Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

(Peter Meyer (FREIE WÄHLER): Wir wollen eine umfassende Stellungnahme! Was ist daran falsch?)

- Eine solche umfassende Stellungnahme betrifft die Tätigkeit der Justiz

(Peter Meyer (FREIE WÄHLER): Wir stellen Fragen; was haben Sie gegen Fragen?)

und enthält auch eine Bewertung der Tätigkeit der Justiz. Das wissen Sie sehr gut.

Ich erteile als nächstem Redner Herrn Kollegen Schindler das Wort. Bitte, Herr Kollege Schindler.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich es, gelinde gesagt, unmöglich finde, wie dieser Fall hier ins Plenum gezogen worden ist. Der Betroffene ist nicht der erste und auch nicht der einzige, der in der Psychiatrie ist und behauptet, er sei zu Unrecht dort. Ich darf daran erinnern, dass wir jeden Tag Ein

gaben mit genau dieser Behauptung bekommen. Im Rechtsausschuss haben wir dann die Aufgabe, uns solche Fälle anzuschauen, die Unterlagen durchzulesen. In 100 % - und ich sage hier bewusst: in 100 % aller Fälle stellen wir fest, dass die Einweisung in die Psychiatrie, oder welche Entscheidung auch immer zugrunde liegt, aufgrund von Sachverständigenurteilen getroffen worden ist. In diesem speziellen Fall ist es nun so, dass nicht nur ein Gutachten vorliegt, sondern dass eine Vielzahl von Untersuchungen vorgenommen worden ist, wenn ich mich recht erinnere, zuletzt im Juni dieses Jahres. Das Argument "Ich sitze unschuldig in der Psychiatrie." - das müssen, mit Verlaub, doch alle wissen - kann allein nicht ausreichen, um dahinter einen Skandal zu vermuten.

(Beifall bei der SPD, der CSU und der FDP)

Es ist selbstverständlich unsere Aufgabe als Parlament, genau hinzusehen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass etwas nicht richtig gelaufen ist. Es ist unsere Aufgabe, das genau anzusehen, zu untersuchen und uns ein Urteil zu bilden. Wir dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung aufzuheben, oder das auch nur zu wollen. Wenn wir damit anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerät vieles ins Rutschen. Das sollten wir nicht tun.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keinen Grund, die Staatsanwaltschaft auch nur irgendwie zu verteidigen oder zu sagen, die Staatsanwaltschaft habe alles korrekt gemacht. Das weiß ich nicht. Dieser Komplex ist noch zu klären. Da bin ich auch immer dafür. Deshalb ist der SPD-Antrag auch so formuliert worden, wie er nun vorliegt.

Was mir aber, mit Verlaub gesagt, auffällt, ist, dass die FREIEN WÄHLER noch vor wenigen Wochen leidenschaftlich dafür plädiert haben, Staatsanwaltschaften sollten genauso unabhängig sein wie Gerichte. Jegliche Weisung, ob intern oder extern, müsse unterlassen werden. So haben Sie argumentiert. Wir haben dagegengehalten und gesagt: Das kann vom System her nicht sein. Die Staatsanwaltschaft ist eine hierarchische Behörde, und da muss es notfalls auch möglich sein, einzugreifen. Ich hoffe, es ist nicht häufig notwendig, einzugreifen, aber man kann nicht einerseits argumentieren, die sind unabhängig, denen dürfen wir keine Weisung erteilen, und andererseits dafür politische Verantwortung einfordern. Das geht nicht, meine Damen und Herren. Weil das so ist, haben wir unseren Antrag genau so formuliert, wie er vorliegt, in bewusster Abgrenzung zu dem Antrag der FREIEN

WÄHLER. Ich glaube, es war erforderlich, das hier einmal zu sagen.

(Beifall bei der SPD, der CSU und der FDP)

Weitere Wortmeldungen zu diesen beiden Dringlichkeitsanträgen liegen nicht vor. Ich darf Ihnen zunächst bekannt geben, dass zum nächsten Dringlichkeitsantrag, der von den GRÜNEN eingereicht wurde, namentliche Abstimmung vonseiten der GRÜNEN beantragt wurde. Jetzt kommen wir aber zu den beiden Dringlichkeitsanträgen in der diskutierten Sache.

Ich lasse zunächst über den Dringlichkeitsantrag 16/10687 der FREIEN WÄHLER abstimmen. Die Antragsteller haben hierzu während der Debatte eine inhaltliche Änderung vorgenommen. Danach sollen nach dem Wort "aufgefordert" die Worte eingefügt werden: "im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz". Wir stimmen in dieser geänderten Fassung über den Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER ab. Wer diesem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung erteilen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das sind die Kollegen der FREIEN WÄHLER, der SPD und der GRÜNEN sowie Frau Kollegin Dr. Pauli. Wer ist dagegen? - Das sind die Kollegen der CSU und der FDP. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich lasse nun über den Dringlichkeitsantrag 16/10699 der SPD-Fraktion abstimmen. Auch dieser Antrag kommt in veränderter Fassung zur Abstimmung. Ich lese die geänderte Fassung kurz vor:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, dem Landtag über die am 13. Dezember 2011 in dem ARDMagazin "Report aus Mainz" gegenüber der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhobenen Vorwürfe über die Behandlung der Strafanzeige des Herrn Mollath zu berichten.

(Jürgen W. Heike (CSU): Entschuldigung. Nicht dem Landtag, sondern im Ausschuss!)

- Im Ausschuss. Es muss also heißen: "… im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz (…) zu berichten."

Das wird von den Antragstellern so übernommen. Dann können wir jetzt darüber abstimmen. Wer dem Antrag in dieser Fassung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das sind alle Kolleginnen und Kollegen, wie ich sehe. Wer ist dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Das ist dann einstimmig so beschlossen.

Ich rufe den nächsten Dringlichkeitsantrag auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Verwendung der Mittel des Fonds "Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975" (Drs. 16/10688)

Ich weise nochmals darauf hin, dass zu diesem interfraktionellen Dringlichkeitsantrag namentliche Abstimmung beantragt wurde.

Ich darf Ihnen noch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Rinderspacher, Wörner, Sonnenholzner und anderer und Fraktion (SPD) betreffend "EEG-Umlage und Netzentgeltumlage: Ausweitung der einseitigen Belastungen für Privatverbraucher und Kleinbetriebe stoppen", Drucksache 16/10686, bekannt geben: Mit Ja haben 67 gestimmt, mit Nein 78; Stimmenthaltungen gab es 3. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt worden.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Jetzt kommen wir aber zu dem interfraktionellen Dringlichkeitsantrag. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Ackermann. - Ich darf Sie um Ihr Wort bitten. - Bitte schön, Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie wir alle wissen, wurde in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in den Heimen den dort zu betreuenden Kindern großes Unrecht angetan: Sie wurden gedemütigt und mit Gefühlskälte und Lieblosigkeit behandelt, sie wurden missbraucht und misshandelt. 50 Jahre sind ins Land gegangen, in denen man darüber geschwiegen hat: Die Handelnden haben geschwiegen, die Verantwortlichen haben geschwiegen, und auch die Kinder haben geschwiegen, aus Scham und aus Angst.

Erst im Jahr 2009 ist es gelungen, nachdem immer mehr Fälle bekannt geworden sind und sich immer mehr ehemalige Heimkinder an die Öffentlichkeit gewagt haben, einen Runden Tisch "Heimerziehung" auf Bundesebene einzurichten. Dieser Runde Tisch hat dann zwei Jahre lang getagt. Anschließend hat er beschlossen, 120 Millionen Euro als Entschädigung an die betroffenen Heimkinder zu bezahlen. Der Betrag sollte sich auf mehrere Schultern verteilen: auf die Kirchen und auf die Länder.

Der Bayerische Landtag hat im Juli 2011 einen gemeinsamen Beschluss gefasst, in dem er sich zur historischen, politischen und moralischen Verantwortung

für dieses Unrecht, das den Heimkindern geschehen ist, bekennt. Bayern war das Bundesland mit den meisten Einrichtungen; hier war nämlich ein Drittel aller Einrichtungen in der Bundesrepublik. Das bedeutet, dass Bayern eine besondere Verantwortung zukommt. Bayern wird nach dem Königsteiner Schlüssel mit 7,2 Millionen Euro an dem gemeinsamen Fonds beteiligt.

Der Fonds "Heimerziehung" soll nun am 01.01.2012 seine Arbeit aufnehmen. In diesem Rahmen sollen die Länder für ehemalige Heimkinder niedrigschwellige Anlauf- und Beratungsstellen bereitstellen, die eine Lotsenfunktion, Beratung bei der Antragstellung und Sicherung und Sichtung der Akten zur Aufgabe haben. Zur Refinanzierung der Beratungsstellen in den Ländern stehen bis zu 10 % der Gesamtsumme des Fonds zur Verfügung, knapp ein Drittel der eingezahlten Summe. Bayern zahlt also 7,2 Millionen Euro ein; 2,18 Millionen Euro davon sollen in die Beratungsstellen fließen. Das bedeutet, dass dieser Betrag den ehemaligen Heimkindern nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar zugute kommt.

Wir fragen uns allerdings: Was will man mit dieser großen Summe von 2,18 Millionen Euro anfangen? Wir haben einmal nachgerechnet: Es würde 30 Stellen ergeben. 30 Stellen für eine Beratungsstelle erscheinen doch etwas viel.

(Simone Tolle (GRÜNE): Im Vergleich zu anderen, vor allen Dingen!)

- So ist es.

Wir wollen deshalb wissen, ob der Freistaat Bayern beabsichtigt, die Mittel für die Beratungsstellen aus dem Fonds herauszunehmen und nicht den ehemaligen Heimkindern zugute kommen zu lassen, und wenn ja, wie viele Mittel für welche Leistungen abgerechnet werden sollen. Bei den Heimkindern hat die Entscheidung, dass ein Teil des Geldes, das eigentlich für sie gedacht war, jetzt in eine Beratungsstelle fließen soll, für große Empörung gesorgt.

Es gibt einen Arbeitskreis "Fondsumsetzung Heimerziehung". Dieser Arbeitskreis spricht von Vertrauensbruch und von Wortbruch und fordert, dass die Beratungsstellen ausschließlich aus Landesmitteln finanziert werden sollen und das eingesetzte Geld tatsächlich den Betroffenen zugute kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Länder sind keineswegs gezwungen, die Beratungsstellen aus dem Fonds zu finanzieren. Sie könnten das auch aus Eigenmitteln tun und den Betroffe

nen die Fondsmittel in vollem Umfang zur Verfügung stellen.

Wir fordern den Freistaat Bayern deshalb auf, die Beratungsstellen ausschließlich aus Landesmitteln zu finanzieren. Nicht nur der Landtag, sondern auch der Ministerrat hat sich in einem Beschluss dazu bekannt, sich für die Heimkinder einzusetzen. Laut dem Ministerratsbeschluss will man die Betroffenen in Bayern nicht alleinlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das wird aber erst dann glaubwürdig, wenn der Staat die finanzielle Verantwortung für die Hilfsangebote übernimmt.

Übrigens prüfen auch andere Bundesländer, ob sie die Beratungsstellen aus den Fondsmitteln finanzieren sollen. In Baden-Württemberg zum Beispiel fordern CDU und FDP die vollständige Kostenübernahme durch das Land.

(Simone Tolle (GRÜNE): Sehr schön!)

Sie wären also in guter Gesellschaft, wenn Sie sich dem heute anschließen würden.

Ich bin ganz zuversichtlich; denn nachdem Bayern immer Spitze ist, würde es sich damit sicher auch an die Spitze der Bewegung setzen, die sagt: Diese ehemaligen Heimkinder haben bereits so viel Leid erdulden müssen, sodass es nur recht und billig ist, wenn ihnen die gesamte Fondssumme zur Verfügung steht und nicht ein Drittel davon für eine Beratungsstelle abgezweigt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

- Halt, Frau Kollegin Ackermann. Ich darf Sie zurück ans Redepult bitten. Es gibt eine Zwischenbemerkung des Kollegen Dr. Bertermann. - Bitte schön, Herr Dr. Bertermann.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin, mir gefällt die Richtung, in die Sie argumentieren. Sie müssen das aber mit konkreten Zahlen untermauern. Sie haben gesagt, 2,18 Millionen Euro seien zu viel. Wie viel wäre Ihrer Meinung nach denn nötig, was wir aus dem Landeshaushalt zuschießen müssten? Diese Zahl habe ich vermisst.

Bitte schön, Frau Kollegin Ackermann.