Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Die Frage lautet für mich: Wie ist der Ombudsmann geschult? Ist er ein Psychologe? Ist er ein Sozialpädagoge? Welches Anforderungsprofil soll er haben? Wie kann er auf die Menschen einwirken, ohne dass sie vorgeformt werden? Hier handelt es sich um Menschen, die in ihrer Psyche und ihrer Seele geschändet worden sind. Dann kommt ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau, fühlt sich ein und implantiert möglicherweise Mitgefühl. Das ist nolens volens eine Situation, die später im Strafprozess allzu oft zu einem Glaubwürdigkeitsgutachten führt, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Zeugin oder der Zeuge unglaubwürdig ist, weil auf sie oder ihn durch den Ombudsmann oder die Beratungsstelle einseitig eingewirkt wurde.

Wenn wir einen Ombudsmann fordern, müssen wir wissen, was wir von ihm wollen. Der Begriff, den Sie genannt haben, ist für mich ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dieses Thema ist viel zu wichtig, als dass ich Ihrem Antrag zustimmen könnte. Herr Kollege Pohl, natürlich ist die Richtung, die Sie verfolgen, richtig. Wir müssen aber genau wissen, woran wir sind. Das ist bei dem Begriff "Ombudsmann" leider nicht der Fall, insbesondere dann nicht, wenn es um die Aufklärung von Straftaten geht. Hier möchte ich wissen, welches Anforderungsprofil Sie sich vorstellen.

Herr Kollege Pohl.

Herr Kollege Arnold, ich hätte es mir im Leben nicht träumen lassen, dass ich einmal die Einstellung von Sozialpädagogen gegen einen Sozialdemokraten verteidigen muss. Das hätte ich mir persönlich nie vorstellen können.

Herr Kollege Arnold, nun zum sachlichen Teil Ihrer Frage: Sie haben natürlich Recht, dass diese Gefahr besteht. Diese Gefahr besteht aber nicht nur bei einem Ombudsmann, sie ist auch bei allen anderen sozialen Hilfen für solche Opfer gegeben. Natürlich besteht die Gefahr der Beeinflussung für spätere Strafprozesse. Diese Gefahr besteht aber schon jetzt. Der Ombudsmann ist eine soziale Hilfe wie das Netzwerk, von dem Frau Kollegin Gote gesprochen hat.

Selbstverständlich sind all diejenigen, die sich um Opfer kümmern, immer in der Gefahr, dass sie die Personen, um die sie sich kümmern, in eine bestimmte Richtung beeinflussen. Dieses Problem besteht, ob mit oder ohne Ombudsmann.

Darüber, wie dieser Ombudsmann ausgestaltet werden soll, müssen wir sprechen. Sie haben recht, dass er gewisse Qualifikationen benötigt. Dieser Mensch muss in der Lage sein, sich fachlich um die Opfer zu kümmern. Darüber können wir in den Ausschüssen noch detailliert beraten.

Ich sehe keinen Wunsch nach einer weiteren Zwischenbemerkung. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schmid für die CSU-Fraktion.

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind schockiert und entsetzt über die in den vergangenen Wochen öffentlich gewordenen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs sowie körperlicher und psychischer Gewalttaten. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Vorwürfe. Wir brauchen jetzt eine lückenlose Aufklärung und eine konsequente straf- und zivilrechtliche Sanktionierung der Täter. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wer sich an Kindern vergreift, begeht in meinen Augen eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Unser gemeinsames Anliegen muss es sein, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt und das ihnen zugefügte Unrecht gesühnt wird.

Verfehlungen von Einzelnen in kirchlichen Einrichtungen schaden der gesamten Kirche und beschämen viele Gläubige. Deshalb begrüße ich die klaren Aussagen von Erzbischof Reinhard Marx, bei der Aufklärung "nichts zu verschweigen, nichts zu vertuschen, der Wahrheit ins Auge zu sehen".

Ich halte auch die Äußerungen des Kurienkardinals Walter Kaspar für richtig. Er sagt, dass die Schuldigen verurteilt und die Opfer entschädigt werden müssten. Da gibt es nichts zu verharmlosen und nichts zu relativieren. Ich sage es ganz ausdrücklich, weil das gerade Gegenstand der Debatte gewesen ist: Es ist ausschließlich die Aufgabe der Staatsanwaltschaften und keiner anderen Institution, festzustellen, ob es einen begründeten Verdacht gibt oder nicht. Ich fordere deshalb die katholische Kirche zur Klarstellung ihrer Richtlinien auf. Hier kann es keine rechtsfreien Räume geben. Rechtsfreie Räume gibt es nirgends.

(Beifall bei der CSU und den GRÜNEN)

Durch die Missbrauchsfälle sind kirchliche Bildungseinrichtungen öffentlich in Verruf geraten. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir sagen Ja zum kirchlichen Leben in Bayern, gerade im Bildungsbereich. Die Kirchen sind ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Bayern hat nicht nur eine christliche Tradition. Das Christentum und damit auch kirchliche Einrichtungen prägen das religiöse, soziale, kulturelle und geistige Leben in unserem Land heute ganz entscheidend mit.

Über 250.000 Kinder und Jugendliche besuchen in Bayern heute über 2.980 katholische Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen. Über

23.000 Menschen engagieren sich hauptamtlich in katholischen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Über 320.000 Kinder und Jugendliche sind in der katholischen Jugendarbeit organisiert. Ungezählt ist die Zahl derer, die sich ehrenamtlich in die Einrichtungen der Kirchen einbringen. Dieses Engagement für ein gelebtes Miteinander begrüßen wir ausdrücklich. Allen Haupt- und Ehrenamtlichen gilt unser uneingeschränkter Dank.

Liebe Frau Kollegin Gote, ich werde nachher noch etwas zu Ihrem Antrag sagen und wir werden ihm auch zustimmen. Ihr Wortbeitrag war mir jedoch zu einseitig. Wir müssen auch besonders die Leistungen hervorheben und würdigen, die die katholische Kirche in vielen Bereichen erbringt. Auch dazu besteht heute Anlass, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CSU)

Eines dürfen wir nicht tun: Wir dürfen den Fokus nicht nur auf die katholische Kirche richten. Der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und die Gewalt an ihnen ist leider ein gesamtgesellschaftliches Problem. Missbrauch und Gewalt kommen, wie die Erkenntnisse der letzten Tage und Wochen zeigen, in Einrichtungen der katholischen Kirche vor. Sie passieren aber auch in anderen privaten und öffentlichen Schulen, in Erziehungseinrichtungen und Vereinen. Sie kommen in der Nachbarschaft vor und sogar in den Familien. Leider zeigt die Erfahrung, dass gerade Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind, Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch zu werden. Sie können sich nicht wehren. Von 15.000 Fällen pro Jahr ist die Rede. Von einer zehnfach höheren Dunkelziffer wird berichtet.

In der gegenwärtigen Debatte müssen wir uns aber davor hüten, jeden, der Umgang mit Kindern und Jugendlichen hat, unter einen Generalverdacht zu stellen. Wir diskreditieren sonst Eltern, Verwandte, Trainer und Gruppenstundenleiter. Wir diskreditieren all die persönlich, denen die Erziehung und das Wohl von Kindern und Jugendlichen am Herzen liegen, die sich für sie einsetzen und sie fördern, die ihnen Bildung und Halt geben, die ihnen einen Weg im Leben weisen. Wir diskreditieren damit insbesondere die Jugendarbeit und das ehrenamtliche Engagement insgesamt, die unsere Gesellschaft bereichern und für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft unverzichtbar sind.

Was ist jetzt zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen zu tun? Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Wir haben wie gesagt diese Missbrauchsfälle nämlich nicht nur in der Kirche, sondern in vielen anderen Bereichen ebenfalls. Das ist eine Aufgabe, der wir uns insgesamt zu

stellen haben. Es reicht nicht aus, mit dem Finger auf die Politik zu zeigen und von dort die absoluten Lösungen zu erwarten. Es ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft.

Vier Punkte sind mir wichtig. Erstens. Wir müssen jeden Einzelfall lückenlos aufklären und dürfen nichts vertuschen. Deshalb stimmen wir auch dem Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN zu. Wir stimmen auch dem Dringlichkeitsantrag der SPD zu. Wir können dem Antrag der Freien Wähler nicht zustimmen. Die Argumente sind gerade genannt worden. Ich halte es für verfehlt, dass wir in solchen Situationen sofort Ideallösungen parat haben. Wer glaubt, dass wir ein solch vielschichtiges Problem sofort lösen können, trifft am Ende die falschen Entscheidungen.

(Beifall bei der CSU)

Lieber Kollege Pohl, jetzt zu sagen, wir lösen das Problem mit einem Ombudsmann, ist zu kurz gegriffen und es ist der falsche Ansatz. Bei der Ernsthaftigkeit dieses Problems sollten wir uns der Mühe unterziehen, miteinander ein Gesamtpaket zu entwickeln, ohne einzelne Elemente herauszunehmen.

(Bernhard Pohl (FW): Haben Sie zugehört?)

Wir sollten zunächst nachdenken, ob das der richtige Weg ist und welche Möglichkeiten wir schon jetzt aufgrund der bestehenden Systeme haben. Erst dann erst sollten wir die Entscheidungen treffen. Wir sollten im Landtag keinen x-beliebigen Vorschlag machen, der der Sache nicht gerecht wird.

Zweitens. Wir müssen den Strafrahmen und die Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch im Zivil- und Strafrecht überprüfen. Herr Kollege Schindler, hier sind wir einer Meinung. Die Justizministerin hat in den letzten Tagen bereits darauf hingewiesen, dass sexueller Missbrauch eines der schwersten Delikte ist, die ein Mensch einem anderen Menschen antun kann, insbesondere den Kindern und Jugendlichen. Deswegen brauchen wir eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen.

Drittens. Wir müssen die entstandene Verunsicherung bei denen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, beheben, genauso wie die Verunsicherung der Eltern, die ihre Kinder Schulen, Internaten, Einrichtungen und Vereinen anvertrauen, und wir müssen den Kindern Vertrauen zurückgeben.

Viertens. Sexueller Missbrauch muss verhindert werden. Deshalb müssen wir die präventiven Maßnahmen ausbauen und verbessern, indem wir die Kinder stark machen, Nein zu sagen gegen Übergriffe, indem wir die Arbeit - das ist heute von Ludwig Spaenle angespro

chen worden - der Vertrauenslehrer, der Schulberater, der Schulpsychologen bündeln und weiter professionalisieren. Wir haben schon viele "Hilfeeinrichtungen" wenn ich das so formulieren darf. Aber wir haben erkannt, dass sie nicht ausreichen und dass wir sie bündeln, zusammenfassen und ein Gesamtkonzept entwickeln müssen.

Die auf Landes- und Bundesebene anberaumten Gespräche sind aus unserer Sicht hilfreich und notwendig. Weitere Handlungsoptionen müssen entwickelt werden. Wir begrüßen sie ausdrücklich. Kinder können sich nicht selbst schützen. Kinder brauchen den Schutz von Staat und Gesellschaft. Sie brauchen unseren Schutz.

(Beifall bei der CSU, bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Fischer für die FDP. Bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit großer Betroffenheit haben wir in den letzten Wochen erfahren müssen, dass ein Missbrauchsfall nach dem anderen ans Licht gekommen ist. Ja, Herr Kollege Schindler, wir blicken in einen Abgrund. Das ist treffend ausgedrückt. Die Dimension des Leids, das zugefügt worden ist, lässt uns alle sprachlos werden. Deswegen ist klar, dass an dieser Stelle unser allererster Gedanke und unser Mitgefühl allen Opfern von Gewalt und sexuellem Missbrauch gilt.

Es ist aber auch schade, dass wir es als Parlament nicht geschafft haben, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, gemeinsam zu handeln und dass schon die drei Oppositionsfraktionen leider nicht einig geworden sind. Wir hätten ein anderes Zeichen setzen können. Diese Chance ist leider vertan worden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir alle wollen doch eine umfassende und lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Wir alle wollen doch eine konsequente Anwendung des Rechtsstaates; wir wollen, dass das Gesetz die Täter von Gewalt und sexuellem Missbrauch in voller Härte trifft. Wir wollen vor allem, dass den Opfern vor Gericht wenigstens Gerechtigkeit widerfährt. Vor allem: Wir alle wollen, dass sich solche Vorgänge nie wieder wiederholen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Zu den Anträgen möchte ich einige kurze Bemerkungen machen. Wir begrüßen den Berichtsantrag der GRÜNEN, weil wir Aufklärung wollen, und zwar lückenlos. Ich warne aber davor, eine Institution herauszugreifen

und an den Pranger zu stellen. Das klingt im Berichtsantrag der SPD an, dem wir, das kann ich vorwegnehmen, ebenfalls zustimmen werden.

Es gibt keine elitäre Gerichtsbarkeit für die Kirche. Es gibt keinen Vorrang kirchlichen Rechts, sondern es gibt in Deutschland - hier stimme ich Herrn Kollegen Pohl zu - den Legalitätsgrundsatz. Es gibt das Strafrecht, das für alle anwendbar ist, und das ist gut so.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt autoritäre Strukturen und Korpsgeist, nicht nur - Kollege Schindler, Sie haben es gesagt - bei den Kirchen. Es gibt sie auch anderswo. Wir müssen sie überall bekämpfen und aufbrechen.

In Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, ist der Passus enthalten, dass nachgeprüft werden soll, ob sich Opfer offenbart haben und Vorgänge zu spät ans Licht gekommen sind. Lassen Sie mich zur Garantenpflicht Folgendes sagen: Ich bin sehr wohl der Meinung, dass jemand als Heimleiter und als Internatsleiter eine solche Garantenstellung hat und dafür verantwortlich ist, solche Vorgänge aufzuklären. Selbst wenn es im Einzelfall nicht so weit reicht, besteht zwar keine rechtliche, aber es besteht eine moralische Verantwortung. Das ist genauso wichtig.

Was gilt es jetzt zu tun? - Zum einen - das ist für mich der wichtigste Punkt - ist es notwendig, dass wir die Prävention verbessern. Wir müssen ein Klima schaffen, damit sich all diejenigen, die vom Missbrauch betroffen sind, getrauen, sich zu offenbaren. Das ist die wichtigste Aufgabe, die wir haben. Da müssen wir die Gesellschaft verändern.

Als Zweites müssen wir mit allen, auch mit den Kirchen, den konstruktiven Dialog fortsetzen, auch wenn das nicht ganz einfach ist; denn die Auseinandersetzung zwischen der Bundesjustizministerin und einigen Kirchenvertretern ist kein Geheimnis. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, ich möchte das ausdrücklich betonen, dass die ganz große Mehrheit in der Kirche an einer lückenlosen Aufklärung interessiert ist.

Schließlich müssen wir über die rechtlichen Verjährungsfristen reden. Dazu möchte ich betonen, dass der Schwerpunkt nicht im Strafrecht liegt. Im Strafrecht besteht schon jetzt bei schwerem sexuellen Missbrauch eine Verjährungsfrist von 20 Jahren, die erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres zu laufen beginnt. Das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem liegt im Zivilrecht. Verjährungsfristen von drei Jahren sind für die Opfer schlichtweg nicht zumutbar. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei der FDP)

Auch hier muss ich wieder sagen, dass wir das nur für die Zukunft ändern können. Für die Vergangenheit und soweit es Vorfälle sind, die die Kirche betreffen, sehe ich eine moralische Verantwortung, eine Verantwortung der Deutschen Bischofskonferenz, mit einem Entschädigungsfonds notwendige Schritte einzuleiten; denn - ich sage es noch einmal - die Hilfe für die Opfer ist keine juristische, sie ist eine moralische Frage.