Ich erkenne an, dass die Staatsregierung einiges getan hat. Ist das aber seit 2009 genug? - Nein, es ist nicht genug.
Die nächste Frage: Ist die Inklusion, also die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in allen Köpfen in den Ministerien angekommen? - Ich sage dazu gleich: Nein, sie ist nur teilweise angekommen. In der Antwort trifft die Bayerische Staatsregierung die Aussage, sie setze sich seit vielen Jahren für die gleichberechtigte Teilhabe ein, und es sei im Koalitionsvertrag hervorgehoben, dass von der Fürsorge zur Teilhabe vollzogen werde. Das ist ein gutes Beispiel für das geflügelte Wort, dass "der Wunsch der Vater des Gedankens ist". Ich greife zwei weitere Beispiele heraus: Hier ist die Staatsregierung direkt betroffen. Man reibt sich verwundert die Augen, zumal Staatsregierung und CSU-Fraktion noch im Jahr 2002 das Bayerische Behindertengleichstellungsgesetz abgelehnt haben. Noch im Jahr 2003 wurde unser Antrag abgelehnt, in das Behindertengleichstellungsgesetz die Regelung aufzunehmen, dass Kinder mit und ohne Behinderung in Kindergärten und Schulen gemeinsam betreut und unterrichtet werden. Ebenso wurde abgelehnt, das Wunsch- und Wahlrecht aufzunehmen. Insofern ist der Satz ein Lernprozess sondersgleichen.
Inzwischen stellt die Staatsregierung in der Antwort zur Interpellation fest, dass sie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im bayerischen Schulwesen, also die inklusive Schulform, begrüße und ihr die integrative Förderung hin zu mehr inklusivem Unterricht seit Jahren ein Anliegen sei. Ich frage mich, ob ich in der Zwischenzeit geträumt und etwas verpasst habe. Ihr Credo war bisher: Kooperation, Außenklassen, Integration durch Kooperation, und der Begriff "Integration" soll durch den Begriff "Inklusion" ausgetauscht werden. Ich anerkenne durchaus die Lernfähigkeit des Hauses Spaenle. Besser spät als nie! Aber Sie mussten zum Jagen getragen werden. Eigentlich hätten sie an der Spitze der Bewegung sein müssen. Mittlerweile begrüßt die Staatsregierung in der Antwort den interfraktionellen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über das Bayerische Erziehungsund Unterrichtswesen. Wir wissen, dass die interfraktionelle Arbeitsgruppe erst den ersten Schritt gemacht hat. Es ist noch viel an Information und Unterstützung zu tun. Es ist noch viel zu tun, die positive Grundeinstellung zu vermitteln und die positive Vorreiterstellung einzunehmen. Nur zu begrüßen, ist leicht. Auch hier mussten Sie wieder zum Jagen getragen werden. Das darf nicht sein.
Sie hätten vermitteln müssen, dass Sie hinter dem Gedanken der Inklusion, hinter der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stehen. Die Inklusion muss in die Köpfe.
Ein weiterer Blick richtet sich auf die Zeit vor dem Schuleintritt. Beim BayKiBiG verweisen Sie auf den Bildungs- und Erziehungsplan, der sich auf die Inklusion stützt. Das ist gut und schön, aber die Erzieherinnen brauchen Zeit, um den Plan umsetzen zu können.
Interessant ist die Beantwortung der Frage zu den Heilpädagogischen Fachdiensten. Die Staatsregierung hält die bestehenden neunzehn Fachdienste für nicht ausreichend und verweist darauf, dass die Städte und Landkreise verbindlich mitfinanzieren müssten, dies aber ablehnten. Damit ist die Sache für die Staatsregierung erledigt. Das kann doch nicht sein. Inklusion bedeutet Teilhabe, nicht ausgrenzen. Neunzehn Fachdienste können den Flächenstaat Bayern nicht abdecken. Viele Kinder und Familien werden ausgegrenzt. Die Staatsregierung tut das damit ab, dass die Kommunen und Landkreise nicht mitfinanzierten, und erklärt das Thema für erledigt.
Kolleginnen und Kollegen! Inklusion bedeutet auch, die kommunale Ebene in die Lage zu versetzen zu handeln. Das Umsetzen der Konvention bedeutet die Zusammenarbeit auf allen Ebenen und die Erarbeitung von Lösungen. Sie bedeutet nicht, nichts zu machen, weil ein Teil nicht kann. Das kann nicht sein!
Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht. An diesen beiden Beispielen aus dem Katalog der Interpellation ist ersichtlich, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zwar in der Theorie, sprich in Reden, aber nicht in der Praxis, sprich im Handeln, und nicht unbedingt Chef- oder Chefinnensache in den Ministerien und schon gar nicht in der Staatskanzlei ist.
Die Staatsregierung hat - ich sage das gerne, damit nicht unterstellt wird, man würde alles schlechtreden einige Ansätze zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gezeigt. Herzblut ist aber nicht dabei. Das gilt auch für das gesamte Feld der Barrierefreiheit. Nicht nur die gedanklichen Barrieren, die Barrieren in den Köpfen sind vorhanden, sondern auch die real existierenden. Ich komme zum Stichwort
Medien, Stichwort Studiengang Architektur und Bauwesen. Es kann nicht sein, dass auch nur ein Student, nur eine Studentin die Universität verlässt, ohne eine entsprechende verbindliche Ausbildung in Sachen Barrierefreiheit zu haben,
ganz zu schweigen vom barrierefreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Da erwarte ich ganz einfach, dass die Staatsregierung im Bereich DB AG tätig wird. Sie darf nicht nur reden, sondern muss ganz konkrete Zielvereinbarungen zum Thema Barrierefreiheit der Verkehrswege in Bayern, zum Thema Barrierefreiheit der Bahnhöfe oder auch zum Thema Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden treffen. Was nützt zum Beispiel - selbst erlebt - ein Lift im Gebäude, wenn es davor Treppen gibt, die nicht zu überwinden sind?
Wir wissen alle, dass die Erde keine Scheibe ist und keine ebene Fläche. Wir wissen, dass manches nicht so einfach zu regeln ist, aber es fehlt oft ganz einfach der Wille. Es fehlen die Sensibilität und das Gespür dafür. Und nicht alles kostet Geld; manches wäre mit einfachen Mitteln zu machen. Wenn nun - ich weiß, das hören Sie nicht gerne - 10 Milliarden für die Landesbank locker gemacht worden sind, dann
bedeutet das, dass Jahr für Jahr Millionen Zinsen für die Finanzierung der Landesbank gezahlt werden. Ich meine damit: Das Geld darf nicht Maßstab aller Dinge sein, wenn wir eine humane Gesellschaft haben wollen.
Der Grundtenor der Antworten in der Interpellation ist doch - den kennen wir; denn er ist systemimmanent bei der Staatsregierung -: Wir sind gut. Wo es nicht so gut geht, gibt es den Rückzug auf die Kommunen, die Bezirke, auf den Bund oder die Wirtschaft und sonstige. Und zur Not versteckt man sich hinter einem gewissen Formalismus, nur um die Verantwortung wegzuschieben.
Das geht nicht. Die Staatsregierung ist verpflichtet zu handeln. Die Interpellation und die darin enthaltenen Antworten machen deutlich, dass die Staatsregierung, die sich sonst immer so gerne als Deutschlands beste darstellt, in Sachen der UN-Behindertenrechtskonvention genau das nicht ist.
Der bayerische Aktionsplan muss dringend unter Einbeziehung aller, der Behindertenbeauftragten, die wir zum Beispiel als unabhängige Person beim Landtag ansiedeln wollen, der Interessengruppen und Verbände erstellt werden. Der Entwurf ist nämlich lediglich ein Ansatz einer Situationsbeschreibung. Ich bedanke mich bei allen Behindertenverbänden, der Selbsthilfe und auch bei der Behindertenbeauftragten für ihre Hartnäckigkeit, für ihr immerwährendes Bohren dicker Bretter.
Dieses Bohren dicker Bretter ist für uns hier im Landtag als Unterstützung sehr wichtig; denn ohne diese Ausdauer und Hartnäckigkeit wären wir noch nicht so weit. Und die Staatsregierung braucht das ganz besonders.
Die Staatsregierung hat hier eine wichtige Aufgabe, nicht nur im eigenen Bereich zu handeln - da natürlich auch -, sondern sie hat insbesondere auch die Aufgabe, alle gesellschaftlichen Gruppen und Ebenen dahin zu bringen, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ernst genommen und gehandelt wird.
Ob es die politischen Ebenen sind, ob es die Wirtschaft ist mit ihren Bereichen Ausbildung und Arbeitsmarkt, ob es Freizeit und Tourismus sind oder Kunst und Kultur, alle gesellschaftlich relevanten Bereiche sind angesprochen, sich mit allen Behindertenverbänden, mit der Selbsthilfe, mit der Behindertenbeauftragten und allen im Behindertenbereich Engagierten zusammenzutun. Es ist notwendig, die Umsetzung dieser Konvention auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu erreichen, denn nur eine inklusive Gesellschaft ist eine menschliche Gesellschaft. Der Weg dahin ist weit. Wir sollten die Zeit nutzen. Ich fordere die Staatsregierung noch einmal auf, endlich zu handeln.
Frau Kollegin Steiger ich bitte Sie, noch einmal ans Redepult für eine Zwischenintervention zu kommen. Frau Kollegin Ackermann hat sich dazu gemeldet.
Frau Kollegin Steiger, ich bin sehr erstaunt, dass Sie das bewährte und legitime Mittel der Interpellation in Ihrer Rede infrage gestellt haben. Die Interpellation ist doch ein bewährtes Mittel der Opposition, den Stand der Dinge abzufragen. Sie selbst haben sich in Ihrer Rede immer wieder auf die Antworten der Staatsregierung bezogen, die ohne die Interpellation nicht zu erhalten gewesen wären.
Ich glaube, die Interpellation war sehr wichtig dafür, dass sich die Beamten in den Ministerien endlich nach zwei Jahren Gedanken über den Begriff Inklusion machen. Es tut mir sehr leid, dass es der SPD nicht eingefallen ist, eine Interpellation zu stellen.
Frau Kollegin Ackermann, Sie geben mir zwei Minuten zusätzlicher Redezeit. Natürlich beziehe ich mich auf die Antworten der Staatsregierung zur Interpellation, wenn ich zu dieser rede. Was sollte ich sonst machen? Ich habe nicht das Mittel der Interpellation, sondern das Verfahren infrage gestellt und kritisch bewertet. Denn laut Geschäftsordnung hat die Staatsregierung die freie Möglichkeit zu entscheiden, wann sie die Interpellation beantwortet. Wenn nun zwischen Fragestellung und Antwort ein ganzes Jahr liegt, dann halte ich das nicht für besonders zielführend. Dann ist das nicht mehr aktuell, Frau Kollegin Ackermann.
Ansonsten kann ich Ihnen sagen - das wissen Sie aus der Ausschussdebatte ganz genau -, dass wir einen ganzen Katalog von Anträgen, Anfragen und Initiativen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingebracht haben. Wir brauchen uns deshalb nicht vorzuwerfen, wir hätten nichts oder zu wenig getan, Frau Kollegin Ackermann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschäftigt dieses Hohe Haus nicht erst seit gestern. So hat auch diese Interpellation eine lange Vorgeschichte, und das ist von Ihnen, Frau Kollegin Steiger und Frau Kollegin Ackermann, auch schon angeführt worden. Am 12. Mai 2010 ist im Plenum der Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf eines Aktionsplanes behandelt und einstimmig verabschiedet worden. Die Staatsregierung ist dann tatsächlich auch tätig geworden.
Nun frage ich mich natürlich, warum wir mit der vorliegenden Interpellation das Thema bereits ein halbes Jahr später wieder aufgreifen. Die Antwort ist klar. Es wird sehr viel über die Inklusion und über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geredet, es passiert aber zu wenig und noch vieles ist im Nebulösen zuhause.
Die Bayerische Staatsregierung hat am 3. Mai 2011 ihren Entwurf eines Aktionsplanes vorgelegt. Darin heißt es - ich zitiere: Bayern macht sich auf den Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft und erfüllt dabei auch die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Menschen mit Behinderung in Bayern sollen in allen Lebensbereichen mittendrin statt nur dabei sein.
Das klingt fürwahr gut. Tatsächlich verspricht dieser Aktionsplan auch Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung für die Belange behinderter Menschen, eine inklusive Bildung auf allen Ebenen, begonnen in der frühesten Kindheit, die Teilhabe am Arbeitsleben und, ganz wichtig, für die zunehmende Zahl älter werdender Menschen mit Behinderung zukunftsgerichtete Maßnahmen, um ihnen möglichst auch im Alter ein Leben in vertrauter Umgebung und in ihrem bisherigen Umfeld zu ermöglichen. Man könnte meinen: Alles ist auf dem besten Weg, und wir können uns heute diese Debatte sparen.
Leider ist es aber nicht so. Wie sieht denn die Realität für die Menschen mit Behinderung und für ihre Angehörigen jenseits aller vollmundigen Versprechungen und Bestrebungen in Broschüren und Verlautbarungen aus, meine Damen und Herren? In der harten Realität besteht noch in allen Bereichen Handlungsbedarf. Die Barrierefreiheit ist vorhin angesprochen worden. Ich denke an die Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich. Herr Kollege Unterländer, Sie haben sie angesprochen. Dort gibt es eminent viel zu tun. Eine Strategie, wie man weiterkommen will, müsste endlich vorgelegt werden. In der Realität ist die Inklusion noch längst nicht im Bewusstsein der Menschen angekommen.
Wir FREIEN WÄHLER stellen fest: Die Staatsregierung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ich kann und werde Ihnen das jetzt in den nächsten Minuten auch beweisen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat bereits am 25. November 2010 genau beschrieben, wie ein Aktionsplan auszusehen hat. Ich zitiere aus der Stellungnahme: Ein Aktionsplan ist ein strategisch ausgearbeitetes Handlungsprogramm des Staates. Er enthält eine Beschreibung der Probleme, also eine Bestandsaufnahme, die durch den Plan behoben werden sollen, und legt konkrete Ziele sowie Maßnahmen fest, mit denen diese Ziele erreicht werden können. Darüber hinaus regelt er die koordinierte Ausführung, Evaluation und Fortentwicklung dieser Maßnahmen.
Das hätte sich die Staatsregierung vielleicht vorher einmal anschauen sollen. Wenn man sich nämlich den bayerischen Aktionsplan ansieht, muss man leider feststellen, dass dieses Ziel weit verfehlt wurde.
Zu den verschiedenen Themenbereichen wird von dem jeweils zuständigen Ministerium Stellung genommen und die aktuelle Ist-Situation dargestellt. Zum Teil werden lediglich die aktuellen Maßnahmenprogramme oder Aktionen der Staatsregierung aufgezählt. Ein konkreter, zukünftiger Handlungsbedarf oder gezielte Maßnahmen werden in diesem Bericht aber nicht genannt. Daher wundert es mich nicht, dass der Landesbehindertenrat feststellt, dass Akteure benannt und Hinweise auf Ressourcen und Finanzierungsmöglichkeiten gegeben werden müssen. Zudem sollen Schritte für die Umsetzung deutlich beschrieben werden.
Das alles fehlt genauso wie die erforderlichen finanziellen Mittel zur Umsetzung. Die mangelnde Finanzierung mahnt nicht nur der Landesbehindertenrat an, sondern auch die Landesbeauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderung, Frau Badura. In diesem Kontext muss ich sagen, dass die Interpellation der GRÜNEN längst überfällig ist.
Eines muss klar sein, meine Damen und Herren: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es nicht zum finanziellen Nulltarif. Wir FREIEN WÄHLER fordern deshalb - ich wiederhole es - endlich ein Bundesleistungsgesetz, das den Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilnahme am Leben in der Gesellschaft ermöglicht. Bund und Freistaat müssen sich endlich an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen, wenn Inklusion und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur ein Lippenbekenntnis und - das habe ich vorhin bei Ihren Ausführungen, Herr Kollege Unterländer, wieder gehört - nicht nur ein Thema für Sonntagsreden sein sollen.
In der Antwort auf die Interpellation schreibt die Staatsregierung - ich zitiere -: "Die Staatsregierung fordert vor allem, dass sich der Bund künftig an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligt." Wenn Sie von den Regierungsparteien dies fordern, meine Damen und Herren, dann frage ich mich schon, weshalb Sie unseren dementsprechenden Dringlichkeitsantrag am 15. Dezember vergangenen Jahres, ein Bundesleistungsgesetz zu schaffen, abgelehnt haben. Ich frage mich weiterhin, warum ihre Bundestagsfraktion in Berlin nicht endlich einmal die Weichen dafür stellt.
Daran könnte man auch ablesen, wie groß bei der CSU das Interesse an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist. Es ist die Aufgabe der Opposition, die Staatsregierung auf ihre Versäumnisse