiben Berechtigten auch integrationsfähig und integrationswillig sind und anerkennen, dass unsere Gesellschaft von der westlich-abendländischen Wertordnung geprägt ist. Dieser Wertordnung müssen sich die Ausländer anschließen. Das ist nicht Assimilation, sondern echte Integration.

(Beifall des Abgeordneten Kaul (CSU))

Dazu steht in eklatantem Widerspruch, was heute vielfach in den Reihen der türkischen Immigranten geschieht. Da werden die Kinder zurückgeschickt, damit sie – nach den Vorstellungen der Eltern – gute Türken werden. Kurz vor dem Ablauf der Nachzugsfrist werden diese Kinder dann wieder nach Deutschland geholt. Hier wird nicht Integration, sondern Segregation betrieben. Die Leute wollen im Grunde genommen Türken bleiben, aber mit dem deutschen Pass. Das kann so nicht sein. Deswegen sind wir der Auffassung, dass das Nachzugsalter für Jugendliche auf sechs oder zumindest auf höchstens zehn Jahre herabgesetzt werden muss. Bestehende Missstände müssen in Zukunft abgestellt werden. Für die jungen Menschen muss die Chance zu stärkerer Integration bestehen. Sie sollen – nicht nur formal – Deutsche werden. Sie sollen nicht auf Dauer als nicht integrierte Ausländer in Deutschland leben und damit unsere Bevölkerung verunsichern. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Runge.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herrmann, Sie haben soeben Herrn Kollegen Dr. Dürr vorgeworfen, wir würden konkrete Aussagen schuldig bleiben, wie viele Ausländer wir in Bayern bräuchten. Genau diese Frage hätten wir gerne geklärt und haben deshalb einen Antrag eingebracht, der seitens Ihrer Fraktion abgelehnt worden ist. Herr Kollege Söder hat damals gesagt, wir würden mit diesem Antrag den Versuch unternehmen, dieses Thema politisch ideologisch zu besetzen. Wir wollten damals wissen, in welchen Bereichen die bayerische Wirtschaft ausländische Arbeitnehmer braucht, wie diese Arbeitnehmer angeworben werden könnten und wie ihre Zuwanderung und die ihrer Familien erleichtert werden könnte. Außerdem wollten wir wissen, welche Maßnahmen notwendig wären, damit sich diese Familien in Bayern wohl fühlen könnten.

Keine Region der Welt kann es sich leisten, kluge Köpfe auszuschließen, wenn sie konkurrenzfähig bleiben will.

Wer Bayerns Wohlstand sichern will, muss heute die Voraussetzungen dafür schaffen. Es passt ins Bild, dass die Bayerische Staatsregierung die Green Card-Pläne sofort abgelehnt hat. Auf der einen Seite predigt die Staatsregierung Globalisierung und Internationalisierung, auf der anderen Seite bedient sie ausländerfeindliche Stimmungen und Strömungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer so vorgeht, handelt unserer Meinung nach nicht nur nicht christlich, sondern gefährdet auch die Grundlagen der bayerischen Wirtschaft und der bayerischen Forschung. Zur Blue Card: Herr Staatsminister Dr. Beckstein, Sie preisen die Blue Card als wenig bürokratisch. Daneben, so sagen Sie, ist diese keine Festlegung auf Einwanderung. Sie haben heute erklärt, Sie würden die Green Card-Regelung der Bundesregierung ablehnen.

Wenn Sie tatsächlich auf dieser Aussage beharren, wäre Ihre Lösung Makulatur. Ich möchte ein Beispiel aus dem Punkt 4 Ihrer Verwaltungsanweisung „Blue Card“ vom 4. Juli herausgreifen, die an die Ausländerbehörden ergangen ist. Dieser Punkt enthält die „Aufenthaltserlaubnis für erfolgreiche Hochschulabsolventen ohne vorherige Ausreise bei Vorliegen der Arbeitserlaubnis“.

Genau zu dieser Arbeitserlaubnis gibt es eine Dienstanweisung der Bundesanstalt für Arbeit. Darin heißt es: „Hochschulabsolventen können nicht die geforderten Fachkenntnisse vorweisen.“ Deshalb ist Ihre Zustimmung – zumindest zu einem Teil der Green Card-Regelung – notwendig, die aus der ITArGV, also der Verordnung über Arbeitsgenehmigungen und der ITAV, also der Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen besteht. In der erstgenannten Verordnung steht, dass Hochschulabsolventen sofort übernommen werden können.

Die CSU steht vor folgendem Problem: Auf der einen Seite will sie nicht die Wirtschaft vergraulen, auf der anderen Seite versucht sie krampfhaft, bei rechten Dumpfdödeln zu punkten. Für sie gibt es gute und böse Ausländer. Arbeitsimmigranten müssen nach getaner Arbeit gehen. Von Integration ist keine Rede. Wir sehen darin eine freistaatlich gelenkte Arbeitsmarktpolitik mit dem unappetitlichen Geruch von Apartheid. Eine solche Politik wollen wir nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Freiherr von Rotenhan (CSU): Das ist eine böswillige Verleumdung!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Der nächste Redner ist Herr Kollege König.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion haben mit dieser Aktuellen Stunde den Versuch unternommen, die Mehrheit des Hauses, die CSU, in die ausländerfeindliche Ecke zu stellen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da seid ihr doch schon!)

Das tun Sie sowohl im Plenum als auch in den einschlägigen Ausschüssen. Der Petitionsausschuss und der Ausschuss für Verfassungs-, Rechts– und Parlamentsfragen müssen sich mit einer Vielzahl von Petitionen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger beschäftigen, die als Bürgerkriegsflüchtlinge oder als abgelehnte Asylbewerber nach einem oft lange Jahre dauernden Verfahren in ihre Heimat zurückgehen sollen, dies aber nicht wollen.

Jeder von uns, der mit diesen Fällen befasst ist, ist natürlich innerlich hin- und hergerissen, denn hinter jedem dieser Aktendeckel verbergen sich Schicksale. Oft sind die Leute integriert, und trotzdem müssen wir am Ende nach Recht und Gesetz entscheiden, auch wenn Sie häufig den Petenten gegenüber den Eindruck zu erwecken versuchen, wir könnten immer so entscheiden, wie wir gerade lustig oder bei Laune sind. Nein, wir haben

nach Recht und Gesetz und entsprechend den in aller Regel getroffenen Urteilen zu entscheiden. Dabei sind wir auch jeweils gehalten, den Gleichheitssatz zu beachten. Es kann nicht sein, dass der eine besser und der andere schlechter behandelt wird.

(Widerspruch der Frau Abgeordneten Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Kollegin regen Sie sich nicht schon wieder auf, auch wenn es mir gefällt, dass Sie sich aufregen. Bei allen diesen Entscheidungen müssen wir auch immer an die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft und an die Akzeptanz durch unsere Gesellschaft denken. Natürlich gibt es das Problem der Leistungsfähigkeit. Wir können nicht unendlich ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland und in Bayern aufnehmen. Natürlich gibt es auch das Problem der Akzeptanz. Das wissen Sie, und das weiß ich.

Natürlich haben wir aufgrund unseres sozialen Systems diesen Einwanderungsdruck. Viele wollen hier bleiben, und noch mehr wollen zu uns kommen. Uns ist es schon lange klar und zunehmend wird es auch vielen von Ihnen klar, dass nicht alle, die zu uns kommen wollen, auch tatsächlich bei uns aufgenommen werden können. Ich denke dabei nur an Herrn Bundesinnenminister Schily, der sich allmählich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat, auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, dass er die Probleme nicht selber kräftig angeht, sondern „süßen Mut“ dazu braucht. Nachdem dieses Problem zunehmend auch Ihrem Herrn Schily klar wird und es uns schon lange klar ist, müssen wir neue Regelungen finden, um das Problem miteinander zu lösen.

Sie unterstellen uns Ausländerfeindlichkeit. Ich bitte Sie aber, sich daran zu erinnern, welche großartigen Leistungen von der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere aber von Bayern seit Beginn der Neunzigerjahre im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien erbracht wurden. Wie viele Menschen haben wir denn aufgenommen? Alleine aus Bosnien-Herzegowina kamen 350000 Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Jeder Fünfte davon kam zu uns nach Bayern. 120000 Kosovo-Albaner wurden in der Bundesrepublik insgesamt aufgenommen. Ein erheblicher Teil davon kam zu uns nach Bayern. Wir müssen diese Zahlen der Öffentlichkeit nennen, um die Eindrücke von uns, die Sie zu schüren versuchen, zu widerlegen. Bayern alleine hat mehr Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen in Not aufgenommen als Italien, die Schweiz und Großbritannien zusammen. Auch das muss gesagt werden. Das ist die Wahrheit. Wir haben die Menschen gerne aufgenommen. Parteiübergreifend waren wir uns darin einig, dass wir diese Menschen aufnehmen.

Die Unterschiede werden aber immer dann deutlich, wenn es um die Frage geht, wen wir wieder zurückschicken sollen. Es geht oft gar nicht anders, als die Leute in ihrem eigenen Interesse und im Interesse ihres Heimatlandes zurückzuschicken, denn nur sie können ihr Heimatland wieder aufbauen. Wir müssen sie aber auch deshalb zurückschicken, weil unsere Leistungsfähigkeit und die Akzeptanz bei der deutschen Bevölkerung nicht

unbegrenzt sind; denn wir müssen auch für andere in Not gekommene Menschen wieder aufnahmefähig sein. Ich bitte Sie, uns in dieser Richtung zu unterstützen. Bitten Sie Ihren Herrn Bundeskanzler und Ihre Bundesregierung darum, dass sie durch ihr Drängen auch andere Staaten in der Europäischen Union dazu bringen, in demselben Maße humanitäre Hilfe für in Not geratene Menschen zu leisten, wie wir es in Deutschland und in Bayern getan haben.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Kollegin Hirschmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Slogan verbreitet wurde: „Wir sind kein Einwanderungsland, das Boot ist voll.“ Vor kurzem hieß es bei den Kolleginnen und Kollegen der CSU auch, dass die Grenzen der Belastbarkeit erreicht seien.

(Ritter (CSU): Das hat doch Herr Schily gesagt!)

Nun sollen die zu uns kommen, die uns nützen. Herr Kollege König, Sie sagten, wir sollten die CSU nicht in eine ausländerfeindliche Ecke stellen. Haben Sie sich nicht selbst in diese Ecke gestellt, als Sie zu Ihrer Unterschriftenkampagne aufgerufen haben?

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege König und Herr Kollege Herrmann, Sie reden davon, dass Integration sehr wohl stattfinde. Hier stelle ich einen großen Widerspruch fest. Auf der einen Seite rufen Sie auf, gegen Ausländer zu unterschreiben. Viele Bürgerinnen und Bürger, die zu Ihrer Unterschriftenaktion in das Münchner Rathaus gekommen sind, haben gefragt, „wo sie gegen Ausländer unterschreiben können“. Dafür, dass sich dieser Stil breit macht, tragen Sie die Verantwortung. Gleichzeitig aber wagen Sie, lieber Herr Kollege König, von Integration zu reden und der SPD vorzuwerfen, sie stelle die CSU in eine ausländerfeindliche Ecke. Fragen Sie doch einmal, ob nicht Ihre Politik dazu beigetragen hat und weiterhin dazu beiträgt, dass Sie als ausländerfeindlich dargestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

Das neueste Schlagwort in der Einwanderungsdiskussion lautet nun „Blaue Karte“. Der bayerische Innenminister, Dr. Beckstein, hat ganz bewusst die deutsche Sprachform gewählt. Warum? Er will damit viele Deutsche als Unterstützerinnen und Unterstützer für seine Maßnahmen gewinnen und gleichzeitig von der eigentlichen Problematik ablenken.

Jetzt komme ich zu einem Beispiel aus dem Petitionsausschuss. Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir darüber diskutiert, ob wir dazu beitragen können, dass eine koreanische Dirigentin in Hessen bleiben kann, denn Darmstadt war bereit, sie als Dirigentin aufzunehmen. Was für eine Diskussion hatten wir dazu im Petitionsausschuss? Was muss noch geschehen? Heute

reden Sie so und morgen so. Bleiben Sie doch bei Ihrer Linie, wenn Integration und eine gesteuerte Einwanderung für Sie wichtig sind.

Ein weiteres Beispiel aus dem Petitionsausschuss liegt sechs Jahre zurück. Ich meine jetzt nicht die Krankenschwestern im Herzzentrum, sondern die Krankenschwestern in Großhadern. Der Petitionsausschuss musste eigens einen Ortstermin veranstalten, um sich im Klinikum Großhadern an Ort und Stelle davon zu überzeugen, dass es äußerst notwendig ist, diese Krankenschwestern in Deutschland zu behalten, weil deutsche Kräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung standen. 16 Jahre hätten Sie Zeit gehabt, um deutsche Arbeitskräfte entsprechend zu qualifizieren. Das haben Sie nicht geschafft.

(Beifall bei der SPD)

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass Sie mit Ihrer bisherigen Politik dazu beigetragen haben und weiterhin dazu beitragen, erhebliches Misstrauen gegen die Ausländerinnen und Ausländer zu schüren. Ob es sich um den Blue-Card-Vorstoß der Bayerischen Staatsregierung handelt oder um die von Baden-Württemberg festgelegten Eckpunkte zur Einwanderung, in beiden Fällen wird der Reduzierung einer angeblich hohen und ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland das Wort geredet. Herr Kollege Dr. Rabenstein hat sehr deutlich dargelegt, wie Sie dabei die Themen Einwanderungspolitik, Asylkompromiss und Blue Card vermischen.

So frage ich mich abermals, und diese Frage stelle ich auch Ihnen: Was will die Staatsregierung eigentlich? Was ist eigentlich Sache? Auf der einen Seite wird gerufen: Ausländer raus! Auf der anderen Seite heißt es: Ausländer rein! In meinen Augen kann aus der Diskussion um Green Card und Blue Card eigentlich nur eines folgen: die Rote Karte für die CSU.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Kreuzer, bitte.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Viel Wind um nichts – mit diesen Worten lässt sich die Green Card der rot-grünen Bundesregierung am besten charakterisieren.

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Blue Card! – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das stinkt Euch!)

Da wurde ein Problem aufgezeigt und seine Lösung bei einem Industriekongress großmächtig und publikumswirksam angekündigt. Es wurde ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet, es wurde um Referentenentwürfe gestritten und um Abstimmungen in der Bundesregierung. Nun, bevor die Angelegenheit Gesetz wird, muss man sich darüber aufklären lassen, dass man gar kein neues Gesetz braucht.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Biergartenverordnung!)

Man kann die Dinge vielmehr nach der bestehenden Gesetzeslage lösen. Hier zeigt sich wieder einmal die typische handwerkliche Unfähigkeit der rot-grünen Bundesregierung, wie wir sie bei fast jedem wichtigen Gesetzesvorhaben in diesem Land erleben.

(Beifall bei der CSU – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kruzifix-Urteil!)