Wir haben bereits vor vielen Jahren - damit haben wir Sie schon einmal belästigt - das kommunale Wahlrecht für alle gefordert. Wenn wir eine gelungene Integration und die Mitsprache fordern, müssen wir den Mitbürge rinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund das Wahlrecht zugestehen. Gebt euch endlich einen Ruck. Wenn dies nicht umgesetzt wird, sind andere Maßnah men nicht sinnvoll.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Herr Kollege Neumeyer einen offenen Brief an den Bundes tagspräsidenten geschrieben hat. Das ist nett. Ich ziti
ere: "Die Bereitschaft von Zuwanderern, Teil eines Ganzen zu werden, sollten wir würdigen." Das ist eine schöne Bekundung. So ist in Deutschland - Bayern möchte ich davon nicht ausnehmen - die Kultur des Willkommens und der Anerkennung noch viel zu wenig ausgeprägt. Das stimmt. Ich erwarte - das ist schon immer die sozialdemokratische Linie gewesen -, dass wir alle Menschen, die zu uns kommen, übrigens auch jene mit einer Fluchtgeschichte, mit offenen Armen empfangen und dass wir Ihnen alle Möglichkeiten der Integration bieten. Ich erwarte auch von Ihnen, Herr Neumeyer, endlich ein Konzept - darum bitte ich -; denn es ist eine Sache, das nur zu beklagen, während es eine andere Sache ist, ein Konzept vorzulegen. Die Staatsregierung ist hier aufgefordert. Ich erwarte zeit nah ein Konzept, nicht nur hohle Phrasen.
Sehr verehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke schon auch, dass es fast ein Meilenstein in der Geschichte der CSU ist, so ein Thema so weit nach vorne zu setzen, dass es in einer Aktuellen Stunde behandelt wird. Ich sehe positiv, dass man sich wandelt und die Probleme etwas be wusster zur Kenntnis nimmt als früher. Ich sehe das positiv.
Von Herrn Neumeyer sind viele Fakten genannt wor den; hehre Worte sind formuliert worden. Nach wie vor gilt aber ein wenig: Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Mir fehlt nicht der Glaube an die Ernst haftigkeit Ihrer Worte, Herr Neumeyer, aber der Glaube an die Ernsthaftigkeit der Umsetzung. Die sehe ich noch nicht. Ich sehe das etwas anders als Sie, Kollegin Zacharias, von der SPD. Natürlich ist es wichtig, dass es hier ein Konzept und da ein Konzept und Berichte gibt usw. Ich möchte das aber viel einfacher darstellen. Auch in diesem Bereich fehlt es an der praxisnahen Umsetzung, an der Gestaltung und an einer direkt wahrnehmbaren Ausgestaltung. Ich meine, wir produ zieren nach wie vor viel zu viele Berichte, Papier und Bürokratie. Eigentlich ist es ganz einfach. Herr Kollege Neumeyer hat es eigentlich schon vorgegeben. Ich möchte mich auf diesen Bereich ganz bewusst be schränken, da eine Aktuelle Stunde trotz des Umfangs nicht mehr hergibt.
Die drei "B" müssen umgesetzt werden. In der früh kindlichen Bildung und in der schulischen Bildung be nötigen wir wesentlich mehr niedrigschwellige Angebo te für Elternarbeit; es reicht nicht, da und dort ein Projekt zu haben. Wir im Landkreis Eichstätt haben ein Projekt;
jeder Landkreis hat ein Projekt. Das sind aber nur Tröpf chen auf den heißen Stein. Hier muss etwas passieren; es geht um die Umsetzung. In erster Linie sind natürlich die Mütter gefragt. Bei Kindern mit Migrationshinter grund ist in erster Linie ein Defizit in der Elternarbeit und in der Mütterarbeit festzustellen. Hier müssen Ände rungen erfolgen. Dies geht nicht allein mit Konzepten, sondern hierfür muss Geld in die Hand genommen wer den.
Im schulischen Bereich geht es um die Beratungsleh reranrechungen - das ist etwas, was leicht umzusetzen ist, was Sie aber immer wieder vermeiden anzugehen. Wir haben an jeder Schule einen Beratungslehrer; er ist aber derart mit Aufgaben belastet, dass er nicht alle Aufgaben erfüllen kann. Warum nicht? - Weil Sie ihm nicht die entsprechenden Anrechnungsstunden geben. Wenn jeder Beratungslehrer an der Schule zusätzliche Anrechnungsstunden bekommt, kann er sich auch um Kinder mit Migrationshintergrund kümmern, und dann wird sich sehr schnell etwas ändern. Dieses Problem gehen Sie aber nicht an.
Ich komme zu der einfachsten Lösung, die Sie im Kin dergartenbereich bereits vorgemacht haben. Wir for dern einen Gewichtungsfaktor für Kinder mit Migrati onshintergrund zumindest auch in der Grundschule. Wenn wir einen Gewichtungsfaktor ähnlich wie im BayKiBiG einführen, dann besteht entsprechend der An zahl der Kinder mit Migration eine Fördermöglichkeit. Dann brauchen wir uns nicht über die Zahlen zu den Abiturientenabbrechern und Schulabbrechern bekla gen, die von Kollegin Zacharias zu Recht genannt wor den sind. Wir müssen dort ansetzen, wo es Sinn macht. Wir müssen dort ansetzen, wo wir die Früchte relativ schnell ernten können. Es sind doch nur Scheingefech te, wenn gesagt wird: Wenn ab 25 Kindern in einer Grundschulklasse mehr als 50 % Migrationshinter grund haben, wird die Klasse geteilt. Das hilft doch nicht viel. Nehmen Sie einen Gewichtungsfaktor, dann kön nen wir die Probleme ganz anders lösen. Das kostet aber Geld. Wir brauchen Man- oder Woman-Power. Diese Lösung bieten Sie leider nach wie vor nicht.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der letzten Legislaturpe riode wäre es noch völlig unvorstellbar gewesen, dass ausgerechnet von der CSU eine Aktuelle Stunde zum
Thema Integration beantragt werden würde. Ich be trachte das als ein hoffnungsvolles Zeichen, möchte aber gleich zur Lebensrealität zurückkehren und Ihnen einen typischen Lebenslauf einer typischen Migrantin, eines typischen Migranten schildern.
Fangen wir mit dem Kindergarten an. Dort gibt es viel zu wenig Sprachförderung, viel zu viele Kinder und viel zu wenig Erzieherinnen. Es gibt einen Gewichtungs faktor von 2, der nur für Kinder mit zwei ausländischen Eltern angewendet wird und der auch nicht zur Verbes serung der Sprachförderung führt, sondern nur dazu, dass der Kindergarten mehr Geld bekommt. Die Sprachförderung der Kinder bleibt aber weiterhin auf der Strecke. Mit ihrem sprachlichen Defizit kommen die Migranten dann in die Schule. Dort treffen sie auf ein dreigliedriges Schulsystem mit einer strengen Selekti on. Das bedeutet: Die wenigsten schaffen den Sprung aufs Gymnasium. Sie bleiben meist in der Hauptschule, und dort brechen 16 % der Migrantenjungen und 12 % der Migrantenmädchen die Hauptschule ohne Ab schluss ab. Das bedeutet schlechtere Chancen bei der Berufsausbildung. Sie treffen auf Diskriminierungen, die ihnen den Weg in den Beruf weiter verbauen. Sie landen dann sehr oft in der Arbeitslosigkeit. 13,1 % der Migranten sind arbeitslos, während im Vergleich dazu 5,1 % der sonstigen Bevölkerung arbeitslos sind. Sie landen in der Armut. 18,8 % Migranten und Migrantin nen und 8,9 % der sonstigen Bevölkerung leben in Armut.
Diese Zahlen sprechen für sich. Daher wurde es höchs te Zeit, dass das Thema Integration auch von der CSUFraktion entdeckt wurde. Allerdings kam diese Be wusstseinsänderung überwiegend auf Druck des Integrationsgipfels zustande. Aber immerhin: Wir haben jetzt einen Integrationsbeauftragten. Ich weiß, dass Herr Neumeyer sehr engagiert ist.
Dennoch ist er mit viel zu wenigen Möglichkeiten aus gestattet. Er ist beim Sozialministerium statt bei der Staatskanzlei angesiedelt, und er hat kein Budget. Das sind keine guten Voraussetzungen für Integration. Ich bezeichne das als Integration light. Wir müssen han deln. Wir dürfen nicht mehr reden; dazu ist die Zeit schon viel zu weit fortgeschritten. Wir haben noch sehr viele Lücken im Integrationsverständnis und in der Um setzung.
Bei einer Integrationstour durch Bayern konnte ich mich im letzten Jahr davon überzeugen, dass es sehr viele gut funktionierende Projekte gibt, die allerdings von allen möglichen Geldgebern bezuschusst werden, aber leider nicht vom Freistaat Bayern. Das muss sich än dern. Wir müssen Integrationsprojekte ausweiten, und
wir müssen sie bezuschussen. Wir müssen mit der Zwei-Klassen-Integrationspolitik aufhören. Es gibt Flüchtlinge erster und zweiter Klasse. Die Flüchtlinge zweiter Klasse sind jene, die in den Asylbewerberhei men leben müssen. Für sie - ich zitiere aus dem CSUPapier - werden die Leistungen nach dem Aylbewer berleistungsgesetz in der bisherigen Form gewährt; denn für diese Menschen gibt es nicht das Ziel der In tegration. Hört, hört! Es gibt nicht das Ziel, diese Men schen zu integrieren, obwohl sie teilweise bis zu 15 Jahren in den Unterkünften leben, Familien sind und Kinder haben. Sie wollen diese Kinder nicht integrieren. Da müssen Sie noch gewaltig dazulernen, denn auch diese Menschen sind zu uns gekommen und haben ein Recht auf Integration.
Es gibt hier noch sehr viele weiße Flecken im Bewusst sein. Ich glaube, Bewusstsein ist das Wichtigste, was sich ändern muss, um eine effektive Integration betrei ben zu können. Wir müssen endlich weg von der Miss trauenskultur hin zu einer Anerkennungskultur. Wir müssen davon wegkommen, diese Menschen als Be drohung und Last zu empfinden. Wir müssen sie als Chance und Bereicherung empfinden. Dann werden wir ihnen gerecht.
Dann muss ich noch schnell meine Forderungen anbringen. Wir wollen un bedingt, dass der Integrationsbeauftragte bei der Staatskanzlei angesiedelt wird und ein Budget be kommt.
Wir wollen den landesweiten Ausbau von Integrations projekten und vor allen Dingen auch deren Förderung.
Ich sage Ihnen, das wird nicht teurer. Nein, es wird sogar kostengünstiger. Wenn Sie mit dem Kostenargu ment kommen wollten, erinnere ich Sie daran, dass laut Bertelsmann-Stiftung sich die Kosten für die Folgen versäumter Integration auf rund 3,6 Milliarden Euro für Bayern belaufen.
Diese 3,6 Milliarden Euro könnten wir für die Integration sehr gut verwen den. Ich bitte Sie, diesen Weg der Integrationspolitik einzuschlagen.
Danke schön, Frau Kollegin. Die nächste Wortmeldung stammt von Herrn Dr. Barfuß. Zuvor noch ein kurzer Hinweis. Nach § 66 Absatz 3 der Geschäftsordnung sind Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen bei Aktuellen Stunden nicht zulässig. Das möchte ich nur noch einmal kurz klarstellen, weil gerade versucht wurde, sich hierdurch Gehör zu verschaffen. - Herr Dr. Barfuß, bitte.
Frau Präsidentin, ge schätzte Kolleginnen und Kollegen, lieber Martin Neu meyer! Ich freue mich sehr, dass wir heute diese Aktuelle Stunde haben. Denn seit wir überhaupt einen Integrationsbeauftragten haben, ist dieses Thema etwas besser vorangetrieben worden.
Allerdings erlaube ich mir mit einem Blick auf die His torie festzustellen, dass es die Liberalen waren, die diese Politik in den Koalitionsverhandlungen durchge setzt haben. Gleichzeitig bedanke ich mich bei der CSU, dass sie das akzeptiert hat.
Lieber hätten wir es allerdings gesehen, wenn der Be auftragte bei der Präsidentin des Landtages angesie delt worden wäre und auch ein eigenes Budget bekommen hätte. Damit wären seine Unabhängigkeit und seine Stärke besser zum Ausdruck gekommen.
Das schmälert allerdings nicht dein Engagement, lieber Kollege Martin; wer dich kennt weiß, dass du mit Leib und Seele dabei bist und dafür möchte ich dir in aller Öffentlichkeit herzlich danken.
Im Jahre 1962 haben wir Deutschen die sogenannten Gastarbeiter in unser Land gerufen. 1962! Das muss man sich einmal vor Augen führen. Bis zum Jahre 2002 ist in Sachen Integration nichts passiert, außer dass man abgewiegelt hat, dass man weggeschaut hat, be schwichtigt hat und dass man das Thema herunterge spielt hat.
Es gab zwar Kommunen, die ein bisschen was getan haben, aber die große Politik hat hier 40 Jahre lang versagt.
Am Beginn dieser Politik standen zwei große Irrtümer. Der eine Irrtum war der der Zuwanderer, die gesagt haben, wir gehen wieder nach Hause. Der andere war der Riesenirrtum Deutschlands und Bayerns und vieler von uns, die sagten, wir sind kein Einwanderungsland. Das hat sich so nicht halten lassen, es ist anders ge kommen. Deswegen war es höchste Zeit, einen Integ rationsbeauftragten zu installieren.
Was ist nun zu tun? Bildung, Bildung, Bildung! Das klingt sehr gut. Wie viel man allerdings für diese spezi fische Bildung auszugeben bereit ist, kann man in den Haushalten des Landes oder auch des Bundes bzw. der Kommunen ablesen. Da hapert es tatsächlich immer noch mit der Umsetzung der Integrationsforderungen. Hier ist meinen Vorrednerinnen und Vorrednern zuzu stimmen. Wir müssen alle gemeinsam noch dazuler nen.
Nach Professor Loeffelholz liegen die Kosten der Nicht integration jährlich bei rund 20 Milliarden Euro. Da fragt man sich doch, warum wir nicht in die Prävention in vestieren statt in die Reparatur.