Protokoll der Sitzung vom 25.04.2006

Verminderte Achtung vor dem Andersgläubigen scheint mir bei uns aber auch mit der politischen Forderung nach Multikulturalität eingezogen zu sein. Dazu haben mir Gedanken von Papst Benedikt XVI. gefallen, die er geäußert hat, als er noch Kardinal Ratzinger war. Ich darf zitieren:

Europa scheint ausgerechnet in der Stunde seines äußeren Erfolges von innen her leer geworden zu sein. Die immer wieder leidenschaftlich geforderte Multikulturalität ist manchmal vor allem eine Absage an das Eigene, eine Flucht vor dem Eigenen. Aber Multikulturalität kann ohne gemeinsame Konstanten, ohne Richtpunkte des Eigenen nicht bestehen.

Als evangelischer Christ frage ich mich: Welche Rolle spielt bei der Suche nach diesen Konstanten das christliche Menschenbild? Ich kann nur für mich sprechen. Für mich bildet dieses Menschenbild mit seiner Auffassung von Wahrhaftigkeit, Nächstenliebe und Toleranz ein Reservoir auch für politische Entscheidungen.

Die Schöpfer des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung, Herr Kollege Werner, haben deshalb nach der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus – unser Vorsitzender hat darauf hingewiesen – bewusst ihr Werk religiös fundamentiert.

Im Vollzug der Verfassung geht es der CSU – hier darf ich Hans Zehetmair zitieren – also nicht um die Verkündung von Theologie und Glaubenswahrheiten; vielmehr will sie

die CSU – das öffentliche Leben gerade in einer von Säkularismus geprägten Gesellschaft mit christlichem Gedankengut füllen.

Deshalb möchte ich mit einem letzten Zitat aus der Kanzelpredigt unseres Landtagspräsidenten Alois Glück enden. Er sagte am 23. September 2001:

Die Wirkung und Umsetzung christlicher Werte hängt aber davon ab, wie viel überzeugte Christen auch für andere überzeugend Weltdienst leisten. Überzeugend heißt dabei auch, Nichtchristen vermitteln zu können, dass das, was Christen vertreten, für alle hilfreich ist. Zu diesem Weltdienst möchte ich Sie nachdrücklich aufrufen.

Ich schließe mich diesem Wunsch an und bitte im Namen der CSU-Fraktion alle Menschen guten Willens, ihre persönliche Glaubensfreiheit einzufordern, so wie sie die Glaubensfreiheit anderer achten, aber auch verteidigen.

(Beifall bei der CSU)

Ich mache eine Zwischenbemerkung zu der Redezeit von fünf Minuten. Ich würde es begrüßen, wenn sich die Fraktionen darauf verständigen könnten, für Aktuelle Stunden künftig eine generelle Regelung zu treffen, wonach sie sich die gesamte Zeit selber einteilen, damit der Fünf-Minuten-Rhythmus nicht mehr zwingend ist. Das würde nach meiner Meinung bei bestimmten Themen zu einer größeren Flexibilität führen. Aber bislang hat man sich von der Fünf-Minuten-Regelung leider noch nicht lösen können.

Die nächste Wortmeldung kommt von Kollegen Hufe.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich glaube, dass diese Werbekampagne – ich betone: die Werbekampagne; denn den Beitrag in MTV konnte noch keiner sehen; ich glaube auch, dass damit eine Grenze überschritten worden ist, und das hat auch der Werberat festgestellt – Anlass gibt, darüber zu reden. Wenn das allerdings nur in einer Aktuellen Stunde geschieht, wäre es etwas zu kurz gegriffen; denn diese Serie ist nur das Symptom einer sich entwickelnden Mediengesellschaft, die in vielen Bereichen, so meine ich, den Halt verloren hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen aufpassen, dass wir, wenn solche Themen gewissermaßen in einer Schnäppchenjägermentalität hochkochen, nicht in unsere Routine verfallen und sagen: Da haben wir ja unseren Beitrag geleistet.

Diese Serie ist, glaube ich, schon eine gezielte Provokation. Es ist einem Politiker nicht fremd, gezielt zu provozieren, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Aber diese Serie – gestatten Sie mir diesen Ausdruck in dem Zusammenhang – ist ja nicht vom Himmel gefallen. Wer MTV verfolgt, weiß, dass dieser Sender mit Abstand die meisten Beschwerden bringt, die es im deutschen Fernsehen gibt.

Wer sich einmal mit „Jackass“ beschäftigt hat, weiß, dass die Verletzung der Menschenwürde Teil dieses Programms ist.

Ich kann Ihnen da eine Kritik leider nicht ersparen. Der Freistaat hatte sich sehr bemüht, MTV nach Bayern zu holen. Er hat es auch geschafft. Ich glaube, dass wir für dieses Bemühen viel Geld eingesetzt haben. Wir haben es ja auch mit großem Aufwand gefeiert, dass wir es geschafft haben, MTV von Hamburg nach Bayern zu holen. Aber dann mussten wir MTV sehr kleinlaut nach Berlin abgeben, wo anscheinend jemand noch mehr gezahlt hat, damit MTV dort seinen Sitz nimmt.

Ich glaube, wir müssen aufpassen und versuchen, solche Tendenzen und Entwicklungen, wie sie MTV mit „Jackass“ als Provokation und Verletzung der Menschenwürde zum Bestandteil seines Hauptprogramms macht, in den Griff zu bekommen.

Ich habe davon geredet, dass es nur um Symptome geht. Daher glaube ich, dass wir grundsätzlich früher ansetzen müssen. Die Jugendenquete wird sich damit beschäftigen. Wir müssen überlegen: Wie kann man erreichen, dass Programme gesellschaftlich diskriminiert werden, sodass kein Sender sie senden will? Es handelt sich hier um eine Comic-Serie. Sie richtet sich nicht an uns erwachsene und gebildete Politiker, die das einigermaßen einordnen können, sondern an Kinder und Jugendliche. Wir müssen Kinder und Jugendliche für die Zukunft so prädestinieren können, dass sie auch mit solchen Sachen umgehen können. Wir können MTV vielleicht dazu bringen, dass die Serie nicht ausgestrahlt wird, aber wir können nicht verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche diese Sendung aus dem Internet herunterladen können.

Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, die sich mit den Themen „Bildung“ und „Medienkompetenz“ beschäftigt und alle gesellschaftlichen Gruppen mitnimmt. Ich fände es sehr bedauerlich, wenn sich die vielfach geäußerte Vermutung bestätigte, dass die heutige Debatte nur ein Strohfeuer war. Es ist wichtig, dass wir uns grundsätzlich mit dem Thema „Medienentwicklung und Gesellschaft“ beschäftigen; andernfalls wäre es viel zu kurz gesprungen.

Die Jugendarbeitslosigkeit, die wir vielfach beklagen, ist kein Ergebnis der Arbeitsmarktpolitik. Jugendarbeitslosigkeit ist das Ergebnis der Bildungspolitik. Wenn wir nicht der Bildungspolitik – dazu haben Sie die Möglichkeit – vor allen Clusterdiskussionen und Haushaltsdiskussionen den Vorrang einräumen, werden wir die Gesellschaft nicht mehr in den Griff bekommen, und wir werden derartige Beispiele der Medienpolitik noch vielfach in unserem Lande zu beklagen haben. Wenn wir nicht aufpassen, was wir uns ins Land holen – MTV –, wird der Vorrang der Arbeitsmarktpolitik und der Vorrang der Finanzpolitik, der von den Kollegen der CSU immer wieder gepredigt wird, dazu führen, dass wir viel mehr Geld ausgeben müssen, um die Schäden wieder zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Haderthauer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Nähert man sich als Medienpolitiker dem Thema der heutigen Aktuellen Stunde, bietet sich als Erstes der Rundfunkstaatsvertrag an. In ihm steht etwas, was eigentlich Hoffnung geben könnte. Dort steht, dass die Programme die Würde des Menschen, die sittliche, religiöse und weltanschauliche Überzeugung anderer achten müssen. Deshalb meint man: Prima, man kann etwas machen. Beschäftigt man sich dann allerdings näher mit dem Thema, stellt man fest, dass es komplizierter ist.

Wir stehen vor Beginn der Ausstrahlung. Aufgrund der bei uns gewährleisteten Pressefreiheit gibt es die Möglichkeit der Vorzensur nicht. Prof. Dr. Ring, der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien – BLM – hat sich bei unserem Fraktionsvorsitzenden bereits für seinen Einsatz per Pressemitteilungen gegen die beabsichtigte Ausstrahlung der Serie „Popetown“ bedankt. Für diese Stellungnahme ist er bereits wegen der angeblichen Vorzensur gerügt worden. Daran sieht man, wie empfi ndlich reagiert wird, wenn die Pressefreiheit berührt sein könnte.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Der Vorsitzende des Medienrates, Dr. Erich Jooß, hat einen offenen Brief an die Geschäftsführerin von MTV geschrieben, in dem er sehr deutlich und sinnvoll argumentiert, dass es nicht um den Schutz von Jesus, sondern um den Schutz der Bevölkerung gehe, die Empfänger dieser Sendungen sei. Wir sehen, dass das medienrechtliche Handwerkszeug den Fakten hinterherläuft. Wir können immer erst dann etwas machen, wenn die Sendung bereits gelaufen ist. Der Ausgang dieser Verfahren interessiert dann vielleicht noch ein paar Spezialisten. Aber die Fakten sind geschaffen, die Ausstrahlung ist erfolgt.

Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Ich denke, wir würden einen Fehler machen, wenn wir uns nur auf juristisches und medienrechtliches Handwerkszeug beriefen. Wir alle müssen überlegen, warum das im RundfunkStaatsvertrag steht. – Das steht dort, weil wir den Sendern Verantwortung übergeben haben. Mit der Möglichkeit, Programme zu verbreiten, haben sie auch eine Verantwortung auferlegt bekommen. Diese Verantwortung – eine weit tiefere Schwelle – beginnt nicht erst dort, wo die juristischen Grenzen beginnen, sondern sie geht sehr viel früher los. Das wird stets vergessen. Man schaut mit großen Augen auf die Juristerei und vergisst, dass man eine gesellschaftspolitische Verantwortung hat, an die man diese Anbieter erinnern kann.

Auch MTV muss – wie jeder Sender – auf einem Markt bestehen, der durch den Wettbewerb geprägt ist. Wer ist der Wettbewerb? – Das sind wir alle. Das sind nicht nur die Konsumenten des Senders, sondern auch die Werbekunden, die Firmen, die sich bei MTV platzieren, oder auch Händler und Hersteller anderer Formate. Es ist möglich, durch große Öffentlichkeitswirksamkeit der gesell

schaftlichen und politischen Kräfte – auch wenn sie nur appellieren können – etwas zu bewirken. Wir dürfen nicht die Kirchen allein lassen; denn es geht nicht nur darum, die Kirchen zu schützen, sondern es geht darum, unsere Jugendlichen und vor allem unser kulturelles Klima zu schützen.

Herr Kollege Werner, Frau Kollegin Dr. Kronawitter, Sie sagten, man könne ausschalten, man müsse sich das nicht ansehen. Dazu muss ich sagen: Alles, was von privaten und öffentlichen Sendern angeboten wird, prägt unsere Kultur und unser gesellschaftliches Umfeld und hinterlässt Spuren in unserer Gesellschaft. Es ist naiv zu sagen: Sendet nur, man muss nicht einschalten. – Wo leben Sie denn?

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen uns bei der notwendigen Diskussion um juristische und medienrechtliche Schritte selbst an die Nase fassen. Ich erinnere daran, wie viel gesellschaftliche Kraft auf die Straße kommt, wenn es darum geht zu verhindern, 18 Minuten täglich länger zu arbeiten.

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen die Kraft haben, an die Verantwortlichen zu appellieren, solche geschmacklosen und mistigen Sendungen nicht zu verbreiten.

(Hans Joachim Werner (SPD): Haben Sie sie gesehen?)

Ich tue dem Sender nicht den Gefallen, das anzusehen. Mir reicht die Werbeanzeige.

(Hans Joachim Werner (SPD): Aber als geschmacklos bezeichnen!)

Ja, mir reicht die Werbeanzeige. Wer mit einer solchen Anzeige wirbt, darf sich nicht beschweren, dass man daraus Rückschlüsse zieht. Die Sendung muss Ähnliches enthalten. Wenn das nicht stimmt, hat der Sender sich mit dieser Werbung vorgeführt. Er wirbt dann mit Dingen, die sich nicht bei ihm abspielen. An dieser Werbung muss sich der Sender festmachen lassen. Er hat sie nur auf Druck des Werberates zurückgezogen. Insofern verstehe ich Ihre künstliche Empörung nicht.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Künstlich ist das, was Sie machen!)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Schindler das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Haderthauer! Wenn sich hier jemand künstlich aufregt, dann sind das

diejenigen, die das Thema in einer Aktuellen Stunde diskutieren wollen.

(Beifall bei der SPD)

Dass dies kein bayerisches Thema ist, sondern dass es nur dazu dienen soll, das rechtskonservative Erscheinungsbild der CSU in einer Zeit zu schärfen, wo sie Angst hat, in der großen Koalition unterzugehen, ist wohl unbestritten.

(Lachen bei der CSU)

Dieses Thema wurde im Koalitionsvertrag nicht in dem Sinne geregelt, wie Sie sich das vorstellen. Die CDU ist offensichtlich noch näher an den tatsächlichen Gegebenheiten als Sie. Wenn sich also jemand künstlich aufregt, dann sind Sie es.

Hätten die Geschäftsführer von MTV nur einen Funken Anstand und Charakter, würden sie das nicht machen. Sie haben beides nicht, weil sie der Kommerzialisierung verpfl ichtet sind. Wer hat denn die Kommerzialisierung der Medien vorangetrieben? – Das waren doch Sie. Das waren doch nicht wir.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich habe schon vor Jahren die Scheinheiligkeit der CSU gegeißelt, landauf landab dafür einzutreten, endlich den so genannten verknöcherten öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuschränken und durch private Medien zu ersetzen. Das hat man getan. Gleichzeitig hat die FrauenUnion Unterschriften gegen bestimmte Sendungen gesammelt, die in den privaten Sendern gezeigt wurden. – So ist es.