Protokoll der Sitzung vom 07.05.2014

Ich komme nun zu den namentlichen Abstimmungen und lasse zunächst über den Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion auf Drucksache 17/1780 abstimmen. Die Urnen stehen bereit. Ich bitte, die Stimmkarten abzugeben. Die Abstimmungszeit beträgt fünf Minuten.

(Namentliche Abstimmung von 16.11 bis 16.16 Uhr)

Die Zeit ist um. Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten draußen auszuzählen. Das Ergebnis wird bekannt gegeben.

Ich nehme nun die namentliche Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER vor.

(Unruhe)

Könnten Sie mir bitte etwas mehr zuhören? Das wäre nett. – Es geht um den Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER auf Drucksache 17/1799. Die Urnen stehen wieder bereit. Ich bitte, die Stimmkarten abzugeben. Für diese Abstimmung haben Sie drei Minuten Zeit.

(Namentliche Abstimmung von 16.17 bis 16.20 Uhr)

Ich schließe die Abstimmung und bitte darum, die Stimmkarten draußen auszuzählen. Das Ergebnis wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.

Wir kommen zur letzten namentlichen Abstimmung innerhalb dieses Tagesordnungspunktes. Ich lasse über den Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN auf Drucksache 17/1800 abstimmen.

Die Urnen stehen wieder bereit. Ich bitte, die Stimmkarten abzugeben. Die Abstimmung ist eröffnet. Drei Minuten, bitte.

(Namentliche Abstimmung von 16.21 bis 16.24 Uhr)

Ich schließe die Abstimmung. Die Zeit ist um. Ich bitte, die Stimmkarten draußen auszuzählen. Das Ergebnis gebe ich zu einem späteren Zeitpunkt bekannt. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, damit ich die Sitzung wieder aufnehmen kann.

Bevor ich mit der Tagesordnung fortfahre, darf ich für die Kolleginnen und Kollegen des Ältestenrates bekannt geben, dass auf Antrag der CSU-Fraktion nach der Plenarsitzung eine Ältestenratssitzung stattfindet. Nachdem das Bayernzimmer belegt ist, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, in das Pressezimmer zu kommen. Es befindet sich hier auf der gleichen Ebene.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Bernhard Pohl u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Beseitigung der kalten Progression (Drs. 17/1782)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Karl Freller, Peter Winter u. a. und Fraktion (CSU) Abbau der kalten Progression (Drs. 17/1802)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Volkmar Halbleib, Inge Aures u. a. und Fraktion (SPD) Beseitigung der unerwünschten Auswirkungen der sogenannten kalten Progression beim Einkommensteuertarif (Drs. 17/1803)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und darf Herrn Kollegen Pohl das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

: Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns gedacht, man muss dem Deutschen Bundestag Zeit geben, und haben deshalb ein halbes Jahr gewartet, um zu sehen, ob er dem Problem der kalten Progression zu Leibe rückt. Ein halbes Jahr ist ins Land gegangen. Der Finanzminister hat angedeutet, man könne jetzt daran denken, die kalte Progression zu beseitigen. Auch der Vorsitzende der SPD geht in diese Richtung, und – oh

Wunder! – als ich am Montag vergangener Woche bei der Verabschiedung des Bayerischen Sparkassenpräsidenten Theo Zellner weilte, hörte ich aus dem Mund des Bayerischen Ministerpräsidenten, für den Abbau der kalten Progression bestehe überhaupt kein finanzieller Spielraum. Eine verkehrte Welt, meine Damen und Herren; denn bereits im Bundestagswahlkampf 2009 hat die Union den Abbau der kalten Progression versprochen. Sie war dann mit der Steuersenkungspartei FDP vier Jahre lang in einer Koalition und hat es nicht fertig gebracht, dieses Problem zu lösen. Zunächst haben sie es nicht gewollt. Danach hat der Bundesrat signalisiert, er werde dem nicht zustimmen.

2013 ist man mit dem Versprechen, diese leistungsfeindliche kalte Progression abzubauen, in den Bundestagswahlkampf gezogen. Jetzt ist die Union wieder an der Regierung, und jetzt kommt ausgerechnet vonseiten der CSU, zumindest vonseiten des Ministerpräsidenten – der Finanzminister sieht es möglicherweise etwas anders – eine klare Absage an dieses Wahlversprechen.

Meine Damen und Herren von der CSU, Sie haben sich damit gerühmt, in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt zu haben, dass es keine Steuererhöhungen gebe. Das ist aber nicht wahr. Die kalte Progression ist Jahr für Jahr eine Steuererhöhung, weil sie die Steuerzahler jedes Jahr mehr belastet. Dieser Missstand wird nicht beseitigt, obwohl wir Rekordsteuereinnahmen haben. Jedes Jahr steigen die Steuereinnahmen. Ich hätte Verständnis für Ihr Verhalten, wenn wir in einer tiefen Rezession stecken würden oder einen Staatshaushalt hätten, der die Drei-Prozent-Kriterien von Brüssel nicht erfüllt. Dann hätte ich vielleicht Verständnis dafür, dass Sie den Abbau der kalten Progression verschieben. Wie gut sollen denn die Steuereinnahmen noch fließen, damit wir diese Ungerechtigkeit endlich beseitigen?

Wenn die Mitarbeiter in einem Betrieb gute Leistungen erbringen und der Betrieb ein Rekordergebnis erzielt, wird es wahrscheinlich eine Gratifikation geben. Zumindest aber werden die Gewerkschaften völlig zu Recht ihren Anteil für die Arbeitnehmer fordern und mit der Forderung nach kräftigen Lohnerhöhungen auftreten. Wir aber bestrafen diejenigen, die uns Rekordsteuereinnahmen bescheren. Das kann doch nicht richtig sein. Das ist doch nicht motivierend. Diejenigen, die uns die Möglichkeit geben, das Geld zu verteilen und auszugeben, werden dafür bestraft, dass sie Jahr für Jahr noch mehr Steuern zahlen und noch mehr erwirtschaften; sie werden dadurch bestraft, dass wir die Steuern erhöhen, indem wir die kalte Progression nicht beseitigen. Deswegen fordern wir die unverzügliche Beseitigung der kalten Progres

sion. Wir fordern, unverzüglich diesem Übel zu Leibe zu rücken.

Meine Damen und Herren, ich möchte nur eine Zahl nennen: Aufgrund der kalten Progression nimmt der Staat im Vergleich zu 2011 heute zehn Milliarden Euro mehr ein. Zehn Milliarden Euro mehr sind eine echte Steuererhöhung. Ich kann an Sie nur appellieren, denjenigen, die Jahr für Jahr Spitzenleistungen erbringen und Jahr für Jahr mehr Steuern zahlen, aus Gründen der Gerechtigkeit, aber auch aus Gründen der Vernunft einen Teil zurückzugeben und die kalte Progression zu beseitigen.

Die CSU hat auch einen Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema nachgezogen. Wir können diesem Antrag allerdings nicht zustimmen, und zwar deswegen nicht, weil Sie die kalte Progression nur dann beseitigen wollen, wenn wir finanzielle Spielräume haben. Meine Damen und Herren, der Haushaltsgesetzgeber, sprich der Deutsche Bundestag, kann diese Spielräume jederzeit schaffen. Aber wir haben es nicht in der Hand, ob der Haushaltsgesetzgeber sich bescheidet oder bei noch mehr Steuereinnahmen noch mehr ausgibt. Dieser Antrag hat jedenfalls aus Sicht des Bayerischen Landtags keinen Sinn. - Wir verlangen die unverzügliche Abschaffung der kalten Progression; wir verlangen, dass sich die Bayerische Staatsregierung auf Bundesebene hierfür einsetzt. Ihr Antrag ist leider mehr Placebo als nutzbringend. Er ist unkonkret, und deshalb müssen wir ihn ablehnen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege. Jetzt darf ich dem Herrn Kollegen Wolfgang Fackler das Wort erteilen. – Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kaum liegen die Ergebnisse der Steuerschätzungen vor – oder Ihre Bekanntgabe steht unmittelbar bevor –, geht das Gezerre um den Abbau der kalten Progression wieder los. Wir von der CSU stehen nach wie vor zu unseren Aussagen im "Bayernplan" zur Abmilderung der kalten Progression, vor allem dann, wenn die Finanzlage gut ist und sobald sich Gestaltungsspielräume ergeben, Herr Pohl. Aber Sie von den FREIEN WÄHLERN machen es sich mit Ihrem Dringlichkeitsantrag mal wieder etwas zu einfach. Er ist leicht zu durchschauen; denn will man als Politiker eine breite öffentliche Zustimmung ernten,

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Er ist klar formuliert!)

dann muss man nur die Formulierung "Abbau der kalten Progression" verwenden. Die FREIEN WÄHLER

haben heute sogar noch einen draufgesetzt und das Wort "unverzüglich" eingebaut. Das Wort "unverzüglich" umfasst aber keine Frist. Zudem ist für die Unverzüglichkeit nicht die objektive Zumutbarkeit entscheidend, sondern die subjektive Zumutbarkeit des erwarteten Handelns. Oder anders ausgedrückt: Es kommt immer auf die Kenntnisse und die persönliche Sichtweise des zum Handeln Aufgeforderten an, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Woher haben Sie das?)

- So etwas weiß man einfach.

(Beifall und Heiterkeit bei der CSU – Heiterkeit bei den FREIEN WÄHLERN und Abgeordneten der GRÜNEN)

In den Erkenntnissen und Sichtweisen unterscheiden wir uns öfter, manchmal sogar gewaltig. Beim Thema der kalten Progression liegen wir aber eigentlich gar nicht so weit auseinander. Wir von der CSU stellen uns im Gegensatz zu Ihnen aber vor allem der Frage des richtigen Zeitpunkts für einen verantwortungsvollen Abbau. Wir wollen keinen blinden Aktionismus, der von der öffentlichen Diskussion getrieben wird, sondern eine Einbettung des Themas in die Gesamtsituation des Bundeshaushalts.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Ihr fordert das doch seit fünf Jahren und tut es nicht!)

Es gibt viele wichtige Projekte, die solide und ohne Schulden finanziert werden wollen und Priorität haben; das wissen auch Sie: Verkehrsinfrastruktur, Städtebauförderung, Verbesserungen der Kindertagesstätten, der Schulen und Hochschulen, Eingliederung von Arbeitssuchenden oder auch der Zuschuss an die Rentenversicherung.

Außerdem stört mich das Argument, das Sie immer wieder vorbringen, dass die kalte Progression faktisch eine Steuererhöhung darstellt. Richtig ist, dass jedes Jahr drei Milliarden Euro – jedes Jahr und nicht insgesamt zehn Milliarden – mehr eingenommen werden. Wenn Sie aber von einer Erhöhung sprechen wollen, dann sollten Sie auch erwähnen, dass der Grundfreibetrag zum 1. Januar 2013 und zum 1. Januar 2014 zugunsten der Steuerzahler erhöht wurde, und zwar auf 8.130 bzw. 8.354 Euro. Das ist so vorgesehen. Das ist mit Steuerentlastungen verbunden und bedeutet zumindest eine punktuelle Korrektur der Inflationsentwicklung. Wir geben also auch etwas zurück, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das muss an dieser Stelle erwähnt werden.

Doch zurück zu dem Progressionsgezerre: Auch wir wollen, wie unser Antrag unmissverständlich zeigt, eine weitere Steuerentlastung, vor allem für diejenigen, die ihr Einkommen hart erarbeiten. Doch dafür braucht man politische Mehrheiten. Deshalb hoffe ich, dass jetzt neue Bewegung in die Sache kommt. Ich begrüße es, wenn die Bundes-SPD ihre Haltung diesbezüglich ändert, vielleicht sogar aufgibt; denn 2012 sind wir im Bundesrat ein Stück weit an Rot-Grün gescheitert. Wir wollen den Abbau der kalten Progression nicht an irgendwelche Bedingungen knüpfen, wie man Ihren Antrag vielleicht interpretieren könnte, also an Steuererhöhungen, den Abbau von Steuerprivilegien oder von Steuersubventionen. Das ist mit uns nicht zu machen; das lehnen wir entschieden ab. Die Wirkung der kalten Progression muss abgemildert werden – darin sind wir uns alle einig, wie schön! –, aber zum richtigen Zeitpunkt und ohne Steuererhöhungen. Dafür müssen finanzielle Spielräume genutzt werden, je früher desto besser und sobald machbar. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der CSU.

(Beifall bei der CSU)

Eine Zwischenbemerkung: Kollege Pohl, bitte schön.

: Herr Kollege, Sie sollten vielleicht auch sagen, um wie viele Euro der Grundfreibetrag erhöht worden ist und einmal in Relation dazu setzen, dass im Vergleich zu 2011 durch die kalte Progression 10 Milliarden Euro mehr eingenommen werden. Darin unterscheiden sich unsere Rechnungen wirklich nicht. Drei mal drei sind neun Milliarden Euro mehr, bei mir sind es 10 Milliarden Euro. Den Grundfreibetrag haben Sie um 126 respektive 224 Euro erhöht. Dieser Betrag unterliegt nicht der Steuer.

Das Zweite: Ich hätte gerne eine Aussage zu dem Kommentar Ihres Ministerpräsidenten vom vergangenen Montag, es gebe keine Spielräume für einen Abbau der kalten Progression. Das war Originalton SPD im Bundestagswahlkampf. Die CSU hat sich hiergegen massiv verwahrt. Jetzt höre ich, dass der Ministerpräsident genau mit diesen Worten argumentiert. Im Übrigen ist es doch eine faktische Steuererhöhung, wenn Arbeitnehmer in den höheren Tarif rutschen und die Erhöhung der Gehälter mit einem Inflationsausgleich verbunden ist.

Herr Kollege, bitte.

Wie dem auch sei, Herr Kollege Pohl: Es gibt einen Tarif, der linear-progressiv vorgesehen ist. Es ist eine rechts- bzw. wirtschaftswissenschaftliche Frage, was der richtige Weg ist. Es ist letztendlich ein Thema der Finanzierung, es geht

darum, wie sich der Bundeshaushalt finanzieren kann. Dazu gehört auch dieses Thema. Der Steuertarif ist die Berechnungsgrundlage der Einnahmen. Letztendlich – so habe ich das auch ausgeführt – ist alles eine Frage der Zeit. Man muss den richtigen Zeitpunkt abwarten, und den werden wir finden. Über das Grundziel sind wir uns einig.

Bevor ich den Herrn Kollegen Halbleib an das Rednerpult bitte, darf ich bekannt geben, dass die Fraktion der FREIEN WÄHLER für Ihren Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat. - Herr Kollege Halbleib, bitte.

Frau Präsidentin, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal, dass der Landtag über das Thema kalte Progression diskutiert. Die letzte intensive Debatte hatten wir am 11. April 2013, also vor einem Jahr. Ich habe damals sinngemäß ausgeführt – ich kann mich darauf berufen -, dass die Progression selbst, also der Anstieg des Steuertarifs mit steigendem Einkommen, eine Frage der Steuergerechtigkeit ist. Ich glaube, das wird von Ihnen nicht infrage gestellt. Es ist ein wichtiger Baustein der Steuergerechtigkeit, dass die starken Schultern mehr tragen müssen. Das ist der erste Punkt.