Sie haben in das Gesetz die Bedingung hineingeschrieben, dass die betroffenen Personen zunächst Wohnungen nachweisen müssen, bevor sie die Genehmigung zum Auszug bekommen. Frau Haderthauer, das ist weltfremd. Kein Vermieter in diesem Land unterzeichnet mit jemandem, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt und eine Familie mit drei Kindern hat, einen Mietvertrag. Wir müssen Regelungen schaffen, die eine Institution dazwischenschalten. Das geht nur mit entsprechenden Regelungen des Sozialministeriums.
Mein letzter Satz: Die Wohlfahrtsverbände haben in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf Folgendes gefordert: Bessern Sie nach. Das alleine kann es nicht sein. Ich hoffe auf eine fruchtbare Diskussion im Ausschuss - wobei ich die Hoffnung darauf schon ein wenig aufgegeben habe.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns alle über den Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Aufnahmegesetzes, den wir heute in Erster Lesung behandeln, da die dort enthaltenen Regelungen großzügiger als die bisherigen Regelungen sind, da sie, wie ich finde, klarer sind, und einfach deshalb, weil der Gesetzentwurf nun vorliegt.
Es hat ja durchaus eine Logik, dass die Staatsregierung mit diesem Gesetzentwurf bis Mitte Dezember gewartet hat. Der Gesetzentwurf passt sehr gut in die Weihnachtssitzung des Bayerischen Landtags, da wir in diesen Tagen sehr oft die Weihnachtsgeschichte hören und an die Herbergssuche von Maria und Josef erinnert werden.
- Ich verstehe die Aufregung wirklich nicht. Ich sage nichts Falsches. Das ist seit 2.000 Jahren das Richtige.
Denn das ist einer der Fundamentalsätze des sozialen Bayern: Unsere humanitäre Verpflichtung ist es,
Menschen, die in einer elementaren Notlage zu uns kommen, Schutz und Obdach zu gewähren. Der nun vorliegende Gesetzentwurf gießt die Regelungen in Gesetzesform, die wir in der Plenarsitzung vom 14. Juli des vergangenen Jahres beschlossen hatten. Die Debatte war damals sehr intensiv. Sie wurde mit großem Ernst und sehr sachlich geführt. Das ist gut so. Von Streit oder Gezänk über diese Frage hat keiner etwas, am wenigsten die Asylbewerber, die zu uns kommen. Sie wollen nur eines: Sie wollen in Frieden und Sicherheit leben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dieses Thema aus Streit heraushalten. Anders ausgedrückt: Konsens ist die wichtigste Zutat zum Gelingen.
Ich möchte daran erinnern, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Höhepunkt eines ganzen Bündels von Maßnahmen ist, die wir bereits in dieser Legislaturperiode getroffen haben und mit denen wir die Asylbewerber, die zu uns kommen, entsprechend unterstützen. Das eine ist die Lockerung der Residenzpflicht. Sie erinnern sich. Das andere sind die Leitlinien des Sozialministeriums zu Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften, die am 1. April 2010 in Kraft getreten sind und die jetzt sukzessive umgesetzt werden. Das Aufnahmegesetz ist der Schlussstein und der vorläufige Höhepunkt. Es ist großzügiger und - ich betone es noch einmal - auch klarer; denn das Gesetz normiert die Personen im Einzelnen, die aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen dürfen. Das eigentlich Neue, das eigentlich Entscheidende und das Epochale dieser Regelung ist, dass es nun eine Obergrenze für den Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften, eine Höchstdauer der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gibt, nämlich vier Jahre nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. So sieht es der neue Artikel 4 Absatz 4 vor. Das ist neu. Das ist bemerkenswert. Das ist verkündenswert.
Absatz 5 bringt Einschränkungen für Straftäter oder all die, die über ihre Identität getäuscht haben. Diese Ausnahmen entsprechen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung. Aber sie sind auch einer Einzelfallprüfung zugänglich. Frau Ministerin Haderthauer hat dies dargestellt.
Insgesamt, meine Damen und Herren, erhalten die Behörden einen deutlichen Ermessensspielraum, um auf jede einzelne Konstellation angemessen reagieren zu können. Humanität lässt sich eben nicht in ein Schema pressen. Diesem Geist folgt der neue Absatz 6 von Artikel 4. Er normiert, dass der Auszug in begründeten Ausnahmefällen gestattet werden kann: bei Krankheit, Schwangerschaft, gesicherter Finanzierung oder im Fall des Familiennachzugs. Der Katalog
ist nicht abschließend. Es gibt weitere Möglichkeiten. Das zeigt das Wörtchen "insbesondere". Mit diesem Instrumentarium, meine Damen und Herren, können in jedem Einzelfall angemessene Entscheidungen getroffen werden. Ich kann, Frau Weikert, deshalb die Kritik, die Sie geäußert haben, dass alles zu bürokratisch sei, nicht nachvollziehen.
Das Gesetz wird eine Regelung ablösen, die das Sozialministerium im Vorgriff getroffen hat. Die vorläufige Dienstanweisung vom 8. April 2011, die wesentliche Teilaspekte des Landtagsbeschlusses vom 14. Juli 2010 aufgreift, regelt bewusst nicht alles, weil dies dem Gesetzgeber im Plenum vorbehalten ist. Wir sollten so selbstbewusst sein und dies hier regeln. Das ist staats- und verfassungsrechtlich geboten. Die Wesentlichkeitstheorie besagt, dass alles Wesentliche hier im Hohen Haus geregelt werden muss. Das tun wir heute mit dem Gesetzentwurf. Die vorläufige Dienstanweisung wird es künftig nicht mehr brauchen. Sie wird durch das jetzt geänderte Aufnahmegesetz ersetzt und überholt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir werden das Gesetz im Ausschuss im Einzelnen diskutieren. Mit meiner Wertung kann ich allerdings schon heute nicht hinter dem Berg halten: Die Gesetzesänderung ist ein großer und wichtiger Schritt für all diejenigen, die in Not zu uns kommen. Wir werden ihr deshalb zustimmen. - Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FREIEN WÄHLER bitte ich Herrn Dr. Fahn nach vorne. Allen, die das bisher nicht bemerkt haben, teile ich mit, dass die Uhr am Redepult 40 Sekunden mehr anzeigt, als Ihnen nach unserer Rechnung zusteht. Ich bitte Sie, das mitzubedenken und dies nicht gnadenlos auszunutzen. Bitte, Herr Dr. Fahn.
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Der Gesetzentwurf ist eine Verbesserung gegenüber der Zeit vor 2008. Das ist klar. An der Stelle muss man aber sagen, dass das die FDP erreicht hat und nicht die CSU. Andererseits sind wir der Meinung, dass der Gesetzentwurf nicht der große Wurf geworden ist. Man kann zwar sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Aber es hat viel zu lange gedauert, und es gibt auch weitere Kritikpunkte. 2009 fand die große Anhörung statt. Damals kam das Thema sogar in den "Tagesthemen". Dort hat sich Frau Staatsministerin Haderthauer zur Gemein
schaftsunterkunft in Würzburg geäußert. Damals fragte Tom Buhrow, ob es richtig sei, dass es Sammelunterkünfte wie die in Würzburg künftig nicht mehr geben solle. Frau Haderthauer antwortete: So ist es. Dafür setze ich mich ein. - Inzwischen, so glaube ich, hat sie diesen Satz vergessen.
Ein Jahr später wurde im Ausschuss für Soziales, Familie und Arbeit am 06.05. und im Plenum am 14.07.2010 diskutiert. Dort gab es - wir nennen sie "minimale Fortschritte". Dann begann die große Zeit des Wartens. Am 01.08.2011 verkündete die Koalition, ein entsprechendes Gesetz sei beschlossen. Wieder begann die Zeit des Wartens. Seitdem sind viele Monate vergangen. Am 07.12.2011 wurde der vorliegende Gesetzentwurf eingereicht. Ändert sich etwas? - Kurz- oder mittelfristig ändert sich gar nichts. Schauen Sie in die Erläuterungen zum Gesetzentwurf der Staatsregierung. Dort steht, die Auszüge aus den Gemeinschaftsunterkünften könnten frühestens im Juni 2012 beginnen. "Frühestens" bedeutet, dass es viel länger dauern kann, vielleicht bis 2013. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass die CSU das Gesetz bis zur Landtagswahl verzögern will, um die Erleichterungen für die Asylbewerber, die dringend notwendig wären, wieder kassieren zu können. Ich glaube, dass die FDP noch mehr für die Verbesserung der Asylbewerber ist, als im Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt. Das Problem ist aber, dass sie sich nicht durchsetzen kann. Das ist schade.
Es gibt gewisse Ausnahmetatbestände für Asylbewerber, die ausziehen dürfen. Das sind Familien und Alleinerziehende mit Kindern. Das finden wir richtig und gut. Aber viele Gruppen sind ausgeschlossen. Vor allem für alleinstehende Frauen und vom Bürgerkrieg traumatisierte Flüchtlinge ist die Zwangsunterbringung eine sehr große seelische Belastung. Ich meine, für Schwangere ist eine Einzelfallprüfung nicht nötig. Entweder eine Frau ist schwanger, oder sie ist nicht schwanger. Dazu braucht man keine Einzelfallprüfung. Dazu genügt das Attest eines Arztes. Einzelfallprüfungen bedeuten viel Bürokratie. Übermäßige Bürokratie lehnen die FREIEN WÄHLER ab.
Die Verpflegung und die hygienischen Zustände haben sich ein wenig geändert. Sie sind aber nach wie vor viel zu schlecht und mangelhaft. Die Essenspakete sind Teil eines staatlichen Kontrollsystems. Sie widersprechen den Grundsätzen von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. In der Zeitschrift "BISS" wurde vor einigen Wochen veröffentlicht, dass das Essenspaket den Grundsätzen einer gesunden Ernährung widerspricht. Alle Bundesländer außer Baden-Württemberg und Bayern haben die Essenspakete abgeschafft. Die Bayerische Staatsregierung
Die FREIEN WÄHLER haben bereits im Juli 2009 einen Gesetzentwurf eingebracht. Wir haben die Begrenzung der Lagerpflicht auf ein Jahr gefordert. Berechnungen des Flüchtlingsrates zeigen, dass die Unterbringung in Privatwohnungen nicht nur menschenwürdiger, sondern auch kostengünstiger ist. Die bayerische Asylpolitik will aber nach wie vor fast ausschließlich die Ausreisebereitschaft fördern, obwohl inzwischen fast die Hälfte der Asylbewerber viele Jahre hier wohnte. Sehr viele Asylbewerber haben fünf, zehn oder 15 Jahre hier gelebt. Hier ist ein differenziertes und kein pauschales Vorgehen erforderlich. Wir müssen den Menschen, die viele Jahre hier gelebt haben, eine Perspektive geben, damit die Zeit für die Integration genutzt werden kann.
Meine Damen und Herren, kommen wir zum Fazit: Der Gesetzentwurf der Staatsregierung ist für uns enttäuschend. Er ist bestenfalls ein "laues Lüftchen". In diesem Entwurf fehlen praxisnahe unbürokratische Lösungen. Möglicherweise lösen CSU und FDP mit diesem Gesetzentwurf ihre eigenen Probleme in der Koalition. Es hat lange gedauert, bis dieser Gesetzentwurf endlich auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Sie lösen aber nicht das Problem der Flüchtlinge.
Herr Dr. Fahn, es ist sehr nett, dass Sie auf die Zeit geachtet haben. Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN bitte ich Frau Ackermann nach vorne.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir stehen am Endpunkt eines sehr langen und mühsamen Prozesses. Ein kurzer Rückblick: Bereits im April 2009 haben wir eine Anhörung zu dem Aufnahmegesetz durchgeführt. Im Ergebnis waren sich alle Sachverständigen darin einig, dass Gemeinschaftsunterkünfte menschenverachtend sind und schleunigst eine Lösung mit dem Ziel gefunden werden muss, diese Gemeinschaftsunterkünfte weitgehend aufzulösen. In der Folge wurden von allen Fraktionen Gesetzesanträge mit dem Ziel eingereicht, den Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften auf ein Jahr zu begrenzen. Alle diese Anträge wurden abgelehnt.
Im Jahr 2010 wurde der Landtagsbeschluss zum sogenannten Asylkompromiss gefasst. Jetzt, wieder eineinhalb Jahre später, wird wieder ein Gesetzentwurf vorgelegt. Wenn er denn wenigstens etwas brächte, wäre es gut. Ich gestehe zu, dass verschämte Ansätze von Verbesserungen - ich nehme an, sie gehen auf das Konto der FDP - untergebracht wurden. So wird
der Begriff "Familie" großzügiger ausgelegt. Künftig werden in diesen Begriff auch erziehende Angehörige einbezogen. Das finde ich gut. Bei den Schwangeren wird von einer "unangemessenen Unterbringung" gesprochen, was immer das ist. Nach wie vor wird den Behörden jedoch ein viel zu großes Ermessen eingeräumt.
Aus unserer Sicht sind bereits der Ansatz und die Denkweise falsch. Wir müssen für Menschen, die zu uns kommen und bei uns um Asyl bitten, eine Kultur des Willkommens schaffen.
Wir brauchen keine Kultur des Misstrauens. Diese Kultur des Misstrauens zeigt sich in Ihrem Gesetzentwurf darin, dass die Gemeinschaftsunterkünfte darin wieder zur Regelleistung erhoben werden. Gemeinschaftsunterkünfte sind die Regel, das andere sind die Ausnahmen. Das ist genau falsch. Nach unserer Auffassung sollte der Auszug die Regel sein. Nach maximal einem Jahr in der Gemeinschaftsunterkunft dürfen die Menschen ausziehen, unabhängig von einer Sonderregelung. Damit zeigen wir den Menschen, dass wir sie ernst nehmen. Dies ist bei Ihrem Gesetzentwurf nicht der Fall.
Im Übrigen enthält Ihr Gesetzentwurf viel zu viel Bürokratie. Vieles wird in die Entscheidungskompetenz der Ausländerämter gelegt. Damit haben wir in der Vergangenheit schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht.
Zurück zur Willkommenskultur: Vorhin wurde um den Begriff Flüchtlinge gestritten. Ich bitte Sie. Für mich ist ein Flüchtling ein Mensch, der - aus welchen Gründen auch immer - sein Heimatland verlassen muss.
Ob dieser Mensch eine Anerkennung bekommt oder nicht, hängt vom jeweiligen Rechtssystem des Aufnahmelandes ab. Man kann aber nicht sagen: Erst wenn die Aufnahme erfolgt ist, ist er ein Flüchtling. Was war er denn vorher? Ich sage Ihnen: Auf jeden Fall ist er vorher ein Mensch. Herr Professor Dr. Uslucan hat uns heute unter dem Beifall des gesamten Parlaments, was ich sehr schön fand, auf den Weg mitgegeben: "Wir brauchen eine Kultur gegenseitiger Achtung und Achtsamkeit." Diese Kultur kann ich in den Gemeinschaftsunterkünften leider nirgends sehen. Dort werden die Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Dort müssen sie viele Jahre zubringen, obwohl sie gern ausziehen möchten. Die hy
gienischen Verhältnisse sind dort oft nicht in Ordnung. Die Menschen müssen sich zwangsweise von Paketen ernähren. Wenn das die Kultur gegenseitiger Achtung und Achtsamkeit sein soll, weiß ich nicht, was Sie unter Achtsamkeit verstehen.
Herr Professor Dr. Uslucan hat auch gesagt, die Diskriminierung von Menschen führe zu Rückzugstendenzen, die eine Teilhabe an der Gemeinschaft, in deren Mitte sie eigentlich leben sollten, nicht mehr ermögliche. Diese Diskriminierung von Menschen findet eindeutig dann statt, wenn sie über viele Jahre gezwungen werden, in solchen Unterkünften zu leben. Die Worte von Herrn Professor Dr. Uslucan sind in einer Feierstunde selbstverständlich angebracht. Wenn es jedoch darum geht, diese Worte in die Realität umzusetzen, wollen Sie davon natürlich nichts mehr wissen. Diese Worte gelten jetzt. Sie gelten in den Gemeinschaftsunterkünften. Und sie gelten für Flüchtlinge, auch wenn Sie diesen Begriff anders definieren.
Unsere Pflicht ist es, die Verhältnisse in den Gemeinschaftsunterkünften so zu verändern, dass die Menschen dort zumindest menschenwürdig aufgenommen werden. Viel wichtiger ist, dass diese Menschen endlich in die Gesellschaft integriert werden können, weil sie dezentral wohnen dürfen und damit ganz anders wahrgenommen werden als in der Masse in diesen Unterkünften. Davon sind wir noch weit entfernt.