Protokoll der Sitzung vom 07.05.2014

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Antrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Konsequenzen aus dem Fall Mollath ziehen Reform der Unterbringung nach § 63 StGB (Drs. 17/466)

Ich eröffne die Aussprache und darf als Erstem Herrn Kollegen Streibl das Wort erteilen. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident! Im vergangenen Jahr hat uns der Fall Mollath hier im Haus stark beschäftigt. Er hat auch einige Fragen aufgeworfen, die im Grunde jetzt aufzuarbeiten sind. Ein spezielles Problem ist hierbei die Fragestellung um § 63 StGB. Denn dieser Paragraf ordnet Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Es soll dann die Gesamttat gewürdigt werden und eine Prognose für die Zukunft erstellt werden.

Aber § 63 StGB sieht keine zeitliche Begrenzung vor, und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird hier zu wenig berücksichtigt. Dadurch tritt das ein, was man eine gewisse Perspektivlosigkeit nennen kann, ein Sog der Ohnmächtigkeit und der Aussichtslosigkeit für diejenigen, die unter diesen Paragrafen fallen, die dann im Grund weggesperrt werden und überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, wieder aus der Anstalt herauszukommen.

Deswegen sind wir der Meinung, dass wir hier Weichen stellen müssen, die eine gewisse Menschlichkeit in die Gesetzgebung und in die Anstalten bringen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in sei

nem Urteil zum Fall Mollath gesehen. Es hat gesagt, dass hier eine unverhältnismäßig lange Unterbringung stattgefunden hat und dass hier die Verhältnismäßigkeit stärker berücksichtigt werden muss. Auch das Bundesjustizministerium hat sich eingeschaltet und hat Eckpunkte für eine Reform formuliert, die vom Deutschen Anwaltsverein gutgeheißen werden. Auch die Justizministerkonferenz hat sich hier eingeschaltet. Im Koalitionsvertrag in Berlin wird auch davon gesprochen, dass hier eine Lösung gefunden werden soll. Ebenso hat der Justizminister Professor Dr. Bausback hier eine Reform angekündigt oder Gedanken dazu geäußert. Unser Antrag möchte diese Gedanken unterstützen und fördern. Er soll dazu führen, die Hürden für die Eingangseinweisung und den Verbleib in der Unterbringung höher zu setzen und Überprüfungsfristen von Untergebrachten zu verkürzen. Dadurch soll ein engeres Netz gespannt werden, damit auf diesem Gebiet besser kontrolliert werden kann. Auf diese Weise kann man den Untergebrachten gerecht werden. Für die Anlasstat muss ein höheres Maß angenommen werden, und in Bezug auf die Zukunftsprognose zur Gefährlichkeit müssen wir genauer hinschauen. Es kann nicht sein, dass geringfügige Anlasstaten zu einer möglicherweise lebenslangen Unterbringung führen. Die Unterbringung kann nur lange dauern, wenn eine Gefährlichkeit des Täters in besonders hohem Maß gegeben ist.

Deshalb wollen wir, dass die Überprüfungen kürzer und genauer werden. Wir wollen, dass es bei den Gutachtern einen größeren Wechsel gibt, damit nicht immer die gleichen Gutachter die Personen begutachten. Es soll ein Gutachterpool entstehen, auf den auch die Richter zugreifen können, damit sie eine größere Ausweichmöglichkeit haben und damit besser qualifizierte Gutachter mit einem größeren Spektrum vorhanden sind, die zur Entscheidungsfindung der Gerichte eher beitragen können, wenn mehr in die Tiefe gegangen wird. Wir hoffen, dass sich hier für die Zukunft noch einiges tut.

Morgen wird im Ausschuss eine Anhörung stattfinden, die dieses Thema mit zum Inhalt hat. Wir hoffen, dass dabei noch Erkenntnisse zutage kommen, die in eine zukünftige Gesetzgebung einfließen können. Ich bitte um Unterstützung für diesen Antrag.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Streibl. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Heike für die CSU. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! In der blumigen Ausfüh

rung des Herrn Kollegen Streibl hat ein ganz wichtiger Punkt gefehlt; nämlich der, warum Sie heute – sie erwähnen es sogar noch – einen Antrag stellen, wenn morgen eine sechsstündige gemeinsame Ausschusssitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration sowie des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen stattfindet, in der diese Fragen von den Sachverständigen mit uns erörtert werden. Was soll dann heute diese Aussprache? Sie bringt uns überhaupt nicht weiter.

Wir sind genauso weit wie am 27. Februar, als Sie im Ausschuss schon einmal solche Vorträge gebracht haben und wir Ihnen gefolgt sind. Wir haben gesagt, wir hören uns jetzt einmal die Sachverständigen an. Trauen Sie den Sachverständigen nicht, oder warum muss heute darüber gesprochen werden, obwohl Sie selber zugeben, Sie könnten effektiv noch gar keine wirklichen Versuche machen, hier etwas klarzustellen? Wir haben morgen diese Anhörung. Wir haben grundsätzlich schon über die Situation gesprochen, dass wir gar nicht zuständig sind. § 63 ff des Strafgesetzbuches betrifft Bundesrecht. Wir können aber – das haben wir vor, das ist Ihnen auch schon einmal gesagt worden – durch eine gemeinsame Tätigkeit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe und daraus folgend die Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfs vorbereiten, wie das übrigens laut Koalitionsvertrag für den Bund vorgesehen ist.

Ich betone das Wort "vorbereiten". Was soll das, was Sie jetzt hier machen? Es bringt überhaupt nichts. Die Vorbereitung ist damit nicht gegeben. Da sind wir einer Meinung, das sage ich auch für mich, obwohl ich hier lange Zeit die Justiz verteidigt habe und immer wieder das Vertrauen in sie gehabt habe: Wir wollen und müssen nach dem, was wir jetzt erfahren haben, die Diskussion um die Sachverständigen führen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss natürlich beobachtet, beachtet und gegebenenfalls gestärkt werden.

Ich gebe Ihnen recht, dass die Vertrauensbildung durch eine stärkere Einbeziehung externer Gutachter erfolgen muss. Es muss auch berücksichtigt werden, dass wir eine Balance zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und den öffentlichen Sicherheitsinteressen brauchen. Wenn Sie das alles zusammenfassen, haben wir eine ganze Menge Arbeit. Wir haben jetzt die Reformansätze genannt und werden sie morgen sicherlich noch einmal hören.

Wir müssen natürlich auf die Menschen, die hier regelgerecht eingesperrt sind, und auf deren Physis und Psyche Rücksicht nehmen. Aber vergessen wir andererseits nicht, meine Damen und Herren, dass die Opfer Berücksichtigung finden müssen, die Opfer, die

seelisch und körperlich geschädigt oder zumindest gefährdet worden sind. Die Begrenzung der Dauer der Unterbringung, zum Beispiel auf fünf Jahre wie bisher, muss nicht als verhältnismäßig angesehen werden. Ich meine, dass durchaus auch nach zwei oder drei Jahren ein externes Gutachten eingeholt werden müsste.

Nicht zuletzt müssen wir sehen, wie dieser Maßregelvollzug vernünftig auf den Weg gebracht wird. Dazu gehört die Ressortanhörung, die Ende Mai 2014 mit einer Frist von vier Wochen vorgesehen ist. Die Ministerien haben also sehr wohl vorgearbeitet. Dann kommt der erste Durchgang im Ministerrat noch vor der Sommerpause. Anschließend gibt es eine weitere Verbandsanhörung, die wir auch für wichtig halten, dann den zweiten Durchgang im Ministerrat und anschließend eine Zuleitung des Gesetzentwurfes im Herbst dieses Jahres. So ist, zusammenfassend dargestellt, die Roadmap.

Wir werden im Verfassungsausschuss die Sache weiterhin begleiten und behandeln.Wir werden deshalb Ihrem heutigen Antrag, der wirklich völlig an der Sache vorbeigeht, nicht in irgendeiner Art und Weise zustimmen, sondern wir werden ablehnen und empfehlen Ihnen, morgen ganz aufmerksam dem zuzuhören, was uns die Sachverständigen sagen werden.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege Heike. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schindler das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Heike hat recht. Das Thema dieses Antrags wird morgen in einer, wie ich befürchte, sechsstündigen Anhörung ausführlich behandelt werden. Auf unseren Antrag hin, der einstimmig beschlossen worden ist, führen wir eine gemeinsame Anhörung mit dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration durch. Deswegen ist es etwas verwegen, heute schon die Antworten vorweg zu beschließen, die wir uns morgen erst erwarten. Dennoch möchte ich einige wenige Anmerkungen zu Ihrem Antrag machen.

Erstens ist das Problem der Unterbringung gemäß § 63 des Strafgesetzbuches deutlich älter als der Fall Mollath. Die Problematik ist im Zusammenhang mit dem Fall Mollath vielen erst deutlich geworden. Eigentlich ist das Problem schon viel älter und von vielen anderen schon viel früher aufgegriffen worden. § 63 des Strafgesetzbuches hat leider auch eine Geschichte. Es gibt das System der Zweispurigkeit und die Maßregeln der Besserung und Sicherung genau seit dem Jahr 1933 im Zusammenhang mit der Ge

setzgebung, die damals gegen Gewohnheitsverbrecher gemacht worden ist. In diesem Zusammenhang sind diese Maßregeln damals in das Strafgesetzbuch eingeführt worden.

Zweitens müssen wir die Zuständigkeiten beachten. Für das Grundproblem sind nicht wir zuständig, sondern der Bund. Wie ich es sehe, herrscht inzwischen weitgehend Übereinstimmung, dass einige Änderungen an § 63 des Strafgesetzbuches vorgenommen werden müssen. Die Unterbringung muss auf gravierende Fälle beschränkt werden. Nicht jede Anlasstat kann dafür genügen. Die Dauer der Unterbringung muss bereits im Gesetz begrenzt werden, weil man sich leider nicht darauf verlassen kann – und das bedaure ich außerordentlich -, dass die Gerichte immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß § 62 des Strafgesetzbuches im Auge haben. Das ist im Fall Mollath deutlich geworden und hat zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt. Drittens müssen die Überprüfungsfristen verkürzt und externe Sachverständige hinzugezogen werden, weil es nicht gut ist, dass Psychiater Gutachten abgeben, die in derjenigen Einrichtung beruflich tätig sind, in der sich auch der Untergebrachte aufhält. Das geht sicherlich nicht. Darüber sind wir uns einig. Ich gehe davon aus, dass dies morgen alle Sachverständigen, die wir eingeladen haben, so bestätigen werden.

Völlig unabhängig davon geht es aber auch darum, den Vollzug der Maßregel gemäß § 63 des Strafgesetzbuches in Bayern auf neue gesetzliche Grundlagen zu stellen. Bisher gibt es in Bayern, anders als in vielen anderen Bundesländern, kein eigenes Maßregelvollzugsgesetz. Vielmehr steht in Artikel 28 des Unterbringungsgesetzes lediglich, dass die Vorschriften über die Unterbringung im Prinzip auch für die Unterbringung des Personenkreises gelten, der gemäß § 63 des Strafgesetzbuches in eine psychiatrische Einrichtung geschickt worden ist. Das ist nicht mehr hinnehmbar, weil sich die Personenkreise, die im Unterbringungsgesetz und in § 63 des Strafgesetzbuches gemeint sind, sehr voneinander unterscheiden. Es liegt jeweils ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheitsrechte vor, doch die verschiedenen Personenkreise sind mit unterschiedlichen Zielrichtungen zu behandeln. Deswegen brauchen wir ein eigenes Maßregelvollzugsgesetz in Bayern.

Ich komme zu meiner vorletzten Bemerkung, meine Damen und Herren. Es wird immer behauptet, dass die Zahl der in psychiatrischen Krankenhäusern Untergebrachten ständig steigt. Das stimmt nicht. Richtig ist allerdings, dass sich die Dauer der Unterbringung immer mehr verlängert. Die Zahl derjenigen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, ist deswegen gestiegen, weil sie sich darin län

ger aufhalten. Dafür gibt es viele Ursachen. Eine der Ursachen ist höchstwahrscheinlich eine von der Fachwelt so bezeichnete punitive Grundstimmung in der Bevölkerung. Welcher Sachverständige traut sich schon, ein Gutachten mit dem Inhalt abzugeben, dass der Betroffene voraussichtlich künftig keine schwerwiegenden Straftaten mehr begehen wird? – Hier herrscht große Vorsicht, was auch an einer Grundstimmung in der Öffentlichkeit liegt. Ich füge hinzu: Man ist zu Recht vorsichtig; denn diese Menschen werden deshalb untergebracht, weil man sie für gefährlich erachtet.

Meine Damen und Herren, ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Eines unserer Probleme besteht in der Zuständigkeit in Bayern. Für den Vollzug der Maßregel gemäß § 63 des Strafgesetzbuches ist in Bayern das Sozialministerium zuständig. Frau Staatsministerin, ich traue Ihnen zwar zu, dass Sie sich damit auskennen, aber die Zuständigkeitsregelung ist etwas systemwidrig. Ansonsten ist für den Vollzug strafgerichtlicher Entscheidungen die Justiz zuständig. Auch deshalb gibt es in Bayern bis heute kein eigenes Maßregelvollzugsgesetz. Der Zweck der morgigen Anhörung, aber auch dieses Antrags besteht, wie ich gerne zugebe, darin, etwas Druck ausüben, damit endlich eine zeitgemäße Regelung zustande kommt. Deswegen werden wir trotz Bauchschmerzen und Bedenken dem Antrag der FREIEN WÄHLER zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Schindler. Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat Frau Kollegin Celina das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der FREIEN WÄHLER beschäftigt sich mit einem Problem, das spätestens seit dem Fall Mollath von vielen erkannt worden ist, bei dem sich die Staatsregierung aber bisher nicht zum Handeln entschließen konnte; sie hat den Bund bisher nicht zum Handeln aufgefordert, warum auch immer. Natürlich hat der Fall Mollath gezeigt, dass die geltenden Regelungen nicht verhindern konnten, dass jemand zu Unrecht über viele Jahre hinweg weggesperrt wurde, ein normales, selbstbestimmtes Leben aufgeben musste und gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht wurde. Genau deshalb muss § 63 des Strafgesetzbuches dringend geändert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Fall Mollath hätte sich gar nicht ereignen dürfen. Und wenn sich ein solcher Fall schon ereignet, hätte

die zugrunde liegende Fehlentscheidung schnell korrigiert werden müssen. Deswegen ist es gut, dass ein Antrag vorliegt, der ausführt, wie die Hürden für eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik erhöht werden müssten. Der Antrag verlangt zu Recht, dass Gutachten verbessert werden und Einweisungen und deren Verhältnismäßigkeit schneller überprüft werden müssen. Im Fall Mollath – und nicht nur in diesem Fall – lief einiges schief. Deswegen müssen wir Konsequenzen ziehen.

Man muss sich bewusst machen, dass der Maßregelvollzug, dem die nach § 63 eingewiesenen Menschen unterliegen, dem Zweck dient, die Betroffenen durch Behandlung und Betreuung zu befähigen, wieder ein in die Gemeinschaft eingegliedertes Leben zu führen, sowie die Allgemeinheit und das Personal der Einrichtung vor weiteren Straftaten zu schützen. Es gilt der Grundsatz, dass die Sicherung der Allgemeinheit am besten durch eine Besserung, die durch eine Therapie ermöglicht wurde, zu erreichen ist. Jedoch zeigt der Fall Mollath, dass es hierbei nicht um eine möglichst frühe Wiedereingliederung in ein normales Leben ging, sondern dass bestehende Gesetze in einer Art und Weise gedehnt und teilweise sogar missachtet wurden, wie es uns bis dahin unvorstellbar erschien. Hier wurde eine Person unverhältnismäßig lange eingesperrt. Wir müssen daraus die Konsequenzen ziehen und § 63 des Strafgesetzbuches neu fassen, um ein Desaster wie im Fall Mollath in Zukunft zu verhindern.

Außerdem muss die Bayerische Staatsregierung endlich ihre Hausaufgaben machen und die geltenden Regelungen über den Maßregelvollzug in ein Psychisch-Kranken-Hilfegesetz überführen. In einem solchen Gesetz müssen Vor- und Nachsorge für die Menschen mit psychischen Krankheitsbildern geregelt werden; denn Krisen und psychische Notlagen kommen nur in den seltensten Fällen aus heiterem Himmel auf uns herab, sondern kündigen sich lange vorher an. Das gilt für die Betroffenen genauso wie für ihre Kontaktpersonen. Wenn selbst die Krisenprävention nicht wirkt und tatsächlich eine Zwangsunterbringung erfolgen muss, muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wie es § 62 des Strafgesetzbuches verlangt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann für die Betroffenen nämlich aufgrund der unbestimmten Dauer schwerer wiegen als eine zeitlich befristete Strafe.

Wichtig ist hier aber auch, dass ganz banale und selbstverständliche Grundrechte gewahrt werden. So müssen zum Beispiel Einschränkungen bei Besuchen und Kontakten nach draußen immer möglichst gering gehalten werden, Schriftwechsel und Telefongespräche müssen zugelassen werden, der Besitz von Ge

genständen muss zugelassen werden. Wir haben heute schon darüber debattiert, dass außerdem das Wahlrecht zugelassen werden soll.

Deswegen müssen wir die Bundesregierung auffordern, dass sie ihre Ankündigung umsetzt, § 63 des Strafgesetzbuches endlich zu reformieren. Wir müssen klären, wieso es zu einer Verdoppelung der strafrichterlichen Unterbringungsanordnung in § 63 des Strafgesetzbuches sowie zu einer Verdreifachung der Unterbringung nach § 64 des Strafgesetzbuches kam. Wir müssen Antworten suchen auf die Frage, wie wir einer Überbelegung im Maßregelvollzug begegnen wollen. Sie resultiert aus einer zunehmenden Anwendung der Unterbringungsanordnung und einer restriktiveren Entlassungspraxis. Wir müssen außerdem Antworten suchen auf die Frage, wie es hinsichtlich der Fälle und der Einweisungen, der Dauer der Einweisung und der Behandlung der Fälle zu regionalen Unterschieden kommt. Warum werden in manchen Kliniken Menschen häufig und lange fixiert oder zwangsmedikamentiert und in anderen nicht?

Liebe Kollegen, morgen wird in den zuständigen Ausschüssen eine Anhörung zu diesen Themen stattfinden. Wir werden morgen sicherlich keine fertigen Antworten bekommen. Aber ich erhoffe mir, dass wir nach der Anhörung die richtigen weitergehenden Fragen stellen werden. Heute steht nur zur Debatte, § 63 des Strafgesetzbuches dringend zu reformieren. Diesem Antrag stimmen wir zu. Wir haben die darin enthaltene Forderung schon mehrfach öffentlich und im Landtag geäußert.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Celina. Für die Staatsregierung hat Herr Professor Dr. Bausback das Wort. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt haben die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der FREIEN WÄHLER recht: Bei den Regelungen zur strafrechtlichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besteht rechtspolitischer Handlungsbedarf. Deshalb stellen sich nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland Juristen, Mediziner und Politiker die Frage, in welcher Weise das Recht der Unterbringung reformiert werden sollte. An dieser Reformdiskussion, Kolleginnen und Kollegen, beteiligen wir uns intensiv. Wir nehmen an der im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vorgesehenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe teil, und wir erarbeiten einen eigenen Gesetz

entwurf. Als Teilnehmer an den Koalitionsverhandlungen habe ich mich mit anderen maßgeblich dafür eingesetzt, dass wir dies aufgenommen haben.

Nahezu Einigkeit herrscht darüber, dass Reformbedarf besteht. Hinsichtlich der Frage, wie eine Reform genau aussehen sollte, gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Mein wichtigstes Ziel bei den Überlegungen zur Reform des § 63 des Strafgesetzbuches ist es, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowohl im Anordnungs- als auch im Vollstreckungsverfahren stärker zu verankern. Dabei müssen aus meiner Sicht sämtliche Überlegungen von zwei Punkten ausgehen.

Erstens dürfen durch die Reform keine Schutzlücken entstehen. Wir dürfen nicht von einem Extrem ins andere verfallen. Wir dürfen aufgrund von Einzelfällen nicht außer Acht lassen, dass Opfer und die Allgemeinheit unzweifelhaft ein berechtigtes Interesse am Schutz vor rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualstraftätern haben. Deshalb müssen die Neuregelungen einen Ausgleich zwischen dem Freiheitsanspruch der Betroffenen und den öffentlichen Sicherheitsinteressen herstellen.

Zweitens müssen wir ganz genau hinschauen, wenn wir eine Verbesserung erreichen wollen. Wir dürfen nicht irgendetwas irgendwie reformieren, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Für eine gute Reform reicht es auch nicht aus, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der FREIEN WÄHLER, wenn Sie sämtliche Forderungen, die in der Reformdiskussion kursieren, zusammenschreiben, wie Sie es in Ihrem Antrag offensichtlich gemacht haben.

Kolleginnen und Kollegen, in diesem unglaublich sensiblen Bereich zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit müssen wir besonders sorgfältig und verantwortungsbewusst vorgehen. Ich möchte, dass Veränderungen dort vorgenommen werden, wo sie erstens erforderlich sind, wo sie zweitens für die Betroffenen tatsächlich Verbesserungen bringen und wo sie drittens auch in die Praxis umsetzbar sind. Wir haben gerade bei diesem Thema auch auf die Einbindung der Praxis geachtet. Wir haben bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften Bayerns eine Umfrage durchgeführt und nach einer Bewertung von möglichen Reformansätzen aus Sicht der Praxis gefragt. Erst jüngst haben wir zu einem Praktiker-Workshop ins Justizministerium eingeladen, an dem nicht nur Richter und Staatsanwälte aus allen Oberlandesgerichtsbezirken, sondern auch Leiter forensischer Einrichtungen und Wissenschaftler, insbesondere Kriminologen, teilgenommen haben. Die Erkenntnisse hieraus sind eine großartige Hilfe für die Bewertung verschiedener Reformanforderungen.

Lassen Sie mich eine der von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, erhobenen Forderungen herausgreifen: die Verkürzung der derzeit jährlichen Überprüfungsfrist für die Fortdauer der Unterbringung. Nach Einschätzung der Praktiker, die sich auf ihre Erfahrung in Fällen der vorläufigen Unterbringung nach § 126 a der Strafprozessordnung gründet, wäre eine Verkürzung der jährlichen Prüfungsfrist möglicherweise sogar kontraproduktiv. Je höher die Frequenz erneuter Begutachtung und Überprüfung sei, umso höher sei die Gefahr, dass der Untergebrachte nicht ausreichend in die Therapiebemühungen einsteigt. Gerade aufgrund der sehr guten Erfahrungen, die mein Haus mit der Beteiligung der Praxis gemacht hat, begrüße ich es ausdrücklich, dass die befassten Ausschüsse morgen eine gemeinsame Expertenanhörung zur Situation und zum Reformbedarf im Maßregelvollzug sowie zu Zwangsmaßnahmen in der stationären Psychiatrie durchführen. Ich möchte dieser Anhörung nicht vorgreifen, sondern nur die aus meiner Sicht wichtigsten Reformansätze nennen.