Die Bürger fragen sich, was eine Grundrechtecharta nützen solle, die feierlich beschworen wird, wenn aus politischem Opportunismus und parteipolitischer Schlagseite gegen einen Mitgliedstaat ohne irgendeinen Grund vorgegangen wird.
Wenn wir in den Taten glaubwürdig sind, werden auch unsere Worte im Hinblick auf die Grundrechtecharta bei den Menschen Gehör finden. In diesem Sinne möchte ich Sie herzlich bitten, mit dem nötigen Realismus an die Sache heranzugehen, die Fortschritte gemeinsam zu bewältigen und unsere Aufgabe zu sehen, nämlich die Eigenständigkeit der deutschen Länder im gemeinsamen Europa in der Weise zu erhalten, dass sich die Menschen durch Landtag und Staatsregierung repräsentiert fühlen können, weil sie eigene Entscheidungsgewalt haben und demokratisch Einfluss nehmen können.
Die SPD hat noch einen Redner gemeldet. Das ist zulässig, weil der Minister länger als zehn Minuten geredet hat. Herr Kollege Köhler, Sie haben fünf Minuten.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dem, was am Schluss ausgeführt worden ist, möchte ich folgendes ergänzend sagen: Herr Kollege Bocklet, Sie haben am Schluss genau das getan, was üblich ist und was bei verschiedenen Reden durchklang: Es darf nicht alles zentral in Brüssel gemacht werden. Als ob das der Fall wäre! Kein Mensch auf der Welt will das. Sie bauen einen Popanz auf, sagen, dagegen müsse man angehen und die Kompetenzen müssten verteidigt werden,
Ein Zweites: Herr Kollege Bocklet, Sie haben auf die Osterweiterung und die damit verbundenen nötigen Grenzförderprogramme hingewiesen. Bitte nehmen Sie und auch Kollege Müller zur Kenntnis, dass der Antrag im Bayerischen Landtag für ein Programm zur Förderung der Grenzregionen von der SPD-Fraktion gestellt und mit Zustimmung der CSU angenommen worden ist.
Wogegen ich mich gewandt habe – das ist die Widersprüchlichkeit Ihrer Politik –, dass Sie stets gegen Programme sind. Deswegen ist es wenig glaubwürdig, wenn Sie für ein Programm sind, das Ihnen nützt. Diese widersprüchliche Europapolitik ist Ihre Schwäche.
Dritter Punkt. Herr Kollege Bocklet, Sie haben gesagt, ich hätte ironisch das Europa der Nationen und der Regionen gezeichnet. Das war nicht ironisch. Ich sage: Hinter dieser Formulierung kommt ein klares Bild zum Ausdruck. Das Bild, das Sie von Europa zeichnen, ist das Bild eines Staatenbundes des 19. Jahrhunderts – was wir nicht wollen. Darüber sind wir weit hinaus. Deswegen wende ich mich dagegen. Ich halte die Formulierung „Europa der Nationen“ für gefährlich,
weil Nationen keine Staaten sind. Ich erinnere an Ex-Jugoslawien. Eine solche Lunte kann anderswo ebenso
losgehen. Nationen sind andere. Ich habe vorhin darauf hingewiesen: Katalonien versteht sich nicht als Region, sondern als Nation. Sie kennen die Diskussion in Spanien. Das gilt für andere Regionen in Europa ebenso. Ich finde das ganz gefährlich.
Vierter Punkt. Sie haben die Diskussion über die Mehrheitsabstimmung angesprochen und die Bundesregierung kritisiert. Dass es innerhalb der Regierung zwischen dem Außenministerium und den Fachministerien unterschiedliche Auffassungen gibt, war zu allen Zeiten so. Der Außenminister sieht immer etwas anderes als die Fachminister. Beim Thema Mehrheitsabstimmung ist das nicht so. Es ist kritisiert worden, dass sich Europa nicht ausreichend fit mache für die Erweiterung. Wenn in einzelnen Fällen die Mehrheitsentscheidung abgelehnt wird, kommen wir mit der Osterweiterung nicht weiter, weil hier das Einstimmigkeitsprinzip nicht mehr funktionieren kann.
Sie wissen, wo die Gefahr für die Handwerksordnung herkommt. Sie kommt vom Gericht. Es gibt entsprechende Urteile. Anhand des Vorlagefalls aus der Oberpfalz wird vom Europäischen Gerichtshof sehr deutlich darauf hingewiesen, dass das Thema Handwerksordnung anders gesehen werden müsse. Hier liegen die Probleme und die Gefahren und nicht auf anderer Ebene.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zur Grundrechtecharta machen. Herr Bocklet, Sie haben auf den Passus „Bildung“ in der Grundrechtecharta hingewiesen. Ich denke, Bildung ist ein Kernbestand in der Wertegemeinschaft Europa. Deswegen gehört sie in die Charta der Grundrechte auf europäischer Ebene.
Dem Konvent saß der frühere Bundespräsident Roman Herzog vor, der auch mal Länderminister war und der in seiner Zeit als Bundespräsident die berühmte Rede im Hotel Adlon gehalten hat über die Bedeutung der Bildung. Er hat genau gewusst, warum er diesen Passus mitträgt. Im übrigen ist die Charta nicht nur von Vertretern der CSU im Konvent mitgetragen worden, sondern auch von einem Vertreter der Länderregierungen. Ich habe mit Interesse gelesen, was Kollege Gnauck aus Thüringen, der die Länder vertreten hat, zu Ihren kritischen Äußerungen zur Charta gesagt hat. Die Länder haben sich im Konvent anders verhalten, als Sie es darstellen. Es gibt einen Widerspruch zwischen Ihren Aussagen und denen, die der Ländervertreter im Konvent gemacht hat.
Wir sollten Europa positiv, konstruktiv und kritisch sehen. Wir sollten Europa aber nicht für Parteipolitik missbrauchen.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Die Fraktionen sind übereingekommen, die entsprechenden Dringlichkeitsanträge, die mit dem Tagesord
nungspunkt aufgerufen worden waren, dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten als dem federführenden Ausschuss zu überweisen. So beschlossen.
Einzelplan 07 für den Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie
Das Wort hat der Staatsminister für Wirtschaft, Verkehr und Technologie. Bitte schön, Herr Dr. Wiesheu.
Herr Präsident, Hohes Haus! Chancen nutzen, Arbeit schaffen und den Wohlstand nachhaltig sichern: Diese Ziele stehen hinter unseren Anstrengungen, Bayern im 21. Jahrhundert als internationalen Spitzenstandort auszubauen und zu verteidigen.
Der neue Einzelplan 07 mit einem Volumen von rund drei Milliarden DM pro Jahr trägt zusammen mit der Hightech-Offensive der wirtschaftlichen Zukunftssicherung wie in keinem anderen Bundesland Rechnung. Frei werdende Mittel schichten wir konsequent zukunftsorientiert um:
Beispielsweise durch eigene Förderung der Biotechnologie und der Luft- und Raumfahrttechnologie, durch die Steigerung von Haushaltsansätzen zugunsten der Mikrosystemtechnik, der neuen Werkstoffe und anderer Bereiche. Der Aufstieg Bayerns in die Liga der weltbesten Wirtschaftsregionen ist der offensiven Modernisierungspolitik zu verdanken, die seit Jahren bei uns betrieben wird. Auch der neue Wirtschaftsetat 2001/2002 wurde vom Haushaltsausschuss in diesem Sinne beraten. Ich danke dem Vorsitzenden Manfred Ach und allen Ausschussmitgliedern dafür.
Die aktuellen Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten sind eindeutiger Beleg für die Richtigkeit unserer Politik. Im ersten Halbjahr 2000 hat sich die bayerische Wirtschaft so dynamisch entwickelt, wie seit dem Wiedervereinigungsboom nicht mehr. Mit einem realen Wachstum von 4,8% führen wir die bundesweite Länderliste mit deutlichem Abstand an. Das Zentrum des Aufschwungs liegt heute im Süden Deutschlands. Konjunktur und Struktur schlagen erfreulicherweise auf den bayerischen Arbeitsmarkt immer mehr durch. Bei der Arbeitslosenquote haben wir mittlerweile als erstes und einziges Land in Deutschland wieder eine Vier vor dem Komma. In allen Regierungsbezirken ist die Arbeitslosigkeit stark rückläufig, und auch in Nordbayern und in Oberfranken liegt sie unter dem westdeutschen Durchschnitt.
Allein im ersten Halbjahr 2000 haben Bayerns Unternehmen fast 125000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. 25% der neuen Stellen in Westdeutschland sind damit in Bayern entstanden. Auf Gesamtdeutschland bezogen, die weggefallenen mit eingerechnet, ergibt sich in der Gesamtbilanz sogar eine
Quote von einem Drittel. Das zeigt, dass wir Politik für die Menschen und für sichere Arbeitsplätze machen, wir sorgen für Beschäftigung, vernünftiges Einkommen und damit für Lebenschancen im ganzen Land.
Die Perspektiven bleiben gut. Nach einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Leistungen in diesem Jahr um rund 4% wird Bayern auch 2001 ein Wachstum von voraussichtlich mehr als 3% haben und damit weiter zu den Konjunkturlokomotiven gehören. Auf den Arbeitsmarkt wirkt sich das ebenfalls aus. Wir haben nicht nur einen deutlichen Zuwachs bei den Arbeitsplätzen, sondern mittlerweile auch über 100000 gemeldete offene Stellen. Jeder weiß, dass Betriebe in vielen Fällen die Stellen gar nicht mehr melden, weil sie nicht erwarten, dass sie vom Arbeitsamt entsprechende Arbeitskräfte zugewiesen bekommen. Insofern kann man die Zahl mal 2,5 oder 3 nehmen, was im Ergebnis bedeutet, dass wir rein rechnerisch für jeden gemeldeten Arbeitslosen eine freie Stelle hätten. Das differiert regional und von den Qualifikationsanforderungen her gesehen. Vermutlich werden wir aber in einer Reihe von bayerischen Arbeitsmarktregionen im Jahr 2001 fast Vollbeschäftigung erreichen. Bereits heute haben 15 von 27 Arbeitsamtsbezirken in Bayern eine Arbeitslosenquote von unter 5%, und das ist beachtlich. Schon heute heißt also die neue Herausforderung in vielen Regionen nicht mehr Vermittlung von Arbeitslosen, sondern Suche nach Fachkräften.
Das sehen selbst die Gewerkschaften so, es war Gegenstand des Beschäftigungspakts, der am 2. Oktober 2000 fortgeschrieben worden ist, und das Thema muss auch weiterhin mit Priorität behandelt werden. Dafür gibt es Ansätze bei Bildung, Qualifizierung, Akquisition von Arbeitskräften im Inland und Ausschöpfung der stillen Reserve. Die Entwicklung insgesamt läuft gut. Ich weise aber auch darauf hin, dass dem Ifo-Konjunkturklima und anderen Stellungnahmen zu Folge nicht alles nur rosig ausschaut. Manche Entscheidungen und Weichenstellungen auf Bundesebene sind falsch oder problematisch. Auf die Ölpreissteigerungen, die uns volkswirtschaftlich bisher über 30 Milliarden DM gekosten haben, hat die Bundesregierung zumindest nicht richtig reagiert. Trotz der Entwicklung an der Ökosteuer fest zu halten ist falsch.
Dieses Abkassiermodell gefährdet Tausende von Arbeitsplätzen, und zwar nicht nur bei den Speditionen, sondern auch in anderen Bereichen. Zwar wurde immer angekündigt, man wolle die Ökosteuer aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit europaweit einführen; mittlerweile ist von der europaweiten Einführung weiterer Stufen aber nicht mehr die Rede.
Die als Jahrhundertwerk verkaufte Steuerreform weist nach wie vor eine Schlagseite zulasten des Mittelstandes auf und sie wird bei eigentümergeführten Betrieben und bei mittelständischen Betrieben, die stark investieren, durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen zu weiteren Nachteilen führen. Durch niedrige Körperschaftssteuersätze begünstigt sind Finanzinvestoren, durch erhöhte Abschreibungssätze nicht begünstigt sind Sachinvestoren. Finanzinvestitionen füh
ren in aller Regel zu Rationalisierungen und Arbeitsplatzeinsparungen, Sachinvestitionen dagegen zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen und zu neuen Arbeitsplätzen. In diesem Punkt hat die Steuerreform die größte Schlagseite. Die erwarteten ökonomischen Effekte wird man mit ihr, wie auch Sachverständige sagen, nicht erzielen können. Große Arbeitsplatzeffekte darf man von der Steuerreform nicht erwarten.
Im Zusammenhang mit den Geschäften, die bei der Rentenreform mit den Gewerkschaften gemacht werden, wird eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes zugestanden, weil sie vermeintlich nichts kostet. Mit dieser Reform wird aber eine Entwicklung in die falsche Richtung eingeleitet. Dann soll es zu Einschränkungen bei den befristeten Arbeitsverträgen kommen, und mit Sturheit wird an der Neuregelung der 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse fest gehalten, obwohl viele sie beklagen. Die Stümperei bei der Reform der Renten- und Krankenversicherung verärgert nachhaltig Wirtschaft, Handwerk und Mittelstand. Was hier geboten wird – rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, einmal Zustimmung der Fraktion, das andere Mal Zustimmung der Gewerkschaft, und beim nächsten Mal klingt alles ganz anders – bringt keine Klarheit für die Wirtschaft und die wirtschaftliche Entwicklung.
Das Investitionsprogramm in Höhe von 15 Milliarden DM für drei Jahre, finanziert aus Zinsersparnissen aufgrund der UMTS-Erlöse, kann mit Sicherheit nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Eichelschen Haushaltsaktivitäten zulasten von Investitionen und Innovationen gehen. Während im Haushalt im Jahr 1998 noch über 9 Milliarden DM für Investitionen in die Schiene vorhanden waren, und man bei der Bahn-Reform davon ausgegangen war, dass immer ein Level über 9 Milliarden DM erforderlich ist, wurden die Mittel in den letzten Jahren kontinuierlich gekürzt, und zwar im Jahr 2000 auf 6,4 Milliarden DM, und für das Jahr 2005 sind nur noch 4,4 Milliarden DM geplant. Deshalb können 2 Milliarden DM auf drei Jahre verteilt die Differenz zu über 9 Milliarden DM nicht ausgleichen.
Wenn es nicht gelingt, die Haushaltsansätze wieder hochzufahren, hilft die ganze Aktion nicht viel. Herr Mehdorn sagt: „Ich brauche Zinsersparnisse von 2 bis 2,5 Milliarden DM jährlich auf mindestens zehn Jahre.“ Wir brauchen auch einen Anstieg der Etatmittel, sonst ist das Netz nicht zu sanieren. 1998 hatten wir 9,2 Milliarden DM dafür im Haushalt, jetzt sind es nur noch 6,4 Milliarden DM, und in ein paar Jahren werden es nur noch 4,4 Milliarden DM sein.
Wenn die UMTS-Milliarden auslaufen, können Sie sich vorstellen, was mit dem Infrastrukturnetz passiert. Deshalb dürfen die Investitionen in das Infrastrukturnetz nicht einfach versäumt und vernachlässigt werden. Eine solche Politik leistet keinen Beitrag dazu, dass Deutschland beim Wachstum wenigstens wieder zum EU-Durchschnitt aufschließen kann und dass die Arbeitslosigkeit über den demografisch bedingten Rückgang hinaus substanziell abgebaut wird. Die Zahlen allein sind nicht aussagekräftig genug; es kommt auch auf neue Arbeitsplätze und neue Entwicklungen an.
Wir setzen dem Bundestrend eine bewährte Dreifachstrategie entgegen: Erstens die Innovationsstrategie, also die offensive Nutzung der Beschäftigungs- und Wachstumschancen, die in der Entwicklung und Produktion neuer Technologien, neuer Produkte und Dienstleistungen sowie in der Fortentwicklung von Produkten und Produktionsprozessen liegen. Zweitens eine systematische Bestandspflege mit dem Ziel, die Zukunftsfähigkeit der etablierten Unternehmen in Industrie, Handwerk, Handel und Dienstleistungsgewerbe zu stärken. Es wäre falsch, nur auf die so genannte New Economy zu setzen. Logischerweise sind die Grenzen zwischen Old und New Economy fließend. Kein Wirtschaftszweig kommt ohne neue Technologien bei Informations- und Kommunikationstechnik, Materialwissenschaft oder anderen Bereichen aus.