Danke schön, Herr Prof. Piazolo. – Als Nächster hat jetzt der Kollege Dr. Dürr von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Erinnerungskultur, nämlich staatliche, zivilgesellschaftliche und öffentliche Erinnerung an die Nazi-Verbrechen, ihre Opfer und den Widerstand dagegen, ist heute erfreulicherweise von allen Fraktionen im Landtag als wesentlicher Baustein unserer Demokratie anerkannt. Das war schon einmal anders, auch in diesem Hohen Hause. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie anders es war, und es könnte bald wieder anders werden – aber nicht wegen irgendwelcher Gespenster, diese muss ich gar nicht aufrufen, sondern weil mich manches an der Politik der CSU wieder an früher erinnert, und ich hoffe, dass Sie hier innehalten und nicht weitergehen, sondern zum Konsens zurückfinden. Ich möchte noch einmal sagen: Antisemitismus muss in Bayern nicht importiert werden. Der war schon da, bevor überhaupt jemand eingewandert ist. Wir müssen mit unseren eigenen Leuten – dazu zähle ich auch die Eingewanderten – ins Reine kommen und für Demokratie und gegen Diskriminierung eintreten.
Für uns Grüne ist seit jeher klar, dass wir alle Initiativen unterstützen, die politische Bildungsarbeit, Demokratieerziehung und das Eintreten gegen Rassismus und Antisemitismus stärken.
Die Ziele der vorliegenden Gesetzentwürfe teilen wir natürlich. Die Auseinandersetzung mit NS-Gräueln – dazu auch der Besuch einer Gedenkstätte – muss daher für alle bayerischen Schülerinnen und Schüler eine Selbstverständlichkeit sein. Beide Gesetzentwürfe wollen, wenn ich es richtig sehe, die Arbeit der Gedenkstätten an die veränderten Bedingungen anpassen. Außerdem sollen noch mehr Schüler als bisher – nämlich im Grunde alle – für die Nazi-Verbrechen sensibilisiert und für die Wertschätzung unserer Demokratie gewonnen werden. Das ist auf jeden Fall auch unser Ziel. Der Ansatz ist gut gemeint. Was noch nicht ganz klar ist, ist, ob er auch gut gemacht ist.
Für uns sind noch zu viele Fragen offen; Kollege Piazolo sprach es ebenfalls an. Vielleicht können wir die Fragen im weiteren parlamentarischen Fortgang klären. Zum Teil betreffen sie den Inhalt der Entwürfe selbst und zum Teil den Zusammenhang oder den Zeitpunkt, zu dem diese eingebracht werden. Beispielsweise waren wir uns alle im zuständigen Kulturausschuss einig, dass Bayern ein Gesamtkonzept für die Erinnerungsarbeit braucht, also eine Einbeziehung, Berücksichtigung und Stärkung aller Einrichtungen. Die SPD und wir GRÜNEN haben dazu jeweils eigene Anträge gestellt, und bei der Beratung hatten wir uns darauf verständigt – dazu zitiere ich den Kollegen Oliver Jörg, der dabei war, auch wenn er heute nicht da ist –, einen Gesamtplan zum weiteren Umgang mit der bayerischen Gedenk- und Erinnerungslandschaft zu entwickeln. Das ist unser Ziel.
Dies ist über ein Jahr her. Beide Anträge sind noch offen, und ich erwarte von der Regierung, dass sie endlich in die Gänge kommt und uns die Berichte vorlegt. Sie sind für Anfang Juni angekündigt worden, und wir brauchen sie jetzt zur Beratung der Gesetzentwürfe. Ich verstehe nicht, warum wir darauf noch keine Antwort haben.
Zu den Gesetzentwürfen im Einzelnen, zunächst zum Besuch von Erinnerungsorten. Unklar ist für mich, warum die Dachauer Außenlager Mühldorf und Kaufering nicht erwähnt werden. Vor allem aber bleibt der Gesetzentwurf in der Hauptfrage der Kosten jede Antwort schuldig. Das steht auch so drin: Allen Schülerinnen und Schülern soll der kostenfreie Besuch eines Erinnerungsortes ermöglicht werden. Aber wie sollen die Orte das schultern? Woher kommen die vielen Mittel, die Räume und das Personal? Bekommt die Landeszentrale dann mehr Mittel für die Zuschüsse, oder wie soll das laufen? Wie viel mehr bekommt sie? Woher kommt die nötige Unterrichtszeit zur Vor- und Nachbereitung? In all diesen entscheidenden Fragen kneift der Gesetzentwurf und bleibt bei der bloßen Bekundung stehen. Dass wir das brauchen, wissen wir jetzt schon: Aber wo ist die Verbesserung zu heute? Das wollte auch der Kollege Piazolo wissen.
Das verstehe ich noch nicht ganz. Ihr müsst uns noch sagen, worin die konkrete Verbesserung besteht. Ist der Anspruch einklagbar? Auch das hat Kollege Piazolo im Prinzip schon gefragt. An dieser Stelle fehlt mir wirklich absolut das Futter.
Im Prinzip gilt das auch für den zweiten Gesetzentwurf. Er krankt zunächst daran, dass er die Diskus
sion, die wir im Ausschuss geführt haben, ignoriert. Er tut so, als ob wir den jetzigen Diskussionsstand nicht hätten, und konzentriert sich deshalb auf die Stiftung in ihrem heutigen Zuschnitt. Die Stiftung muss ja nicht so bleiben; darüber haben wir ebenfalls schon gesprochen. Wir könnten sie ausweiten. Ich will ja gar nicht dagegen sprechen; ich verstehe nur nicht ganz – dazu hätte ich gern von euch mehr Futter –, wie das genau ausschauen soll.
Die Dokumentationszentren – auch sie sind zentrale Erinnerungsorte – kommen im ersten Gesetzentwurf vor, aber nicht im zweiten. Warum nicht? Das ist mir auch noch nicht ganz klar. Natürlich auch deshalb, weil sie andere Träger haben; darüber haben wir bereits gesprochen. Es ist alles nicht so einfach, wie der Gesetzentwurf tut.
Beispielsweise steht im Gesetzentwurf – das ist für mich geradezu absurd –, die Verpflichtung zur pädagogischen Vermittlung müsse bei der Gedenkstättenarbeit verankert werden. – Die gibt es doch schon. Dort ist doch die Selbstverpflichtung tatsächlich mit den Händen zu greifen. Die Gedenkstätten und Dokumentationszentren fühlen sich verpflichtet, aber es fehlen ihnen, wie gesagt, die Mittel und das Personal. Die fehlen Ihnen. Sie brauchen keine Verpflichtung; sie brauchen Geld.
Natürlich sind die Mittel erhöht worden – das wissen wir auch. Schauen Sie sich aber einmal an, wie der Besucherzuwachs war und wie der Zuwachs auch nach Ihren eigenen Bekundungen sein soll. Woher kommt das Geld? Wir müssen doch etwas bereitstellen.
Zur Frage der Hauptamtlichkeit. Auch da ist für mich vieles unklar. Muss der Stiftungsdirektor hauptamtlich sein, oder kann man, wie dies in anderen Ländern der Fall ist, einen hauptamtlichen Geschäftsführer einstellen? Darüber würde ich auch gerne diskutieren. Vor allem aber geht es um die Grundsatzfrage, welchen Strukturen und welchen Einrichtungen er vorstehen soll. Soll es so bleiben, wie es ist? Sollen wir das neu zuschneiden und neu ausschreiben? Wo ist die Abgrenzung – das ist schon angesprochen worden – zur Landeszentrale für politische Bildungsarbeit? Muss man die Bildungsarbeit nicht insgesamt neu aufstel
len? Auch darüber müssten wir noch einmal intensiver diskutieren. Die Diskussion darüber ist seit ein paar Jahren stehen geblieben. Auch die Akademie hat im Prinzip vergleichbare Aufgaben. Ich würde auch ganz gerne wissen, wer jetzt unsere Demokratie wie genau stärken soll. Das müssen wir abklären.
Die Erfahrung lehrt – das will ich auch noch sagen –: Einzelpersonen sind selten ausschlaggebend, auch Charly Freller nicht. Ein Austausch löst kein Problem. Meistens verkörpern Personen Probleme. Charly macht seine Arbeit gut; er tritt nicht auf der Stelle, und er stabilisiert. Das ist heute schon viel wert – das muss ich auch einmal sagen. Ich finde, wir müssen zuerst die Probleme lösen und die Strukturen angreifen, bevor wir über Personen reden.
Danke schön, Herr Kollege. – Jetzt hat noch einmal Frau Kollegin Zacharias das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
ich freue mich über viele Anregungen deinerseits. Du kannst ja Änderungsentwürfe einbringen, oder wir können miteinander im Kulturausschuss debattieren, was wir zwar nicht mit einem Gesetz, aber mit Verordnungen oder Ausführungsverordnungen organisieren können. Ich glaube, dass ein Gesetz nie den Anspruch haben darf – egal, welchen Gesetzentwurf wir als Opposition vorlegen –, alles zu organisieren und alles zu regeln. Wenn das so wäre, würde ich Verordnungen und Ausführungsverordnungen nicht verstehen. Insofern nehme ich deine kritischen Hinterfragungen oder kritischen Anmerkungen gerne auf; wir können sie auch einarbeiten. Die Finanzierung sollten wir aber miteinander klären, damit wir Bescheid wissen, wenn wir den zweiten Nachtragshaushalt und den nächsten Doppelhaushalt aufstellen. Die Finanzierung ist natürlich das Thema. Gestehe uns doch zu, dass wir mit der derzeitigen Situation nicht einverstanden sind und dass bei Dingen, die du kritisiert hast, sehr wohl eine strukturelle Verbesserung möglich wäre.
Lieber Charly Freller, ich möchte mich ausdrücklich bei dir bedanken. Du hast zehn Jahre eine großartige Arbeit gemacht. Der Gesetzentwurf ist keine Lex Charly Freller, und zwar deutlich nicht – das will ich ausdrücklich feststellen. Das ist keine Lex Charly Freller.
(Beifall des Abgeordneten Volkmar Halbleib (SPD) – Prof. Dr. Michael Piazolo (FREIE WÄH- LER): Ihr wollt ihn hauptamtlich!)
Nein. Erstens habe ich auch gegenüber meinem lieben Kollegen Charly eine Fürsorgepflicht. Eine Arbeit, die der sozialdemokratischen Idee für die Gedenkstättenstiftung entspricht, kann man nicht ehrenamtlich machen; man muss sie hauptamtlich machen. Du darfst sie auch gerne weitermachen, aber dann nicht mehr mit einem Mandat im Bayerischen Landtag.
Ich möchte auch etwas zum Kollegen Spaenle und zur Frage von Hauptamtlichkeit oder Ehrenamtlichkeit sagen. Als damals die Gründung stattfand, hat man interfraktionell sehr wohl festgelegt, dass die Arbeit von einem Stiftungsdirektor gemacht wird, der richtigerweise eine wissenschaftliche Expertise oder eine politische Expertise hat. Man hat ihm einen großen, ich finde, fast zu großen Stiftungsrat an die Seite gestellt. Die Arbeit macht aber immer noch der Stiftungsdirektor oder die Stiftungsdirektorin. Der Stiftungsrat hat über wegweisende oder über bahnbrechende Geschichten zu entscheiden.
Noch eines zur Kollegin von der CSU. Wir haben deutlich keine Pflichten hineingeschrieben. Ich stelle das noch einmal fest. Wir stellen fest, dass zurzeit ungefähr drei bis vier Kinder von zehn Kindern oder 30 bis 40 % – so kann ich das mathematisch einfacher darstellen – Erinnerungsorte besuchen. Daran haben Gymnasiastinnen und Gymnasiasten einen ausgesprochen hohen Anteil. Das stelle ich fest. Ich stelle auch fest, dass das Mittelschüler kaum bewerkstelligen können, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen, die Lehrerinnen und Lehrer fehlen oder die Finanzierung der Busfahrt von A nach B nicht funktioniert. Daher haben wir als Staat eine große Verpflichtung.
Abschließend zu den Orten, die besucht werden sollen – ich glaube, dazu haben Sepp Dürr, aber auch andere Kolleginnen und Kollegen ausgeführt –: Ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen würden, dass jeder Schüler und jede Schülerin während der Schulzeit entweder einen Erinnerungsort besuchen darf oder die Thematik in der Schule aufbereitet bekommt, um in der Lage zu sein, den Mitläufern der Rechtspopulisten, die wir derzeit auf den Straßen erleben, wortgewaltig entgegenzutreten. Genau dafür brauchen wir unsere beiden Gesetzentwürfe. Das ist keine Pflicht, sondern es ist unsere Pflicht, hierfür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu dienen unsere Gesetzentwürfe.
Danke schön, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, die Gesetzentwürfe dem Ausschuss für Bildung und Kultus als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies so beschlossen.
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Errichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Drs. 17/22094) - Erste Lesung
Den Gesetzentwurf begründet Herr Staatsminister Prof. Dr. Bausback. Bitte schön, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Unser Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, dass das Bayerische Oberste Landesgericht neu errichtet wird. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer noch stärkeren bayerischen Justiz in einem starken Rechtsstaat Bayern.
Ich habe schon in der Diskussion um unser Bayerisches Richter- und Staatsanwaltsgesetz immer wieder betont: Die Sicherung einer bürgernahen und zukunftsfähigen Justiz bedarf Anstrengungen in verschiedenen Bereichen. Hierzu gehören unter anderem eine angemessene Personalausstattung, eine zeitgemäße EDV-Ausstattung und ein modernes Richteramtsrecht. In allen Bereichen haben wir in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht.
Meine Damen und Herren, das neue Bayerische Oberste ist bundesweit einmalig und das neue Aushängeschild der bayerischen Justiz. Es knüpft an eine große Tradition des Bayerischen Obersten an und betont die Eigenstaatlichkeit des Freistaats im föderalen System. Zugleich unterstreicht es den Führungsanspruch Bayerns, wenn es darum geht, in einem starken Rechtsstaat für unsere Bürgerinnen und Bürger da zu sein.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Ausgestaltung des Gerichts als Rechtsmittelgericht vor. Damit wirkt das Bayerische Oberste Landesgericht gleichsam als Klammer für die Rechtsprechung in Bayern und wird auch richtungsgebend für die Rechtsprechung im Bundesgebiet wirken. Das Gericht dient der bayernweiten Vereinheitlichung der obergerichtlichen Rechtsprechung vor
allem in Straf- und Bußgeldsachen. Damit wird die Rechtssicherheit gesteigert, meine Damen und Herren. Durch eine Konzentration der Musterverfahren in Kapital- und Anlagesachen wird der Verbraucherschutz gestärkt, und auch die Wirtschaft profitiert: Durch die Konzentration verschiedener Zuständigkeiten im Bereich des Gesellschaftsrechts können weiterhin Rechtssicherheit und kürzere Verfahrensdauern gewährleistet werden.
Wir wollen auch dafür Sorge tragen, dass die Ziele der Heimatstrategie weiter umgesetzt werden. Mit der Einführung gesetzlich garantierter Außensenate in Nürnberg und Bamberg erreichen wir, dass die Justiz in der Fläche gestärkt wird. Schließlich tragen wir auch dem Kostenaspekt Rechnung. Durch die Anbindung an die bestehenden Gerichtsstandorte können die dortigen Strukturen genutzt werden.
Eine erneute Errichtung einer Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Obersten Landesgericht ist nicht erforderlich. Damit wird dem Aspekt sorgsamer Haushaltsführung ebenso Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, noch kurz ein Wort zu den Ausführungen der Kollegin Gote in der Sitzung am 15. Mai 2018. Frau Kollegin Gote hat hier erklärt, dass der Gesetzentwurf dem Landtag nicht vorgelegen habe. Hierzu möchte ich ausführen, dass Ihnen der Gesetzentwurf entsprechend den Vorgaben der Beteiligung des Parlaments bereits am 3. Mai 2018 zugänglich war. Am 9. Mai 2018 wurde Ihnen eine aktualisierte Version zur Verfügung gestellt; zudem wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Fraktionen über die vorgenommenen Änderungen informiert. Der Vorwurf unseriöser Politik verfängt daher nicht, vielmehr ist dieser Vorwurf, der damals erhoben wurde, selbst unseriös.
Noch eines: Sie haben von einer Hopplahopp-Aktion gesprochen. Kolleginnen und Kollegen, mein Haus hat den vorliegenden Gesetzentwurf über einen mehrmonatigen Zeitraum vorbereitet und, wie ich meine, eine gute, tragfähige und zukunftsorientierte Lösung erarbeitet.