Wir treten für klare Grenzen ein. Frau Professor Männle hat bereits angesprochen, warum wir keine Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union sehen, weil dafür nämlich nicht die notwendigen kulturellen und historischen Wurzeln vorhanden sind. Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dass die Freien Wähler hier offensichtlich anderer Meinung sind. Die Ausführungen von Frau Kollegin Pauli zeigen, dass die Freien Wähler offensichtlich der Meinung sind, die Türkei sollte Mitglied der Europäischen Union werden. Es wäre schon interessant, wenn Sie uns das näher erläutern könnten, weil die Menschen draußen das sehr gerne wissen würden.
Für die weitere gute Entwicklung von Europa ist entscheidend, dass die Menschen Europa und das Handeln seiner Institutionen positiv sehen. Wir müssen die Akzeptanz für Europa erhöhen, aber das wird man nicht dadurch erreichen, dass man eine Rede hält, wie das Frau Pauli hier getan hat.
Wenn wir alles nur schlechtmachen, werden wir die Akzeptanz von Europa bei den Menschen nicht erhöhen. Ich gebe Frau Pauli schon recht, dass es unser aller Aufgabe ist, den Finger in die jeweilige Wunde zu legen. Kolleginnen und Kollegen, ob gerade Frau Pauli die geeignete Person ist, sich im Europäischen Parlament mit Pensionsfonds auseinanderzusetzen, wage ich angesichts der politischen Veränderung von Frau Pauli zu
bezweifeln. Ich erinnere an die Diskussionen im Fürther Kreistag um die vorzeitige und völlig verfrühte Pension für eine Landrätin, die keine Lust mehr hatte, das Amt auszuüben. Das wage ich also wirklich zu bezweifeln. Ich bitte, hier redlicher an die Dinge heranzugehen.
Wenn wir die Akzeptanz für Europa erhöhen wollen, müssen wir uns alle miteinander für mehr Demokratie auf europäischer Ebene einsetzen. Hier spreche ich ausdrücklich das Thema Volksabstimmungen an. Natürlich gibt es Argumente dagegen und Argumente dafür. Ein Argument, das immer angeführt wird, lautet: Das funktioniert doch alles, das repräsentative System hat sich bewährt. Als Argument dagegen wird auch angeführt, dass der europäische Einigungsprozess und die Erweiterung der Europäischen Union vielleicht anders vonstatten gegangen wären, wenn die Menschen jeweils abgestimmt hätten. Vielleicht wäre auch die Einführung des Euro nicht so positiv verlaufen, wenn die Menschen darüber hätten abstimmen können. Das sind Argumente, die gegen Volksabstimmungen vorgebracht werden und die man auch gewichten muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sollen wir denn mehr Demokratie auf europäischer Ebene erreichen, wenn wir den Menschen in Europa nicht die Möglichkeit geben, sich mehr und unmittelbarer an der Regelung der ganz entscheidenden Fragen zu beteiligen, die sie interessieren? Deshalb plädiere ich nach Abwägung dieser Argumente für eine kluge und wohlüberlegte Einführung von Volksabstimmungen über wesentliche Fragen der Europäischen Union. Damit würden wir mehr Demokratie und mehr Akzeptanz europäischer Institutionen und ihres Handelns bei den Menschen erreichen. Zunächst aber müssen wir die Europäische Union, die wir jetzt haben, stabilisieren und im Bewusstsein der Menschen stärker verankern. Das muss Priorität haben. Dann müssen wir auch sehen: Die Menschen sind für mehr Demokratie in Europa reif. Nirgendwo auf der Welt haben die Menschen einen vergleichbar hohen Bildungsstandard wie in der Europäischen Union. Die technischen Voraussetzungen sind heute anders als früher. Der Informationsfluss geht mit den neuen Technologien schnell. Wir haben mit Volksabstimmungen und einer unmittelbaren Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gute Erfahrungen gemacht; denken Sie nur an die Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene in Bayern, denken Sie nur an die Volksentscheide auf Landesebene in Bayern. Das alles spricht dafür, Volksabstimmungen auf europäischer Ebene einzuführen.
Lieber Kollege Dr. Runge, das gilt nach unserer Überzeugung aber nicht für jede Richtlinie und für jede Ent
scheidung. Damit würde man das System völlig überfordern. Deshalb habe ich vorhin von einer klugen und wohlüberlegten Einführung gesprochen. Ich plädiere dafür, Volksabstimmungen über wesentliche Fragen einzuführen. Als wesentliche Frage betrachten wir auf der einen Seite vor allem die Übertragung von Zuständigkeiten von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene und auf der anderen Seite Angelegenheiten, die eine Erweiterung der Europäischen Union betreffen.
Deshalb setzen wir uns dafür ein. Ich bitte alle, in sich zu gehen und darüber nachzudenken, ob wir diesen Weg der Weiterentwicklung miteinander gehen müssen. Vor ein paar Jahren hätte ich in Abwägung aller Aspektete vielleicht noch anders argumentiert, aber aus heutiger Sicht und angesichts der Weise, wie sich Europa entwickelt, ist es an der Zeit, ein Mehr an Demokratie zu wagen. Die Menschen wollen ein Europa, das ihnen nützt; Frau Staatsministerin hat es angesprochen. Die CSU will das auch. Wir wollen Europa weiterentwickeln, wir wollen die Menschen beteiligen, und wir wollen bei solch wichtigen Fragen auch Volksentscheide.
Herr Kollege König, bitte verbleiben Sie am Rednerpult. Kollege Dr. Runge hat sich zu einer Zwischenintervention gemeldet, bitte schön.
Herr Kollege König, auch eine Vernebelung der Tatsachen hilft nicht als Ausrede für Ihr von der Argumentation immer wieder abweichendes Abstimmungsverhalten. Wir haben in unseren Anträgen - damit meine ich gar nicht den Antrag, den wir erst unlängst behandelt haben, sondern die ganze Reihe von Vorgängeranträgen - Volksabstimmungen immer sehr genau definiert. Wir haben gesagt, dass man über europäische Volksabstimmungen selbstverständlich diskutieren kann, aber nur in den Bereichen, die bereits vergemeinschaftet sind. Viel spannender ist es aber, wenn ein Staat Zuständigkeiten der Europäischen Union überantwortet. Wenn also ein Land Zuständigkeiten an Europa abgibt, muss darüber jeweils der nationale Souverän entscheiden, je nachdem, wie er das politisch und gesetzlich geregelt hat. Wir meinen, wenn Deutschland Zuständigkeiten an die Europäische Union abgibt, dann ist das ein so wichtiger Vorgang, dass darüber auf nationaler Ebene per Volksentscheid entschieden werden soll. Sie haben sich vor einer Aussage dazu gedrückt, obwohl man vorher gelesen hat,
dass Herr Seehofer für Volksentscheide im Falle wesentlicher Vertragsänderungen ist. Ein solcher Volksentscheid muss doch national stattfinden, oder man muss zumindest eine nationale Wertung durchführen, weil das sonst nur gaga wäre. Wenn Sie einerseits Volksabstimmungen wollen, wenn wichtige vertragliche Änderungen anstehen, wenn beispielsweise Deutschland Kompetenzen an Brüssel abgibt - oder - das habe ich auch in den Anträgen drin - eine Erweiterung ansteht, dürfen Sie auf der anderen Seite nicht sagen, dass Sie eine Volksabstimmung nicht bei anderen wichtigen Fragen haben wollen. Das ist Beliebigkeit und Rosinenpickerei. Es geht aber nicht um Volksabstimmungen über jede Richtlinie und jede Verordnung, sondern nur um Volksabstimmungen über essentielle Fragen. Ich bitte Sie, sich einmal den hinteren Teil unseres Grundgesetzes anzusehen; vielleicht werden Sie dann ein klein wenig klüger.
Lieber Kollege Dr. Runge, Sie sollten sich eigentlich darüber freuen, dass wir in dieser Frage gar nicht so weit voneinander entfernt sind, sondern dass wir uns in gewisser Weise auf einem gemeinsamen Weg befinden. Wir unterscheiden uns von Ihnen darin, dass wir die Menschen an der Bushaltestelle mitnehmen wollen, an der sie gerade stehen, während Sie oft etwas voraus sind. Das passt nicht. Wir können Europa nur dann weiterhin positiv gestalten, wenn wir auch die Menschen dabei mitnehmen, und zwar jeweils an der Bushaltestelle, an der sie gerade stehen. Deshalb gehen wir in unseren Forderungen nach Volksabstimmungen nicht so weit, wie Sie das eben dargelegt haben.
Herr Kollege König, Ihnen sollte bekannt sein, dass zahlreichen kommunalen Wahlbeamten, die vorzeitig ausgeschieden sind, Pensionen gewährt wurden. Sie sind zwar kein kommunaler Wahlbeamter - vielleicht wären Sie es gerne geworden -, aber das sollte Ihnen doch klar sein.
Es ist ja schön, dass Sie sich beim Thema Volksabstimmungen ganz langsam unseren Positionen annähern. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die von Ihnen hierzu vertretene Position auch in der eigenen Partei mehrheitsfähig ist.
Herr Kollege Pohl, ich bin Ihnen außerordentlich dafür dankbar, dass Sie das Thema Pension noch einmal angesprochen haben. Es ist ein Unterschied, ob ein kommunaler Wahlbeamter deshalb in Pension geht, weil er nicht mehr aufgestellt wurde oder nicht mehr kandidiert, oder - wie es bei Frau
Pauli der Fall war -, weil er keine Lust mehr dazu hat. Sie will im Alter von rund 50 Jahren eine Pension haben. Das ist der entscheidende Unterschied. Deshalb habe ich vorhin gesagt, dass es angebracht wäre, dieses Thema mit mehr Redlichkeit zu behandeln. Die zweite Frage habe ich soeben Herrn Kollegen Dr. Runge beantwortet. Sie werden das Ergebnis sehen, wenn der Kleine Parteitag der CSU am Wochenende zusammentritt.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass dieses Parlament mit der Mehrheit der Redebeiträge, die gerade gekommen sind, eine Chance vergeben hat, die Sie, Frau Staatsministerin Müller, eröffnet haben. Sie haben gesagt, dass durch eine Neuausrichtung der Europäischen Union Stärke und Geschlossenheit gezeigt werden sollten. Sie haben in Ihrer Rede - teilweise auch selbstkritisch - Punkte aufgezeigt, bei denen eine Neuausrichtung der Politik dieses Landtags und der Staatsregierung in Richtung Europa notwendig wäre. Wir brauchen eine Neuausrichtung für mehr soziale Gerechtigkeit und in Richtung auf die Bürger. Sie haben von mehr Bürgernähe gesprochen. Wir wollen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger.
Ich habe in dieser Regierungserklärung geglaubt, einen gewissen Konsens zu erkennen. Ein Großteil der folgenden Redebeiträge beschäftigte sich dann jedoch mit Nebenkriegsschauplätzen. So wurde zum Beispiel die Chimäre des Beitritts der Türkei an die Wand gemalt. Ich glaube, wir sollten in diesem Hause redlich miteinander umgehen und feststellen, dass in der aktuellen Situation auf absehbare Zeit für niemanden der Beitritt der Türkei infrage kommt. Es wurde jedoch ein Prozess in Gang gesetzt, von dem wir nicht wissen, wohin er in etwa einem Jahrzehnt führen wird. Das gehört ebenfalls zur Redlichkeit.
Andere Rednerinnen und Redner haben das Thema "Glühbirne" angesprochen. Das ist absurd in einer Debatte, in der wir den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen wollen, um was es bei der Europawahl in 31 Tagen geht und über was sie entscheiden sollen. Über die Glühbirne sollten wir heute wirklich nicht sprechen.
Wir sollten heute über die verschiedenen Auffassungen reden, die es in den Parteien und den parteiähnlichen Gruppierungen gibt, die bei der Europawahl antreten. Wir sollten klarstellen, warum die Bürgerinnen und Bürger im Juni zur Wahl gehen sollten, was sich für die Menschen ändern kann und in welcher Richtung. Ich sage eindeutig und klar: Für uns Sozialdemokraten geht es darum, dass neben die Wirtschafts- und Währungsunion endlich und gleichberechtigt eine europäische Sozialunion tritt.
Wir nehmen die Menschen ernst und stellen fest, dass für uns die Themen "Lohndumping" und "Mindestlohn" nicht nur in Deutschland eine Rolle spielen. Zu diesen Themen muss es auch in Europa einen Mindeststandard geben. Das muss das Europäische Parlament in der nächsten Legislaturperiode regeln. Es geht auch darum, dass gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für die gleiche Arbeit am gleichen Ort gelten. Das Entsendegesetz und die entsprechenden Richtlinien sind daher zu überarbeiten. Den Menschen muss die Angst genommen werden, dass die Europäische Union die Sozialstandards zum Beispiel in Deutschland untergräbt, oder dass zum Beispiel durch den Zusammenschluss von Unternehmen im europäischen Raum die Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmungsrechte beschnitten werden. Die Aufgabe der Politik in den kommenden Wochen wird es sein, den Menschen dies klarzumachen.
Wir Sozialdemokraten sagen klar, dass es mit uns im Europäischen Parlament keine weiteren Privatisierungen bei der kommunalen Daseinsvorsorge geben wird. Es kann nicht sein, dass öffentliche Dienstleistungen nicht erbracht werden können, weil das Europa so will. In der EVP, zu der auch die CSU gehört, gibt es Leute, die auch noch die Wasserversorgung in Europa privatisieren wollen. Solche Umtriebe werden im Europäischen Parlament nach der nächsten Wahl hoffentlich keine Mehrheit haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darum geht es.
Frau Kollegin Pauli, natürlich geht es auch darum, wie das Parlament in den nächsten Jahren arbeiten wird. Natürlich geht es auch darum, dass sich selbstbewusste Volksvertreter nicht Tausenden von Lobbyisten gegenübersehen. Das ist aber wirklich nicht das Hauptthema, das wir in den nächsten Wochen nach oben fahren sollten. Dieses Problem wird das Europäische Parlament hoffentlich durch Offenlegungsrichtlinien und entsprechende Aktivitäten in den Griff bekommen. Die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen
Parlament tritt schon lange dafür ein. Das ist jedoch nicht das Hauptwahlkampfthema. Das Wahlkampfthema muss es sein, den Menschen zu zeigen, wie die Europäische Union sozialer werden kann und was sie den Menschen bringt. Frau Staatsministerin Müller, hierzu haben Sie einen Aufschlag gemacht. Ich bin enttäuscht, dass Ihre Fraktionsmitglieder diesen Aufschlag nicht angenommen haben. Das ist die Aufgabe für die Sozialdemokraten in Europa.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Staatsministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, noch ein paar wenige Gedanken in diese lange Debatte einzustreuen. Frau Staatsministerin Müller, mich hat es natürlich gefreut, dass Sie beantragt haben, heute über das Thema "Europa" zu sprechen. Wir stehen vier Wochen vor der Europawahl. Das ist ein guter Zeitpunkt, über dieses Thema zu sprechen, Probleme aufzuzeigen und das Positive in der Europäischen Union herauszustreichen. Das sollten wir häufiger tun, nicht nur vor Wahlen.
Ich habe der Regierungserklärung aufmerksam gelauscht. Die angesprochene Neuausrichtung ist mir ein wenig zu kurz gekommen. Ich werde es in sechs Minuten nicht schaffen, dieses Thema intensiv zu durchleuchten. Ich möchte aber das eine oder andere ansprechen und zunächst zur Erweiterung Stellung nehmen, weil Herr Kollege König angeregt hat, dazu etwas zu sagen.
Die CSU schreibt und sagt ganz deutlich, dass derzeit keine weiteren Beitritte auf der Tagesordnung stünden. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie, dass Kroatien doch aufgenommen werden sollte. In den Reden taucht jedoch nie das Land Mazedonien auf. Dazu habe ich in letzter Zeit von der CSU nichts gehört. Ein Aufnahmegesuch liegt aber vor, und Beitrittsverhandlungen werden geführt. Ich wüsste gerne von Ihnen, wie Sie zu Mazedonien stehen.
Nun zum Zusammenhang zwischen Erweiterung und Volksabstimmung. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin seit vielen Jahren ein Anhänger von Volksabstimmungen. Wir müssen die Bevölkerung mehr beteiligen.
Ich habe aber große Probleme damit, dass die CSU die Einführung von Volksabstimmungen im Zusammenhang mit dem Beitritt der Türkei fordert. Wir müssen uns genau überlegen - das wurde bereits angesprochen -, ob wir über andere Völker abstimmen lassen sollten. Bei der Frage, wo man hingeht, sollte man sich immer überlegen, wo man herkommt. Denken Sie einmal darüber nach, was geschehen wäre, wenn im Jahre 1952 Europa darüber abgestimmt hätte, ob Deutschland in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl eintreten darf. Ich hätte mir eine solche Abstimmung nicht gewünscht.