Insgesamt mussten wir feststellen, dass die Bayerische Staatsregierung vorwiegend die leistungsstarken Zuwanderer anerkennt und schätzt. Auf eine Frage der GRÜNEN, ob Anerkennung und Wertschätzung nicht grundlegende Haltungen seien, nicht erst Belohnung für gelungene Integration, antwortet die Staatsregierung, dass Integration in Bayern vor allem dadurch Anerkennung finde, dass Leistung sich lohne und Leistung als wichtiger gesellschaftlicher Beitrag gesehen werde. Tatsächlich müssen auch den Flüchtlingen Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht werden, die mit nichts kommen außer dem, was sie am Körper tragen. Die Fähigkeiten der Flüchtlinge sind zunächst noch nicht wirtschaftlich verwertbar. Jedoch steckt auch in den Flüchtlingen ein erhebliches Potenzial.
Als wirtschaftlich hochentwickeltes Land hat Bayern die Aufgabe, internationale Verpflichtungen zu erfüllen und den Schutzsuchenden eine menschenwürdige Behandlung angedeihen zu lassen.
Soviel zum Integrationsverständnis der Staatsregierung. Mir war es wichtig, dieses herauszuarbeiten.
Es gibt ein bayerisches Integrationskonzept. Der Hintergrund für die Interpellation der GRÜNEN ist das Integrationskonzept "Aktion Integration" der Staatsregie
rung aus dem Jahr 2008. Darin ist festgehalten, dass sich Bayern seit 2009 einen Integrationsbeauftragten leistet, den wir auch sehr schätzen. Seit Januar 2010 existiert ein Bayerischer Integrationsrat. Beide haben allerdings nur eine beratende und unterstützende Funktion. Sie können ihre Beschlüsse und Anregungen der Staatsregierung lediglich zuleiten. Mehr Rechte haben sie nicht.
Es ist eine Spezialität der Bayerischen Staatsregierung und der Mehrheitsparteien im Landtag, zahlreiche Arbeitskreise, Kommissionen, Foren und vieles mehr zu gründen. Dort wird mit Fachleuten zusammengearbeitet, die eine hohe Kompetenz vorweisen. Deren Anregungen bleiben jedoch oft ungehört im Raum. Das Bayerische Integrationskonzept müsste längst überarbeitet werden, und zwar, Frau Haderthauer, unter Beteiligung der Betroffenen, nämlich der Migrantenorganisationen, der Wohlfahrtsverbände und der vielen Ehrenamtlichen in diesem Land. Diese leisten im Integrationsprozess Erstaunliches.
Hinzu kommt, dass Sie Ihren Integrationsbeauftragten, Herrn Neumeyer, ernst nehmen müssen. Ich sehe in Ihre Reihen. Herr Neumeyer, ich fand Ihre Rede super. Es war eine gute Rede. Kolleginnen und Kollegen, wer von Ihnen hört zu?
Wir haben heute nicht die Zeit, alle Elemente dieses Aktionsplans und der Interpellation durchzugehen. Deshalb habe ich mir einfach eine Auswahl gegönnt. Ich bin froh, dass ich mir gerade diese Auswahl gegönnt habe. Ich konnte mir schon denken, was kommt. Frau Kollegin Ackermann hat viel über den Bildungsprozess gesprochen. Zu den vielen genannten Zahlen kann ich nur wenig hinzufügen. Der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen will ich mich anschließen.
Ich will mich dem Thema Sprachförderung widmen. Diese, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ist für Sie immer das wichtigste Element. Die deutsche Sprache ist tatsächlich ein wesentliches Element der Integration. Die Staatsregierung verweist in diesem Zusammenhang immer auf die frühkindliche Sprachförderung und ihr Programm "Vorkurs Deutsch". Ja, es ist richtig: Kinder müssen so früh wie möglich abgeholt werden, damit die sprachlichen Fähigkeiten vertieft und entwickelt werden. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, Frau Haderthauer, dass dieses Programm erst seit neun Jahren existiert. Wir haben jedoch schon seit 60 Jahren Zuwanderung.
In der von mir bereits erwähnten Studie der Universität Bamberg wird dieser zentrale Baustein der Staatsregierung - Frau Haderthauer, das können Sie alles nachlesen - scharf kritisiert. Dort wird festgestellt, dass das Programm erhebliche Defizite hat. Bei einer Befragung der Grundschullehrer haben nur 13 % aller Grundschullehrer ausgesagt, dass sie mit der Durchführung des Programms keine Probleme hätten. Im Umkehrschluss heißt das: 87 % der Grundschullehrer haben Probleme mit der Umsetzung. Deshalb geht es nicht um ein halbvolles oder ein halbleeres Glas Wasser, sondern um deutliche Defizite.
Die Defizite bestehen vor allem in personeller und organisatorischer Hinsicht. Vor allem im ländlichen Raum kommen oft gar keine Kurse zustande. Es gibt auch grundsätzliche Kritik an diesem Programm. Das Programm separiert die Kinder. Wir brauchen ein integratives Konzept mit dem Ziel der Sprachförderung von der Krippe bis weit in die Schulzeit hinein. Die frühkindliche Bildung und der erfolgreiche Spracherwerb - Herr Neumeyer, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das Stichwort erwähnt haben - funktionieren ohne die Eltern nicht. Die Eltern müssen mitgenommen werden. Frau Haderthauer, mich ärgert das Eigenlob der Staatsregierung besonders. Bevor ich in den Landtag kam, war ich 13 Jahre Stadträtin in Nürnberg, einer großen Stadt in Bayern.
- Vielen Dank. Herr Freller, Sie können bestätigen, dass wir bereits Anfang der Neunzigerjahre über Elternbildungsprogramme und Sprachförderung für Kinder gesprochen haben. Das erste Programm hieß "Mama lernt Deutsch". Das Programm ist in einer Frankfurter Schule erfunden worden. Später kamen "HIPPY", "Opstapje" und "PAT-Parents as Teachers" hinzu. In der Interpellation wird dazu von der Staatsregierung ausgeführt, dass diese Programme begrüßt würden - wunderbar. Im nächsten Satz steht jedoch, dass Sie dieses Programm nicht mit einem Euro unterstützen könnten. Wo bleiben die vielfältigen Ankündigungen der Staatsregierung, Familien zu unterstützen und zu fördern?
Wie so oft, sind die Kommunen Vorreiter gewesen. So verschickt zum Beispiel die Stadt München bereits seit 40 Jahren Elternbriefe mit wichtigen familienpolitischen Angeboten an alle Migrantenfamilien. In der Stadt Nürnberg erhalten Eltern bei der Geburt des
Kindes vom Standesamt ein Willkommenspaket und damit eine Hilfestellung vom ersten Tag des Lebens des Neugeborenen an. Die Staatsregierung hat in der Vergangenheit stets Programme und Initiativen, die auf kommunaler Ebene ins Leben gerufen wurden, zwar begrüßt, aber nie finanziell unterstützt. Das ist leider auch heute noch so.
Die Vorkurse Deutsch müssen dringend evaluiert werden und zu integrativen Konzepten ausgebaut werden. Elternbildungsprogramme brauchen die finanzielle Unterstützung der Staatsregierung.
Die Sprachförderung in der Grundschule muss dringend ausgebaut werden, und die Kinder mit Schwierigkeiten müssen individuell gefördert werden. Am Rande sei erwähnt - das ist besonders ärgerlich -, dass bei der Einführung des Programms Vorkurse Deutsch der muttersprachliche Ergänzungsunterricht komplett gestrichen wurde. Dazu will ich Ihnen ein kleines Beispiel zeigen. Es stammt nicht von mir, sondern von einem bekannten Journalisten, der für den größten nordbayerischen Verlag arbeitet. Er ist ein sehr erfolgreicher Journalist türkischer Herkunft. Er schreibt in der Broschüre "Aufstieg durch Bildung", herausgegeben durch das türkische Konsulat in Nürnberg, einige Sätze. Er erzählt seine Lebensgeschichte, wie er nach Deutschland kommt, nur die Worte Ball, Banane und Brot kennt, dann von seinen Eltern aufs Gymnasium geschickt wird und nachmittags einen muttersprachlichen Ergänzungsunterricht besucht. Er beklagt sich in dieser Geschichte, dass er als Kind nicht eingesehen hat, dass er das tun musste. Dann schreibt er weiter, was ihm das gebracht hat: Sie, diese muttersprachlichen Ergänzungsunterrichte, haben mir ein felsenfestes muttersprachliches Fundament mit auf den Weg gegeben, ohne das mein Deutsch vermutlich nicht annähernd so gut gewesen wäre, wie es heute ist.
Ein erfolgreicher Journalist sagt also: Muttersprache ist das Fundament. Das sagen auch alle Sprachwissenschaftler. Die Staatsregierung will davon aber nichts mehr wissen. Wenn man mit dem Innenminister darüber diskutiert, wird es ganz furchtbar. Ich habe das in Erlangen ja schon einige Male getan.
Ich komme langsam zum Fazit. Nimmt man sich die Interpellation und die von der Universität Bamberg erstellte Studie im Einzelnen vor, so stellt man fest, dass es viele erfolgreiche Integrationsprojekte in Bayern gibt. Entstanden sind diese jedoch vor allem in
den großen Städten Bayerns, in denen das Thema Integration schon seit mehr als zwei Jahrzehnten auf der Tagesordnung steht. Bekanntermaßen sind die großen Städte in Bayern schon seit vielen Jahren sozialdemokratisch geführt und regiert; dort wird Integration tatsächlich gelebt.
Die Bayerische Staatsregierung hat erst vor wenigen Jahren das Thema für sich entdeckt und brüstet sich jetzt mit Erfolgen, die andere vorbereitet haben. In diesem Zusammenhang ist es einfach eine Unverschämtheit, wenn die Staatsregierung in der Beantwortung der Interpellation feststellt, dass es keinerlei finanzielle Zuwendung für die Integrationspläne der Kommunen gibt und in der Zukunft geben wird. Das ist ein wörtliches Zitat aus der Interpellation.
Die Kommunen werden aber nicht nur vom Land Bayern hängen gelassen, sondern müssen auch massive Kürzungen vonseiten der Bundesregierung verkraften. Ich nenne einige Beispiele: Die faktische Streichung des Städtebauförderprogramms "Soziale Stadt" ist besonders ärgerlich, weil damit nicht nur in Beton, sondern in konkrete Projekte investiert wird, mit denen in den Stadtteilen, dort, wo Probleme vorhanden sind, das Zusammenleben begleitet wird. Es ist nicht nachvollziehbar, warum man diese Programme kürzt.
Die Kürzungen bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen treffen natürlich insbesondere auch Migranten. Viele Wohlfahrtsverbände engagieren sich seit Jahren im Bereich der Migration. Ich nenne beispielsweise die AWO Nürnberg, die eine eigene Abteilung hierfür hat. Ich kann das sehr gut beurteilen. Herr Neumeyer, wir haben sie zusammen besucht; Sie waren begeistert.
Die Wohlfahrtsverbände haben allerdings das Problem, dass sie immer schlechter finanziert werden. Ich nenne das Thema Asylberatung. Wir haben erst einen Antrag gestellt, der von der Mehrheit leider abgelehnt wurde. Ich nenne das Thema Migrantenberatung. Es ist zu befürchten, dass sich diese Beratungsstellen mangels Refinanzierung zukünftig herausziehen werden. Im Klartext heißt das: Finanzielle Unterstützung vonseiten des Freistaates fließt spärlich. Die Bundesregierung dreht den Geldhahn ebenfalls zu. Kommu
nen, Wohlfahrtsverbände und alle, die sich um die notwendige gesellschaftliche Aufgabe der Integration bemühen, sind auf sich alleine gestellt. Deshalb, Frau Kollegin Haderthauer, erhebe ich den Vorwurf: Integration in Bayern ist nicht wegen, sondern trotz der Staatsregierung insgesamt auf einem guten Weg.
Das Bewusstsein dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich multiethnisch zusammensetzt, Frau Haderthauer - das kann keiner bestreiten -, ist eine wesentliche Grundlage für alle Integrationsbemühungen. Schon deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, mit welcher Sprache Sie mit diesem Thema umgehen. Ich kann an Sie, Frau Haderthauer, nur appellieren: Überlegen Sie sich solche Sätze, solche Thesen; überlegen Sie sich, wie das bei den Menschen ankommt, die im Land leben und vielleicht noch zu uns stoßen wollen.
Für uns Sozialdemokraten ist Deutschland ein offenes Land, eine offene Gesellschaft. Wir wissen, dass unsere Zukunft, unser künftiger Platz in der Welt und unser Wohlstand auch davon abhängen, dass wir die Vielfalt und Offenheit unseres Landes erhalten und gestalten. Ich erinnere nochmals an unser Integrationsgesetz, in dem wir gerade die Teilhabe von Migranten ganz oben ansiedeln.
Kolleginnen und Kollegen, Integration geht uns alle an: die, die schon da sind, die, die vielleicht noch zu uns wollen, aber vor allem auch die, die schon immer hier sind.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal den Dank an die Kolleginnen und Kollegen des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN dafür ausdrücken, dass sie sich mit dieser ausführlichen Interpellation diesem Thema gewidmet haben und dass wir uns dadurch heute im Bayerischen Landtag noch einmal mit dieser Thematik befassen können. Diese 160 Seiten, die es nun sind, sind sehr interessant zu lesen, aber den Weg zu Lösungen der Integrationsproblematik in Bayern erkenne ich nicht direkt. In den Ausführungen des Kollegen Neumeyer höre ich: Projekte, Finanzierung, wir brauchen Partner dazu. Sehr oft haben Sie gesagt: Wir brauchen. Das Wissen um die Mängel und die Defizite ist also in Ihren Reihen vorhanden. Sie sind
aber zusammen mit der FDP in der Regierung. Also müsste es auch Ihre Aufgabe sein, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich meine, die Integration ist immer noch zuvorderst eine Aufgabe des Staates. Die Voraussetzungen hierfür müssen geschaffen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, rund 2,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Bayern. Das ist beileibe keine zu vernachlässigende Minderheit. Damit hat rund ein Fünftel der bayerischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Dieser Anteil wird in den nächsten Jahren steigen. Diese Zahlen sind an sich schon bemerkenswert, aber sie sagen noch nichts über die Lebenswirklichkeit der Menschen in Bayern aus. Sie, Frau Staatsministerin Haderthauer, haben in Ihrer Regierungserklärung am 11. November 2010 gesagt: Bayern ist ein Integrationsland; Bayern kann Integration besser. Das klingt ja alles wunderbar, nur klaffen wie so oft Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander; denn nahezu im selben Moment hat draußen vor der Tür der Ministerpräsident eine Integrationspflicht in der Bayerischen Verfassung verlangt. Da muss ich schon fragen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank: Was denn nun? Weiß man, in welche Richtung man denn steuert?
In der Statistik klingt es ganz gut, dass die Armutsrisikoquote von Migranten laut Sozialbericht in Bayern mit 24,8 % die geringste in der Bundesrepublik ist. Das ist aber noch längst kein Anlass, sich zufrieden zurückzulehnen. Das sage ich mit voller Überzeugung. 24 % sind meines Erachtens noch immer eine erschreckend hohe Zahl. Mich tröstet es dabei keineswegs, dass die Situation in anderen Bundesländern noch schlechter ist. Ganz im Gegenteil: Mich erschreckt, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Bayern ein mehr als doppelt so hohes Armutsrisiko haben wie Menschen ohne Migrationshintergrund.