Protokoll der Sitzung vom 24.02.2010

die Zeugenvernehmungen laufen. Ich sage deutlich, dass das nicht so laufen kann, wie das die CSU in den bisherigen Ausschüssen angelegt hatte, als sie noch die Verfahrensmehrheit hatte, nämlich zunächst mög lichst viele andere Zeugen zu vernehmen, damit kein CSU-Großkopferter irgendeiner anderen Aussage wi dersprechen konnte, sich alles anzuhören und nur das zuzugeben, was unumstößlich von anderen Zeugen schon gesagt wurde. So wird das nicht laufen. Wir wer den beantragen, dass die politisch verantwortlichen Verwaltungsräte - Sie, Herr Schmid, Sie Herr Huber und Herr Beckstein die Möglichkeit bekommen, ihre Sicht der Dinge noch vor der Sommerpause dem Untersu chungsausschuss in einer Zeugenaussage zu Gehör zu bringen. Wir können das dann danach durch andere Zeugenaussagen belegen, hinterfragen und die ent sprechenden Unterlagen nachsehen. Das ist ordentli che Arbeit, und so werden wir sie anlegen. Das ist der erste Prüfstein.

(Beifall bei der SPD und den Freien Wählern)

Ich fasse zusammen: Ich bin überzeugt, der Untersu chungsausschuss muss und er kann auch, wenn alle Mitglieder das wirklich wollen, die politisch Verantwort lichen für das Desaster aufzeigen und bei ihnen die Verantwortung einfordern. Das ist der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger von Bayern, und das haben sie auch verdient - und das sind wir uns als Parlament selbst schuldig.

Kolleginnen und Kollegen, ich bitte nicht um Zustim mung zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Parlament, wenn die Koalitionsmehrheit auch nur noch einen Funken an Verantwortungsbewusstsein hat, die sem Antrag der SPD, der Freien Wähler und der GRÜ NEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschus ses zustimmt, und zwar einstimmig.

(Beifall bei der SPD, den Freien Wählern und den GRÜNEN)

Bevor ich Herrn Kollegen Pohl das Wort erteile, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, Ehrengäste aus Kanada auf der Tribüne zu begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich heiße die erste Vizepräsidentin der Nationalver sammlung von Québec, Frau Fatima Houda-Pepin, und ihre Delegation im Bayerischen Landtag sehr herzlich willkommen. Unsere Gäste halten sich zu einem ein wöchigen Informationsbesuch in Bayern auf. Zwischen den Parlamenten von Québec und Bayern besteht seit 1999 eine intensive, gut funktionierende Partnerschaft. Sehr verehrte Frau Houda-Pepin, ich wünsche Ihnen

und Ihren Kolleginnen und Kollegen einen angeneh men und interessanten Aufenthalt hier in Bayern und eine gute Rückreise nach Kanada.

(Allgemeiner Beifall)

Jetzt haben sie das Wort, Herr Kollege Pohl. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der spärliche Besuch der Regierungsmitglieder bei dieser Debatte lässt eigentlich nicht erahnen, um welch wich tigen Themenkomplex es heute geht.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, wir reden vom größten Fi nanzskandal im vermeintlichen Musterland geordneter Finanzen und Haushalte. Diesen Skandal aufzuarbei ten, wird unsere Aufgabe sein.

Das Ziel der Freien Wähler war von Anfang an im Ba yerischen Landtag, vom ersten Tag unseres Hierseins, die rückhaltlose Aufklärung dieses Desasters zu errei chen und die Verantwortlichen hierfür zur Rechenschaft zu ziehen. Deswegen haben wir am 20. Oktober 2008, also am ersten Tag unserer Parlamentszugehörigkeit, einen Fragenkatalog vorgelegt und die Beantwortung verlangt. Wir haben die Kommission zur parlamentari schen Begleitung der Krisenbewältigung bei der Bay ernLB beantragt, die seit über einem Jahr arbeitet. Wir haben allerdings vergeblich verlangt, dass die Sitzun gen öffentlich stattfinden.

Wir haben von allem Anfang an intensive Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft eingefordert. Wir haben dazu zum Beispiel im Mai 2009 in einem Dringlichkeits antrag die bayerische Staatsministerin der Justiz auf gefordert, für die Ermittlungen ausreichend Staatsan wälte zur Verfügung zu stellen. Der Antrag wurde abgelehnt. Im Dezember letzten Jahres hat Kollege Weidenbusch von der CSU medienwirksam gefordert, endlich die ausreichende Zahl von Staatsanwälten hier für zur Verfügung zu stellen. Die Staatsministerin hat ihn in den Medien brüsk zurückgewiesen. Als wir ge merkt haben, dass es nicht so recht vorangeht, haben wir selbst Strafanzeige erstattet - einmal wegen der Vorratskreditaufnahme und des ABS-Portfolios und zum anderen wegen des Kaufs der Hypo Group Alpe Adria - HGAA -. Siehe da, seit wir diese Strafanzeige erstattet haben, scheint sich auf der Ebene der Staats anwaltschaft tatsächlich etwas zu tun, tatsächlich etwas zu bewegen.

Wir haben aber auch gesagt, es müsse die persönliche Haftung geprüft und die persönliche Haftung eingefor dert werden, wenn Beteiligte wie Vorstand und Verwal

tungsrat vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Deswegen haben wir im Juli letzten Jahres in der Kom mission zur parlamentarischen Begleitung der Krisen bewältigung bei der BayernLB einen Antrag gestellt, in einem Gutachten klären zu lassen, ob sich die Betei ligten schadensersatzpflichtig gemacht haben. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Das Gutachten wird in we nigen Monaten vorliegen.

Als die SPD-Fraktion einen Untersuchungsausschuss zum Komplex HypoGroup Alpe Adria angekündigt hat, haben wir selbstverständlich gesagt: Jawohl, wir sind dabei, weil das genau unserer Intention entspricht: Auf klären, aufklären, aufklären, die Verantwortlichen be nennen. Deswegen haben wir diesem Antrag nicht nur zugestimmt, sondern sind dem Antrag beigetreten, den wir selbstverständlich auch unterstützen.

Nun, meine Damen und Herren, der Untersuchungs ausschuss ist eine große Chance für das gesamte Par lament. Ich will Ihnen sagen, warum. Wir reden oft von Politikverdrossenheit. Ich glaube, da sind wir der Zeit deutlich hintennach. Es ist keine Politikverdrossenheit mehr, sondern es ist eine Wut auf die Politik und auf die Politiker zu spüren. Warum? - Natürlich ist es bei man chen in Mode gekommen, sich über alles und jedes zu beklagen. Aber das wäre zu kurz gesprungen.

Ich sage Ihnen: Die Glaubwürdigkeit der Politik steht auf dem Spiel. Dieser Untersuchungsausschuss ist entwe der eine Chance, Glaubwürdigkeit ein Stück weit zu rückzugewinnen, oder er kann dazu führen, noch mehr Glaubwürdigkeit zu verlieren.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, es ist ein allgemeines Gefühl in unserer Gesellschaft: Es geht nicht mehr gerecht zu in unserem Land. Der Reflex dieser Gerechtigkeitslü cke wird in verschiedenen Reden von verschiedenen Politikern deutlich beim Namen genannt. Gabriel hat sich sehr deutlich zum Thema Steuerhinterziehung ge äußert und gesagt, die Steuerhinterzieher seien die Asozialen in diesem Land. Ein Guido Westerwelle hat sich zum Thema Sozialmissbrauch sehr deutlich zu Wort gemeldet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Jagd auf Steuer sünder und auf Sozialschmarotzer ist aber unglaubwür dig, wenn wir unseren eigenen Laden nicht in Ordnung bringen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Was sagt denn der Steuersünder? - Er sagt: Ihr ver schleudert Milliarden, und wir sollen Steuern zahlen? Wo kommen wir denn da hin? Das sind 3,725 Milliar den Euro. Was sagt der Sozialbetrüger? - Er sagt: Ihr

verschleudert Milliarden und regt euch darüber auf, dass wir das Sozialsystem ausnutzen. 3,725 Milliarden! Was sind da schon 358 Euro Hartz-IV-Leistung im Monat? Unternehmer sagen: Ihr verschleudert Milliar den, und wir werden wegen Insolvenzverschleppung verknackt, weil wir vergeblich versucht haben, unser Unternehmen vor dem Untergang zu retten; 3,725 Mil liarden Euro!

Meine Damen und Herren, wir müssen aufklären, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezo gen werden, sonst haben wir keine Legitimation mehr, gegen Steuer- und Sozialbetrüger die Stimme zu erhe ben.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordneten der SPD)

Welche Verantwortung ist denn bis jetzt eingefordert worden? Die politische Verantwortung etwa? - Kollege Erwin Huber ist Vorsitzender des Wirtschaftsausschus ses, Kollege Schmid ist Vorsitzender der CSU-Fraktion. Beide haben diese Verantwortung nicht gesehen und keine Konsequenzen gezogen. Edmund Stoiber ist nach wie vor Ehrenvorsitzender der CSU. Liebe Kolle ginnen und Kollegen von der CSU, wie viel Ehre er Ihnen einbringt, das müssen allerdings Sie selbst be antworten.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wir müssen ermitteln, wer das verbrochen hat. Da geht es nicht, dass ein Oberbürgermeister von Regensburg sagt: Shit happens, das passiert halt. Meine Damen und Herren, wenn jeder so denkt, dann brauchen wir nicht mehr mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen.

(Beifall bei den Freien Wählern - Widerspruch bei der CSU)

Wir müssen ermitteln, wer verantwortlich ist. Unsere Aufgabe geht noch darüber hinaus. Wir müssen unter suchen: Welches Denken ist verantwortlich? Da habe ich zumindest einen starken Verdacht, und diesen Ver dacht, Kollege Kreuzer, werden Sie mir auch nicht mit der Äußerung nehmen, man solle keine Vorverurteilung vornehmen; denn dieser Verdacht richtet sich nicht gegen eine Person, sondern gegen ein System. Ich sage Ihnen: Zum großen Teil verantwortlich war das System Stoiber, das System des Größenwahns der CSU, das System einer Zweidrittelmehrheit der CSU im Bayerischen Landtag, deren Mitglieder gemeint haben, sie seien freischwebend und könnten machen, was sie wollten. Wie hat Kollege Huber im Sommer 2008 ge sagt? - Unser Vorbild sind die Wittelsbacher, die Bayern tausend Jahre lang regiert haben; das ist unsere Vision.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Der Wähler hat Sie Demut gelehrt. Der Untersuchungs ausschuss muss Sie noch weitere Demut lehren; denn es kann nicht sein, dass man hier sitzt und einfach mit den Achseln zuckt angesichts eines Szenarios, das Bayern an den Rand einer Staatskrise gebracht hat. Stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren, die CSU hätte mit absoluter Mehrheit so weiterregiert. Dann summieren Sie einmal die Milliarden und erken nen, dass wir möglicherweise einmal dort angelangt wären, wo andere Länder jetzt stehen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich habe oft gehört, wir sollten die Bank nicht schlecht reden, es schade der Bank, wenn wir Aufklärung for dern. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Nur wenn wir vorbehaltlos und schonungslos aufklären, haben wir die Chance, dass sich so etwas nicht wiederholt. Das ist doch kein Einzelfall, das ist doch nicht das erste Mal, auch wenn die finanziellen Dimensionen zum ersten Mal eine solche Größenordnung erreichen. Können Sie sich noch an die Kirch-Kredite erinnern? Können Sie sich noch daran erinnern, wie man einem Leo Kirch Milliarden hinterher geschmissen hat und kurze Zeit später der Insolvenzantrag kam? Wer hat denn diese Entscheidung getroffen? Können Sie sich noch daran erinnern, wie 300 Millionen im Osten verschwunden sind und wie man dann in dem damaligen Justizminister Sauter ein Bauernopfer gesucht und gefunden hat? In Wirklichkeit hätte sich der damalige Ministerpräsident Stoiber hinstellen und sagen müssen: Jawohl, das war mein Fehler. Nein, diese Fehler und diese Versäum nisse sind systembedingt, und dieses Vorurteil, Kollege Kreuzer, werden Sie mir nicht nehmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wir werden im Untersuchungsausschuss deutlich ma chen, dass dieses Vorurteil nicht nur eine dumpfe Ah nung ist, sondern dass es mit Fleisch unterfüttert werden kann.

Es muss ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass so etwas nie wieder passiert. Es ist kein Akt der Rache, wenn wir Personen, die hier in diesem Hause sitzen, anzeigen und zur Rechenschaft ziehen. Das ist wirklich kein Akt der Rache. Das hat auch nichts damit zu tun, dass ich vor den Lebensleistungen der Kollegen etwa keinen Respekt hätte; ich habe durchaus Respekt davor. Wer aber Fehler macht, muss für diese Fehler geradestehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Der Untersuchungsausschuss muss dazu beitragen, die persönliche Haftung der Beteiligten vorzubereiten und den Schaden, der dem Freistaat Bayern - sprich der Landesbank - entstanden ist, zumindest zum klei

nen Teil wiedergutzumachen. Das ist nur ein symbol ischer Betrag. Ich gehe nicht davon aus, dass die Beteiligten mit Milliardenvermögen gesegnet sind; das ist schon klar. Wenn aber Menschen, die so etwas ver brochen haben, persönlich haften, dann besteht endlich die Chance, dass die Verantwortlichen in Zukunft wie der sorgfältiger mit unserem Geld umgehen; denn dann ist unser Geld im Zweifel auch ihr Geld, wenn sie Fehler machen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CSU hat jetzt eine Riesenchance. Georg Schmid hat in einer Analyse der letzten verlorenen Landtagswahl gesagt, die CSU werde als verfilzt wahrgenommen. Dieser Satz, Herr Kollege, richtet sich nun in makabrer Weise gegen Sie selbst.

(Zuruf des Abgeordneten Georg Schmid (CSU))

Möglicherweise kann die CSU dadurch, dass sie Ver antwortliche benennt - und dazu könnten auch Sie ge hören -, aus dem dunklen Keller herauskommen, als verfilzt wahrgenommen zu werden. Möglicherweise kann die CSU in neuem Glanz erstrahlen, wenn sie den Mut hat, sich von denen zu distanzieren, die uns diesen Schlamassel eingebrockt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Untersu chungsausschuss ist eine Chance, nicht für ein politi sches Lager, sondern für die gesamte Politik, für das gesamte Parlament. Ich fordere Sie alle, die im Unter suchungsausschuss sitzen werden, aber auch alle Kol leginnen und Kollegen, die diese Arbeit begleiten, dazu auf: Stimmen Sie einstimmig für diesen Untersu chungsausschuss, unterstützen Sie den Untersu chungsausschuss! Tragen Sie dazu bei, dass Politik in Bayern wieder positiver wahrgenommen wird.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Danke schön, Herr Kollege Pohl. Als Nächster hat Kollege Dr. Dürr das Wort, bitte schön.