Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spaenle, Sie haben einen kleinen Zwischeneinwurf gemacht: "Das tut weh!" Wissen Sie, was wirklich weh tut?
- Ich werde das etwas maßvoller formulieren. Was wirklich wehtut, ist, dass Sie hier immer wieder behaupten, dass es keine Alternative zu diesem Gesetzentwurf gibt. Wenn man dies behauptet, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man kann es nicht besser oder man will es nicht besser.
Ich glaube, beides trifft zu. Sie können es nicht besser, und Sie wollten es auch nicht besser machen. Sie wollten immer innerhalb Ihrer Leitplanken bleiben. Unter diesem Aspekt stellt sich schon die Frage: Auf wessen Rücken wird denn hier Politik gemacht und was erwarten denn die Menschen von uns? - Sie erwarten, dass wir nachhaltige Politik machen.
Nun zum Einzelnen. Ich will versuchen, die Sache etwas sachlicher abzuarbeiten; denn es ist allemal wert, darüber nachzudenken, was hier schief läuft. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Alternativen gibt es weiß Gott genug. Finnland, Südtirol, ja sogar die Österreicher haben es jetzt kapiert und suchen nach Alternativen in anderen Schulformen. Diese Alternativen sind weiß Gott nicht schlecht, was die PisaStudie zeigt. Herr Spaenle, hundert Anträge liegen bereits auf dem Tisch des Kultusministeriums, Modelle, die ausgereift sind, die durchdacht sind, die aber einfach nicht gemacht werden dürfen.
Ich möchte noch einen Protagonisten erwähnen, der auch Alternativen genannt hat und der bestimmt nicht SPD-verdächtig ist, nämlich die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Schon 2003 wurde im PrognosGutachten "Schule neu denken" ein zweigliedriges Schulsystem mit Sekundarschulen und Gymnasien vorgestellt. Auch das haben Sie ignoriert. Das ist nicht nur traurig, sondern ich halte es auch für einen Skandal, dass Sie überhaupt nicht darüber nachdenken, welche Möglichkeiten es sonst noch gibt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in diesem Gesetzentwurf steht: Eine der zentralen Aufgaben ist daher die zukunftsfähige Sicherung eines wohnortnahen, differenzierten und berufsorientierten Bildungsangebotes im Hauptschulbereich, das allen Schülerinnen und Schülern zugänglich ist. Sie begründen dies. In Bayern gibt es eine sehr deutliche demografische Entwicklung, nämlich einen deutlichen Schülerrückgang. Sie sagen, die Eltern hätten sich hinsichtlich ihres Übertrittsverhaltens verändert, und deshalb sei das notwendig. Wenn Sie das sagen, vergessen Sie aber, dass Sie immer nur Alternativen innerhalb Ihres, wie Sie sagen, erfolgreichen Schulsystems suchen. Obwohl sich in dieser Welt, auch in Bayern alles und auch die Verhältnisse an den Schulen verändern, blei
ben Sie bei diesem System. Das hat nichts mit Konservatismus zu tun. Das ist nicht konservativ, sondern das ist rückwärtsgewandt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Das Kultusministerium und die Staatsregierung ignorieren völlig, dass der Hauptschule seit Jahren die Schüler abhanden kommen, vor allem deshalb, weil die Eltern diese Schulart ablehnen. Das Kultusministerium macht sich aber nicht einmal die Mühe, zu analysieren, warum eine Schulart komplett abgelehnt wird. Das Kultusministerium und Sie, die CSU und die FDP, beharren auf den alten Strukturen und begnügen sich mit kosmetischen Änderungen. Sie gehen unbeeindruckt Ihren Weg. Interessanterweise gehen aber auch andere unbeeindruckt ihren Weg, nämlich die Eltern. Die Eltern gehen unbeeindruckt den Weg weg von der Hauptschule hin zum Gymnasium und zur Realschule. Das ignorieren Sie aber komplett. Die Eltern wollen die Hauptschule nicht mehr. Sie ist nicht mehr die Schulart der Wahl, sondern sie ist die Schulart der Übriggebliebenen. Wer kann, vermeidet sie. Das ist die Wahrheit; denn wir wissen aus Untersuchungen: Eltern orientieren sich bei der Schulwahl ausschließlich an den Abschlüssen, die eine Schulart vergibt. Auch das ignorieren Sie, wenn Sie diese neue Mittelschule angeblich pädagogisch neu aufsetzen.
Das Kultusministerium hat es nicht einmal geschafft, in diese neue Mittelschule einen echten Realschulabschluss hineinzupacken, den die Eltern wirklich annehmen. Vielleicht war der Wille dazu da, aber Sie durften nicht. Warum? Weil sich ein Lehrerverband dagegen gesträubt hat. Wer macht denn eigentlich in Bayern Politik? Sind es die Lehrerverbände oder Sie im Parlament und im Kultusministerium?
Unser Kultusminister - der natürlich jetzt Wichtigeres zu tun hat, als hier zuzuhören - hat heute in der "SZ" gesagt, dass der neue Abschluss an der Mittelschule ein höheres Niveau haben werde als der alte M-Abschluss, z. B. im Fach Englisch. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist Volksverdummung; denn dieser Abschluss enthält nichts anderes als der alte Abschluss.
Es wird keine zusätzliche Englisch-Stunde geben. Es wird keinen anderen Lehrplan geben. Es wird keine andere Prüfung geben. Das und nur das ist die Wahrheit. Das wissen die Leute draußen.
Wir können feststellen: Die neue bayerische Mittelschule erhebt keinen pädagogischen Anspruch, der für Eltern attraktiv sein könnte. Somit können wir
schon jetzt sagen: Aus den G-8-Erfahrungen wurde nichts gelernt. Hier wird wiederum ein Schulkonzept gemacht, das an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht.
Sehen wir uns einmal die Einführung an: Zuerst sind Sie mit Glamour in die Allianz-Arena gegangen, haben das Konzept vorgestellt und die Leute heiß gemacht. Im Parlament gab es keine Spur von dem neuen Gesetzentwurf. Irgendwann wurde der Entwurf eingereicht. Dann hat es plötzlich pressiert. Der Entwurf musste in die Ausschüsse und ins Plenum, weil wir heute darüber entscheiden müssen, damit er am 1. August in Kraft treten kann. Das hat eigentlich mit einer vernünftigen Schulpolitik nichts zu tun.
Damit komme ich zum Märchen von der Akzeptanz. Das ist schon der Gipfel. Die kommunalen Spitzenverbände sind nicht irgendjemand. Sie sind übrigens auch nicht verdächtig, SPD-nah zu sein. Vielmehr sind sie sehr stark in Ihrem Lager angesiedelt. Diese kommunalen Spitzenverbände sagen in ihrer Stellungnahme eindeutig: "Im Gegensatz zur Staatsregierung halten wir den Gesetzentwurf für konnexitätsrelevant."
Nebenbei bedauern die Spitzenverbände, dass die UN-Behindertenrechtskonvention im Gesetzentwurf ausgespart wurde. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das ist mindestens genauso dramatisch. Entscheidend ist aber der erste Satz. Ich sage eindeutig: Die SPD-Fraktion hat erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs im Hinblick auf die Konnexität. Wir werden dies überprüfen lassen.
Warum sind die kommunalen Spitzenverbände nicht euphorisch, sondern gegen diesen Gesetzentwurf? Das Ganztagsangebot wurde heute schon angesprochen. Genau das ist der Grund. Im Gesetzentwurf steht, dass sich eine Schule nur dann Mittelschule nennen darf, wenn es Ganztagsangebote gibt. Für die Ganztagsangebote muss die Vorsorge jedoch auf der kommunalen Ebene getroffen werden. Wenn das nicht konnexitätsrelevant ist, was dann? Das Gleiche gilt auch für die Mittelschule. Hierzu stellen die kommunalen Spitzenverbände fest: "Hier schafft die Mittelschule eine faktische Verpflichtungslage." Im Gesetzentwurf wird jedoch erklärt, dass den Kommunen
Das hatten wir doch alles schon einmal. Ich erinnere an die Einführung der R 6. Schon damals hieß es, dass diese Maßnahme die Kommunen nichts koste. Ich möchte nicht wissen, wie viele Landräte mittlerweile ein Lied davon singen können, was die Einführung der R 6 gekostet hat.
Ich möchte noch einmal auf die Akzeptanz zurückkommen. Herr Kollege Eisenreich, Sie haben gesagt, die Schulleiter seien für diese Maßnahme. Ich kenne eigentlich nur skeptische Schulleiter. Damit sage ich nicht, dass alle Schulleiter dagegen wären. Ich kenne jedoch mehrheitlich nur skeptische Schulleiter. Sie sagen, die Kommunen seien für dieses Konzept. Ich kenne nur Bürgermeister, die sagen, dass sie dieses Konzept umsetzen müssten; sie hätten es gerne anders. In der "SZ" von heute wird erklärt, dass es nicht viele Schulleiter und Bürgermeister gebe, die von Spaenles Konzept überzeugt seien. Die "SZ" zitiert den CSU-Bürgermeister aus Fürstenstein, Herrn Gawlik, der diese Reform vor seinem Gemeinderat als "aktive Sterbehilfe für die Hauptschule" bezeichnet hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
An allererster Stelle müssten eigentlich die Eltern das Konzept der Mittelschule akzeptieren, dann würde es auch ein Erfolg werden. Herr Dr. Spaenle, ich frage Sie: Haben Sie die Eltern überhaupt einmal befragt? Sind die Eltern überhaupt einbezogen worden? Ich sehe nur, dass die Eltern im nächsten Schuljahr verstärkt die Realschulen und die Gymnasien ansteuern und von Ihrer Konzeption völlig unbeeindruckt sind. Sie sagen jedoch in dem SZ-Interview, dass das Konzept trage und eine Qualitätsverbesserung für die Schüler bedeute. Komisch, dass diejenigen, die von diesem Konzept betroffen sind, dies anders sehen. Das ist doch wirklich bemerkenswert.
Aus Zeitgründen möchte ich mich ein bisschen kürzer fassen, damit wir noch die anderen Bereiche ansprechen können. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass es Probleme bei der Umsetzung dieser Reform geben wird. Die Volksschulen müssen rechtlich in Grundund Hauptschulen getrennt werden. Verbundschulleiter müssen ernannt werden - ohne die Kommunen, die dabei außen vor gelassen wurden. Diese Verbundschulleiter sollen ihre Arbeit praktisch für nichts verrichten. Sie erhalten nur zwei Anrechnungsstunden. Wie soll das gehen? Das ist nicht geklärt. Sie sprechen dauernd davon, dass die Schulen mehr Lehrerstunden bzw. ein höheres Budget bekommen sollen. Bis heute, drei Wochen vor Schuljahresbeginn,
wissen wir nicht genau, wie viele Lehrerstunden das sein werden. Die Schulen draußen werden allein gelassen. Eine Erweiterung des Budgets kann ich nicht erkennen.
Sie sagen immer, dass Qualität vor Geschwindigkeit gehe. Jeder darf, wann er will. In meinem Landkreis macht die eine Hälfte der Schulen bereits heuer mit, während die andere Hälfte erst nächstes Jahr mitmachen wird. Jeder darf, wie er mag. Wie wird es im Jahr 2011 sein, wenn die Schüler aus der Schule kommen? - Der eine Schüler hat dann ein Mittelschulzeugnis, der andere Schüler hat ein Hauptschulzeugnis. Beide bewerben sich bei einem Handwerker. Der Handwerker fragt sich, wo der Unterschied zwischen der Mittelschule und der Hauptschule liegt. Die Antwort wird lauten, dass es keinen Unterschied gibt. Das ist das Dramatische.
Ich möchte zum Schluss kommen und noch einmal zusammenfassen: Wir beschließen heute einen Gesetzentwurf, der weitreichende Konsequenzen haben wird. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU und der FDP, diesem Gesetz heute zustimmen, tun Sie dies in dem Wissen, dass dieses Konzept pädagogisch anspruchslos ist, an der Wirklichkeit vorbeizielt und in größter Eile zusammengezimmert wurde, ohne die Eltern mitzunehmen. Für die Kommunen bringt dieses Konzept keine nachhaltige Sicherung ihrer Standorte. Wollen Sie das wirklich?
Herr Kollege Güll, bleiben Sie bitte am Redepult. Herr Freller möchte eine Zwischenbemerkung machen.
Herr Abgeordneter, während Ihrer Rede hat Ihre Kollegin Noichl die Politik des Kultusministers als "Dreckspolitik" bezeichnet. Teilen Sie meine Auffassung, dass dies eine niveaulose Äußerung ist und einer Entschuldigung bedarf?
(Beifall bei der CSU - Harald Güller (SPD): Das hat der Kollege nicht gehört, darum kann er auch nichts dazu sagen!)
(Beifall bei der SPD - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Kann man vielleicht einmal die Äußerungen von Herrn Staatsminister Huber heraussuchen, die er hier gemacht hat?)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Minister! Herr Kollege Eisenreich, bei Ihren Ausführungen war ich einigermaßen besorgt um Sie; denn ich habe festgestellt, dass Sie nach einem Dreivierteljahr immer noch nicht richtig lesen können. Sie müssen Nachhilfeunterricht beantragen. Sie haben gesagt, wir hätten Ihr Konzept abgeschrieben. Das haben Sie schon öfter behauptet. Das ist aber schon eine sensationelle Interpretation.
Nutzen Sie in den nächsten Wochen die parlamentsfreie Zeit und gehen Sie den Jakobsweg. Den Jakobsweg gehen in der Regel Menschen, die innere Einkehr und Neuorientierung suchen. Das ist bei Ihnen jetzt angesagt.
haben ein Ziel vor Augen. Es ist Santiago de Compostela. Diese Menschen treffen ihre Vorbereitungen, arbeiten ihre Routen aus, legen die Tagesetappen, ihr Gepäck usw. fest. Trotz aller Vorbereitungen wissen sie aber nicht, welche Überraschungen sie unterwegs erwarten.
Sie werden sich jetzt fragen, was ich mit dem Jakobsweg will. Wir reden hier doch über die Änderung des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes. In der Tat gibt es zwischen dieser heute von der Regierungskoalition durchzuwinkenden Gesetzesänderung und dem Abenteuer Jakobsweg viele Parallelen. Die Schüler, die Eltern, die Lehrer, die Kommunen und das behaupte ich - auch das Kultusministerium wissen ähnlich wie die Pilger auf dem Jakobsweg nicht, was sie mit der neuen Schulart und den Schulverbünden erwartet.